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Politik Backstage: „Das entscheidet allein der Meister“

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Parteichef Herbert Kickl (links) und FP-Finanzsprecher Hubert Fuchs gelten seit den Zeiten der Kurz-Strache-Koalition als „blaue Zwillinge“,  so unterschiedlich sie in Ausbildung und Außenauftritt auch sein mögen.©picturedesk.com/APA/Georg Hochmuth
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Nach dem Krach um Kickls Ministerliste gilt mehr denn je: Ob Blau-Türkis gelingt, hängt in der FPÖ allein an Herbert Kickl. Bei Türkis zieht das Trio Harald Mahrer, Christian Stocker & August Wöginger die Fäden. Warum der FPÖ-Capo auf stur schaltete und immer mehr glauben, dass er die Kanzler-Bürde scheut. Wie die Hofburg im Fall des Falles Neuwahlen verhindern will.

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Es ist erst ein paar Wochen her, da brach bei den Schwarz-Türkisen Euphorie aus: „Die wollen unbedingt.“ Nach wochenlangen zähen Gesprächen im Stop-and-Go-Modus witterte die Truppe um den eben erst zum Parteichef nominierten ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker Morgenluft: Das mit Blau-Schwarz könnte nach dem Scheitern von Türkis-Rot-Pink und Türkis-Rot rasch etwas werden.

Nach einem erfolgreichen Blitzstart in Sachen akute Budgetsanierung machte sich dann in der letzten Jännerwoche jedoch zunehmend schlechte Stimmung breit. Die Euphoriker von einst widerrufen ihre Prognosen und revidieren ihre Wettquoten. Statt 90 zu zehn setzen sie nur noch 50 zu 50 auf das Gelingen eines Kabinetts Kickl-Stocker.

Seit Herbert Kickl diesen Dienstag kurz nach halb fünf Uhr Nachmittag den ÖVP-Verhandlern seine blau-schwarze Ministerliste auf den Tisch legte, ist im Regierungsviertel endgültig High-Noon angesagt. Der FPÖ-Chef präsentierte seine Ressort-Aufteilung als ein Angebot, dass man nicht ablehnen könne. „Großzügig“, weil es exklusive Kanzler und Vizekanzler für die ÖVP sechs Ministerjobs, für die FPÖ aber „nur“ fünf vorsieht. Darunter freilich die Schlüsselressorts Finanzen, Inneres sowie die Kompetenzen für EU, Verfassung, Medien und Kultur, gebündelt bei einem FPÖ-Kanzleramtsminister. 

Als Kickl das ÖVP-Trio Christian Stocker, August Wöginger und Alexander Pröll damit konfrontierte, interpretierte das der gelernte Anwalt Stocker als taktische Provokation und lehnte den Vorschlag brüsk ab. Kickl setzte darob noch ein paar Nadelstiche nach. Und empörte sich zuvorderst darüber, dass die ÖVP den Blauen als Nummer eins nicht zugestehen wollte, was sie für sich selber als selbstverständlich sah: den Anspruch auf politische Schlüsselministerien wie Finanzen und Innen. Und die zentrale Kompetenz in Sachen EU, die seit dem ersten Einzug von Sebastian Kurz am Ballhausplatz vor nunmehr acht Jahren Regierungschefsache wurde und bis heute ist. Kickl zornmütig: „Sind wir für euch weiter nur eine Partei zweiter Wahl?“

Christian Stocker versuchte gegenüber dem polternden FPÖ-Capo nun seinerseits ein Zeichen der Stärke zu setzen - und beriet sich zwei Stunden nach Ende des gut 30-minütigen Schlagabtausches um die blau-schwarzen Personalia demonstrativ mit seinem Parteivorstand.

Nur noch unverbesserliche Optimisten gaben danach die Parole aus: Dass es mit den Blauen nicht einfach wird, war von Anfang klar. Aber noch stehen die Chancen weiterhin 50:50, dass Herbert Kickl und Christian Stocker demnächst gemeinsam in der Hofburg zur Angelobung antanzen.

