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Politik Backstage: „Babler im Siegesrausch“

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SPÖ-Chef Andreas Babler bei der gemeinsamen Präsentation des Regierungsprogramms von ÖVP, SPÖ und Neos. 

©APA/HANS KLAUS TECHT
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Der ÖVP luchste SPÖ-Chef Andreas Babler das Finanz- und Infrastruktur-Ministerium ab. In der SPÖ drückte er gegen den Willen Ludwigs einen Paradelinken als Finanzminister durch. Die nächste Zerreissprobe könnte Türkis-Rot-Pink aber schon demnächst drohen: ein neues Milliarden-Budgetloch samt noch mehr Sparbedarf für 2025.

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So viele Journalisten, Mitarbeiter und Abgeordnete tummeln sich seit Jahren nicht in den Wandelgängen des Hohen Hauses wie diesen Mittwoch. Philip Kucher, SPÖ-Klub-Vize und einer der fünf roten Chefverhandler, ist, sobald er den Plenarsaal verlässt, von einer Traube von Medienvertretern umringt. Kucher war in den vergangenen Wochen gemeinsam mit ÖVP-Klubchef August Wöginger und Neos-Klubvize Nikolaus Scherak (der wie Kucher nun auch de jure zum Fraktionschef aufsteigen wird) für die Abklärung der vielen offenen Detailfragen im Koalitionsabkommen zuständig. Die drei alten und neuen Klubobleute werden auch künftig das Experiment der ersten Dreier-Koalition bei der Umsetzung im Parlamentsalltag am Laufen halten müssen.   

Kucher ist ein besonders umgänglicher Politiker, hält sich aber so wie alle anderen Verhandler in der hochsensiblen Phase des Koalitionspoker-Finales weitgehend bedeckt. Erst als Beate Meinl-Reisinger um die Ecke biegt, nützt Kucher die Gelegenheit, sich nun doch aus dem medialen Stehballet abzusetzen. Die Neos-Chefin hatte mit einem Augenzwinkern den Wunsch geäußert, mit dem Neo-Koalitionspartner dringend etwas besprechen zu wollen.

Babler benutzt Hanke als Prellbock gegen Hergovich

150 Tage nach der Nationalratswahl herrscht mehr denn je aufgeregte Bienenstock-Atmosphäre in den Hallen des Hohen Hauses. Abgeordnete wie beispielsweise Selma Yildirim, die seit Tagen in vielen Zeitungen als Top-Kandidatin für das von der SPÖ beanspruchte Justizressort gehandelt wird, lässt wissen: „Mit mir hat bis jetzt niemand geredet.“ Und räumt offenherzig ein: „Ich würde das aber sofort und gerne machen.“

Auf der Gerüchtebörse wird Mitte der Woche aber vor allem der Name des künftigen Finanzministers als heißeste Aktie gehandelt. Ein hochrangiger Rathausmann lancierte via einigen Medien den seit Monaten als Babler-Aufpasser gehandelten Wiener Finanzstadtrat Peter Hanke als angelobungsreif. Aus der Wiener SPÖ kam dann im Doppelpass die Bestätigung. Als Babler dies umgehend dementieren ließ, war das nächste Kapitel im SPÖ-Dauerdrama aufgeschlagen: der rote Dauerstreit, den der neue Parteichef vor bald zwei Jahren mit Feuereifer entfachte und den er bis heute nicht zu befrieden vermochte. 

Stand Freitag früh gelang Babler zwar dieser Polit-Trick: Indem er Hanke zum Infrastrukturminister macht, versperrt er seinem potentiell schärfsten Konkurrenten, SPÖ-NÖ-Chef Sven Hergovich, den Weg ins Kabinett. Und sucht damit zugleich einen Keil zwischen Michael Ludwig (der massiv für Hanke als Minister Druck machte) und Doris Bures (die Hergovich massiv als Infrastrukturminister protegierte) zu treiben.

