Vorweihnachtliche Eintracht im Parlament - nebenan im Palais Epstein herrscht eine andere Stimmung.
©Parlamentsdirektion/Thomas TopfWarum es ÖVP-intern schon bei Start der Koalitionsverhandlungen massiv rumpelte. Wo am Verhandlungstisch die Zeichen auf „no way“ stehen. Was hinter dem pinken Donnerwetter wegen der Beamtengehälter wirklich steckt. Und: Wie Doskozil nun späte Rache an Babler nehmen und Kickl davon profitieren will.
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In der Säulenhalle des Parlaments nimmt Donnerstagmittag der Kinderchor der Diakonie Aufstellung. In unmittelbarer Nähe zum Entree in den Empfangssalon des Parlamentspräsidenten, in dem bis vor kurzem Wolfgang Sobotkas Goldenes Klavier glänzte, werden die Lichter an einem riesigen Christbaum entzündet. In – nach dem Wirbel um den Orban-Besuch – diesmal trauter Eintracht lauschen die drei Parlamentspräsidenten Walter Rosenkranz (FPÖ), Peter Haubner (ÖVP) und Doris Bures (SPÖ) den Liedern des Kinderchors. Rosenkranz wendet sich in seiner Ansprache durchaus emphatisch an die jungen Sänger. Der dieses Halbjahr amtierende Präsident des Bundesrates, Franz Ebner, aus dessen oberösterreichischen Heimat St. Marien die schmucke Tanne stammt, appelliert im prunkvollsten Raum des Hohen Hauses, „jetzt in der Weihnachtszeit den Blick wieder auf das Wesentliche zu richten: Auf Miteinander, Friede und Mitmenschlichkeit”.
Weihnachtsstimmung im Hohen Haus, fromme Wünsche am Verhandlertisch
Ein paar hundert Meter von der Säulenhalle entfernt herrscht alles andere als weihnachtliche Stimmung. Im neben dem Parlaments gelegenen Palais Epstein, das bereits seit Jahren als Expositur des Parlaments dient, wurden bis zum Jahresende zehn Räume rund um die Uhr reserviert. Seit bald zehn Tagen soll hier in unterschiedlichen Formaten und Formationen ein tragfähiges Regierungsprogramm für die erste Dreier-Koalition des Landes erarbeitet werden. Als der Christbaum im Parlament gerade entzündet wird, kehren drei Neos-Verhandler mit wehenden Rockschößen ins Hohe Haus mit den Worten zurück: „Mit der SPÖ geht es sich das aber noch immer nicht aus.“
Im Palais Epstein steht an diesem Donnerstag das Untergruppen-Kapitel mit dem nüchternen Titel „Standort, Industriepolitik, Bürokratieabbau und Kapitalmarkt“ auf der Agenda. Dass es hier politisch ans Eingemachte geht, spiegelt die schwergewichtige Teilnehmerliste wider. Für die ÖVP verhandeln IV-Generalsekretär Christoph Neumayer, Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger und die oberösterreichische Landesrätin Doris Hummer. Das SPÖ-Team stellen: Wiens Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke, Langzeit-Mandatar und SPÖ-Finanzchef Christoph Matznetter, Pro-Ge-Gewerkschaftschef Reinhold Binder und SPÖ-Finanzsprecher Kai Jan Krainer. Die Neos sind durch Klubvize Nikolaus Scherak, die beiden frischgebackenen Neos-Mandatare Ex-Spitzenmanager Veit Dengler und Hotelier Dominik Oberhofer sowie zwei weitere Experten vertreten.
Marathon-Verhandlungen in Massenformation
Schwarz-Türkis, Rot und Pink haben sich einem Arbeitsprogramm zu sieben zentralen Themenfeldern von „Wirtschaft und Infrastruktur” bis „Bildung, Innovation und Zukunft” verschrieben.
Die sieben Cluster-Gruppen werden von je einem schwarz-türkisen und roten Politiker geleitet. Nur die Neos sind mit jeweils zwei Personen vertreten und machen so aus dem Leistung-Trio ein ungleichgewichtiges Leitungsquartett an der inhaltlichen Startrampe Richtung einer Drei-Koalition.
Unterhalb dieser Cluster sind bis zu sechs Untergruppen mit in der Regel zwölf (je vier von jeder der drei Parteien), aber da und dort mehr Mitgliedern angesiedelt. Rund dreihundert Köpfe zählt jener Braintrust, dem das Kunststück gelingen soll, fromme Wünsche wie diese unter einen Hut zu bringen: Steuererhöhungen für „die, die das schultern können”, so das neue Wording der Babler-SPÖ, anstelle des Rufs nach Reichen- und Erbschaftssteuern, und Steuerentlastungen für Arbeitnehmer und Unternehmer, so der weitgehend übereinstimmende Wunsch von ÖVP und Neos.
