
Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) tänzelt „sympathisch auf rohen Eiern“ um das wohl bevorstehende Defizitverfahren.
©APA/HELMUT FOHRINGERWie das bereits 2023 absehbare Milliardenloch von der ÖVP in Wahlkampfpanik verschleiert wurde. Warum das desaströse Budgetdefizit noch vor Vollzug des ersten 6-Milliarden-Sparpakets weiter explodiert. Wo Finanzminister Marterbauer schon jetzt auf Granit zu beißen droht.
von
- Warum Türkis-Rot-Pink stundenlang um ein einziges Füllwort rangen
- Marterbauers sympathischer Eiertanz
- 1,1 Milliarden an Spar-Eigenleistung der Ministerien „nicht zu machen“
- Tag der endgültigen Milliarden-Schulden-Wahrheit
- Beamte schlugen schon im Spätsommer 2023 EU-Defizitverfahren-Alarm
- Politische Kabinette statt sachkundige Beamte
- Roter Generalsekretär dreht Wunschjob von Brunners Vize-Kabinettschef ab
Um diesen einen Satz wurde beim zweiten Anlauf für eine Türkis-Rot-Pinke Koalition in mehreren Anläufen „in Summe gut fünf Stunden“ gerungen, erinnert sich ein teilnehmender Beobachter. Es ging, wie immer am Ende bei Ehe- oder Scheidungsverträgen, ums Geld. Im Fall des Dreibunds Christian Stocker, Andreas Babler und Beate Meinl-Reisinger um die Frage: Was tun, wenn wir mit der eben vereinbarten milliardenschweren Spar-Mitgift doch nicht auskommen und sich das Loch in der Haushaltskasse noch viel größer als die 6,3 Milliarden (für 2025) und 8,7 Milliarden (für 2026) auftut? Schließlich war das unausgesprochen schon damals zu befürchten.
Bei der möglichen Antwort auf diese Gretchenfrage stand es kurz vor Abschluss des Koalitionsvertrages in den letzten Februartagen anfangs über Stunden 2:1. Ein Anfang, dem kein Zauber, sondern der Keim des lebensbedrohlichen Dauerzwists innewohnte. Türkis und Pink plädierten eisern dagegen, für den Fall einer neuen Hiobsbotschaft in Sachen Budgetloch das paktierte Sparpaket neu aufzuschnüren und so, wenn irgend möglich, ein Verfahren wegen „Übermäßigen Defizits“ (ÜD) durch die EU zu vermeiden.
ÖVP und Neos fürchteten für den Fall nicht primär die blaue Killerphrase „Die Regierung steht nun endgültig unter Kuratel von Brüssel“. Denn im Status des Defizitsünders muss der Finanzminister alle Maßnahmen beim Vollzug des Staatshaushalts vierteljährlich mit der EU-Kommission abstimmen. Türkis-Pink fürchteten vielmehr, dies werde unweigerlich die Kredit-Zinsen für den Staat aber vor allem für die Wirtschaft verteuern, weil die Finanzmärkte generell ein schärferes Auge auf die Bonität in Österreich legen würden.
Das rote Drittel im Aufgebot für die Dreierkoalition hielt ebenso eisern dagegen: Ein zusätzliches Sparpaket würde die Chancen für einen Restart der Konjunktur in einer bereits mehr als zwei Jahre bleiernen Rezessionsphase massiv beschweren.
Warum Türkis-Rot-Pink stundenlang um ein einziges Füllwort rangen
Die Folge war ein stundenlanges Ringen um ein prima vista vollkommen harmloses Füllwort in einem einzigen Satz. Das Team Stocker & Meinl-Reisinger bot folgende Formulierung an, um das gemeinsame Bekenntnis zum paktieren Sparpaket und gegen ein ÜD-Verfahren so im Koalitionspakt zu verankern: „Uns eint das Ziel, ein Defizitverfahren jedenfalls zu verhindern, dafür haben wir ein Maßnahmenpaket von mehr als 6,4 Milliarden Euro für 2025 und 8,7 Milliarden für 2026 vorgesehen.“
Damit, so Türkis-Pink, würde man ein grundsätzliches Bekenntnis gegen ein ÜD-Verfahren vereinbaren, lasse aber – mit dem Verweis auf das bereits paktierte Sparpaket – die Möglichkeit offen, sich doch – wenn alle Milliardenstricke reißen – ohne beidseitigen Gesichtsverlust einem Defizitverfahren zu unterwerfen.