Eine Einschätzung, die offenbar auch der geschäftsführende Parteichef teilt. Nach getrennten Aussprachen beim Bundespräsidenten will Stocker nun den Koalitionspoker mit Kickl dort fortsetzen, wo sie bislang im Krach endeten.

Davor ließ Stocker allerdings signalisieren: Das Innenministerium sei für die ÖVP unverzichtbar, ein blauer Finanzminister aber nicht undenkbar. FPÖ-Strategen lasen das freilich so: Erster Treffer versenkt, bitte neu durchladen.

Provoziert Kickl mit Ministerliste Aus für Blau-Schwarz?

In mehreren Regierungsverhandlungen gestählte Politinsider beginnen so über Blau-Schwarz, je nach Einstellung, das Kreuz zu machen oder sich erleichtert zu bekreuzigen. Nachdem Kickl seine Ministerliste leaken will und nun auch per Facebook-Postings himself kommunikativ begleitet, wird seit Tagen nicht unter vier, acht oder zwölf Augen, sondern auf offener Bühne verhandelt. 

„Es ist total skurill. Kickl war schon immer schwer lesbar, jetzt präsentiert er sich als total unberechenbar“, sagt ein teilnehmender ÖVP-Beobachter. „Ich bin mir nicht sicher, ob er selber überhaupt noch regieren will.“

Auch einige FPÖ-Landespolitiker würden das so unter vier Augen ungewöhnlich offen kritisch kommentieren: „Der Herbert kommt offenbar drauf, dass sich ein Teilzeit-Kanzler nicht ausgehen wird.“ In den FPÖ-Bundesländern wird dem blauen Parteichef nachgesagt, sehr viel Wert auf seinen Körper und ein intensives regelmäßiges Trainingprogramm zu legen. 

Im Parlament glänzte Kickl als Klubchef in den vergangenen Jahren in der Tat auffällig oft durch Abwesenheit.

Für einen ÖVP-Insider ist allerdings noch offen, ob Kickl mit seinem öffentlichen Personalpoker nur den Boden für ein starkes Verhandlungsfinale hinter den Kulissen aufbereitet. 

In der ÖVP verstärkte sich nämlich der Eindruck, dass in den Untergruppen nur deshalb ein bis zuletzt freundliches Klima herrschte, weil die FPÖ-Unterhändler angewiesen gewesen wären, möglichst vieles nach oben zu delegieren. In den Untergruppen-Endpapieren etwa in Sachen Medien und Außenpolitik ist tatsächlich unerwartet vieles auf „Rot“ (=Dissens)  gestellt. 

Das habe, so ein teilnehmender Beobachter, zwei Gründe. „Kickl fürchtet, dass sich seine Leute wie bei Kurz-Strache von Anfang zu sehr mit den ÖVP-Leuten verhabern. Damals haben sich einige Unerfahrene sogar Pressekonferenz-Briefings von ÖVP-PR-Leuten schreiben lassen“. Zum anderen, so ein ÖVP-Verhandler, könnte Kickl die demonstrative Härte in Sachen Personalia dazu nutzen, um damit hinter den Kulissen Zugeständnisse in den vielen offenen Sachfragen abzutauschen. 

Ein anderer ÖVP-Verhandler ist sich indes bereits sicher, dass es Kickl darauf anlegt, die Verhandlungen krachend scheitern zu lassen. Und nur noch taktiert, um den schwarzen Peter des Scheiterns bei einer Regierungsbildung einmal mehr der ÖVP umzuhängen.

