Die Chancen für eine blau-schwarze Regierung scheinen nur noch bei 50:50 zu liegen.
©APA/HELMUT FOHRINGERWie Kickl & Co. unvorbereitet in die Verhandlungen stolperten, die ÖVP-Truppe um Stocker nun aber vorzuführen suchen. Warum es aus ÖVP-Sicht nur noch 50:50 für Blau-Schwarz steht und die wahren Hürden nicht die Bankensteuer, sondern der Umgang mit EU, Russland, Geheimdiensten und Medien sind. Welches Ministerium für die FPÖ unverhandelbar ist und wer am meisten vor einer „Rache für Ibiza“ zittert.
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- Rathaus-SPÖ: „Es ist gelaufen, Schwarz-Blau kommt“
- ÖVP-interne Wettquoten stürzen von 90:10 auf 50:50 für Blau-Schwarz ab
- ÖVP-Spitzen: FPÖ trotz Opferrufen auf Blau-Schwarz nicht vorbereitet
- Nächster D-Day Ende der ersten Semester-Ferienwoche
- FPÖ-Strategie: „ÖVP muss lernen, dass sie nicht mehr Nr. 1 ist“
- Blau provoziert ÖVP-Eiertanz um Bankensteuer
- Alter Holzmann-Plan: Nationalbank-Förderfonds für KMUs mit 900 Millionen aus Bankgewinnen
- SPÖ gießt Öl ins blau-schwarze Streit-Feuer
- Ex-Brunner-Kabinettschef und Neo-Raiffeisenbanker als ÖVP-Verhandler am Pranger
- ÖVP ortet „Rache für Ibiza“
- Besorgte Anfragen aus dem Ausland wegen FPÖ-ÖVP-Megabaustellen EU, Russland & Geheimdienste
- FPÖ pokert um Finanz- und Innenministerium
- Geheimdienst-Chef auf Geheimmission in der Hofburg
Im Wiener Regierungsviertel, wo Kanzleramt, Hofburg, Parteizentralen, Parlament und Rathaus in Sicht- und Gehweite liegen, hat jeder Versuch besonderer Diskretion beim besten Willen natürliche Grenzen. Dieser Tage sind Blau und Türkis zwar massiv um Geheimhaltung bemüht, die Zahl der unterirdischen Gänge zwischen den Amtsgebäuden der Republik bleibt aber überschaubar. Akteure aller Lager laufen sich unvermeidlicherweise über den Weg.
Als Mitte der Woche ein einflussreicher roter Rathausmann des neuen ÖVP-Chefs Christian Stocker ansichtig wurde, ließ er hinterher in kleinem Kreis wissen: „Dem ist anzusehen, wie sehr er darunter leidet, von Herbert Kickl bei den Koalitionsverhandlungen vorgeführt zu werden. Er könnte einem fast leid tun.“
Rathaus-SPÖ: „Es ist gelaufen, Schwarz-Blau kommt“
In der politischen Schlüsselfrage 2025 hat der Konjunktiv in den Spitzenkreisen von Rathaus und Wiener SPÖ aber Pause: Babler & Co. sind nun endgültig aus dem Spiel im Poker um den Wiedereinzug in Regierungsämter. „Es ist gelaufen, Blau-Schwarz kommt.“
Im Wiener Rathaus waren sich nur ein paar Spitzenleute bereits vor der ersten Hochrechnung am letzten Sonntag im September sicher: „Wenn es sich rechnerisch ausgeht, dann finden sich ÖVP und FPÖ am Ende zu einer Regierung. Die inhaltlichen Schnittmengen sind einfach viel größer als mit uns oder anderen möglichen Koalitionspartnern.“
ÖVP-interne Wettquoten stürzen von 90:10 auf 50:50 für Blau-Schwarz ab
So haben dies Mitte Jänner auch noch Spitzenverhandler der ÖVP gesehen. Schon nach den ersten Schnupperrunden gab ein schwarz-türkises Mitglied der FPÖ-ÖVP-Steuerungsgruppe der Regierungsverhandlungen die Parole aus: „Es steht 90:10, dass Blau-Schwarz etwas wird.“ Eine Einschätzung, die von den meisten ÖVP-Unterhändlern bald geteilt wurde.
