
Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ist auf der Suche nach dem nächsten Koalitionspartner.
©APA/HELMUT FOHRINGERZehn Tage vor der Wien-Wahl sorgt nur eine Frage für Hochspannung: Wer macht für die unangefochtene Nummer eins weiter den Steigbügelhalter? Michael Ludwigs Wunschkoalition Rot-Pink könnte mangels Mandatsmasse eine Eintagsfliege bleiben. Den ÖVP-Wirtschaftsflügel hat die SPÖ schon in der Tasche, mit den Grünen sind noch zu viele Rechnungen offen.
von
Im meist hoch aufgeladenen Kraftfeld der österreichischen Innenpolitik, jener überschaubaren Innenstadt-Gegend zwischen Parlament, Parteizentralen, Kanzleramt und Wiener Rathaus, ist in der Karwoche zwar nicht allerorten vorösterliche Beschaulichkeit ausgebrochen. Der Energielevel wurde bis Ende der Woche in den Ministerbüros und Vorzimmern der Spitzenpolitiker tagtäglich jedoch ein wenig mehr heruntergefahren.
Für anschwellendes Getuschel sorgt derzeit allein ein Thema: Der Urnengang, der am Sonntag nach Ostern über die Bühne geht. Im Mittelpunkt der zunehmenden Neugierde steht freilich nicht das zu erwartende Stimmenergebnis. Der Wahlabend in Wien dürfte, wenn nicht alle Meinungsforscher kollektiv haushoch daneben liegen, so spannend verlaufen wie der Wiener Wahlkampf: ohne Überraschungen, routiniert und erwartbar.
Rot distanziert Blau 2:1
Die SPÖ wird, sagen die Demoskopen, mit etwa 40 Prozent der Stimmen in etwa so abschneiden wie 2020. Die FPÖ wird auf rund die Hälfte der roten Stimmen kommen. Das entspräche in Anbetracht des Absturzes im Gefolge des Ibiza-Videos im Jahr 2020 auf desaströse sieben Prozent zwar beinahe einer Verdreifachung der blauen Stimmen. Mit den erwarteten 20 Prozent käme die FPÖ aber nach wie vor um gut zehn Prozentpunkte unter jenem Spitzenwert von 30 Prozent zu liegen, den die Blauen 2015 noch unter dem heute tief gefallenen FPÖ-Hero Heinz Christian Strache einfuhren. Strache kämpft diesmal auf verlorenem Posten mit einer eigenen Liste um einen Sessel im Gemeinderat. Er wird 2025 nicht einmal die Fünf-Prozent-Hürde schaffen. Türkis-Schwarz, Pink und Grün werden am Wien-Wahlsonntag – je nach Umfrage – knapp unter oder knapp über zehn Prozent zu liegen kommen.
Rot-Pink II wackelt
Mit besonderen Argusaugen haben im Regierungsviertel viele die Pinken im Blick. Das Gros der Demoskopen hatte die Neos zuletzt mit neun Prozent unter der Grenze zur Zweistelligkeit. Damit stünde auch die Fortsetzung von Rot-Pink auf dem Spiel.
Im Wiener Rathaus ist es ein offenes Geheimnis, dass die kleine Koalition aus SPÖ und Neos die Wunschvariante von Michael Ludwig für seine dritte und wohl auch letzte Legislaturperiode als Wiener Bürgermeister ist. Die Pinken waren trotz gerne gepflegten Muskelspiels in Parteiprogrammen und Wahlkampffibeln im Rathausalltag ein alles andere als kratzbürstiger und profilierungswütiger Mehrheitsbeschaffer.
Mahrer-ÖVP mehr Risiko- als Koalitionsoption
Die angesichts der Dreier-Koalition im Bund naheliegendste Ersatzvariante einer Koalition zwischen SPÖ und ÖVP unter ihrem Chef Karl Mahrer hat, so ein roter Rathaus-Insider, allerdings gleich mehrere Tücken: „Warum soll Ludwig das Risiko eingehen, mit Mahrer eine Koalition einzugehen, der eine Anklage am Hals und Teile der eigenen Partei gegen sich hat? Eine stille Koalition mit dem Wirtschaftsflügel der ÖVP hat Ludwig in den Schlüsselfragen der Politik Wohnen, Wirtschaft und Infrastruktur ohnehin seit Jahren mit ÖVP-Wirtschaftskammer-Chef Walter Ruck.“
Für Strategen beider Lager kann vornehmlich allein ein Szenario die ganze Wiener Stadt-ÖVP nachhaltig ins Rathaus-Machtspiel bringen: Nur wenn es dem – bevorzugt im Hintergrund wirkenden – mächtigen Wiener Wirtschaftsbundchef Ruck gelingt, Mahrer & Co. in den ersten Tagen nach der Wahl erfolgreich zu stürzen, könnte die rot-schwarze Achse Ludwig-Ruck auch zu einer Koalitionsehe upgegradet werden.