Je mehr sich die Indizien und Berichte mehren, dass nun auch Blau-Türkis auf der Kippe steht, desto öfter stellen sich Beobachter in und außerhalb des Regierungsviertels die Frage: Wer gibt am Ende bei ÖVP und FPÖ derzeit primär den Ton an? Woran und an wem kann es liegen, dass Österreich einen neuen Rekord bei der Länge der Regierungsverhandlungen von mehr als 130 Tagen einfährt, an deren Ende weitere Monate Stillstand drohen könnten?

Am klarsten sind die Verhältnisse in der FPÖ: Hier ist auf vielen Ebenen zwar ein gutes Dutzend zentraler Player in den dreizehn Verhandlergruppen unterwegs. Alle Fäden laufen aber beim Parteichef zusammen, das letzte Wort hat allein Herbert Kickl.

Neues ÖVP-Trio formierte sich am Dreikönigswochenende

Nach wie vor im Umbruch sind die Machtverhältnisse in der ÖVP. Sie ordnen sich mitten in den laufenden Verhandlungen neu. Nach dem blitzartigen Abgang von Karl Nehammer hat sich als Krisenfeuerwehr vorerst einmal ein schwarz-türkises Trio formiert, das seit dem Dreikönigswochenende versucht, die Zügel gemeinsam in die Hand zu nehmen: Christian Stocker, damals noch ÖVP-Generalsekretär, August Wöginger, ÖVP-Klubchef, Harald Mahrer, Wirtschaftskammer- und Wirtschaftsbundchef.

Stocker kam nach dem gescheiterten Versuch von Sebastian Kurz und seinen Anhängern ins Spiel. Er stieg auch zur eigenen Überraschung über Nacht vom Generalsekretär der ÖVP zu deren Chef auf. Der Nehammer-Nachfolger baut seine Autorität vor allem darauf auf, den Job übernommen zu haben. „Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er sich das antut. Denn es hat sich keiner aufgedrängt, nach Nehammer die Parteiführung zu übernehmen“, sagt ein ÖVP-Spitzenmann, der als „Kurfürst“ mit dabei war. 

Einer, der seit der türkisen Wende 2017 zum Führungskreis der ÖVP zählt, ist als Einziger weiter mit dabei: August „Gust“ Wöginger, ÖVP-Klubchef. Der dienstbeflissene Oberösterreicher hat sich als Kenner der Komplexität und Untiefen des Föderalismus sowie des parlamentarischen Getriebes erst bei Sebastian Kurz und dann bei Karl Nehammer unentbehrlich gemacht. Mit Nehammer verband ihn zudem die gemeinsame Vergangenheit als Spitzenfunktionäre im ÖAAB.

Wögingers Rolle wurde im ÖVP-Wirtschaftsbund zuletzt zunehmend kritisch gesehen. Vor allem weil er als treibender Motor jener unzähligen Teuerungshilfen gilt, die das Milliardenloch ins Budget rissen. „Das hat weder die Inflation entscheidend gedämpft noch wurde das von den Wählern honoriert“, resümiert ein Wöginger-kritischer ÖVP-Insider. Der Schlüsselrolle Wögingers nun auch an der Seite von Christian Stocker konnte das bislang nichts anhaben.

Dort spielt nun einer, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte, als Dritter im Bund – last, but not least – eine tragende Rolle. Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer ist zwar als Chef des Wirtschaftsbundes aufgrund seiner Funktion seit Jahren in der ÖVP ein maßgeblicher Faktor. Als mit dem Platzen von Türkis-Rot auch Karl Nehammer das Handtuch warf, mutierte Mahrer jedoch zum ÖVP-Königsmacher. Gemeinsam mit dem Salzburger ÖVP-Landeshauptmann Wilfried Haslauer installierte er Christian Stocker als neuen ÖVP-Chef und Vizekanzler-Anwärter unter Herbert Kickl. Mahrer ist damit endgültig ein zentraler Player im aktuellen ÖVP-Führungstrio.

