Das Go für eine “Strompreisbremse” drohte bis eine Stunde vor dem Sommer-Ministerrat zu platzen. Die Regierung ist in ihren Anti-Teuerungs-Plänen inzwischen aber bereits weiter als öffentlich zugegeben. Das derzeit favorisierte Anti-Teuerungsrezept: Jeder Bürger soll ein Kontingent an Gratisstrom erhalten.
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Das Protokoll der jüngsten Ministerrats-Sitzung liest sich wie ein erneuerter Koalitionstreue-Schwur. Dabei stand es hinter den Kulissen bis eine Stunde vor Sitzungsbeginn einmal mehr Spitz auf Knopf.
„Die Bevölkerung in Österreich ist aktuell mit den höchsten Inflationsraten seit rund 50 Jahren konfrontiert. Insbesondere die hohen Energiepreise tragen dazu bei, dass die Unsicherheit über die Leistbarkeit von Grundbedürfnissen zunimmt”, heißt es im gemeinsamen Ministerratsvortrag 26a/22 von Magnus Brunner, Leonore Gewessler und Martin Kocher, den das Minister-Trio dem gesamten Kabinett Ende Juli zur Absegnung vorlegte.
In der Folge werden dann zur Selbstvergewisserung „die bereits gesetzten Maßnahmen der Bundesregierung in Form von drei Entlastungspaketen” aufgeführt. Vom Aussetzen der Ökostrompauschale und des Ökostromförderbeitrages über die Senkung der Elektrizitätsabgabe bis hin zum bereits einlösbaren Energiekosten-Gutschein und zum Anti-Teuerungsbonus, der ab Herbst inklusive Klimabonus jedem Erwachsenen 500 Euro und jedem Kind 250 Euro bescheren soll.
Das alles, klopft sich die Regierung selbst auf die Schulter, „hat dazu beigetragen, dass es bereits zu wesentlichen Entlastungen bei Haushalten und Unternehmen gekommen ist.” Vor allem beim Strompreis, proklamiert das türkis-grüne Kabinett, habe das auch schon Wirkung gezeigt: „Laut Verbraucherpreisindex der Statistik Austria entsprechen die Strompreise im Juni 2022 auch durch die von der Bundesregierung getroffenen Maßnahmen in etwa dem Vorjahresniveau.”
Aber: „Nichtsdestotrotz ist in den kommenden Monaten voraussichtlich mit einer weiteren Aufwärtsdynamik bei den Konsumentenpreisen zu rechnen, weshalb die Bundesregierung bereits intensiv an der Möglichkeit weiterer Abfederungsmaßnahmen arbeitet. (…)Vor diesem Hintergrund erarbeiten das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie gemeinsam mit dem Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft und unter Einbeziehung des Bundesministeriums für Finanzen Varianten zur Unterstützung der österreichischen Bevölkerung, um eine leistbare Energieversorgung eines gewissen Grundbedarfs sicherzustellen.”
Auch wenn die Inszenierung der letzten Regierungssitzung vor der politischen Sommerpause Ende Juli als außerordentliches Polit-Event im Schlosshotel Mauerbach weitaus höhere Erwartungen geweckt hatte. Selbst die bloße Absichtserklärung, neue Anti-Teuerungs-Maßnahmen zu kreieren, drohte bis kurz vor Beginn der Zusammenkunft an einem nicht unwesentlichen Detail zu scheitern. Nämlich an der schlichten Frage, wer für die praktische Umsetzung der großspurig verkündeten „Strompreisbremse” verantwortlich ist.
Die Truppe um die grüne Klimaministerin Leonore Gewessler vertrat bis zuletzt den Standpunkt: Da es hier darum geht, Steuergeld zur Strompreissenkung unters Volk zu bringen, liege der Ball beim Finanzminister. Die Truppe um den türkisen Finanzminister Magnus Brunner sah in dem Fall eindeutig die Klima- und Energieministerin in der Pflicht.