Beim ersten Anlauf, Mahrer nach der Untreue-Anklage wegen eines PR-Auftrags an das Unternehmen seiner Frau als Spitzenkandidat abzulösen, war Ruck freilich an Mahrers widerspenstigen Verbündeten in der Wiener ÖVP gescheitert, die sich nach Jahrzehnten im schwarzen Intrigendschungel eine besonders dicke Haut zugelegt haben.
Mahrer-Sturz jetzt noch hürdenreicher
ÖVP-Insider glauben, ein schneller Sturz Mahrers dürfte seinen Kritikern nach der Wahl noch schwerer fallen: „Wenn die totgesagte Wiener ÖVP jetzt über zehn Prozent kommt, wird Karl Mahrer das im Lichte früherer Umfragen als Erfolg verkaufen und sich noch mehr mit Händen und Füßen gegen seine Ablöse wehren.“
Michael Ludwig wiederum wird sich hüten, sich ins interne Gemetzel der Wiener ÖVP mit einem Koalitionsangebot an eine von Justizcausen unbelastete Spitze einzumischen, so ein langjähriger Kenner des Wiener Stadtchefs: „Ludwig traut schon in der eigenen Partei so gut wie niemandem über den Weg und agiert daher vorsichtiger denn je. Warum soll er das ausgerechnet im Umgang mit ÖVP-Interna ändern?“
Traumatische Ludwig-Erinnerungen an Rot-Grün
Fallen die Neos tatsächlich mangels Mandatsmasse und die ÖVP ob toxischer Mitgift aus, bliebe Michael Ludwig nur noch die Option einer Wiederaufnahme des 2020 nach zehn Jahren aufgekündigten Rathausbündnisses Rot-Grün. Die neue Wahlkampf-Spitzenkandidatin und Grünen-Co-Chefin Judith Pühringer hat zwar im roten Rathaus-Sektor eine weitaus bessere Nachrede als ihre Vorgänger und auch privat eine gute Beziehung in die SPÖ, beim Gros der roten Funktionäre gelten die Ökos aber nach wie vor als unnötig lästige Laus im Pelz.
Michael Ludwig selbst, der SPÖ-intern als Politiker mit einem Elefantengedächtnis gilt, hat etwa noch lebhaft in Erinnerung, dass er von seiner grünen Vizebürgermeisterin Birgit Hebein immer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt wurde. Als Hebein als grüne Verkehrsstadträtin die höchst umstrittene Entscheidung traf, eine der beiden Fahrspuren der vielbefahrenen Wiener Praterstraße zugunsten der Radfahrer abzuzwacken, informierte sie das Stadtoberhaupt darüber gerade einmal eine Stunde vor Beginn der Pressekonferenz. Eine Provokation, die der SPÖ-Bürgermeister nicht vergessen hat.
Im Fall einer Neuauflage von Rot-Grün würde zudem jede bereits angekündigte und noch kommende Rückbaumaßnahme durch die türkis-rot-pinke Dreier-Koalition in Sachen Klima und Umweltschutz umgehend für Konfliktstoff in einem rot-grün regierten Wiener Rathaus sorgen: vom endgültigen Startschuss für den Bau des Lobautunnels bis hin zum weiteren Streichen von Öko-Förderungen.
Schreckgespenst Demobilisierung
Ein roter Spitzenmann malt so schon als größtes Schreckgespenst der SPÖ eine vierte Koalitionsoption an die Wand: Die selbstbewusste Nummer eins im Rathaus könnte angesichts der bald chronischen Allergie gegen die Wiener Grünen ihre Macht künftig erstmals gar mit zwei Koalitionspartnern teilen müssen.
„Nach diesem Nicht-Wahlkampf droht eine Demobilisierung für so gut wie alle Parteien, die am Ende nur die FPÖ stärker macht. Deren Wähler sind nach wie vor am stärksten motiviert, auch tatsächlich zur Wahl zu gehen“, so der Rathaus-Rote: „Wenn es uns in den letzten Tagen vor der Wahl nicht gelingt, auch unsere Leute vermehrt zur Wahlurne zu bringen, dann könnte es sein, dass wir wie im Bund plötzlich zwei Partner für eine Mehrheit brauchen.“