Mit dem FPÖ-Chef, sagen Vertraute, hat Mahrer als Wirtschaftskammerchef auch in den gemeinsamen türkis-blauen Jahren bis auf Meet-and-Greet-Begegnungen so gut wie keinen persönlichen Kontakt gehabt. Jetzt zieht er als strategischer Kopf des ÖVP-Trios hinter den Kulissen, aber auch am Verhandlungstisch als Mitglied der ÖVP-Steuerungsgruppe die Koalitionsfäden.

ÖVP-Kickl-Bild zwischen „Giftzwerg“ und „jovial“

Wenn in der ÖVP von Herbert Kickl die Rede ist, dann dominiert eine Mischung aus Staunen und Ratlosigkeit. So gut wie kein ÖVP-Spitzenmann hat zu Kickl einen persönlichen Draht.

Daran änderte sich für die meisten türkisen Spitzen auch wenig, als sie mit Kickl als Innenminister 17 Monate gemeinsam in einer Regierung saßen. In NÖ-ÖVP-Kreisen wird der FPÖ-Chef nicht erst seit damals gerne „der Giftzwerg“ genannt und zudem als „einer, der eh nix hackeln will“, beschrieben. „Der Schwiegersohn der Nation wird er nie werden“, macht auch ein blauer Schlüsselspieler aus seinem Herzen keine Mördergrube.

Aus Verhandlungsrunden im kleinsten Kreis berichten freilich in den letzten Wochen ÖVP-Gesprächspartner reihum: „Das ist ein anderer Kickl, als ihn die Öffentlichkeit kennt. Unaggressiv und verbindlich, freundlich und für seine Verhältnisse auch fast jovial. Kickl ist aber immer auch sehr klar in dem, was er will und nicht will.“ Diplomatisches Herantasten an heikle Themen ist dem 56-Jährigen auch hinter den Kulissen vollkommen fremd. 

Die Probe aufs Exempel musste diese Woche auch das ÖVP-Verhandlerteam machen, als Kickl seine blau-schwarze Ministerliste auf den Tisch knallte, die den existentiellen Krach zwischen Blau-Schwarz auslöste. „Jetzt merken auch die letzten Gutwilligen in der ÖVP: Er ist schwer mit Kickl auf einen grünen Zweig zu kommen. Er verhandelt nicht wirklich, er tauscht Positionen aus. Er ist persönlich kaum greifbar, empathielos, stur und verlangt Unmögliches“, sagt ein langjähriger Kickl-Kenner. 

Das Wichtigste im Umgang mit ihm sei, Vertrauen aufzubauen. „Denn er vertraut einfach niemandem“, sagt ein langjähriger Kickl-Kenner. Er erklärt das mit den vielen dramatischen Verwerfungen in der FPÖ in der Ära Haider. Als sich der Architekt der ersten schwarz-blauen Koalition 2002 im Groll mit dem Gros der blauen Nomenklatura von der FPÖ lossagte und das BZÖ gründete, entschied sich sein wichtigster Gag- und Redenschreiber gegen Haider – eine für Kickl auch persönlich einschneidende Entscheidung.

„Anfangs saß Kickl mit Strache ziemlich einsam und isoliert als letzter Rest der FPÖ da“, so ein teilnehmender Beobachter – um nun bei Strache die gleiche Rolle wie bei Haider zu übernehmen. Einen intensiven persönlichen Kontakt von Strache oder gar Kickl mit Kurz oder einem türkisen Key-Player gab es so auch bis zu Beginn der türkis-blauen Koalitionsverhandlungen nicht. „Es war nach der Absage von Heinz-Christian Strache an die Avancen von Christian Kern, Rot-Blau zu machen, aber rasch klar, dass wir miteinander regieren wollen“, erinnert sich ein damaliges Regierungsmitglied.

Der Einzige, der sich der internen Anfangseuphorie von Türkis-Blau entzog, war Kickl. „Auch in den kleinen Entscheiderrunden zwischen Kurz, Blümel, Steiner sowie Strache, Hofer und Kickl blieb er vollkommen reserviert“, erinnert sich ein ÖVP-Mann. 