Njet, hieß es seitens Rot. Mit „jedenfalls verhindern“ würde die SPÖ implizit einem zusätzlichen Sparpaket zur Vermeidung des Defizitverfahrens ohne Wenn und Aber zustimmen. Sorry, no way.
Im Koalitionsvertrag findet sich daher auf Seite 15 ein Kompromiss, in dem das plötzlich höchst bedeutungsschwangere Füllwort von der siebenten Stelle des Satzes an die dritte gerückt wurde und damit endgültig grünes Licht für Türkis-Rot-Pink angefacht werden konnte: „Uns eint jedenfalls das Ziel, ein Defizitverfahren zu verhindern, dafür haben wir ein Maßnahmenpaket von mehr als 6,4 Milliarden Euro für 2025 und 8,7 Milliarden für 2026 vorgesehen.“
Anfang dieser Woche räsonierte ein teilnehmender Beobachter des stundenlangen Feilschens um den Kompromiss-Satz in Sachen EU-Defizitverfahren: „Diesen Zinnober hätten wir uns schon damals ersparen können.“
Sprich, unter Auskennern in Sachen Staatshaushalt und Wirtschaftslage war schon damals klar: Ein zwar schon in Konturen absehbares zusätzliches Sparpaket würde am Ende keine der beiden tragenden Säulen der Koalition politisch aushalten. Zumal sowohl bei der SPÖ als auch bei der ÖVP neuerdings die Sozialpartner wieder stärker den Ton angeben und gemeinsam überzeugt sind: Übermäßiges Sparen des Staates schadet am Ende allen – von den Arbeitnehmern bis zu den Arbeitgebern.
Marterbauers sympathischer Eiertanz
Ohne die schlechte Nachricht klar auszusprechen, signalisieren von einem sympathisch auf rohen Eiern tänzelnden Finanzminister Markus Marterbauer abwärts alle wesentlichen Koalitionsplayer: Nach acht EU-Ländern scheint ein Defizitverfahren auch für Österreich so unvermeidlich wie das Amen im Gebet. Einer Einsicht, der sich auch die Neos nicht entziehen wollen – ohne nicht ostentativ zu monieren, dabei das Sparpotential in den Strukturen nicht aus dem Auge zu verlieren.
Denn inzwischen haben auch immer mehr Pinke ihr ernüchterndes Rendezvous mit der harten Realität des Rollenwechsels in der Politik. „Es ist ein himmelhoher Unterschied, in der Opposition zu sein oder in der Regierung zu sitzen“, sagt eine pinke Mandatarin. Abstrakte Zahlen wie die Einsparung von 1,1 Milliarden nehmen sich als schweißtreibende und zunehmend auch unüberwindliche Hürden aus: „Ich habe große Zweifel, ob und wie wir das in dem Umfang schaffen werden.“
1,1 Milliarden an Spar-Eigenleistung der Ministerien „nicht zu machen“
Mit dem – budgetär – kleinen Außenamt und – ausgabenseitig – großen Bildungsministerium haben die Neos nur einen vergleichsweise kleinen Teil der angepeilten Einspar-Milliarde beim Sachaufwand zu stemmen. Langjährige Insider im Finanzressort lassen auf Nachfrage unter vier Augen auch unumwunden wissen: „Über eine Milliarde ist beim Sachaufwand in so kurzer Zeit beim besten Willen nicht mehr zu machen.“
Den Budgetsanierern läuft schlicht die Zeit davon: Das Gros des Milliardenpakets könnte etappenweise erst ab Jahresmitte zur Gänze zu heben sein. Die Einschnitte müssten daher in der zweiten Jahreshälfte überdurchschnittlich hoch ausfallen – aus Sicht von Budget-Kennern ein Himmelpforts-Kommando.
Da hilft es wenig, dass mangels ordentlichen Budgets 2025 (dafür reichte wegen der bevorstehenden Wahl die politische Kraft nicht mehr) die Gelder des Budgets 2024 auch heuer ohne jede Valorisierung und nur in Zwölftel-Portionen monatlich ausgegeben werden dürfen.
Tag der endgültigen Milliarden-Schulden-Wahrheit
Kommenden Montag sind nun die ultimativen Zahlen für die sogenannte „Maastricht-Notification“ für Brüssel fällig. Länder, Gemeinden und Sozialversicherung müssen am 31. März ihre Vollzugs-Zahlen bei der Statistik Austria einmelden. Dann wird endgültig feststehen, wie groß das Finanzloch in den Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden 2024 tatsächlich geworden ist. Ein nun auch von WIFO und IHS konstatiertes Minus beim BIP für 2025, damit ein drittes Rezessionsjahr in Folge und ein noch tieferes Budgetloch für 2024 ergeben eine zusätzliche, toxische Doppel-Dosis beim Mixen des Doppelstaatshaushalts 2025/26.
