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„Politik Backstage“: Neues Milliardenloch als Morgengabe

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Pressefoyer mit Staatssekretär Jörg Leichtfried (SPÖ), Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), Bundeskanzler Christian Stocker (ÖVP) und Staatssekretär Sepp Schellhorn (Neos).

©APA/HANS KLAUS TECHT
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Wie das Trio Türkis-Rot-Pink vom Start weg auf Toleranz und Tempo setzt. Warum die ÖVP beim Crashtest mit Pink klein beigeben musste. Wo die erste große Kraftprobe droht: Weil die Konjunktur einbricht und das Defizit 2024 weiter aus dem Ruder läuft, muss der Finanzminister den Budget-Gürtel 2025/26 noch enger schnallen.

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Es ist seit vielen Jahrzehnten ein Fixtermin in jedem Ministerkalender. Der frühe Mittwochvormittag ist, wenn nicht Brüssel zu einem EU-Rat ruft, terminfrei zu halten. Alle Regierungsmitglieder, die Klubchefs und zentrale Player in den Ministerkabinetten kommen um 10 Uhr zum wöchentlichen Ministerrat zusammen. Die eigentliche Sitzung dauert in der Regel weitaus kürzer als das hinterher angesetzte „Pressefoyer“: die wöchentliche Inszenierung der Polit-Spitzen von koalitionärer Einigkeit und temporeichem Arbeitswillen.

Wenn die Journalisten noch am Durchleuchtungsgerät ihrer Taschen am Eingang anstehen, um eine Viertelstunde nach dem offiziellen Beginn der Ministerratssitzung tropfenweise ins Kanzleramt vorgelassen zu werden, verlassen die ersten Teilnehmer bereits wieder die Regierungszentrale, die meisten demonstrativ geschäftig und knapp grüßend. Umgängliche Kommunikationsprofis wie SPÖ-Klubobmann Philip Kucher lassen sich auf einen kurzen Tratsch mit den wartenden Medienleuten ein. Das Gros der Teilnehmer biegt, ohne die Journalist:innen passieren zu müssen, ein paar Meter weiter zielstrebig Richtung Innenhof ab und besteigt eine der wartenden Dienstlimousinen.

Das ist ganz im Sinne der Regisseure des Politikrituals. Wem die mediale Bühne beim wöchentlichen Hochamt der Regierung gehört, wird in der Regel innerkoalitionär am Vortag ausgeschnapst.

Ab sofort wird bei der Verkündigung der mittwöchlichen Politbotschaften nicht mehr hinter durchsichtigen Pulten gestanden, sondern gesessen. Zur geteilten Freude der Kameraleute und Fotografen: Auf Tischen ruhende Oberkörper geben optisch weniger her.

Gretchenfrage: Wie wird aus drei Partei-Stimmen ein Koalitions-Chor?

Das neue Setting ist primär dem Wunsch geschuldet: Die erste Dreier-Regierung will sich auch im Außenauftritt von den bisherigen Zweier-Koalitionen unterscheiden. Regierungsintern mehr Kopfzerbrechen bereitet freilich: Wie schaffen es Türkis, Rot und Pink als eine Regierung aufzutreten? Wie wird aus drei Partei-Stimmen ein Koalitions-Chor?  „Gar nicht“, proklamiert ein langjähriger Kommunikationsstratege im Regierungsviertel.

„Das ist bei besten Vorsätzen auch in früheren Regierungen nicht gelungen. Wenn zwei unterschiedliche Anliegen gleichzeitig präsentiert werden, kommt immer eines zu kurz. „Das sorgt für Misstrauen und unnötigen Zwist.“ Zumindest für die Startphase haben sich Türkis, Rot und Schwarz daher auf die Parole geeinigt: Nicht zwanghaft nebeneinander, sondern hintereinander.

Sprich: In der ersten Woche nach der Angelobung gehörte mit dem gesetzlichen Ankick für die Mietpreisbremse der SPÖ die Ministerratsbühne. Diese Woche war die ÖVP dran: Mit der vollmundigen, aber legistisch noch substanzlosen Ansage eines Stopps des Familiennachzugs von Asylwerbern und einem Mittelstandspaket.