Kickl misstraut ÖVP mehr denn je

Nach dem Ibiza-Crash und dem ÖVP-Verlangen nach seiner Entlassung als Innenminister galt für Kickl mehr denn je: „Warum soll ich der ÖVP trauen?“ Kickl legte freilich auch FPÖ-intern Wert auf Distanz. Der Kreis an Vertrauten ist überschaubar. Am engsten ist Kickl mit seinem Bürochef Reinhard Teufel, der auch noch als Klubchef im niederösterreichischen Landtag im ÖVP-Kernland Niederösterreich die blauen Fäden zieht. 

Kickl und Teufel verbindet auch, dass beide jahrelang „das Kindermädchen für Strache“ geben mussten, wie beide intern despektierlich ihren Rechte-Hand-Job an der Seite des – privat und politisch gelegentlich recht zügellosen – langjährigen FPÖ-Chefs beschreiben.

Als Monate nach dem Platzen von Türkis-Blau die Staatsanwaltschaft auch bei Strache einmarschierte, um dessen Handy zu beschlagnahmen, und sich darauf prompt fragwürdige SMS fanden, quittierte dies Kickl gegenüber Vertrauten mit dem Satz: „Warum hat der Trottel das Handy nicht schon längst weggeworfen? Ich hätte ihm zehn neue gekauft.“

„Blaue Zwillinge“ Kickl und Fuchs

Gar als „blaue Zwillinge“ galten FPÖ-intern in der kurzen Ära des Kabinetts Kurz-Strache Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs und Innenminister Herbert Kickl.

Der etwas aus der Zeit gefallen wirkende Zahlen-Fuchs im Vollsinn des Wortes und der permanent Verrat witternde gelernte Philosoph haben auf den ersten Blick wenig gemeinsam. Herbert Kickl setzt aber auch bei den Verhandlungen für ein Kabinett Kickl-Stocker einmal mehr auf Fuchs. Der gelernte Steuerberater ist FPÖ-Verhandlungsführer in den spielentscheidenden Fragen Steuern und Finanzen. 

Eine Schlüsselrolle beim Zusammenhalten des blauen Klubs, wo seit Herbst viele neue und bundespolitisch unerfahrene Mandatare sitzen, spielt auch Klubdirektor Norbert Nemeth. Seine Mails im Klub „an alle“ sind ob ihrer Striktheit gefürchtet, aber – so ein blauer Klubinsider – „es halten sich alle daran, weil sie wissen, dass hier einer im Namen des Chefs spricht“.

Politstrategen, die mit Kickl auch in Wahlkämpfen aus nächster Nähe zu tun hatten und haben, beschreiben diesen so: „Kickl ist sehr wandlungsfähig. In Kärnten tritt er als der Ziehsohn vom Haider auf. In Oberösterreich lässt er den Haider nur halb raushängen.“

Was bei jemandem, der den Kampf gegen Asylwerber und Migration zu seinem wichtigsten Thema macht, zudem auffällig sei: „Auch hinter den Kulissen ist im persönlichen Umgang nie ein ausländerfeindliches Wort gefallen.“

Kickl bleibt auch Blau-intern eine kaum greifbare Persönlichkeit, die sich schwer einordnen lässt und auch bewusst nicht einordnen lassen will. So mied er bis heute Jetzt-erst-recht-Demonstrationen der blauen Burschenschafter wie die Teilnahme am jahrelang öffentlich umstrittenen Akademikerball. Kickl „will generell nirgendwo dazugehören“, resümieren FPÖ-Insider.