Im Laufe der zurückliegenden Woche ruderten aber immer mehr Insider des blau-türkisen Verhandlungspokers zunehmend zurück. Die besten Wettquoten für eine Regierung Kickl-Stocker liegen nun bei 70:30. Zuletzt bezifferte ein ÖVP-Spitzenverhandler in vertrauter Runde die Wahrscheinlichkeit nur noch mit 50:50.
Einer der Hauptgründe: Je länger die Verhandlungen dauern, desto mehr sind türkise Spitzenfunktionäre überzeugt, dass Herbert Kickl mit dem Nolens-Volens-Regierungsbildungsauftrag des Bundespräsidenten am falschen Fuß erwischt wurde. Trotz gegenteiliger Beteuerungen war die FPÖ dafür alles andere als ausreichend gerüstet.
Die Aussagen von Kickl-Vertrauten unter vier Augen noch drei Monate nach der Wahl bestätigen diesen ÖVP-Befund. Kickl & Co. rechneten trotz lauter „Volkskanzler Kickl“-Rufe nicht damit, regieren zu müssen. Die FPÖ nahm ihre Propaganda von den „Systemparteien“ selber ernst. Eine Zusammenarbeit von ÖVP & SPÖ – mit Neos im Notfall als Zuwaage – galt für die Blauen als unerschütterlich ausgemacht.
ÖVP-Spitzen: FPÖ trotz Opferrufen auf Blau-Schwarz nicht vorbereitet
„Die FPÖ war auf Verhandlungen nicht vorbereitet“, resümiert ein ÖVP-Verhandler, „wir haben es daher in den einzelnen Verhandlergruppen mit vollkommen unterschiedlichen Zugangsweisen und politischen Konzepten zu tun: mit konsenswilligen Pragmatikern, mit auf Krach ausgerichteten Ideologen und mit Leuten, die noch in der Zeit vor dem EU-Beitritt steckengeblieben sind.“
Dazu kämen „einige, die sich offenbar mit besonderer Härte beim Parteichef für höhere Weihen ins Gespräch bringen wollen“. Sie treffen, so die ÖVP-Selbsteinschätzung, freilich auf Gegenüber, die nach wochenlangen Verhandlungen mit der SPÖ gallig räsonieren: „Bei Kai Jan Krainer, der uns auch nur provozieren wollte, war es schlimmer.“
Nächster D-Day Ende der ersten Semester-Ferienwoche
Türkises Fazit: Wie ideologisch oder pragmatisch es der am Ende allein tonangebende Herbert Kickl in den offenen Fragen für die FPÖ anlegen wird, sei frühestens Mitte bis Ende kommender Woche absehbar. Dann sollten alle 13 Untergruppen ihre Dissens-Punkte nach oben delegiert haben. Erst dann werden sich Kickl & Stocker, fallweise assistiert von Mitgliedern der Steuerungsgruppe, zum finalen Abtauschpoker zusammensetzen.
Es ist eine Mixtur aus FPÖ-Verhandlungsstil und inhaltlicher blau-schwarzer Hürden, aus denen sich die Ernüchterung in ÖVP-Spitzenkreisen zudem speist. Die Blauen lassen die ehemalige Kanzlerpartei, die unter Führung von Alexander Schallenberg noch eine letzte Ehrenrunde am Ballhausplatz drehen darf, intern und extern dafür büßen, dass diese Herbert Kickl zum Gott-sei-bei-uns der Schwarz-Türkisen ausgerufen hat.
FPÖ-Strategie: „ÖVP muss lernen, dass sie nicht mehr Nr. 1 ist“
„Die ÖVP muss damit umgehen lernen, dass sie nicht mehr die Nummer eins ist und den Ton vorgibt“, resümiert ein FPÖ-Stratege nüchtern.
„Wir verhandeln mit einer Partei, die sich von rechts in die Mitte bewegen muss, und hoffen, dass das besser gelingt wie zuletzt von links“, gibt ein ÖVP-Mann die intern ausgegebene Marschrichtung wieder.
Öffentlich deutlich sichtbar wurden die massiven Reibungsflächen bei Stil und Inhalt an einer Nebenfront, wo der Kompromiss eigentlich von Anfang an absehbar war.
Blau provoziert ÖVP-Eiertanz um Bankensteuer
Beim bald nach Verhandlungsstart binnen drei Tagen ausgedealten 6,4-Milliarden-Paket zum EU-konformen Budgetschuldenabbau für den bereits laufenden Staatshaushalt 2025 spielte ein Beitrag der Banken noch null Rolle.
