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„Politik Backstage“: Comeback von Kurz bitte warten, neue FPÖ-Verschwörungsfantasien

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Ex-Bundeskanzler Kurz hat sich die ÖVP-internen Reaktionen auf seine mögliche Rückkehr anders vorgestellt. 

©APA/EVA MANHART
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Wie sich Kurz als Nehammer-Nachfolger ins Spiel brachte, aber kalte Füße bekam. Warum Stocker zum kleinsten gemeinsamen Nenner dreier widerstreitender ÖVP-Lager wurde. Weshalb Kickl & Co. hinter der Edtstadler-Kür zur neuen Frontfrau von Schwarz-Blau in Salzburg eine massive Finte wittern.

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Wer dieser Tage Sebastian Kurz über den Weg läuft und diesen auf die Stunden nach dem Rücktritt von Karl Nehammer als Kanzler und ÖVP-Chef anspricht, dem gegenüber zückt der jüngste Altkanzler sein Handy, erzählen mehrfach teilnehmende Beobachter.

Kurz präsentiert seinem Gegenüber den Screenshot einer App, die das persönliche Wohlbefinden anhand von Parametern wie Puls, Blutdruck und ähnlichen Indikatoren misst. In den ersten Tagen des neuen Jahres weist die Feelgood-App höchstmögliche Werte von nahezu hundert Prozent aus. Mit Beginn des vergangenen Wochenendes gleicht der Verlauf jedoch einem dramatischen Börsenabsturz. Statt zuletzt permanent 98 Prozent weist die App plötzlich 18, 16 oder weniger Prozent des größtmöglichen Wohlbefindens aus. Sobald aber am Tag vor dem Dreikönigsfest Christian Stocker den Posten des ÖVP-Chefs und ÖVP-Koalitionschefverhandlers übernimmt, pendelt sich das Wohlbefinden des Handy-Aficionados wieder auf ruhige Feiertagswerte ein.

Kurz-Handy in neuer Schlüsselrolle

Für einen, der nach eigener Darstellung vor mehr als drei Jahren mit dem Kapitel Politik abgeschlossen hat und seither nur noch Unternehmer und Investor sein will, ist der dramatische Kurvenverlauf seiner Stresswerte ob eines politisch bewegten Wochenendes mehr als ungewöhnlich.

Spätestens seitdem ist für den letzten Ungläubigen in der ÖVP und weit darüber hinaus klar geworden: Sebastian Kurz hat mit der Politik noch lange nicht abgeschlossen. Denn das Faktum schmerzt mehr denn je, ausgerechnet auf Druck des ehemaligen grünen Koalitionspartners nach einer spektakulären Hausdurchsuchung (und neuem Belastungsmaterial in Sachen des Vorwurfs von Inseratenkorruption) von den ÖVP-Landeshauptleuten im Oktober 2021vor die Kanzleramtstür gesetzt worden zu sein. Schon rund um die für die ÖVP tückenreichen letzten beiden Wahlgänge zum EU-Parlament und zum heimischen Nationalrat lauerten Kurz und seine nach wie vor breit gestreuten Anhänger innerhalb der ÖVP auf die Chance, diese Scharte auszuwetzen. 

Neustart-Chance für Türkis-Blau, die Zweite?

Mit dem Rücktritt seines Nachfolgers nach Scheitern der Anti-Kickl-Koalition sahen Kurz & Co. das bislang bestmögliche Sprungbrett für ein Comeback von Türkis-Blau. Als Nachfolger Nehammers drängte sich niemand auf, der bei den Schlüsselkräften der Partei auf Anhieb überzeugte.

Aus dem Kurz-Lager ist zu vernehmen: Weit über die bislang in der ÖVP maßgebliche ÖVP-Niederösterreich hinaus habe sich lauffeuerartig der Ruf breit gemacht, nur Kurz könne einmal mehr die Partei aus dem Umfragetief und der drohenden tödlichen Umarmung durch die Blauen retten. Mit einer Neuwahl, danach umgedrehter Aufstellung am Siegerpodest zugunsten der ÖVP und damit einer Chance auf Türkis-Blau, die Zweite.