Auch wenn gut ein Dutzend Spitzenpolitiker gleich in mehreren Untergruppen als Verhandler sitzen, allein die inhaltliche und politische Koordination dieser rund 35 Kleingruppen ist eine monströse Management-Herausforderung.
Ampel-Schaltung für „Ömpel-Koalition“
Diese suchen die drei Parteien der gewünschten ersten heimischen Ampelkoalition (in Abgrenzung zur missglückten Deutschen gern „Ömpelkoalition“ gerufen), bereits bei den Verhandlungen mit einem Ampelsystem zu lösen: Wo bereits die Untergruppen zu einem Konsens finden, wird dieser mit einem Grün-Signal an die vierköpfige Cluster-Leitung weitergeleitet. Dort, wo noch inhaltlicher Debattenbedarf mit Aussicht auf Einigung besteht, wird das Programm-Kapitel mit einem gelben Ampelzeichen nach oben delegiert. Dort, wo der Befund „we agree to disagree” lautet, wird die heiße Kartoffel ungekühlt mit „Achtung Rot” weitergereicht.
Kommen auch die politischen Sous-Chefs in den sieben Themen-Clustergruppen auf keinen grünen Zweig, müssen die Chefverhandler, angeführt von den drei Parteiobleuten, ran.
Dazu kommt Zeitdruck. Spätestens Mitte Jänner soll nicht nur das Programm, sondern auch das Personal für ein Kabinett Nehammer/Babler/Meinl-Reisinger ausgedealt sein – so das Wunschdatum des präsumptiven alten und neuen Regierungschefs Karl Nehammer.
Sobotkas Zornausbruch bei Verhandlungsstart
Dementsprechend angespannt war dann auch die Stimmung, als die mehr als hundert ÖVP-Verhandler Montag vor einer Woche zu einer Auftaktbesprechung im großen Sitzungssaal des ÖVP-Parlamentsklubs zusammenkamen. Nach aufmunternden Begrüßungsworten des ÖVP- und Regierungschefs zogen sich die sieben Cluster-Leitungen mit ihren Untergruppen-Mitgliedern zu einem ersten Koordinationsmeeting zurück. Einige dieser Treffen verliefen ziemlich lautstark. In einigen Clustergruppen wurden moniert, dass die von Partei und Klub vorbereiteten Verhandlungsunterlagen nur an die Wand projiziert wurden. Im Cluster 7, wo die Weichen von der Schul- bis zur Kulturpolitik sowie von der Innovation bis zur Entbürokratisierung gestellt werden sollen, wurde zwar ein erstes schwarz-türkises Positionspapier für den Verhandlungsstart ausgeteilt. „Es bestand aber hauptsächlich aus Schlagwörtern und Überschriften und ein paar Kapiteln aus Nehammers Österreich-Planrede”, berichtet einer der Teilnehmer. Als dieses Papier dann auch noch wieder eingesammelt wurde (um – unausgesprochen – Indiskretionen, sprich die Weitergabe an Medien, zu vermeiden), entlud sich der Unwille nicht nur über die inhaltlich dünne Suppe, die als Verhandlungsmenü gereicht wurde, sondern auch der Umgang damit.
Allen voran tat Ex-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, der mit acht (!) anderen ÖVPlern die größte Untergruppe in Sachen Bildung und Wissenschaft bespielt, seinen Ärger kund. „Er geriert sich immer noch, als würde er weiter in der ÖVP den Ton angeben”, so ein teilnehmender Beobachter. Besonders gegen den Strich ging auch den Wirtschaftsvertreterinnen Therese Niss und Carmen Jeller-Cincelli, dass ihnen die präsentierten Verhandlungspapiere wie unzuverlässigen Schülern wieder aus der Hand genommen wurden.
ÖVP-Verhandler monieren „mangelnde Vorbereitung und Planlosigkeit“
Die dünnen Startpapiere sind da und dort bereits durch gehaltvollere Unterlagen ersetzt. Zehn Tage nach Start der offiziellen Verhandlungen orten Teilnehmer aber nach wie vor „mangelnde Vorbereitung und Planlosigkeit“.
„Vor fünf Jahren haben wir schon drei Monate vor der Wahl die Positionspapiere geschrieben und intern politisch akkordiert”, erinnert sich ein erfahrener Verhandler: „Es ist mir ein Rätsel, warum diesmal auch Wochen nach der Wahl nichts davon zu bemerken war.” Zumal ÖVP-intern schon lange vor dem 29. September politisch die Weichen Richtung einer Neuauflage der Zusammenarbeit der SPÖ gestellt waren.
