Trend Logo

Politik Backstage: Wird die "Bombe" zum Bumerang?

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min

Duell im Großen Schwurgerichtssaal: Sebastian Kurz und Thomas Schmid stehen Rücken an Rücken vor Richter Michael Radasztics.

©APA/ROLAND SCHLAGER
  1. home
  2. Aktuell
  3. Politik

Die erste Runde im Glaubwürdigkeits-Duell Thomas Schmid versus Sebastian Kurz ging an Schmid. Für neue Fragen sorgen nun belastende Aussagen zweier russischer Geschäftsleute, die Kurz gegen seinen Ex-Seilschaftspartner auffahren ließ. Hinterlässt diese “Bombe” am Ende mehr Schaden beim Absender oder beim Adressaten?

von

Der Große Schwurgerichts-Saal im Wiener Landesgericht hat schon viele Prominente auf der Anklagebank gesehen. Hier wurden spektakuläre Wirtschaftscausen von Bawag bis Buwog wochenlang verhandelt. Mit Sebastian Kurz steht seit Mitte Oktober erstmals der jüngste Altkanzler vor dem Strafrichter.

Dem tief gefallenen Hoffnungsträger der ÖVP blieben aber zumindest jene demütigenden Bilder erspart, die bis vor wenigen Jahren die Berichterstattung aus dem Grauen Haus prägten. Am Saalkopf in der Mitte sitzen der Richter, Schriftführer und juristische Gehilfen. Die Angeklagten hatten jahrzehntelang links davon auf einer knarrenden und unbequemen Holzbank Platz zu nehmen – mit den hinter ihnen sitzenden anklagenden Staatsanwälten im Rücken.

Selbst Geschäftspartner von gestern, die zu Intimfeinden  wurden – wie zuletzt im Bawag-Verfahren Ex-Bank-Chef Helmut Elsner und sein Geschäftspartner Wolfgang Flöttl – mussten es hier viele Wochen nebeneinander aushalten.

Demütigende Bilder bleiben erspart

Seit Beginn des Monsterverfahrens gegen Karl Heinz Grasser 2017 ist diese schon äußerlich strafverschärfende Sitzordnung einem moderner anmutenden Setting gewichen. Für die Angeklagten und ihre Verteidiger wurden vis-à-vis des Richtertisches Schreibtische und Sessel angeschafft, die selbst bei stundenlangem Verhandeln nicht automatisch Rückenschmerzen hinterlassen. Dahinter sind zwei Reihen vor dem Zuschauerbereich mit gleich ausgestatteten Arbeitsplätzen für die Anwälte reserviert.

Zudem wurde eine Media-Anlage samt Mikrofonen und Lautsprechern installiert.

Zwei große Flatscreens zur Linken und Rechten der Angeklagten sollen diesen bei Bedarf einen raschen Blick auf Bestandteile des Gerichtsakts ermöglichen, damit sie auf die mündlich vorgetragenen konkreten Vorhalte und Fragen von Richter, Staatsanwälten und Verteidigern besser reagieren können. Die entsprechenden Passagen werden auf den Bildschirmen eingeblendet.

Vom Räuberleiter-Partner zum Todfeind

Diesen Montag waren zwei Spitzen jener türkisen Seilschaft erstmals gleichzeitig geladen, die einst handstreichartig die wichtigsten Machtpositionen im Land einnahmen. Der ehemalige Generalsekretär Thomas Schmid machte einst Sebastian Kurz beim Aufstieg an die Regierungsspitze die Räuberleiter. Bald danach erklomm Schmid seinen “Traumjob” als Chef der staatseigenen ÖBAG.

Kurz redete seine Rolle dabei im Ibiza-Ausschuss hartnäckig klein. Der Ex-Kanzler steht nun deswegen seit Mitte Oktober wegen des Vorwurfs der falschen Zeugenaussage vor Gericht. Als Beweis dafür werden nicht nur viele Chats, die Schmid gelöscht glaubte, ins Treffen geführt. Vor gut einem Jahr entschied sich Schmid für Rolle des Hauptbelastungs-Zeugen und strebt mit einem Bündel an weiteren belastenden Aussagen den strafmindernden Status eines Kronzeugen an.