Was hinter den Kulissen mit jeder neuen zu viel ausgegebenen Milliarde für immer mehr Diskussionen sorgt: Wie konnte es so weit kommen, dass der Staatshaushalt derart desaströs aus dem Ruder lief? Christoph Badelt, Chef des Fiskalrats, und WIFO-Chef Gabriel Felbermayr sahen schon Monate vor dem Wahltag am 29. September 2024 ein EU-Defizitverfahren als unausweichlich und mahnten ein Sparpaket ein. Kanzler und Finanzminister setzten weiter auf „Augen zu und durch“: Österreich würde unter der Drei-Prozent-Maastricht-Grenze bleiben und sich dank eines wachsenden Steuerkuchens Budgeteinschnitte ersparen.
Beamte schlugen schon im Spätsommer 2023 EU-Defizitverfahren-Alarm
Das ÖVP-Duo Karl Nehammer und Magnus Brunner legte dem Nationalrat im Oktober 2023 so auch ein Budget vor, das knapp, aber doch unter dem EU-Damoklesschwert eines Defizitverfahrens dahinsegelte. Im Finanzministerium schrillten freilich intern schon Wochen vor der letzten Budgetrede von Magnus Brunner die Alarmglocken: Eine erste finale Einnahmen-und-Ausgaben-Rechnung für 2024 hatte ein sattes Milliarden-Minus mit der alarmierenden Defizitquote von rund 3,3 Prozent des BIP ergeben.
Just im Superwahljahr 2024 hätte so wohl unvermeidlich ein EU-Defizitverfahren gedroht. Das wollten Nehammer und Brunner offenbar mit allen Mitteln verhindern. Zumal der gute Ruf der ÖVP generell und speziell auch als „Wirtschaftspartei“ ohnehin schon vielfach angeknackst war. Bei einem Defizit von mehr als drei Prozent würden sich viele Fragen stellen, die sich zwar erst an den Finanzminister richten, aber schlussendlich am Kanzler hängen bleiben würden.
Auf der Ausgabenseite war zum Zeitpunkt des schrillenden internen Defizitverfahrens-Alarms angesichts eines mit allen türkis-grünen Ressorts längst ausverhandelten Zahlenwerks nicht mehr spielentscheidend zu rütteln. Die türkisen Budgetarchitekten suchten daher last minute an der Einnahmenseite zu drehen. Statt eines bis dahin negativen Saldos bei Ländern und Gemeinden wurde nun plötzlich ein Einnahmenplus in dreistelliger Millionenhöhe statt eines Milliarden-Minus angenommen.
Diesen Montag wird nun auf Punkt und Beistrich feststehen, was intern beim letzten Budget von Nehammer, Brunner & Kogler im Herbst 2023 längst absehbar war: Der Bund musste am Ende weitaus mehr Milliarden Richtung Gemeinden und Länder schieben, als sehenden Auges schlicht falsch budgetiert wurde.
Politische Kabinette statt sachkundige Beamte
Für langjährige Kenner des Innenlebens des Finanzministeriums steht fest. Das Budgetdesaster ist auch ein Lehrstück dafür, was es die Republik kostet, wenn ein fachkundiger Beamtenapparat weitgehend ausgebremst wird und ein politisch besetztes Minister-Kabinett primär das Budget-Ruder übernimmt. „Die Regie bei der Budgeterstellung hat Vize-Kabinettschef Manuel Zahrer und nicht die zuständige Budgetsektion geführt“, sagt ein Ressort-Insider. „Das alles in enger Abstimmung mit dem Kabinett des Bundeskanzlers.“
Den Budgetbastlern in den Kabinetten sei zupass gekommen, dass zuvor – wohl nicht ohne Hintergedanken – die Führung der an sich zuständigen Budgetsektion doppelt geschwächt worden war. Über den Staatshaushalt hatte bis zu seiner Bestellung zum Chef der Bundespensionskasse Dietmar Schuster gewacht, ein treuer Soldat mehrerer ÖVP-Ressortchefs und Weggefährte von Thomas Schmid in dessen Zeit als Generalsekretär im Finanzministerium.
Bei der finalen Erstellung des Desaster-Budgets 2024 blieb nach dem Abgang Schusters die Leitung der Budget-Sektion monatelang nur interimistisch besetzt. Der Leitungsposten in der Budget-Sektion wurde erst Monate nach Verabschiedung des Budgets 2024 im Dezember 2023 auf Dauer nachbesetzt. Dabei wurde just auch die - in den Augen auch ÖVP-naher Ressort-Insider - einzige logische Nachfolgerin, Kristina Fuchs, übergangen.