Kurz’ plötzliche Stresssymptome, so die en passant eingestreute Interpretation, seien daher kein Wunder. Sobald nach dem Wochenende mit der Kür Christian Stockers als Nehammer-Nachfolger dieser Druck nachgelassen habe, hätte sich auch das alte Wohlbefinden wieder schlagartig eingestellt.

ÖVP-Länder: „Kurz-Leute haben massiv angedrückt“

Nicht nur in den westlichen ÖVP-Bundesländern erzählt man sich den Ablauf der 48 Stunden rund um das jähe Ende der Ära Nehammer etwas anders: „Die Kurz-Leute haben massiv angedrückt und sich als Ausweg aus der Misere angeboten.“

Mehrfach verbürgtes Fakt ist etwa, dass die Botschaft vom Angebot eines Kurz-Comebacks auch bei Salzburgs Noch-Landeshauptmann und ÖVP-Grandseigneur Wilfried Haslauer vergangenen Samstag derart massiv aufschlug, dass er seinen Stellvertreter in Partei und Regierung, Stefan Schnöll, dringend beauftragte, auszuloten, wie ernst es Kurz sei, die Nachfolge seines Nachfolgers zu übernehmen.

Alte Junge-ÖVP-Seilschaften

Schnöll und Kurz sind nicht nur etwa gleichaltrig, sondern nach wie vor enge politische, aber auch private Vertraute. Schnöll war nicht nur Kurz’ Generalsekretär in dessen Zeit als Obmann der Jungen ÖVP, sondern auch sein unmittelbarer Nachfolger als Chef der türkisen Jugendorganisation.

Die Botschaft, mit der Schnöll von seinem JVP-Buddy zurückkam, war eindeutig: Kurz und sein engster Kreis wollen, wenn irgend möglich, zurück. 

Nicht gerade enthusiastisches, aber eindeutiges Feedback von Haslauer: Wenn Kurz glaubt, es geht, dann soll er es probieren. Ähnlich pragmatisch war das Echo aus den meisten anderen Bundesländern. Die größte Zurückhaltung signalisierte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer, der einmal mehr seinen Ex-Landesrat und frischgebackenen Wirtschaftskammer-Generalsekretär Wolfgang Hattmannsdorfer als Kronprinzen ins Spiel brachte.

„Wenn die Partie zurückkommt, ist das nicht mehr meine Partei“

In anderen politischen Lagern will man gar den Stelzer-Satz in Sachen Kurz-Comeback vernommen haben: „Wenn die Partie zurückkommt, dann ist das nicht mehr meine Partei.“ Ein knackiger und nicht unplausibler Sager, der in oberösterreichischen ÖVP-Kreisen kursiert, aber nicht eindeutig Stelzer zugeordnet werden kann. 

Das stärkste Backing für eine Wiederkehr hatte Kurz bei Spitzenfunktionären im NÖ-Bauernbund und in der Folge auch bei Niederösterreichs Landeschefin Johanna Mikl-Leitner. 

Ebbe in der Parteikasse, Gegenwind vom Boulevard

Im Auge hatte der zuletzt zweimalige ÖVP-Wahlgewinner anfangs primär den Weg über umgehende Neuwahlen. In vielen Telefonaten und spontanen Runden wurde allerdings bald deutlich, dass die Neuwahloption unerwartet viele Tücken hätte. In den ohnehin klammen Parteikassen  herrscht nach mehreren verlorenen Wahlen ob der nur noch tröpfelnden Steuergeldspritzen Ebbe. Die Aussicht auf weitere Monate Stillstand in Zeiten vielfacher Krisen wäre auch nicht gerade populär. Zusätzlich mehrten sich die Bedenken, ob die sehr selbstbewusste türkise Sicht, die FPÖ als Nummer eins neuerlich aus dem Feld zu schlagen, einem Reality-Check standhält. 