Die neue Sitzordnung im Großen Schwurgerichtssaal machte es möglich, dass die ehemaligen Seilschafts-Partner, die einander nunmehr in Todfeindschaft gegenüberstehen, einen ganzen Tag nur ein paar Meter voneinander getrennt verbrachten, ohne einander in die Augen schauen zu müssen.

Wie Schmid bislang punktet

Wer in den Augen von Richter Michael Radasztics glaubwürdiger erscheint, entscheidet darüber, ob das Verfahren mit einem Schuldspruch gegen Kurz endet.

Die erste Runde in diesem Glaubwürdigkeitsduell diesen Montag ging an Thomas Schmid. Der Richter vernahm Schmid mit Pausen von 10 Uhr Vormittag bis kurz vor 15 Uhr rund vier Stunden lang zum eigentlichen Prozessgegenstand: War Kurz über den Umbau der ÖBAG nach türkisen Vorstellungen und den maßgeschneiderten Spitzenjob des ÖBAG- Chef für Schmid nur “informiert” oder war er in die wesentlichen Weichenstellungen “involviert”?

Schmid suchte das – als Zeuge unter Wahrheitspflicht und als Kronzeugen-Anwärter unter Existenzdruck – anhand vieler Beispiele zu belegen. Schmid formulierte dabei, begleitet von seinem Anwalt Roland Kier (Anwaltsbüro Kier Soyer Stuefer), den juristisch wohl relevantesten Schlüsselsatz über Sebastian Kurz und seinen ehemaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli: "Sie wollten nicht nur informiert werden, sondern mitreden."

Ein erfahrener Prozess-Beobachter resümierte nach Abschluss des Frage-Marathons durch den Richter: “Wie Kurz da mit einem Freispruch rausgehen will, weiß ich nicht.”

Schmid über Kurz: Von "sehr guter Auftritt" bis "sehr wütend"

Das wissen offenbar auch die Anwälte der beiden Beschuldigten und suchten mit schweren Geschützen aufzufahren, die die Glaubwürdigkeit von Thomas Schmid generell vernichten sollen. Zumal Schmid auch zum Hauptbelastungszeugen in dem immer wahrscheinlicheren und weitaus schwerwiegenderen zweiten Verfahren gegen Kurz wegen des Vorwurfs der Inseratenkorruption zu werden droht.

Anwalt Otto Dietrich legte das Foto einer telefonischen Text-Nachricht von Schmid an Kurz nach einem Zib2-Interview im Gefolge der spektakulären Hausdurchsuchung durch die WKStA im Kanzleramt im Oktober 2021 vor. Dabei stellte Kurz die Grundlage der Razzia, eine persönliche Verwicklung in Inseratenkorruption, massiv in Abrede. Schmid, der ihm genau das bald danach in einer Art „Geständnis” vor der WKStA vorwirft, chattete damals aber: „Das war ein sehr guter Auftritt, die Darlegung wie es wirklich war.“

Russen-Protokoll: "Von WKStA unter enormen Druck gesetzt"

Zudem legten die Kurz-Anwälte ein Schriftstück vor, das Medien in den Tagen zuvor bereits als “Bombe” avisiert worden war. Thomas Schmid habe im August 2023 an seinem aktuellen Wohnort in Amsterdam „mit zwei Geschäftsmännern” Gespräche über einen möglichen Job, eine Führungsfunktion in einem georgischen Öl-Unternehmen, geführt. Diese halten in einer in Tiflis im November abgegebenen eidesstattlichen Erklärung fest, was Schmid auf Befragen über seine Rolle in laufenden Justizverfahren in Wien gesagt habe:

„Er war sichtlich enttäuscht von den Leuten, die er als seine ehemaligen Freunde bezeichnete (...) und dass sie ihn im Stich gelassen haben, als er in Schwierigkeiten geriet, und dass sie ihn jetzt für alles verantwortlich machen und versuchen damit durchzukommen (...) Er erwähnte, dass er sehr wütend auf den ehemaligen Bundeskanzler von Österreich, Sebastian Kurz sei“.

