Herbert Kickl wirbt in höchsten Wirtschaftskreisen für ein Blau-Schwarzes Comeback.
©picturedesk.com/Alex HaladaDer Poker für eine Dreierkoalition ist eröffnet. Zeitgleich nehmen auch die Störmanöver zu. Herbert Kickl startet eine neue Werbeoffensive für Blau-Schwarz in höchsten Wirtschaftskreisen. In der ÖVP lauern die Fans von Sebastian Kurz auf die ultimative Gelegenheit für ein Comeback ihres Idols.
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Immer wenn Andreas Babler sich auf neuem Terrain bewegt, blickt er bei Fragen für ein paar Sekunden suchend nach dem nächststehenden erfahreneren Kollegen. In seiner ersten Parlamentssitzung als neuer SPÖ-Klubchef nahm er so immer wieder den bisherigen roten Fraktionschef Philip Kucher ins Visier.
Als der ehemalige Traiskirchner Bürgermeister diesen Montag mittag gemeinsam mit Karl Nehammer und Beate Meinl-Reisinger das offene Geheimnis des Starts von formellen Koalitionsverhandlungen lüftete, blitzte der fragende Blick für Sekunden immer wieder Richtung des links von ihm stehenden Karl Nehammer auf.
Über eine „verunsicherte, zurückhaltende und da und dort auch gereizte Stimmung“ berichten Gäste auch vom Abschiedsempfang von Magnus Brunner in den Repräsentationsräumen im obersten Stock des Finanzministeriums in der Wiener Johannesgasse. Bei der Abendveranstaltung für den scheidenden ÖVP-Ressortchef vier Tage vor dem offiziellen Start des schwarz-rot-pinken Koalitionspokers wurden viele aktive, aber auch ehemalige ÖVP-Größen gesichtet.
Erste Befunde über das Verhandlungsklima machten die Runde. Bablers Beiträge würden bislang „wenig von dem Text abweichen, den er öffentlich zum Besten gibt“. Der Oberrote sei daher als möglicher Partner noch schwer zu lesen.
Nach den ersten Sondierrunden im Palais Epstein ließen freilich SPÖ-Politiker im Gegenzug wissen: In der ÖVP mangle es nach wie vor an Einsehen, „dass sie das Budget verkackt hat und dafür auch politisch die Verantwortung übernehmen muss“. Die Roten wollten sich diesen schweren Ballast nicht vom Start weg umhängen lassen.
Bei den Neos schließlich ist die Gemengelage weiterhin gemischt: Beate Meinl-Reisinger & Co. freudig erwartungsvoll, einige prominente Pinke in den Abgeordnetenreihen skeptisch abwartend.
Nachvollziehbar bewerten lassen sich in Woche acht nach der Wahl Kompromissfähigkeit oder gar Innovationskraft von Schwarz-Rot-Pink weiterhin nicht. Erst dieser Tage starten die Verhandlergruppen die ersten inhaltlichen Gespräche für ein Regierungsprogramm.
Kickls Loveletter an Industriespitzen
Vor allem rund um die Kanzlerpartei nehmen die Störmanöver schon vor dem offiziellen Start des Dreierkoalitionspokers gehörig an Fahrt auf. In der Woche nach dem formellem Regierungsbildungsauftrag von Alexander Van der Bellen an Karl Nehammer trudelte bei allen Spitzenfunktionären der Industriellenvereinigung (IV) seltene Post ein. FPÖ-Chef Herbert Kickl wandte sich mit einem zweiseitigen Schreiben an die vier IV-Präsidiumsmitglieder von IV-Präsident Georg Knill abwärts sowie an alle neun IV-Landespräsidenten.