Bis knapp eine Stunde vor Beginn der Ministerratssitzung spielten beide Lager auf High Noon. Erst ein Vieraugen-Gespräch zwischen Magnus Brunner und Leonore Gewessler kurz vor Sitzungsstart verhinderte eine Blamage. Der Punkt in diesem internen Nervenkrieg ging an Magnus Brunner. Die Strompreisbremse wird federführend vom Klimaministerium erarbeitet, das Finanzministerium ist bloß „unterstützend” mit von der Partie.
„Es ist etwas schräg, dass sich die zuständige Energie-Ministerin mit Händen und Füßen dagegen wehrt, die Führung bei der Umsetzung einer wichtigen energiepolitischen Maßnahme der Regierung zu übernehmen”, kommentiert ein teilnehmender Beobachter den jüngste Koalitions-Nervenkrieg.
Der offenbart wie angespannt das Klima in beiden Regierungslagern generell ist: Nach Corona, Krieg & Sanktionen ist mit der massiven Teuerungswelle nun die nächste und tiefgreifendste Krise politisch zu managen. Da gibt es wenig zu gewinnen, aber viel zu verlieren. Zumal sich beide Lager bei gut gemeinten Anti-Teuerungs-Maßnahmen bereits die Finger verbrannt haben.
Im Finanzministerium ist man noch dabei, die vielen Zores mit dem Energie-Gutschein zu verdauen. Dieser sollte dem Gros der österreichischen Haushalte (mit Ausnahme von Verdienern jenseits der Höchstbeitragsgrundlage) noch vor Sommer 150 Euro aufs Konto spülen. Die Umsetzung stieß auf jede Menge praktische Hürden - vor allem bei jenen Bürgern, die nach wie vor nicht ausreichend internetaffin sind. Statt Applaus hagelte es so für den Millionen-Geldregen nur Schelte.
Wohl ein Grund mehr für den Finanzminister Magnus Brunner darauf zu beharren, die Verantwortung für die Strompreisbremse bei der zuständigen Energieministerin Leonore Gewessler zu belassen. Die grüne Ressortchefin wiederum hatte ministeriumsintern nicht nur bei der Vorbereitung des Klimabonus mehr Hindernisse als erwartet zu bewältigen.
Leonore Gewessler ist auch ob der Kritik an ihrem Krisenmanagement angesichts eines drohenden Gaslieferstopps durch Russland sichtlich außer Tritt geraten. Die Energie-Ministerin ging zuerst wochenlang auf Tauchstation, dann versicherte sie gebetsmühlenartig, die Weichen für eine sichere Versorgung seien gestellt. Das vermag ihre Kritiker nach wie vor nicht zu überzeugen. Sie stellen mit Robert Habeck vielmehr ausgerechnet einen Grünen als Kronzeugen für Gewesslers Versagen in die Auslage. Ihr deutscher Amtskollege wird - ob seines ungewöhnlich offenen Kommunikationsstils - auch hierzulande zunehmend zum Darling von Medien und Meinungsmachern an den Intellektuellen-Stammtischen.
Die Herausforderung, in Sachen Strompreis-Senkung ein breit zufriedenstellendes Modell zu finden, wird freilich am Ende wohl nicht allein an der schwer verunsicherten Klimaministerin politisch hängen bleiben. Schließlich hat sich beim pompös inszenierten Sommerministerrat auch die türkis-grüne Regierungsspitze mit dem Vorhaben geschmückt.
Inzwischen macht sich regierungsintern wieder etwas Entspannung breit, weil nun bereits ein erster grober Vorschlag auf dem Tisch liegt. Dieser erscheint allen prima vista als machbar und vor allem auch als politisch gut verkaufbar. Als Preisbremse soll nicht eine staatliche Preis-Subvention, sondern ein Gratisstrom-Kontingent für jedermann fungieren. Die derzeit regierungsintern kursierende Modellrechnungen sieht so aus: Bei einem durchschnittlichen Haushaltsstromverbrauch (je nach Personenanzahl) zwischen 3500 und 4500 Kilowatt-Stunden (kWh) pro Jahr sollen ab Herbst rund 2000 kWh gratis ins Haus kommen. Die Kosten dafür sollen direkt aus dem Budget an die Stromanbieter überwiesen werden.