Beim ersten Treffen der Verhandlergruppe in Sachen Finanzen & Steuer war der Punkt „Bankenabgabe“ zwar von der FPÖ als letzter auf die Agenda gesetzt worden, tatsächlich zur Sprache kam die Causa aber beim ersten vierstündigen Meeting, angeführt von Ex-FPÖ-Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs und Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer, vor zehn Tagen mit keiner Silbe.
Nicht zuletzt deshalb, weil das FPÖ-Vis-à-Vis Hubert Fuchs als gelernter Steuerberater zum ausführlichen Feintuning und Fachsimplen neigt, vermutete das Team Parteichef Stocker, das sich hinterher berichten ließ, erst nur Zeitmangel. Insider der blauen Pläne wussten freilich von Anfang an, dass die Bankensteuer ein Must aus Kickls Werkzeugkasten zur Demütigung und zum Kleinhalten des künftigen Koalitionspartners ist.
Wie in dieser Kolumne vorab exklusiv berichtet hatte FPÖ-Wirtschafts-Mastermind Arnold Schiefer schon seit Beginn der blau-schwarzen Wiederannäherung im Gespräch mit Bankmanagern und ÖVP-Wirtschaftsleuten dieses Vorhaben, aber in neuer blauer Verpackung, vorsorglich platziert: Als Geldquelle für die Budgetsanierung werde auch die FPÖ die Banken ins Visier nehmen.
Alter Holzmann-Plan: Nationalbank-Förderfonds für KMUs mit 900 Millionen aus Bankgewinnen
Der von der FPÖ als Nationalbank-Chef installierte ehemalige Haider-Berater Robert Holzmann ventilierte im kleinen Kreis bereits vor zwei Jahren erstmals den Plan: Die Banken sollten aus ihren nach den kargen Jahren der Null- und Negativzinsphase wieder wachsenden Gewinnen einen Förderfonds für Klein- und Mittelbetriebe mit 800 bis 900 Millionen Euro speisen, der von der Nationalbank verwaltet wird.
Was unter Babler & Co. klassenkämpferisch Abschöpfung „der horrenden Milliardengewinne“ gerufen wurde, soll bei Kickl & Schiefer trickreich auf marketingtechnisch abgefederten Samtpfoten daherkommen: Die nach dürren Jahren eine Zeitlang wieder sehr gut verdienenden Banken sollen etwas von ihren Gewinnen direkt an die Kunden zurückgeben und zugleich die lahme Konjunktur ankurbeln. Zusätzlich zur Holzmann-Idee eines KMU-Förderfonds, so der FPÖ-Plan, sollen die Banken auch einen Teil ihrer Gewinne zur Finanzierung besonders günstiger Wohnungs- und Hausbau-Kredite verwenden.
Im blauen Drehbuch des ÖVP-Quälens ist diese Wendung freilich erst im erlösenden Finale vorgesehen.
SPÖ gießt Öl ins blau-schwarze Streit-Feuer
Am vergangenen Wochenende platzierten die Blauen via „Kronen Zeitung“ vorerst einmal den Spin, die ÖVP sei sogar bereit, jene Steuer zu schlucken, die sie zum entscheidenden No-Go bei den gescheiterten Koalitionsverhandlungen mit Andreas Babler erklärt hatte. Ein Einlenken der ÖVP in dieser Frage erscheint prima vista tatsächlich als maximal peinlicher Umfaller.
Weil die tonangebenden Blauen bis auf gezielte Nadelstiche dicht halten und auch Stocker & Co. nach massiven FPÖ-Gegenattacken zuletzt untertauchten, geriet die Causa Bankenabgabe öffentlich zur Koalitions-Streitcausa prima.
Ex-Brunner-Kabinettschef und Neo-Raiffeisenbanker als ÖVP-Verhandler am Pranger
Zumal auch die SPÖ ohne Rücksicht auf Verluste Öl ins Feuer goß. Sie stellte den Co-Verhandler Clemens Niedrist im Team Mahrer als Banken-Lobbyisten in die Auslage, der für diese nun die Kastanien aus dem Feuer hole. Der ÖVP-Finanzverhandler, zuletzt Kabinettschef von Finanzminister Magnus Brunner, hat in der Tat vor rund zwei Jahren von der Politik in die Chefetage des grünen Riesen als Generalsekretär der NÖ-Wien-Raiffeisen-Holding gewechselt.