Eine nachträglich kurzsichtige Entscheidung: Fuchs bewarb sich erfolgreich um die Leitung des Budgetdiensts im Parlament und schaut nun von dort aus den Nachfolgern von ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner im Auftrag der Volksvertreter unbestechlich kritischer und fachkundiger denn je auf die Finger.
Auch Manuel Zahrer, der unter Interims-Finanzminister Gunter Mayr im Kabinett vom Stellvertreter zum Kabinettschef aufstieg, sah mit der Abgabe der langjährigen ÖVP-Bastion an die SPÖ seine Tage im Ressort nolens volens gezählt. Der Anfang-Vierziger hatte bis zu seinem Einstieg in die Kabinettsarbeit – erst unter Sebastian Kurz im Kanzleramt und dann noch im Finanzministerium – acht Jahre beim IT-Unternehmen Dell in Abu Dhabi gearbeitet. Offenbar wollte er an diese Erfahrung anschließen und sich vom Außenamt als Finanzattaché in den neuen wirtschaftlichen Hotspot im Mittleren Osten entsenden lassen. Eigene Finanzattachés gibt es allerdings bislang nur an den Botschaften in Brüssel (in Sachen EU), in Paris (in Sachen OECD) und in Washington (in Sachen IWF).
Die von langer Hand mit 1. April geplante Übersiedlung des Ex-Kabinettschefs als Finanzattachés nach Dubai wurde jüngst aufsehenerregenderweise zehn Tage vor Amtsantritt von den neuen Machthabern im Finanzministerium unterbunden. Zum einen stellte sich aus Sicht der neuen Ressortführung die Sinnfrage: Intern war der für Zahrer maßgeschneiderte neue Job anfangs damit argumentiert worden, der Finanzattaché solle im Auftrag des Eigentümervertreters zuvorderst die Beziehungen zu den OMV-Miteigentümern im Wüstenstaat pflegen. Alles in allem eine Argumentation, die mit der zwischen Türkis und Rot vereinbarten Verlagerung der Eigentümervertreter-Rolle in der ÖBAG vom Finanz- zum Wirtschaftsministerium zusätzlich über Nacht an Stichhaltigkeit einbüßte.
Roter Generalsekretär dreht Wunschjob von Brunners Vize-Kabinettschef ab
Für erhöhte Aufmerksamkeit im Regierungsviertel für die pikante Personalie im Finanzressort sorgt darüber hinaus: An der seidenen Schnur für den früheren Kabinettschef hat zuvorderst der neue Generalsekretär im Finanzministerium mitgewebt.
Der nach dem folgenreichen Wirken von Thomas Schmid von der SPÖ-Opposition massiv in Frage gestellte und von ÖVP-Finanzminister Magnus Brunner diskret entsorgte Spitzenjob des mächtigen Generalsekretär des Finanzministeriums (dieser ist bis hin zum kleinen Finanzbeamten vor Ort weisungsberechtigt) war jüngst mit dem roten Staatsdiener Stefan Imhof besetzt worden. Der gelernte Volkswirt mit internationaler Ausbildung und Erfahrung (etwa als Mitarbeiter im britischen Finanzministerium) war beim Start von Türkis-Blau 2017 als Chef der im Regierungsalltag gewichtigen Sektion IV im Kanzleramt für EU und internationale Angelegenheiten im Regierungsviertel jahrelang eine große Nummer.
Von Sebastian Kurz wurde der Spitzenbeamte Stefan Imhof gleich nach Amtsantritt als Kanzler kalt abserviert und durch einen Vertrauensmann aus dem Diplomatenstab ersetzt. Die vergangenen sieben Jahre überwinterte Imhof in diversen Funktionen, zuletzt als Präsidialchef von Vizekanzler Werner Kogler. Stefan Imhof hat, erzählt man sich auch in türkisen Zirkeln, so mit der alten und neuen ÖVP wohl noch ein Bündel an Rechnungen offen.
Als zentrales Motiv der neuen Ressortführung für eine der ersten spektakulären Personal-Maßnahmen geht im Finanzministerium aber diese Darstellung um: Wenn schon der Kanzler und Finanzminister als Hauptverantwortliche nicht mehr greifbar sind, wäre es, so das kolportierte Ondit, „total gegen den Strich gegangen, einen Mitverantwortlichen für das Budgetdesaster, das wir jetzt ausbaden müssen, auch noch mit seinem Wunschjob zu belohnen“.