Der meist hemmungslose Haudrauf der heimischen Politik proklamiert vier Wochen nach der Wahl samtpfötig wie nie: „Jetzt ist es an der Zeit (…) das Gemeinsame und das Trennende in unseren Parteien zugunsten Österreichs in den Vordergrund zu stellen.“ Die schwarz-blauen Regierungsbündnisse in Oberösterreich, Niederösterreich und Salzburg würden zeigen, schreibt Kickl, „wie fruchtbar eine Zusammenarbeit sein kann. Diese Koalitionen sind der lebende Beweis dafür, dass unser Land stark und erfolgreich regiert werden kann, wenn zwei patriotische Kräfte an einem Strang ziehen.“
Der FPÖ-Partei- und -Klubchef wirbt „als klarer Sieger der Nationalratswahl“ bei den Industriespitzen unverhohlen darum, ihren Einfluss in der ÖVP geltend zu machen, damit Blau und Schwarz künftig auch österreichweit an einem Strang ziehen. „Nur in einer Allianz mit der FPÖ kann die ÖVP jene Stärke entfalten, die unsere Heimat verdient. Gemeinsam können wir Österreich wieder groß machen“, garniert Kickl sein Werben um die IV-Obersten mit einer Anleihe bei Donald Trump.
„Historische Chance“ für Blau-Schwarz
Auf der zweiten Seite seines Schreibens preist Kickl die nicht einmal zweijährige blau-türkise Koalition von Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache als Vorbild an: „Diese Regierung war nicht nur stabil, sondern auch eine der erfolgreichsten und beliebtesten der letzten Jahrzehnte. Eine Wiederholung dieses Erfolgs liegt in greifbarer Nähe. Es wäre unverantwortlich, diese historische Chance verstreichen zu lassen.“
Der blaue Parteichef schließt sein Liebeswerben bei den Industriebossen mit ungewohntem Pathos: „Wir verfolgen das Ziel, gemeinsam Verantwortung für unsere Heimat zu übernehmen. Lassen Sie uns im Geiste unserer demokratischen Republik, bürgerlicher Grundwerte und im Sinne des Pflichtbewusstseins, das uns allen innewohnt, die richtigen Entscheidungen treffen.“
Ein IV-Spitzenfunktionär hält Kickls persönlichen Brief an mehr als ein Dutzend IV-Spitzenfunktionäre erst für den Anfang einer neuen FPÖ-Charmeoffensive für Blau-Schwarz. Denn in schwarzen Wirtschaftskreisen fallen Lockrufe wie diese trotz des Startschusses für Schwarz-Rot-Pink auf einen fruchtbaren Boden. Schon rund um die Nationalratswahl machten vor allem IV-Spitzenleute in Nieder-, Oberösterreich und der Steiermark hinter den Kulissen für eine Zweier-Regierung von FPÖ und ÖVP Stimmung.
Mittelstand wirbt für Blau-Schwarz-Pink
Der Vorsitzende des Senats der Wirtschaft, der Salzburger Unternehmer Hans Harrer, schaltete jüngst ein ganzseitiges Advertorial, in dem er für eine „Reformregierung aus FPÖ, ÖVP und Neos“ Stimmung macht: „Ein Wahlergebnis, das dem bürgerlichen Lager eine Verfassungsmehrheit von 68 Prozent beschert hat, eröffnet die einzigartige Möglichkeit, längst überfällige Reformen endlich umzusetzen.“
Dem Senat der Wirtschaft, der sich als „Lobby des Mittelstands“ versteht, gehören 600 Unternehmen an. Im Vergleich zu Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung spielt der „Senat“ als Lobbyorganisation der Wirtschaft zwar eine kleinere Rolle, fällt aber in Unternehmerzirkeln immer wieder als besonders rührig auf. So wurde jüngst allen neugewählten 183 Abgeordneten ein konkreter Wunsch- und Forderungskatalog in Sachen Standort-, Steuer- und Wirtschaftspolitik übermittelt.