Regierungsstart mit rotem Haxelstellen als Fanal

Das interne Haxelstellen beim Wiedereinzug in Regierungsämter nach sieben mageren Oppositionsjahren ist für rote Insider ein Fanal. „Wir schleppen diese innere Zerrissenheit mit in die Regierung“, sagt ein hochrangiger SPÖ-Mann. „Wer immer aller sich nun am Ende als Sieger oder Verlierer sieht, es bleiben neue offene Wunden zurück. Jeder Beteiligte muss bei nächster Gelegenheit mit Konterschlägen rechnen.“

Im Regierungsviertel geht nicht erst seit dem roten Hauen und Stechen das sarkastische Motto um: Das Bündnis aus ÖVP, SPÖ und Neos wird keine Dreier-Koalition, sondern ein Bündnis aus zumindest vier, wenn nicht einem Vielfachen mehr an Parteien und Partien.

Die SPÖ zeigt sich dieser Tage ungebrochen in zumindest drei Lager zerrissen: die Wiener SPÖ, die als größte Landesgruppe mehr schlecht als recht um ihre versinkende Vormachtstellung kämpft; das Gros der Bundesländer-Roten, die seit Jahren um mehr Einfluss ringen; und der kleine, verschworene Zirkel der Bableristen, der eisern seine Position verteidigt, aus dem Duell Ludwig vs. Doskozil als lachender Dritter hervorgegangen zu sein.  

Als Donnerstag kurz nach 11 Uhr Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger im Gänsemarsch das „Egon Schiele Lokal“, einen repräsentativen Saal in der Glaskuppel des Parlaments, betreten, setzen sie alles daran, um Streit und Hader auch untereinander vergessen zu machen.

Christian Stocker und Andreas Babler spannen zuvorderst einen historischen großen Bogen, um das Dreier-Bündnis „nach den schwierigsten Regierungsverhandlungen des Landes“ (Stocker) als legitime Erben der Großen Koalition zu framen: vom Wiederaufbau Österreichs in den Nachkriegsjahren über den EU-Beitritt bis zur Bewältigung der Finanzkrise. Motto: „Jetzt das Richtige tun. Für Österreich.“

Neos-Verhandler: „Es war noch mühsamer als beim ersten Mal“

Der gemeinsame Auftritt als Regierungstrio war, was die Inszenierung anlangt,  durchaus gelungen, resümieren Strategen aller drei Lager. Wie es im zweiten Anlauf hinter den Kulissen dazu kam, birgt aber bei keinem der drei Protagonisten die Garantie auf ein gedeihliches Miteinander. „Es war noch mühsamer als beim ersten Mal“, sagt ein Neos-Mann, „Babler hat sich in seiner Verhandlungsposition noch stärker gefühlt.“ Und das subjektiv wohl nicht zu Unrecht: „Für die ÖVP war es nicht nur die unerwartete Gelegenheit, doch noch den Kanzler zu stellen und die letzte Chance, nach drei gescheiterten Versuchen in eine Regierung zu kommen“, so der Neos-Insider, „auch wir konnten nicht noch einmal abspringen, ohne total das Gesicht zu verlieren.“

Meinl-Reisingers Überraschungs-Coup

Dass die Neos überhaupt noch einmal ins Regierungsspiel kamen, hat auch engste Mitstreiter der Parteichefin überrascht. Noch Tage vor dem Telefonanruf von Christian Stocker, bei dem er Beate Meinl-Reisinger zu neuerlichen Koalitionsgesprächen einlud, war pink-intern die Devise: gemeinsame Projekte für ÖVP & SPÖ im Parlament ja bitte; eine Koalition gemeinsam mit Babler, nein danke.

„Es war wie oft bei uns, Beate hat uns mit ihrer Entscheidung vor vollendete Tatsachen gestellt“, sagt ein teilnehmender Beobachter. Bevor sie sich auf neue Verhandlungen mit den Repräsentanten der kleinstmöglichen Großen Koalition einließ, hatte Meinl-Reisinger freilich bei Stocker explizit nachgefragt, ob auch Babler das nun ernsthaft wolle.

Ein ÖVP-Unterhändler berichtet, dass der SPÖ-Chef von seinen schwarz-türkisen Gegenübern diesmal im persönlichen Umgang anders wahrgenommen wurde. „Er war weniger ideologisch, weniger emotional.“ Man hatte das Gefühl, dass beim SPÖ-Parteivorsitzenden so etwas wie reflektierte Ernüchterung eingesetzt hat.