Turbo für die ersten 100 Tage nach 150 Tagen Stillstand

Kommende Woche sollten, so der erste Plan, die Neos dran sein. Aber da wird der Regieplan schon an der Startrampe Pause haben und improvisiert werden müssen. 

Denn Türkis-Rot-Pink will drei Wochen nach der Angelobung aufs Tempo drücken. Motto: Nach 150 Tagen Verhandlungen soll verlorenes Regierungsterrain rasch aufgeholt werden. Kommenden Dienstag wollen sich alle Kabinettsmitglieder zu einer eintägigen Klausur am Ballhausplatz einfinden, um einen Arbeitsplan für die ersten 100 Tage abzusegnen und medial mit entsprechenden Fanfaren zu präsentieren.

Rund um die Budgeterstellung soll eine zweite Arbeitsklausur außergewöhnlichen Regierungseifer nach wochenlangem Stillstand signalisieren.

Rote Bedenken, türkis-pinke Achse

In der SPÖ gab es von Vizekanzler Andreas Babler abwärts Bedenken gegen allzu marketinggetriebenes Tempomachen. Die neue Kompetenzverteilung - etwa die Abgabe der Wissenschaftsagenden an Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner und die Rückholung der Arbeitsagenden vom ÖVP-Wirtschaftsministerium zur SPÖ-Sozialministerin Korinna Schumann - wird erst mit 1. April rechtswirksam. Einige Regierungsmitglieder sind daher in ihrem künftigen Wirkungsfeld noch nicht voll handlungsfähig.

Das simple Beispiel zeigt, dass am Ende nicht immer gut gemeinte Regeln, sondern die Gruppendynamik entscheidet: Wenn zwei etwas dringend wollen und einer etwas zögert, ist bald klar, wohin die Reise geht.

„Da ist so wie alles bisher aber sehr harmonisch abgelaufen“, lassen alle drei Regierungslager beinahe wortgleich verlauten. Die bislang einzigen Abstimmungspannen wurden rasch aus der Welt geschafft oder gingen gänzlich unter. 

Binnen 48 Stunden entschärft war gleich nach Amtsantritt der Sprengsatz von Neo-Finanzminister Markus Marterbauer, die Energiekonzerne mit einer Sondersteuer für grünen Strom zu belegen, weil die geplante Sonderabgabe weniger zur Budgetkonsolidierung beiträgt als ursprünglich berechnet.

Wie Hattmannsdorfer Schellhorn kaltstellen wollte

Bislang erfolgreich unter den Tisch gekehrt wurde auch ein Konflikt, der Potenzial für einen veritablen Krach hatte, weil hier zwei alte Streitparteien aufeinander zu prallen drohten: Auf der einen Seite der ÖVP-Wirtschaftsbund, der die Unternehmervertretung Wirtschaftskammer (WKÖ) beherrscht. Auf der anderen Seite der pinke Deregulierungs-Staatssekretär Sepp Schellhorn, der seit Jahren mit einem Aus der Pflichtmitgliedschaft die WKÖ mehr als nur deregulieren will.

Die Kammer-Lobby in der ÖVP hatte so auch erfolgreich verhindert, dass - was an sich geboten und naheliegend wäre - der Staatssekretär für Deregulierung als Gehilfe des Wirtschaftsministers in dessen Ministerium angesiedelt wird. Schellhorn muss diese Rolle nun vom Europa- und Außenministerium aus, an der Seite von Beate Meinl-Reisinger, ausüben.

Wie blinder PR-Übereifer zum ÖVP-Bumerang wurde

Die Motive, Schellhorns Spielraum darüber hinaus wie immer möglich zu begrenzen, sind so unschwer auszumachen. Schon in Woche 2 des unvermeidlichen Miteinanders von Kammerjäger Sepp Schellhorn und Ex-Kammer-Generalsekretär Wolfgang Hattmannsdorfer in einer Regierung wurde allerdings blinder PR-Übereifer für den ÖVP-Wirtschaftsminister zum Bumerang.