Niedrist hatte sich aber in seiner Zeit im Regierungsviertel offenbar auch beim grünen Koalitionspartner einen guten Ruf erarbeitet. „Die haben den geholt, weil er bis vor zwei Jahren alle Budgets verhandelt hat, sich wirklich auskennt und immer ein Verbinder bei der Suche nach Kompromissen war“, sagt ein zentraler grüner Player in den gemeinsamen Regierungsjahren mit den Türkisen.
Niedrist saß schon als einer von drei Verhandlern auf ÖVP-Seite gemeinsam mit den Finanz-Experten von SPÖ und Neos ohne internes oder öffentliches Aufsehen mit am Tisch, als es galt, nach einem Budget-Kassasturz den notwendigen Konsolidierungsbedarf außer Streit zu stellen.
ÖVP ortet „Rache für Ibiza“
Kenner des Pokers um den Dreier und zuletzt auch den Zweier ohne Kickl sagen: Die Bankensteuer war am Ende nur eine von vielen Hürden zwischen Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger. Zumal ähnlich wie jetzt bald eine gesichtswahrende Variante mit ins Spiel kam: Die Banken sollten einen staatlichen Investitionsfonds als Konjunkturspritze speisen.
Im nun neuerlichen Anlauf, die Banken anzuzapfen, steht für ÖVP-Insider Herbert Kickls Verhandlungstaktik immer lautstärker unter dem Motto „Rache für Ibiza“. Denn auch beim zweiten Treffen der einschlägigen Verhandlergruppe brachten die FPÖ-Unterhändler das Thema wieder nicht aufs Tapet. Medial kochte es so auf großer Flamme weiter.
Die Letztentscheidung über politisch heiße Eisen wie dieses werden sich am Ende da wie dort die Parteichefs vorbehalten. Stoff für Herbert Kickl und Christian Stocker hat sich nach bislang zwei Runden in jeder der 13 Verhandler-Untergruppen bereits reichlich angesammelt.
Besorgte Anfragen aus dem Ausland wegen FPÖ-ÖVP-Megabaustellen EU, Russland & Geheimdienste
„Das Klima hat sich in den vergangenen Tagen verschlechtert. Die Banken sind da aber mehr Thema für die Medien als ein reales Problem. Wirklich schwierig ist der Umgang mit der EU, Russland, Ukraine, Sky Shield und den drei Geheimdiensten“, sagt ein teilnehmender Beobachter: „Zu diesen Themen gibt es auch verstärkt Interventionen von außen, aus Deutschland, den USA, Großbritannien und Frankreich. Laut will das keiner diskutieren aus Sorge um ein Wiederaufleben einer ,Jetzt-erst-Recht‘-Stimmung wie zu Waldheim-Zeiten.“
Bislang vollkommen offen sind auch jene Fragen, die für ein mögliches Gelingen einer ersten blau-schwarzen Regierung essenziell sind: Wie teilen sich FPÖ und ÖVP die Ministerien auf und wer zieht dann dort als Minister ein.
FPÖ pokert um Finanz- und Innenministerium
Breit gesichert ist derzeit, dass Herbert Kickl sowohl das Finanz- als auch das Innenministerium blau besetzen will. Der Zugriff auf das Budget ist für den FPÖ-Chef, sagen Kenner, unverhandelbar. In Sachen Innenressort werden Pläne gewälzt, etwa die Verantwortung für den nach den BVT-Wirren neu aufgestellten Geheimdienst DSN (Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst) in ein Staatssekretariat auszulagern.
Im seit mehr als zwei Jahrzehnten beinahe durchgehend ÖVP-geführten Innenressort sind nicht nur Spitzenbeamte in heller Aufregung, dass Kickl & Co. für den Hinauswurf aus der Herrengasse nach nur 17 Monaten blauer Regentschaft auf vielen Ebenen Rache nehmen würde.
Geheimdienst-Chef auf Geheimmission in der Hofburg
DSN-Chef Omar Haijawi-Pirchner und führende Mitarbeiter in Sachen Asyl haben sich bereits in der Hofburg bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen besorgt gemeldet.
Ein blauer Verhandler sieht indes trotz all der Irrungen und Wirrungen die Zeichen der letzten Tage klar auf Abschluss. „Zu 80:20 wird das was mit Blau-Schwarz. Ein bissel brauchen wir alle noch. Ich rechne spätestens bei der nächsten regulären Sitzung am 26. Februar mit der ersten Regierungserklärung von Kanzler Herbert Kickl.“