Das habe, so der ÖVP-Mann, zum einen mit einem neuen Verhandlungsstil zu tun, bei dem die Sozialpartner, angeführt von Harald Mahrer und Wolfgang Hattmannsdorfer für die ÖVP-Seite sowie Wolfgang Katzian und Beppo Muchitsch für die SPÖ-Seite, eine tragendere Rolle als zuletzt gespielt haben – Motto: „Leben und leben lassen.“ Zum anderen habe auch der neue ÖVP-Chef Christian Stocker „mit seiner unaufgeregten, aber klar strukturierten Art als gelernter Anwalt“ für die Chance auf einen Neuanfang gesorgt.

ÖVP-Kritiker monieren Preisgabe von zwei Schlüssel-Ministerien

Das Verhandlungsergebnis wird aber vor allem in Sachen Macht- und Ressortverteilung bei Lichte von immer mehr ÖVP-Größen zunehmend kritisch gesehen, die nicht unmittelbar an den Verhandlungen dabei waren. Der künftige SPÖ-Vizekanzler, so der Tenor von Kritikern, habe sich offenbar nicht nur in der eigenen Partei, sondern auch am Verhandlungstisch „siegestrunken“ verhalten und sei dabei auch bei der waidwunden ÖVP unterm Strich auf wenig Widerstand gestoßen. 

„Wir haben mit dem Finanz- und Infrastrukturministerium die beiden politisch und wirtschaftlich wichtigsten Ministerien hergegeben“, analysiert ein ÖVP-Wirtschaftsmann: „Dass das Wirtschaftsministerium jetzt die ÖBAG-Agenden vom Finanzministerium bekommt, ist da kein Gewinn. Das ändert nichts daran, dass wir uns vom Babler bei den zentralen Kompetenzen total abräumen haben lassen.“

 Ein schwarzer Verhandler will diese Kritik nicht gelten lassen: „Es gibt weder im Finanz- noch im Infrastrukturministerium politisch viel zu gewinnen. Da geht es in den kommenden Jahren nicht ums Geldverteilen, sondern um die Zuteilung von Schmerzen und um das Aushalten von Widerstand beim Nein-Sagen.“ Der ÖVP-Vormann sieht die Wieder-Kanzler-Partei vielmehr generell politisch besser aufgestellt: „Bei uns kommen nicht Newcomer und Quereinsteiger, in schwierigen Zeiten ein hohes Risiko, ans Ruder. Die Österreicher können sich bei uns auf Vollprofis verlassen.“

Die von der ÖVP beanspruchten Ministerien werden in der Tat durch die Bank neuerlich durch die in der Bundespolitik verbleibenden Ressortchefs besetzt. Auch der Nachfolger von Martin Kocher, der sich schon vor Monaten vorsorglich den Abgang Richtung Chefetage der Nationalbank gesichert hat, ist alles andere als ein blutiger Anfänger: Ex-ÖVP-Landesrat Wolfgang Hattmannsdorfer, der erst mit Anfang des Jahres von Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer als neuer Generalsekretär der Unternehmervertretung installiert worden war, wird die Führung des Wirtschaftsministeriums übernehmen. Das Ressort wurde aus WKÖ-Sicht sicherheitshalber mit den Energieagenden aufgefettet, wo das größte Feindbild der Schwarz-Türkisen, die Klimaministerin Leonore Gewessler, nach Kräften zuletzt möglichst große grüne Spuren hinterließ.

Regierungsprogramm mit mehr Lücken als Substanz?

Kritische Geister in der ÖVP geben angesichts der ausgegebenen Restart-Euphorie der Parteiführung zu Bedenken: Der Abgang von politischen Schwergewichten wie Karoline Edtstadler oder windschlüpfrigen Allroundern wie Magnus Brunner hinterlasse in der ÖVP eine Lücke, die in den kommenden Monaten noch breiter sichtbar werde. „Nur von der Botschaft, dass wir das Innenministerium für den niederösterreichischen ÖAAB gerettet haben, werden wir politisch nicht leben können“, merkt ein langjähriger Ballhausplatz-Insider an. „Das Regierungsprogramm ist an vielen Stellen an Überschriften und Lücken nicht zu übertreffen“, so dessen harsche Kritik. 

Das Konvolut macht, so der nüchterne Befund von Parteistrategen abseits ÖVP-interner Kritiker den Eindruck: Die drei Verhandler haben sich in der kurzen Zeit des Neuanlauf auf ein paar herzeigbare Projekte für die Startphase der Regierung in Sachen Integrations-, Bildungs- und Sozialpolitik geeinigt. Darüber hinaus setzten Türkis-Rot-Pink auf das Prinzip „Work in Progress“.