„Es wird eine Bürokratie-Ombudsstelle eingerichtet, wo Unternehmer und Bürger melden können, was sie stört“, verkündete der Generalsekretär des ÖVP-Wirtschaftsbunds, Kurt Egger, stolz in einem Interview. 

Sepp Schellhorn witterte umgehend einen neuen dreisten Versuch der ÖVP-Wirtschaftsbündler, in seinem künftigen Revier zu wildern und seinen politischen Spielraum einzugrenzen.

Erste heikle Causa für Trio der Regierungsstreitschlichter

Die Pinken setzten ob des absehbaren Kompetenz-Dauerkonflikts alarmiert das Thema Bürokratie-Ombudsstelle als Akut-Tagesordnungspunkt auf die Agenda der Regierungskoordinatoren.

Vergangenen Mittwoch war - nach dem neuen Regieplan der Regierungskommunikatoren - an sich ÖVP-Tag. Im von der ÖVP als erstem großem Erfolg für die Wirtschaftsklientel propagierten Mittelstandspaket findet sich so neben der Erhöhung der Basis-Pauschalierung auf 420.000 Euro und der Abschaffung der Belegausdruckpflicht bis 35 Euro auch ein Punkt, der nolens volens nun eindeutig an die Neos und die WKÖ-Feindfigur Schellhorn geht. 

Als letzten Punkt des jüngsten Ministerrats-Beschlusses ließen die Pinken nun Schwarz auf Weiß festschreiben: „Die Bundesregierung bekennt sich zu einer Bürokratiebremse und zur transparenten Darstellung von Bürokratiekosten - dazu wird eine zentrale Anlaufstelle im Staatssekretariat des Außenministeriums geschaffen.“

Sprich: Die Ombudsstelle im ÖVP-Wirtschaftsministerium zur „Einhegung“ des Kammerjägers Schellhorn hat sich der ÖVP-Wirtschaftsbund noch vor deren Start selbst abgeschossen.

ÖVP-Eigentorschütze Wirtschaftsbund-Generalsekretär Egger intern im Gerede

Der unglückliche Eigentor-Schütze Kurt Egger hat nicht nur deswegen in den eigenen Reihen dieser Tage keine besonders gute Nachrede. Der Steirer, der sich - so ÖVP-Insider - selbst Hoffnung auf den Job des Wirtschaftsministers oder zumindest des Staatssekretärs gemacht hatte, fiel einigen internen Kritikern jüngst auch im Finale des Wirtschaftskammer-Wahlkampfs durch Bumerang-Aktionen auf.

Während andere Spitzenfunktionäre noch zu einer regen Beteiligung am WKÖ-Wahlgang aufriefen, der in Wien final von diesem Dienstag bis Donnerstag anstand, schickte Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger just am ersten der drei Wahltage bereits die Einladung zu einer Siegesfeier aus und bat in die hippe Innenstadt-Bar Kleinod Prunkstück: „Liebe WB-Familie, die Wirtschaftskammer-Wahl war eine intensive und bedeutende Zeit, die von Einsatz, Engagement und einem starken Miteinander geprägt war (...) Nun ist es an der Zeit, auf die vergangenen Wochen zurückzublicken und gemeinsam neue Energie zu tanken.“ 

Ein hochrangiger Kammerfunktionär machte seinem Ärger intern wo immer er konnte so Luft: „Wir sind alle dafür, uns über einen Wahlsieg zu freuen. Aber statt an den entscheidenden Wahltagen in Wien zu einer Rapid-Viertelstunde aufzurufen, so zu tun, als sei die Wahl schon gelaufen, zeugt von besonderer Instinktlosigkeit.“  

Karner, Tanner & Schumann machen auf Sparefroh, Nein Danke

Aber auch nach der Wirtschaftskammerwahl gibt es weder für die ÖVP-Interessenvertreter in der Regierung noch für die andersfärbigen Minister eine Atempause.

Neben zwei Klausuren steht ein mehrfacher Kraftakt bei den regierungsinternen Verhandlungen für das Doppelbudget 2025/26 an. SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer hat bereits signalisiert, dass er Mitte Mai seine erste Budgetrede halten will. 