Mit einer baldigen Schubumkehr im ÖVP-Cockpit von Schwarz-Rot-Pink Richtung Blau-Schwarz rechnen freilich selbst die Regisseure der blauen Werbeoffensive nicht. Die FPÖ will so vielmehr zum einen ihre Ergebnisse bei den kommenden Landtagswahlen in der Steiermark (Sonntag, 24. 11.) und im Burgenland (19. 1. 2025) sowie bei den niederösterreichischen Gemeinderatswahlen (26. 1. 2025) ausbauen. Setzen die Blauen ihren Vormarsch ähnlich wie bei der Nationalratswahl massiv fort, könnte so zum anderen bei ÖVP-Ländergewaltigen wie Niederöstereichs Johanna Mikl-Leitner endgültig Feuer am Dach sein. Das Nein der ÖVP zu Herbert Kickl käme dann, so das Kalkül, parteiintern noch mehr unter Druck.
Kurz-Fans machen Stimmung für Comeback
Für eine in der ÖVP nach wie vor einflussreiche Gruppe von Funktionären und Mandataren braucht es keiner weiteren Anstöße, um für eine Kehrtwende Richtung Schwarz-Blau inklusive Comeback des jüngsten türkis-blauen Kanzlers mobil zu machen. „In Teilen der ÖVP ist es nicht mehr eine Frage, ob Sebastian Kurz in die Politik zurückkehrt, sondern nur noch, wann“, resümiert ein ÖVP-Kenner.
Im ÖVP-Klub witterten die Kurz-Fans bislang bereits zweimal eine Chance, ein Comeback ihres Idols einzuklatschen. Im Finale des mehrmonatigen Gerichtsprozesses ob des Vorwurfs der Falschaussage vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss rechnete nicht nur Kurz, sondern auch der harte Kern seiner Anhängerschaft mit einem Freispruch: Ein erster Justizentscheid, der sich als „Triumph“ und Zündfunke für eine „Kurz muss zurück“-Bewegung nutzen ließe. Der von Kurz 2017 als Quereinsteiger geholte Nationalrats-Mandatar Martin Engelberg habe vor dem Prozessfinale bereits Stimmung für eine Comeback-Initiative in der ÖVP gemacht, berichten teilnehmende Beobachter. Parteikolleg:innen im ÖVP-Parlamentsklub haben Sätze wie diesen nachhaltig in Erinnerung: „Wir sollten uns Gedanken machen, was wir nach einem Freispruch für Kurz damit tun können.“
Als das Verfahren in der zweiten Februarhälfte dieses Jahres in erster Instanz mit einem bedingten Schuldspruch für Kurz endete, erlebten ÖVP-Insider Martin Engelberg „zumindest so am Boden zerstört wie Kurz selbst“. Ein Freispruch Anfang des Jahres, resümiert noch heute einer der Kurz-Fans in den ÖVP-Abgeordneten-Reihen, hätte „in der Tat etwas auslösen können. Damals wäre noch ausreichend Zeit gewesen, die Stimmung Richtung Wahlsieg zu drehen.“
Ein nächstes „Window of Opportunity“ sahen die Kurz-Fans, die vor allem in den zweiten und dritten Funktionärsreihen der ÖVP nach wie vor umtriebig sind, rund um die EU-Wahlen Anfang Juni. Zumal Umfragen anfangs wochenlang einen möglichen Absturz der ÖVP auf den für die regierende Kanzlerpartei schmählichen dritten Platz prophezeiten. Im engsten Kreis um Karl Nehammer herrschte darob in der Tat Bunkerstimmung. Innenminister Gerhard Karner musste im Vorfeld der Europawahl so beinahe tagtäglich mit Ansagen zur Verschärfung der Asylpolitik ausrücken – in der Hoffnung, die massive Wählermigration Richtung FPÖ einzudämmen.
Als am 9. Juni die ÖVP angesichts des Abstands von nicht einmal einem Prozent hinter der FPÖ als Nummer zwei mit einem blauen Auge davonkam, war Nehammers Position als ÖVP-Spitzenkandidat für die Nationalratswahl derart gefestigt, dass die Kurz-Fans in der ÖVP und ihr Idol ihre Ambitionen neuerlich on hold stellten.