Selbst wenn er als künftiger Kanzler etwa zu Gipfeltreffen von Politik und Wirtschaft wie dem legendären „Sauschädelessen“ im Wiener Raiffeisenhaus eingeladen würde, „wird er sicher nicht hingehen“, sagt ein FPÖ-Spitzenfunktionär. „Strache wollte endlich dazugehören, Kickl bleibt auch da höchst misstrauisch“, berichtet ein Kickl-Kenner. „So ruppig und hart er nach außen auftritt, überrascht er im Vieraugengespräch nicht nur durch Offenheit, sondern auch dadurch, dass das, was besprochen wurde, tatsächlich vertraulich bleibt.“

Kickls Kalt-warm-Rezept: erst zappeln lassen, dann charmieren

Bis er eine persönliche Begegnung zulässt, kann es aber dauern. Die Industriellenvereinigung (IV) hatte sich bald nach seinem Aufstieg zum FPÖ-Chef im Sommer 2021 um den Aufbau einer Gesprächsbeziehung bemüht. Kickl verweigerte mehr als zwei Jahre jeden direkten Kontakt. Inzwischen hat er sich mehrmals mit IV-Präsident Georg Knill getroffen. Der oberste Interessenvertreter zeigte sich von Stil und Inhalt der Gespräche nachhaltig angetan.

Seine Direktheit und seine „Scheiß-mi-nix-Haltung“, so ein langjähriger Gesprächspartner, vermögen die wenigen Spitzenleute, mit denen er hinter den Kulissen Kontakte pflegt, nach wie vor zu verblüffen.

Auch FPÖ-intern nicht beliebt, aber als unumgehbar geachtet

Beliebt ist Kickl auch intern nicht, ob der Wahlerfolge aber auch von seinen FPÖ-Widersachern als unumgehbar geachtet. Wenn es zuletzt in den Verhandlungen hart auf hart ging und ÖVP-Unterhändler einen Kompromissvorschlag forcierten, zuckten blaue Gegenüber häufig ratlos mit den Schultern: „Das entscheidet er allein.“ Der eine oder andere fügte ironisch distanziert an: „Das entscheidet allein der Meister.“ 

Diese zuletzt wiederholte türkis-blaue Patt-Gemengelage ist nicht nur dem methodischen Misstrauen und massiven Kontrollbedürfnis Kickls geschuldet. Sie wurzelt auch „in einem Riesenpersonalproblem“, das für die FPÖ vor allem bei der Besetzung der Kabinette massiv schlagend werden könnte, meint ein Politstratege. Ein Kenner der blauen Landesparteien wendet ein: „Die FPÖ hat jetzt in mehreren Bundesländern in der Regierung ausreichend Zeit und Gelegenheit gehabt, Personalreserven aufzubauen, die sie jetzt nutzen könnte.“

Blau-Schwarz 2025 unter einem Kanzler Herbert Kickl würde unter weitaus besseren Bedingungen starten als Türkis-Blau 2017 unter einem Kanzler Sebastian Kurz. Vor allem dank ÖVP-FPÖ-Koalitionen in Ober- und Niederösterreich, Salzburg, Vorarlberg und nun auch dem ersten FPÖ-Landeshauptmann in der Steiermark. Offen ist freilich, ob die blauen Länderchefs just ihre Leute nach Wien ziehen lassen. Und diese auch bereit wären, die weitaus berechenbarere Landesliga gegen einen Schleudersitz in der Bundesliga zu tauschen. 

Denn eine Erwartung geht – abseits des breiten blauen Selbstbewusstseins, endlich oben angekommen zu sein – bei vielen Politikern anderer Lager um. „Sobald die ÖVP in Umfragen wieder klar vor der FPÖ liegt, wird sie wie Schüssel 1994 oder Molterer 2008 die Reißleine ziehen und Neuwahlen provozieren“, sagt ein Spitzenmann der Wiener SPÖ. 