SPÖ legt Wahlprogramm mit allen Steuerforderungen auf den Verhandlertisch
Ähnlich handgestrickt ging auch der mögliche künftige Koalitionspartner ans Werk. Noch rund um die erste Nationalratssitzung Ende Oktober wurde SPÖ-intern dazu aufgerufen, sein Interesse für eine oder mehrere Verhandlergruppen für das künftige Koalitionsabkommen zu melden.
„Zur ersten Sitzung in Sachen Wirtschaft und Steuern kamen die SPÖ-Verhandler dann nur mit dem ganzen alten Bauchladen aus dem Wahlprogramm, von der Vermögens- bis zur Übergewinnsteuer”, berichtet ein Teilnehmer ernüchtert. Vor allem in jenen Clustern und Untergruppen, wo es um Wirtschaft und Finanzen geht, steht die Verhandlungs-Ampel nach den ersten Runden auf grellrot.
Pinker Theaterdonner aus ernster Sorge
Mit einem bühnenreifen Auftritt des Neos-Vorzeige-Unternehmers und Co-Verhandlers Sepp Schellhorn („Ich bin einigermaßen überrascht, irgendwie enttäuscht und ein wenig erbost“) machten das die Neos trotz vereinbarten Stillschweigens über den Verhandlungsstand Mitte dieser Woche über die Bande auch öffentlich.
Als Aufhänger wählte die pinke Führung das vom grünen Beamtenminister Werner Kogler im Namen des schwarz-grünen Kabinetts paktierte Gehaltsplus von 3,5 Prozent für 2025 und die fixe Zusage, auf die Inflation 2026 in jedem Fall 0,3 Prozent draufzulegen.
Die Neos fühlten sich nicht nur übergangen. Sie erfuhren von diesem Vorgriff auf ihre mögliche Regierungszeit wie alle anderen Österreicher aus den Medien. Schellhorn monierte zudem, dass die Erhöhung weder im Budget 2025 gedeckt und angesichts des Milliardenlochs im Staatshaushalt 2026 schon gar nicht leistbar sei.
Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger deponierte zeitgleich diesen Dienstag im Kanzleramt ohne öffentliche Anteilnahme freundlich, aber bestimmt den dringenden Wunsch nach einem Gespräch der drei Verhandlungsspitzen noch am gleichen Tag. Karl Nehammer suchte sich erst mit Verweis auf das ohnehin für diesen Freitag geplante Routine-Treffen aus der Affäre ziehen, gab aber schließlich dem Drängen nach. Um den Krisengipfel als Routinetreffen zu camouflieren, wurde der Freitag-Termin offiziell auf Mittwoch vorgezogen. Am mittleren Nachmittag kam es zu einem zweistündigen Dreier-Gipfel, der in Wahrheit immer ein Sechser-Gipfel ist: Karl Nehammer in Begleitung seines Kabinettschefs Andreas Achatz, Andreas Babler in Begleitung von SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Sandra Breiteneder, und Beate Mein-Reisinger in Begleitung von Neos-Generalsekretär Douglas Hoyos-Trauttmansdorff.
Endgültiger Kassasturz nach Krach kommende Woche
Der erste Koalitionsverhandler-Krach wurde dann gemeinschaftlich heruntergespielt. Der Anlass des Treffens – der Protest der Neos gegen den eigenmächtigen „Vorgriff” von Schwarz-Rot auf’s gemeinsame Regieren bei der Beamten-Gehaltserhöhung – wurde in der danach veröffentlichten gemeinsamen Erklärung mit keinem Wort erwähnt.
Die Botschaft zwischen den Zeilen vermittelt aber, wie weit die drei Möchtegern-Koalitionäre noch auseinanderliegen. Meinl-Reisinger monierte „nochmals unsere Verantwortung für ein gemeinsames Verständnis über den Konsolidierungspfad, auch im Hinblick auf die laufenden Reformverhandlungen in den Untergruppen“. Babler wiederum deponierte in der gemeinsamen Aussendung: „In die Krise hineinzusparen“ sei der falsche Weg: „Neben ausgabenseitigen Maßnahmen wird kein Weg an einer einnahmenseitigen Konsolidierung vorbeiführen.“ Nehammer zog sich einmal mehr auf den Wunsch nach einem breiten „Bündnis der Mehrheit und der Vernunft aus der Mitte“ zurück.