Ein Gratis-Stromkontingent hat aus Sicht der Regierungsexperten einen entscheidenden Vorteil gegenüber allen anderen Modellen, die – wie zuletzt in Niederösterreich – darauf abstellen, den Preis pro Kilowattstunde für den Großteil des durchschnittlichen Verbrauchs prozentuell senken. Das Gratisstrom-Kontingent wäre österreichweit ohne großen bürokratischen Aufwand umsetzbar, alle anderen Modelle seien hochkomplex und aufwändig.
Denn durch das große Strompreisgefälle innerhalb von Österreich ist Strom im Osten bis zu viermal so teuer wie im Westen, wo die Anbieter überwiegend auf billige Wasserkraft setzen können.
Dazu kommt: Ale namhafte Experten plädieren gegen einen Preisdeckel und für einen Rechnungsdeckel. Denn ein gestützter Preis käme im europaweit vernetzten Strommarkt auch nicht-österreichischen Steuerzahlern zugute. Die konkrete Stromrechnung des Einzelnen mit einem Gratis-Stromkontingent zu deckeln, lässt sich so auch ohne mögliche Trittbrettfahrer umsetzen.
Das Stromkontingent kann zudem für sozial besonders Bedürftige – im Gespräch sind alle von der ORF-GIS-Gebühr Befreiten – entsprechend erhöhen. In regierungsintern kursierenden Modellrechnungen soll diese Gruppe bis zu 50 Prozent mehr Gratisstrom, also 2.000 statt 3.000 kWh, erhalten.
Hier könnte es im Finale aber noch einmal ein Ringen zwischen den Türkisen und den Grünen geben, weil der starke soziale Flügel der Ökos ein besonders deutliches Signal der Armutsbekämpfung setzen will.
Da es so trotz Sommerpause im Regierungsviertel nicht zu viel zu lachen gibt, sorgt nachträglich eine Kabinetts-Entscheidung für Schmunzeln, die beim Sommerministerrat unter ferner liefen durchgewunken wurde. Ausgerechnet Karl Nehammer holte sich das Go der Regierungskollegen für folgende Amtshandlung: Die Verleihung des Großen Goldenen Ehrenzeichens am Bande für Verdienste um die Republik Österreich an Margit Kraker.
Die Rechnungshof-Chefin und der Kanzler liegen bekanntlich seit Monaten im Clinch –wegen massiver Zweifel an der Korrektheit des Rechenschaftsbericht der ÖVP in Sachen Parteifinanzen in der Ära von ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer im Wahljahr 2019. Das Begehr Nehammers just in diesen heiklen Wochen Kraker einen Orden umzuhängen, löste bei einigen hintergründige Spekulationen bei anderen gallige Heiterkeit aus.
Die Erklärung des Kanzleramts für die überraschenden Streicheleinheiten für die vor allem in der ÖVP verschriene Rechnungshof-Chefin mit schwarzen Wurzeln ist viel schlichter und zeigt, dass auch multiple Krisen kakanischen Ritualen nichts anhaben können. “Das Ehrenzeichen für Dr. Kraker erfolgte auf Anregung der Parlamentsdirektion”, lässt das Kanzleramt auf Nachfrage ohne jeden Anflug von Emotionen staubtrocken wissen: “Ehrenzeichen werden durch den Herrn Bundespräsidenten verliehen. Der Antrag der Parlamentsdirektion geht auf die Laufbahn und auf die Verdienste von Frau Dr. Kraker ein. Die Präsidentschaftskanzlei hat sich entsprechend der einschlägigen Dekorierungspraxis bereit erklärt, diesem Antrag zu folgen.”