Ein ÖVP-Insider glaubt indes, dass die Problembären am Regierungstisch diesmal primär Blau tragen würden: „Das hält nicht länger als ein oder zwei Jahre. Sobald die merken, dass ihnen das Regieren neuerlich schadet, treten sie die Flucht nach vorne an.“

VdB-Exit-Plan 1: Übergangsregierung mit Ex-Spitzenpolitikern aller Lager

Je länger sich die Verhandlungen zwischen Kickl und Stocker dieser Tage ziehen, desto mehr kommen neue Exit-Szenarios ins Spiel: Was tun, wenn nun auch die dritte Koalitionsvariante noch vor Abschluss scheitert?

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat auch nach seinem Nolens-volens-Regierungsbildungsauftrag an Kickl weiterhin ein offenes Ohr für tragfähige Modelle, eine Regierung ohne Risiko in Sachen EU-Anbindung, Distanz zu Russland, eine Regierung also ohne Herbert Kickl zu bilden. Das Staatsoberhaupt ließ daher auch sondieren, ob es dafür in der ÖVP tragfähige Achsenpartner gäbe. Also jemanden, der für den Fall, dass auch Stocker scheitert, über das ausreichende innerparteiliche Gewicht und die nötige Integrationskraft verfügt, einen Neuanlauf zu Regierungsgesprächen mit SPÖ, Neos und/oder Grünen zu beginnen.

Dieses Planspiel ist mangels geeigneter schwarzer Player weitgehend vom Tisch. Sollten die blau-türkisen Verhandlungen scheitern, will das Staatsoberhaupt daher der Mehrheit jenseits von Kickl eine neue Variante schmackhaft machen: eine Übergangsregierung, die sich von der Ära Bierlein dadurch unterscheidet, dass sie ausschließlich mit ehemaligen Politikern und Uni-Professoren gebildet wird. Auf Spitzenbeamte, die auf Zeit zu Ministern aufrücken, will VdB im Fall des Falles diesmal verzichten. Das habe sich nicht bewährt, da einige Staatsdiener in der Ära Bierlein nach Aufstieg zum Minister plötzlich ein ressortintern massiv irritierendes Eigenleben entwickelt hätten.

Mit seinem Modell einer Elder-States-person-Regierung rechnet sich der Hofburg-Hausherr auch bei der Parlamentsmehrheit Chancen aus: Da allen voran weder Türkis noch Rot Neuwahlen wollen, würden so alle Zeit gewinnen, sich neu zu formieren. Um, so die Hoffnung nicht nur in der Hofburg, am Ende doch noch zu einer tragfähigen gemeinsamen Mehrheit zu finden.

Last Exit: Mahrer und Katzian als Eisbrecher für Neustart Schwarz-Rot

Je mehr Wellen zuletzt der Krach um Kickls Provokation mit seiner Ministerliste schlug, desto tiefer gingen die Strategen in der Hofburg noch einmal in sich. Auch einer Ex-Politiker-Regierung wäre ob der vielen starken Egos in Sachen Einstimmigkeit im Ministerrat und der komplexen Entscheidungsfindung mit der aktuellen Parteiführung wohl kein allzu langes Leben beschieden. 

Bei dann nur aufgeschobenen Neuwahlen hat auch auf Sicht allein die FPÖ wenig zu befürchten. „Kickl pokert hoch, weil er nur das kleine Risiko hat, dass die beiden anderen größeren Parteien ein bissel gefährlichere Gegner aufstellen“, resümiert ein ÖVP-Verhandler sarkastisch. 

Im Regierungsviertel rund um die Hofburg gewinnt daher der Versuch eines Neustarts der schwarz-roten Verhandlungen im Windschatten des blau-schwarzen Koalitionskrachs über Nacht wieder an Charme. Das sieht auch ein ÖVP-Spitzenmann zunehmend so: „Wenn der Bundespräsident an die beiden Sozialpartnerspitzen Harald Mahrer und Wolfgang Katzian herantritt, dann könnten diese die früheren Hürden ohne Gesichtsverlust für die bisherigen Verhandler aus dem Weg räumen und den Boden für einen Regierungsneustart von ÖVP und SPÖ aufbereiten.“ 

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