Und in den Augen von Kurz & Co. weder last noch least: Der bislang gewohnte Rückhalt in den Boulevard-Medien schien diesmal alles andere als garantiert. Das online und gedruckt sehr reichweitenstarke Gratismedium „Heute“ hat seine Gunst schon länger neu vergeben und bietet den Blauen im medialen Umfeld vergleichsweise auffällig oft und breit eine Bühne.

Benko-Buddy als „Krone“-Hürde

„Krone“-Chef Christoph Dichand hat die in und auch nach Kanzler-Zeiten gepflegte Nähe von Sebastian Kurz zu seinem Intimfeind René Benko nicht vergessen. Der „Krone“-Lenker ließ seine erkaltete Zuneigung – diplomatisch verbrämt – so wissen, erzählt man sich im Regierungsviertel: Er fürchte, dass im Zuge der juristischen Aufarbeitung der Affäre um die Milliardenpleite des gefallenen Immobilien-Tycoons auch neuer Schatten auf dessen Polit-Protegé und Geschäftspartner Kurz fallen könnte.

Als dann auch noch eine Blitzumfrage des „Krone“-Meinungsforschers Christoph Haselmayer nicht einmal 48 Stunden nach dem Platzen der Dreier-Koalition die Bedenken gegen ein Comeback generell bestätigten, bekamen Kurz & Co. endgültig kalte Füße: „Rückkehr des Ex-Kanzlers? 71 Prozent wären dagegen!“ textete die „Krone“ am Tag nach dem für alle total überraschenden Nehammer-Aus. „Besonders erhellend“ war für die „Krone“ auch, dass sich 50 Prozent der ÖVP-Wähler nicht für ein Kurz-Comeback erwärmen könnten. Resümee des Krone-Demoskopen Haselmayer: „Sebastian Kurz scheint nicht mehr der Heilsbringer der ÖVP zu sein.“

Kickl-Vize Kurz, ein No-Go

Die alternative Perspektive, ohne Neuwahl als Vizekanzler von Herbert Kickl neu durchzustarten, erschien Kurz & Co. von vornherein wenig prickelnd. Auch wenn sich die beiden schon vor Monaten über den politischen und persönlichen Crash nach Ibiza ausgesprochen haben, Freunde werden Kurz und Kickl in diesem Leben nicht mehr. 

Macht ausgerechnet Kurz als ÖVP-Chef und Vizekanzler just dem auch international argwöhnisch beäugten Oberblauen den Steigbügelhalter, würde der Altkanzler damit auch das Vertrauen von Teilen seines Netzwerks in den USA und in Israel riskieren.

Den letzten Anstoß zur endgültigen Absage, seinen Nachfolger zu beerben, gab das Großklima in der ÖVP: „Eine nicht unmaßgebliche Rolle hat gespielt, dass die Partei nicht komplett dahinter gestanden ist“, sagt ein ÖVP-Insider: „Kurz hatte erwartet, dass ihm alle in der ÖVP den roten Teppich legen. Statt Gott-sei-Dank-Du-bist-wieder-da-Huldigungen hieß es eher: Probieren wir es halt noch einmal, wenn du kannst und willst.“

Niederlage als Sieg umgedeutet

Der Anhänger eines extensiven Polit-Marketings hat trotz dieses Rückschlags den Einsatz der richtigen Tools zur Kommunikation in eigener Sache nicht verlernt. Mit der offensiven Präsentation des Screenshots seiner Feelgood-App versucht Kurz nun aus einer politischen Niederlage nach außen einen persönlichen Komfortgewinn zu machen. Sprich: Nach dem endgültigen Platzen der Koalitionsgespräche habe er ob der vielen Anfragen nach einem Comeback zwar reichlich Stress gehabt. Nachdem dieser Kelch aber an ihm vorübergegangen ist, sei er wieder mit sich im Reinen – und abseits der Politik wieder die Ruhe selbst. 

Kleinster gemeinsamer Nenner Stocker

Die Kür von Christian Stocker zum möglichen ersten ÖVP-Vizekanzler unter einem blauen Regierungschef war dann der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die widerstreitenden Lager in der ÖVP vergangenes Wochenende einigen konnten.