Und: „Thomas Schmid erzählte uns, dass er von den Staatsanwälten unter enormen Druck gesetzt wurde. (...) Laut Thomas Schmid hat er dem Druck der Staatsanwälte nachgegeben und beschlossen, sich auf ihre Seite zu stellen und ihnen zu helfen, indem er in einer Weise aussagte, die die Staatsanwälte zufrieden stellte, obwohl diese spezifischen Aussagen jenseits dessen lagen, was er als wahr in Erinnerung hatte.“

Wie kamen Russen auf Schmid und dann zu Kurz-Anwälten ?

Die Eidesstaatliche Erklärung wurde vom Richter nicht als Beweismittel zugelassen. Begründung: Sie habe zum einen nichts mit dem unmittelbaren Prozessgegenstand (Vorwurf der falschen Zeugenaussage in Sachen ÖBAG) zu tun. Zum anderen verstoße sie gegen das Prinzip der „Unmittelbarkeit”. Sprich eine eidesstattliche Erklärung sei kein Ersatz für eine Zeugenaussage. Im Lager von Thomas Schmid & Co reift die Zuversicht: Die vom Kurz-Lager avisierte „Bombe“ könnte zum Bumerang gegen die Kurz-Verteidiger werden.

Denn das „Affidavit“ hinterlasse mehr Fragen als Antworten: Wie kamen russische Geschäftsleute mit Wohnsitz St. Petersburg dazu, Thomas Schmid in Amsterdam ein Jobangebot zu machen, um damit befreundeten Geschäftspartnern, die einen CEO in Tiflis suchten, einen Gefallen zu tun? Wie kam es zum Kontakt zwischen den Geschäftsleuten aus Russland und den Kurz-Anwälten?

Dass der geplante Blatt-Schuss gegen Thomas Schmid diesen Montag vorerst nach hinten losging, realisierten offenbar auch Kurz & Co noch im Gerichtssaal. Denn der Ex-Kanzler agiert in der Regel vor Gericht so, als würde er noch auf der Regierungsbank sitzen. Er gibt als einziger der Prozess-Teilnehmer meist schon bei Betreten des Großen Schwurgerichtssaals ein kurzes Statement für die TV-Kameras und Gerichtsreporter ab. Diesen Montag tat Kurz vor Beginn der Schmid-Aussage kund: Er habe „lange auf diesen Tag gewartet“. Heute werde „sich zeigen, mit welchen Methoden hier gearbeitet wird. Ich freue mich ein Stück weit darauf.“

Statt Freude gab es Montag kurz nach 18 Uhr nur Katzenjammer.

„Russische Bauart“ der Kurz-Bombe unter Verteidiger-Lupe

Sebastian Kurz sagte das als triumphierende Bilanz geplante Statement ab und verließ den Großen Schwurgerichtssaal wortlos. Im Kurz-Lager wurde hinterher intern heftig über die bisherige Prozess-Strategie, die Performance der Anwälte und den weiteren Umgang mit der angekündigten „Bombe“ diskutiert. Der Ausgang war zu Redaktionsschluss dieser Kolumne (Donnerstagmittag) offen.

Im gegnerischen Lager wird zunehmend die „russische Bauart“ der Kurz-„Bombe“ unter die Lupe genommen. Fortsetzung diesen Freitag mit der Einvernahme von Thomas Schmid durch die beiden Staatsanwälte Gregor Adamovic und Roland Koch. Für den weiteren Prozess-Verlauf könnte  nun zusätzlich entscheidend werden, ob die diesen Montag von Kurz & Co gezündete „Bombe“ am Ende mehr Schaden beim Absender als beim Adressaten hinterlässt.

Politik BackstageInnenpolitik

Über die Autoren

Logo
Jetzt trend. ab € 14,60 im Monat abonnieren!
Ähnliche Artikel