Peter Hanke beim „World Cities Summit Mayors Forum“ Ende September Seoul)
©O.J. PerryWiens Finanzstadtrat PETER HANKE, zugleich auch "Außenminister" der Stadt, über seine jüngste Asienreise, das Knacken der Zwei-Millionen-Einwohner-Marke und die Zukunft von Metropolen. Und einen Kanzler namens Herbert Kickl.
Herr Hanke, Sie sind ja nicht nur Stadtrat für Finanzen, sondern auch für Internationales zuständig und damit quasi der Außenminister von Wien. Sie waren gerade acht Tage in Seoul und Bangkok beim World Cities Summit Mayors Forum. Was bleibt außer den touristischen Eindrücken von so einer Mission?
Es bleiben die Wirtschaftskontakte. Denn wir sind bereit, weite Wege zu gehen. Und das nicht nur einmal, sondern für mehrere Jahre. In Bangkok haben wir unsere Smart-City-Konzepte präsentiert und uns mit der dortigen Digitalisierungs- und Innovationsagentur ausgetauscht. Wir haben Investoren getroffen, einen Start-up-Wettbewerb durchgeführt und versuchen so, Start-ups im Digitalisierungs-, im IKT- und auch im Nahrungsmittelbereich den Weg nach Europa via Wien schmackhaft zu machen.
Ist in Thailand für die Stadt Wien wirklich etwas zu holen?
Da wir in den vergangenen Jahren das Smart-City-Thema sehr gut bewirtschaftet haben, können wir einer bunten und zugegeben viel größeren Metropole wie Bangkok einiges bieten. Das Thema Klimaneutralität betrifft ja alle großen Städte. Und da gibt es viele internationale Entwicklungen und internationale Experten, die wir, wenn sie nach Europa kommen, in Wien haben wollen. Der Start-up-Wettbewerb der Wiener Wirtschaftsagentur in Bangkok war zum Beispiel ein guter Start.
Hat Wien als mehrfach ausgezeichnete lebenswerteste Stadt der Welt eigentlich Startvorteile in Asien?
Ja. Einerseits ist die Marke Wien aufbauend auf den traditionellen Werten unserer Gesellschaft und unserer Kultur eine global stark aufgeladene Brand. Das ist auch in Bangkok spürbar. Außerdem können wir jungen Menschen mit unserem Ökosystem eine leistbare Struktur bieten. Das ist nicht nur so dahingesagt, sondern wir erfüllen das mit Leben. Unsere Konkurrenten Paris, London, München oder Brüssel sind am Ende des Tages sicher die teureren Städte.
Um es konkret zu machen: Wie viele thailändische Start-ups sollen sich nach dieser Reise in Wien ansiedeln?
Zweistellig sollte diese Zahl schon sein. Viele asiatische Start-ups wagen gerade den Schritt nach Europa, und wir wollen, dass sie von Wien aus den alten Kontinent erobern.
Wien soll also eine Art Europa-Hub für asiatische Start-ups werden?
Die Logik des Standorts Wien spricht dafür. Ganz Europa ist von hier aus in zweieinhalb Flugstunden erreichbar, die Lebensqualität ist hoch, der Universitätsstandort sehr gut, Wohnen leistbar, und auch andere Standortfaktoren wie international versierte Rechtsanwälte oder Steuerberater etc. sprechen für uns. Wien hat hier einen großen Vorteil gegenüber anderen europäischen Städten.
Wien wird 2025 den City Summit im Rathaus veranstalten. Was soll da erreicht werden?
Wien wurde im Sommer 2022 Gewinner des "Lee Kuan Yew World City Prizes". Dieser würdigt herausragende Leistungen und Beiträge zur Schaffung lebenswerter, lebendiger und nachhaltiger urbaner Gemeinschaften auf der ganzen Welt. Als Siegerstadt hat Wien die besondere Ehre, auch Host des World Cities Mayors Forums 2025 zu sein. Im Fokus des Forums steht vor allem der Austausch über die brennenden Themen unserer Zeit: Klima-und demografischer Wandel, Digitalisierung, Partizipation und Stadtentwicklung. Details werden in den nächsten Monaten mit den Veranstaltern, dem Centre for Liveable Cities, beschlossen.
Welche Schwächen hat Wien?
Ich erlaube mir, diese Frage nicht zu beantworten. Ich gehöre zu den Menschen, die Lösungen und Stärkefelder definieren.
Das große Thema aller Städte sind der Klimawandel und der CO2-Ausstoss. 2050 werden 70 bis 80 Prozent aller Menschen auf der Erde in Städten leben. Schon jetzt verbrauchen die Städte 80 Prozent der weltweit produzierten Energie und sind für 70 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Ist es angesichts solcher Zahlen nicht eine Illusion, die Klimaerwärmung zu stoppen?
Man muss sich ja nur den Verkehr in Seoul und Bangkok ansehen. Die CO2-Bilanz in den Städten kann mit neuen Technologien, Gebäudemanagement, Tiefengeothermie usw. viel schneller verbessert werden. So gesehen kann man den CO2-Fußbabdruck in den Städten rascher verkleinern. Klimaschutz beginnt in den Städten, dort gewinnen oder verlieren wir den Klimawandel.
Das gilt doch nur für die entwickelten europäischen Städte.