Den Verlauf der Verhandlungen suchten alle drei gemeinsam trotz allem in ein gutes Licht zu rücken: „Wir machen Fortschritte.“
Der aktuell größte Mühlstein, der in Wahrheit hinter dem pinken Donnerwetter steht, ist freilich weiterhin nicht aus dem Weg geräumt: Nach wie vor liegt kein von allen drei Parteien abgesegneter Befund über das Budgetloch und den Sparbedarf für die kommenden fünf Jahre vor. Bis Ende kommender Woche sollen die Budget-Experten von schwarz, rot und pink – so die Vereinbarung beim Krisengipfel – nun endlich ein belastbares Ergebnis vorlegen.
Neue Hiobsbotschaften bei Pensionen und Budget befürchtet
Denn bislang verhandeln alle Cluster und Untergruppen in Sachen Sparbedarf und Budgetspielraum im Blindflug. In der Tat geistern sowohl in der öffentlichen Debatte als auch intern die unterschiedlichsten Milliarden-Beträge. In den kommenden Tagen werden zudem mit dem Bericht der Pensionskommission und den Budget-Vollzugszahlen für Oktober weitere neue Hiobsbotschaften erwartet.
„Es muss endlich eine politische Festlegung stattfinden, wo wir stehen und wie wir uns aus diesem Budgetloch mittelfristig rausbuddeln wollen, ohne gleichzeitig die Wirtschaft noch mehr abzuwürgen”, sagt ein Insider im Regierungsviertel.
Nächstes Störfeuer in Blau-Rot
Das nächste Störfeuer bei Schmieden des Dreierbunds ist aber schon am Horizont absehbar, auch wenn es diesmal nicht unmittelbar aus den eigenen Verhandlerreihen kommt.
Nach dem desaströsen Absturz der ÖVP und dem unerwartet hohen Sieg der FPÖ stehen in der Steiermark alle Zeichen auf eine blau-rote Koalition. Ein Tabubruch in der SPÖ, der nicht nur die ohnehin fragile Autorität von SPÖ-Chef Andreas Babler noch mehr ins Wanken bringt. Babler lehnt zwar eine Zusammenarbeit mit der FPÖ weiter vehement ab, spielt bei der Willensbildung seiner steirischen Genossen aber nicht einmal eine Nebenrolle.
Der blau-roten Koalition in der Steiermark könnte nach der Landtagswahl am 19. Jänner bald ein rot-blaues Bündnis im Burgenland folgen. Der von Herbert Kickl in seine Heimat remigrierte Ex-FPÖ-Chef Norbert Hofer ist dabei, SPÖ-Landeshauptmann Hans Peter Doskozil seine Mehrheit streitig zu machen.
Nachdem aber beide persönlich und politisch gut miteinander können, ist der Weg zu Rot-Blau im Fall des Falles mehr als wahrscheinlich.
Doskozils späte Rache an Babler
Mit Blau-Rot in der Steiermark und Rot-Blau im Burgenland drückt der knapp an Andreas Babler als SPÖ-Bundesparteichef gescheiterte Hans Peter Doskozil der Partei damit weitaus stärker seinen Stempel auf als der derzeitige Hausherr in der Parteizentrale in der Löwelstraße.
Das ist kein Zufall, sondern Ergebnis einer Strategie. Die Fäden in der Steiermark Richtung Rot-Blau zieht schon seit Monaten Doskozil-Promotor Max Lercher. Der ehemalige steirische SPÖ-Landesparteisekretär wurde nach der Kür Bablers von Doskozil als Renner-Instituts-Chef in Eisenstadt installiert, ging aber dem steirischen SPÖ-Chef Anton Lang als Intimus-Kenner der steirischen Genossen weiter als Berater und Strippenzieher zur Hand.
Neue Trumpfkarte Kickls für Blau-Schwarz
Schon ein FPÖ-Landeshauptmann in der Steiermark von roten Gnaden wäre zudem ein Triumph für Herbert Kickl. Und eine Trumpfkarte, mit der die Fans von Blau-Schwarz in der ÖVP noch stärker locken könnte: Wenn ihm die ÖVP weiter die kalte Schulter zeige, dann könne er bald vielfach anders.
Noch hat sich FPÖ-Chef Mario Kunasek nicht endgültig erklärt, mit wem er eher ein Regierungsbündnis schmieden will. „In der ÖVP würden viele sogar ihre Großmutter opfern, um in der Regierung zu bleiben“, sagt ein führender steirischer Genosse. „Aber die FPÖ hat uns auf vielen Ebenen schon signalisiert, warum sie uns mehr vertraut als der ÖVP.“