Ein Teil des nach Brüssel gemeldeten Konsolidierungspakets von 6,4 Milliarden ist zwar gesetzlich bereits geschnürt. Bei einem großen und politisch besonders heiklen Einsparungsbrocken ist aber noch kein einziger Cent gehoben: Alle Ministerien müssen je 15 Prozent der bisherigen Ausgaben streichen. Das sind in Summe 1,1 Milliarden Euro, die abseits der Personalkosten und gesetzlicher Verpflichtungen allein beim Sachaufwand zu holen sind.

Kanzler Stocker löst Nervenflattern im Kabinett aus

ÖVP-Innenminister Karner, ÖVP-Heeresressortchefin Tanner und SPÖ-Sozialministerin Schumann ließen als erste Ressortchefs wissen, was bei ihnen alles nicht geht. Der bislang für seine ruhige Hand hochgelobte ÖVP-Kanzler Christian Stocker löste zudem mit seiner Aussage Unruhe aus, dass das 15 Prozent Einsparziel nicht jedes Ministerium in vollem Ausmaß treffe. „Wenn innerhalb der eigenen Fraktion entschieden wird, dass das eine ÖVP-Ministerium mehr als 15 Prozent einspart, damit das andere weniger hergeben muss, dann ist das ok. Aber wenn das fraktionsübergreifend gedacht ist, dann wird das sehr schwierig“, sagt ein Regierungsstratege.

Die mutmaßliche größte neue Herausforderung für Türkis-Rot-Pink in Sachen Staatshaushalt zeichnet sich mit immer düsteren Konturen am Wirtschaftshorizont ab. Statt zuletzt noch mit einem bescheidenen Wachstum von 0,7 Prozent rechnen Wirtschaftsforscher für 2025 nun mit einem Minus von 0,7 Prozent und damit dem dritten Rezessionsjahr in Folge.

Doppel-Budget-Poker startet mit doppelter Hiobs-Botschaft

Im Finanzministerium, aber auch in anderen Kabinetten werden daher zwei für Ende März fällige Schlüsselzahlen für das Doppelbudget 2025/26 mit Hochspannung erwartet. In zwei Wochen wird das Wifo seine revidierte Wirtschaftsprognose 2025 präsentieren, die auch Grundlage für die Budgeterstellung vor allem in Sachen Einnahmenschätzung sein wird. Es ist allein offen, wie groß tatsächlich der erwartete Konjunktureinbruch ausfällt.

Zudem sind Ende März auch die endgültigen Zahlen für die sogenannte „Maastricht-Notification“ für Brüssel fällig. In zwei Wochen soll feststehen, wie groß das Finanzloch in den Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden 2024 tatsächlich geworden ist.

Im Finanzressort wird statt des zuletzt nach Brüssel gemeldeten 3,7 % Defizits des Staatshaushalts bereits mit 3,9 % oder noch mehr gerechnet. Ein Einbruch beim BIP von plus 0,7 auf minus 0,7 für 2025 und ein noch tieferes Budgetloch für 2024 ergeben eine zusätzliche, toxische Doppel-Dosis beim Mixen des Doppelstaatshaushalts 2025/26. Nicht nur Pessimisten rechnen daher just zum Start der heißen Phase der Budgetverhandlungen in den Wochen vor Ostern mit einem zusätzlichen Konsolidierungsbedarf von mindestens 2 Milliarden Euro.

Der vor allem in ÖVP-Wirtschaftskreisen mit Vorschuss-Misstrauen bedachte SPÖ-Finanzminister wird damit endgültig zu einem Schlüsselspieler des Gelingens des Starts der ersten Dreier-Koalition.

„Es wird einen Nachrüstbedarf beim Budget geben“, lässt Markus Marterbauer daher bereits auf mehreren Ebenen verlauten. Koalitionsintern merkt er zudem, um Diplomatie bemüht, an: Dass Ministerkolleg:innen welcher Couleur auch immer „schon jetzt wissen lassen, was nicht geht, ist für den Prozess auch in ihrem eigenen Interesse nicht hilfreich“. Sprich: Wer sich jetzt zu weit als Bremser beim Sparen in die Auslage stellt, kann beim Rendezvous mit der neuesten harten Budgetrealität als ausgebremster Verlierer dastehen.

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