Genau deshalb sind diese Reisen so wichtig. Auch in Thailand werden E-Mobilität und Klimaneutralität wichtiger, in einem Hochtechnologieland wie Südkorea sowieso. Wir brauchen das Vorzeigemodell Europa und haben damit die Möglichkeit, mit unseren Technologien Europa wieder auf das Schachbrett der großen wirtschaftlichen Bühnen zurückzubringen - wenn es uns gelingt, glaubwürdig mit neuen Technologien und Green Jobs zu beweisen, dass Urbanität auch anders funktioniert. Das ist auch für Wien die große Chance.
Wien hat dieser Tage die Zwei-Millionen-Einwohner-Zahl geknackt. Was ist nun die größte Herausforderung für die Stadt in den nächsten zehn Jahren?
Die größte Herausforderung ist sicher die Klimaneutralität - Wetterphänomene wie 30 Grad im Oktober machen uns Sorgen. Da müssen wir in der Infrastruktur nachbessern. In Wien forcieren wir den Ausbau von Fernwärme und Fernkälte, um den Pfad der Dekarbonisierung rasch voranzubringen. Unser Ziel ist, Wien bis 2040 in die Klimaneutralität zu bringen. Und wir müssen uns die Frage stellen, wie das Zusammenleben in größeren Städten bestmöglich gemanagt werden kann. Das betrifft Themen wie Bildung, Pflege und Gesundheit.
Was muss sich hier ändern?
Einerseits sind Investitionen gefragt, die unsere Infrastrukturen und Gebäude klimafit machen. Wien macht das z. B. beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs oder beim Thema "Raus aus Gas" wo wir in den kommenden Jahren Milliarden in die Hand nehmen. Andererseits braucht es höherwertige Ausbildung - da investieren wir heute schon Millionen. Dass Wien mit zwei Millionen Einwohner:innen auch gleichzeitig lebenswerteste Stadt der Welt ist, ist aber auch das Ergebnis umsichtiger Politik und langfristiger Planung, die parallel zum stetigen Wachstum der Stadt ebenso die hohe Lebensqualität für die Wiener:innen erhält und ausbaut.
Die letzte große internationale Betriebsansiedlung in Wien war Böhringer-Ingelheim. Kommt da etwas in naher Zukunft?
Ja, wir arbeiten daran.
Woran?
Das kann ich noch nicht sagen, es handelt sich um den Life-Science-Bereich. Wien ist in der Endauswahl neben zwei deutschen Städten. Außerdem errichtet das Biopharmaunternehmen Takeda in der Seestadt Aspern gerade ein neues Labor für 250 Forscher zusätzlich zum bisherigen Betriebsstandort, den Takeda seit über 20 Jahren in Wien unterhält. Das ist ein echter Erfolg.
Aspern ist ja so etwas wie ein Exportschlager geworden. Es kommen jährlich viele Delegationen, um sich diesen neuen Stadtteil anzusehen.
Wir sind dort im Bereich der Stadtplanung und insbesondere im Bereich des Facility Managements wirklich neue Wege gegangen, die auch international beachtet werden: Energieeffizienz, Holzbauweise im Hochbau und eine spannende architektonische Geschichtserzählung. Da gibt es einen regen Reisetourismus. Da machen wir weiter, auch Rothneusiedl im Süden der Stadt ist so ein neues Entwicklungsgebiet.
Wie wichtig ist eigentlich die politische Stabilität Österreichs für den Standort Wien? Polemisch gefragt: Wie schädlich wäre ein Kanzler Herbert Kickl?
Mit Sicherheit würde er dem Wirtschaftsstandort Österreich schaden. Wir müssen unsere Urbanität in einer modernen Offenheit nach außen spielen können. Das bedeutet auch, dass wir auf allen politischen Ebenen ansprechbar bleiben müssen. Das wäre mit einem Kanzler Kickl ein schwieriger Weg.
Wie schwierig ist es, Fachkräfte bei migrationsfeindlicher Politik hierher zu holen?
Gerade in Wien haben wir jahrzehntelang bewiesen, dass wir anders sind. Österreich muss aufpassen, dass es nicht von internationalen Experten abgeschnitten wird, die wir für den Technologietransfer brauchen. Deswegen ist alles, was Offenheit signalisiert, für uns entscheidend. Wir brauchen qualitativen Zuzug und Expert:innen.
Sie haben bei Ihren Reisen oft den Wiener Wirtschaftskammerpräsidenten Walter Ruck dabei. Ist das der letzte funktionierende Rest der alten großen, rot-schwarzen Koalition?
Wir in Wien pflegen einen ordentlichen Kontakt zu allen für die Wirtschaft wichtigen Institutionen. Das ist für den Standort entscheidend. Und es ist eine Frage der Vernunft und des Weitblicks.
Bei Ihnen beiden funktioniert auch die persönliche Chemie.
Wir haben eine freundschaftliche Agenda, die es uns erleichtert, wirtschaftspolitische Ziele zu erreichen.
Würden Sie das auch der Bundespolitik empfehlen?
Ich würde dem Bund auf jeden Fall empfehlen, sich ein Stück weit geschlossener den Herausforderungen zu stellen. Es gab noch nie so viele Krisen.
Was ist Ihre Vision für Wien? Was wollen Sie erreicht haben, wenn Sie dereinst Minister oder Kanzler sind oder in Pension gehen?
Alle drei Dinge plane ich nicht. Meine Vision für Wien ist, dass wir als moderne Technologiemetropole der Zukunft in die Geschichte eingehen werden.
Das Interview ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 13.10.2023 erschienen.