Nehammer und sein engster Kreis glaubten danach, der FPÖ mit einer breiten Kampagne gegen Herbert Kickl am 29. September nun gar Platz eins streitig zu machen. Ein durchwachsenes Wahlergebnis später und mit Start der offiziellen Verhandlungen für eine Dreierkoalition zwischen Schwarz, Rot und Pink bringt sich der jüngste Altkanzler mit öffentlichen Wortmeldungen nun mehr denn je für die Zeit danach in Stellung: Von offener Kritik an Van der Bellen, den Regierungsauftrag nicht an Herbert Kickl gegeben zu haben, bis zu offensiven Sympathie-Bekundungen für die Politwende in den USA von den „woken“ Demokraten zu Donald Trump.
„Bei aller Beschädigung und Kritik, die es nach wie vor an ihm gibt, haben wir mit Kurz eine bessere Chance wieder auf Platz eins zurückzukommen, als mit Karl Nehammer“, proklamiert einer der Promotoren eines Kurz-Comebacks in der ÖVP. Unter ÖVP-Bürgermeistern und vielen Funktionären vor allem am flachen Land, sagt ein langjähriger Länder-Spitzenmann, „hat der Sebastian nach wie vor sehr viele Anhänger“.
Dementsprechend empfindlich reagiert die aktuelle Parteispitze auf jede Art von Kritik. Der nunmehrige Ex-Abgeordnete Martin Engelberg ließ jüngst zu nächtlicher Stunde in einer Diskussionsrunde auf Puls24 in Sachen Nehammer den Satz fallen: „Ich hatte das Gefühl, wir gewinnen mit ihm die Wahl nicht, und das hat sich eigentlich bestätigt.“
Der Parteichef ließ postwendend ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker ausrücken: Nehammer habe die Partei mit schlechten Umfragewerten übernommen und trage keine Schuld am Rückfall auf den zweiten Platz. Fest stehe aber: „Andere haben ihr Ausscheiden aus dem Parlament mit mehr Würde getragen“, so Stocker in Richtung Engelberg, der von der Nehammer-Truppe auf einem aussichtslosen Listenplatz gereiht worden war.
Schwarzes Bangen vor nächster blauer Welle
Dieser Tage treibt Nehammer, Stocker & Co. primär eine andere Sorge um: Wird die steirische Landtagswahl tatsächlich zu einem triumphalen Durchmarsch der Blauen, drohen auch andere ÖVP-Länderchefs nervös zu werden. Johanna Mikl-Leitner hat zwei Monate nach den Steirern in Niederösterreich Gemeinderats-Wahlen zu schlagen. Die bis vor Kurzem noch mit absoluter Mehrheit allmächtig regierende ÖVP war bereits am 29. September von der FPÖ gedemütigt worden wie noch nie. Es fehlten nur rund 8.000 Stimmen für die Blauen, um die ÖVP in Niederösterreich von Platz eins zu stürzen. In jeder dritten NÖ-Gemeinde liegt die FPÖ bereits auf Platz eins.
Die Bürgermeister sind das letzte Rückgrat der niederösterreichischen Volkspartei und damit wichtigste Stütze von Karl Nehammer. Die NÖ-VP stellt noch gut 70 Prozent aller Gemeindechefs und rund 7.100 der 12.000 Gemeinderäte. „Die Stimmung ist aber auch unter den Bürgermeistern sehr aufmerksam und gespannt, was die Vorgänge im Bund betrifft“, sagt ein VP-Niederösterreich-Mann.
Ein hoher Funktionär der Industriellenvereinigung rechnet damit, dass die FPÖ nach dem Loveletter Kickls ihre Werbeoffensive um bürgerliche Seelen bald fortsetzen könnte: „Es würde mich nicht überraschen, wenn der FPÖ-Chef demnächst auch bei ÖVP-Bürgermeistern vorstellig wird, um für eine Zusammenarbeit zwischen Blau und Schwarz zu werben.“
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