Das nach wie vor gut gepolsterte Lager der Kurz-Anhänger ging ob der riskanten Aussichten einmal mehr in Warteposition. Der größte Kurz-Skeptiker, Oberösterreichs Thomas Stelzer, wiederum schaffte es nicht, seinen bundespolitisch vollkommen unerprobten Favoriten Wolfgang Hattmannsdorfer als Nehammer-Ersatz durchzubringen. 

Die von einem dritten Lager der Partei favorisierte Ex-Verfassungs- und EU-Ministerin Karoline Edtstadler hatte von vornherein als schwarz-türkise Trümmerfrau abgesagt. Prima vista wegen ihres belasteten Verhältnisses zu Herbert Kickl. Am Ende aber in erster Linie wegen einer bereits Tage vor dem Platzen der Dreier-Koalition paktierten Weichenstellung in ihrem Heimatbundesland Salzburg. 

Mehrere voneinander unabhängige Quellen beschreiben den Ablauf der Kür von Edtstadler zur Nachfolgerin von Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer so: Bereits in den Tagen zwischen Weihnachten und Silvester, als auch in der ÖVP viele noch an eine Koalition zwischen Nehammer, Babler & Meinl-Reisinger glaubten, machte Haslauer Edtstadler das Angebot, beim für 2025 geplanten Aufstieg von Stefan Schnöll zu seinem Nachfolger als Landes-Vize zu fungieren. Edtstadler sagte zu. 

Edtstadler als Haslauer-Nachfolgerin bereits vor Scheitern des Dreiers paktiert

Bei einem für den zweiten Tag des neuen Jahres geplanten einschlägigen Sechs-Augen-Gespräch eröffnete Haslauers langjähriger Kronprinz Stefan Schnöll zur Überraschung aller Beteiligten, dass er die Rochade lieber andersrum hätte: Edtstadler als Landeshauptfrau und er als ihr Stellvertreter. „Der Stefan hatte schon davor immer wieder Bedenken gehabt, dass seine Familie und insbesondere seine beiden kleinen Kinder, die gerade zwei und vier Jahre alt sind, zu kurz kommen“, so ein ÖVP-Mann. Schnöll wolle daher, sekundiert ein anderer VP-Mann, „bewusst nicht in die erste Reihe aufrücken“. Kenner des 36-jährigen Landespolitikers nehmen ihm dieses Motiv ohne Wenn und Aber ab: „Da gibt es keinen doppelten Boden.“

Neuer ÖVP-Finten-Alarm bei den Blauen

Im Lager der Blauen geben sich nicht nur die Salzburger Funktionäre, sondern auch die FPÖ-Koalitionsverhandler fürs Erste alarmiert. Sowohl Zeitpunkt als auch Personenwahl irritieren Kickl & Co. massiv. Würden hier bereits jene „Tricks und Spielchen“ offenbar, vor denen der FPÖ-Chef die ÖVP in seiner mit Demütigungsgesten gespickten Einladungsrede zu Koalitionsverhandlungen gewarnt hatte?

ÖVP-Mittler, die halbwegs Vertrauen beim nun massiv misstrauischen letzten verbliebenen Koalitionsoptionspartner genießen, mühten sich in den Stunden nach dem Medienauftritt von Haslauer und Edtstadler umgehend, grassierende blaue Verschwörungsfantasien durch eine nüchterne Darstellung des Ablaufs aus der Welt zur schaffen: Karoline Edtstadlers Kür zum Vis-à-vis der blauen Hoffnungsfigur Marlene Svazek sei kein „Legerl“ gegenüber ihrem Widersacher aus gemeinsamen Innenministeriumstagen. Die Entscheidung sei bereits Tage vor Platzen des Polit-Dreiers gefallen – und damit bevor Herbert Kickls FPÖ nun auch auf Bundesebene doch noch ins Koalitionsspiel gekommen ist. Ein im anlaufenden Verhandlungsprozess involvierter ÖVP-Mann resümiert etwas ernüchtert: „Wenn das zu einem Casus belli wird, dann sehe ich jetzt schon für eine halbwegs vernünftige Zusammenarbeit schwarz.“ 

Politik Backstage

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