Ergrauter Evergreen „Förderdschungel lichten“

Erfahrene Beobachter des heimischen Politbetriebs treffen dabei auf in Unehren ergraute alte Evergreens aus dem unerfüllten Forderungskatalog der letzten Jahrzehnte. Etwa in Sachen Förderungen: „Transparenz ist ein grundlegendes Prinzip unserer Förderpolitik. Alle gewährten Förderungen werden verpflichtend und zeitnah in die Transparenzdatenbank eingemeldet, um eine klare und nachvollziehbare Überprüfung der Mittelverwendung  zu ermöglichen“, heißt es im neuen Regierungsprogramm von Türkis-Rot-Pink wie ähnlich schon vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten: „Um Überförderungen durch Doppel- und Dreifachförderungen zu verhindern, wird ein Kumulationsprinzip eingeführt. Das soll die Kosten für die öffentlichen Haushalte dämpfen und einen fairen Wettbewerb sicherstellen.“

Und besonders holpernd: „Zur Umsetzung der oben genannten Maßnahmen wird die Bundesregierung umgehend eine Fördereffizienzarbeitsgruppe einsetzen, die das Ziel verfolgt bis Ende 2025 auf Basis der oben genannten Ziele eine Gesamtstrategie und Vorschläge für kosteneffizientere Vergabe für Förderungen insbesondere Einsatz der bundeseigenen Förderinstitutionen, eine gesamthafte Zusammenarbeit und Aufgabenkritik stellt ein effizientes Förderregime sicher. Die Gesamtstrategie wird spätestens ab 2027 zu einer umfassenden Reform mit entsprechenden Einsparungseffekten für die öffentlichen Haushalte führen.”

Erster Lackmus-Test Doppelbudget mit handfesten Sparmaßnahmen

In den kommenden Wochen ist aber nicht geduldige Prosa, sondern belastbares Handwerk gefragt. Der neue SPÖ-Finanzminister wird mit seinen dreifarbigen Ressortkollegen binnen weniger Wochen ein Doppelbudget zu schnüren haben. Vor allem die nach Brüssel gemeldeten Milliarden-Ansagen von strukturellen Einsparungen müssen in zäher Kleinarbeit mit konkreten Maßnahmen in den einzelnen Ressorts unterfüttert werden. Ökonomen warnen zudem dieser Tage, dass die neue Regierung in Sachen Geldnot nun zusätzlich unter Druck zu kommen droht.

Der für 2025 mit 6,4 Milliarden berechnete Konsolidierungsbedarf bei den öffentlichen Ausgaben geht von einem vom WIFO prognostizierten bescheidenen Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent aus. Schlittert, wie zuletzt Fiskalrat Christoph Badelt einmahnte, Österreich aber jetzt tatsächlich Richtung Null-Wachstum und in ein drittes Jahr Rezession, müsste Türkis-Rot-Pink rasch zusätzliche Einsparungen von über zwei Milliarden Euro für 2025 finden. „Dann droht Österreich über Nacht doch noch ein Defizitverfahren und eine tiefgreifende politische Auseinandersetzung, ob und wie das zu lösen ist“, so ein ÖVP-Finanzexperte. 

Während ÖVP und Neos bislang strikt gegen ein Defizitverfahren votierten, neigt die SPÖ einem solchen anfangs weniger schmerzhaftem Weg sehr zu. Angesichts des bereits von Blau-Türkis bei der EU-Kommission eingemeldeten Konsolidierungspakets und der absehbaren Absolution in Sachen Budgetsünder-Strafverfahren wollten aber auch Babler & Co. diese Büchse der Pandora nicht wieder aufmachen. 

Ab kommender Woche regiert nicht ein auf ÖVP-Kurs segelnder Spitzenbeamter, sondern voraussichtlich mit Markus Marterbauer ein deklariert linker Ökonom im Finanzministerium. 

Ein ÖVP-Auskenner in Sachen Wirtschaft und Finanzen merkt besorgt an: „Ein noch heuer mögliches neues Milliardenloch im Budget kann für niemanden, der mit der Sache vertraut ist, eine Überraschung sein. Im Koalitionsabkommen findet sich dazu aber kein einziges Wort.“

Politik Backstage

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