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IV-Ökonom Helmenstein: „Das Gewicht Deutschlands wird sinken“

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Industriellen-Chefökonom Christian Helmenstein erwartet, dass Deutschlands wirtschaftliche Bedeutung nachlassen wird. Andere Länder haben bereits aufgeholt.

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Insbesondere Autozulieferer sollten sich warm anziehen, meint Industriellen-Chefökonom Christian HELMENSTEIN mit Blick auf den großen Nachbarn. Alternativen gäbe es genug.

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Die Investitionsbestände österreichischer Unternehmen in Deutschland liegen auf Rekordniveau. Ist das Land am Ende doch nicht so unattraktiv?

Christian Helmenstein

Die Zahlen könnten auch damit zu tun haben, dass viele deutsche Firmen zum Verkauf stehen und die Einstiegspreise niedrig sind. Die relativ guten Exportergebnisse wiederum sind auf einen Einmaleffekt in der Autoindustrie zurückzuführen. Nach den Engpässen in der Halbleiter-Lieferkette als Folge der Corona-Jahre lief es 2023 wieder rund. Diesen Effekt wird es 2024 nicht mehr geben. Daher stehen Bundesländer mit vielen Autozulieferern wie Oberösterreich und Steiermark vor besonderen Herausforderungen, werden diese mit ihrer technologischen Kompetenz aber meistern.

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Wo liegen die großen strukturellen Probleme Deutschlands?

Christian Helmenstein

Im Bürokratie-Tsunami. Der liegt zwar in der Verantwortung der EU, doch die EU sind am Ende wir alle. Deutschland hat etwa auch ein nationales Lieferkettengesetz. Dazu kommt große Planungsunsicherheit in der Energietransformation. Für die Bauwirtschaft wurde mehr in Aussicht gestellt als realisiert. In Österreich haben wir das mit dem Wohn- und Baupaket besser gemacht.

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Anekdotisch ist von deutschen Mittelständlern zu hören, die in die Schweiz auswandern wollen – selbst Produktionsbetriebe.

Christian Helmenstein

Ich wäre sehr vorsichtig, das zu verallgemeinern. Die Schweiz ist nicht groß genug, es gibt keine umfassenden Baulandreserven, um eine Firmen-Emigrationswelle zu stemmen. Viel interessanter könnte Italien werden. Einige Regionen haben sich laut unserem Standort-Monitoring von 63 europäischen Regionen deutlich verbessert. Italien ist nicht mehr der kranke Mann Europas.

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Woran liegt das?

Christian Helmenstein

Die Knappheiten bei Fachkräften oder günstiger Energie gibt es doch auch dort. Ja. Aber nach einer ökonomisch verlorenen Generation sehen wir durch eine zurückhaltendere Arbeitskostendynamik auch, dass Italien wieder wettbewerbsfähiger wird. Energieseitig hat sich Italien rasch Richtung Nordafrika umorientiert und investiert zudem in neue Nischenmärkte, beispielsweise für Biokraftstoffe. Außerdem ist das Land geschickt darin, Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds Next Generation EU zu lukrieren und durch Infrastruktur- wie Forschungsinvestitionen sein Wachstumspotenzial zu stärken.

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Sollten wir uns also von Deutschland aktiv wegorientieren?

Christian Helmenstein

Nicht aktiv, aber das wird quasi automatisch passieren, obwohl es in Norddeutschland noch viel Exportpotenzial gäbe. Das Gewicht Deutschlands im österreichischen Außenhandel wird sinken, weil die Absatzmärkte anderer Länder kräftiger wachsen. Das betrifft nicht nur Italien. Polen und Rumänien stehen beim Wachstum in diesem Jahr an der Spitze der zentral- und osteuropäischen Länder. Wir sollten auch darüber hinaus blicken, noch über die großen drei – USA, China und Indien – hinaus: Indonesien, Brasilien, Mexiko, die Türkei und Saudi-Arabien könnten perspektivisch durchaus interessante Märkte für die österreichische Außenwirtschaft werden.

Das Interview ist trend. PREMIUM vom 12. April 2024 entnommen.
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