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Politik Backstage: Neustart als Hindernislauf

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Die Delegation der ÖVP marschiert zu den vertieften Sondierungen. Am 15. Jänner 2025 soll laut Fahrplan von Kanzler Karl Nehammer die neue Koalition ihre Arbeit aufnehmen.

©picturedesk.com/Alex Halada
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Warum mehr als 40 Tage nach der Wahl nach wie vor mehr sondiert als verhandelt wird. Wo es zwischen Rot, Schwarz und Pink bereits knirscht. Wie es zum endgültigen Bruch zwischen Karl Nehammer und Karoline Edtstadler kam und wann diese ihm neuerlich gefährlich werden könnte.

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Karl Nehammer, Übergangskanzler mit der Option auf Verlängerung, gab ÖVP-intern kurz vor dem Nationalfeiertag die Parole aus: „Die neue Regierung muss in 85 Tagen stehen.“ Teilnehmende Beobachter nahmen noch in laufender Sitzung den Kalender zur Hand und errechneten als Antrittsdatum des Kabinetts Nehammer II den 15. Jänner 2025.

Passenderweise ist das ein Mittwoch, also jener Tag, an dem die wöchentliche Ministerratssitzung ansteht. Klappt die Regie, dann kommen an diesem Tag erstmals am grün bespannten, ovalen Tisch im Kanzleramt die neuen Ressortchefs von Schwarz, Rot und mutmaßlich Pink zusammen.  

Bald ein Viertel der proklamierten 85 Tage für die Regierungsbildung wird freilich nach wie vor mit dem Vorspiel ­verbraucht. Erst tanzten die Parteichefs in der Reihenfolge, die der Wähler bestimmt hatte, zum vertraulichen Meinungsaustausch beim Bundespräsidenten an. Danach trafen sich alle Parteichefs auf Wunsch der Hofburg jeweils zu Vieraugengesprächen. Anfang der Woche vier nach dem Wahlgang gab Van der Bellen erstmals einen offiziellen Regierungs­bildungsauftrag – an den amtierenden Kanzler. Ein paar Tage danach beschnupperten sich allein die Verhandlungsteams von ÖVP und SPÖ erstmals für ein paar Stunden bei Tafelspitz mit Spinat – um sich anschließend in die Herbstferien zu verabschieden. Zurück in Wien wollen sie in Woche sechs nach der Wahl endlich zur Sache kommen. Die Meetings ­wurden und werden freilich weiterhin nicht als Regierungsverhandlungen, sondern als Sondierungen ­ausgeschildert. 

Zwei Wochen nach dem Go aus der Hofburg war aber nicht einmal klar, ob sich Schwarz und Rot weiterhin nur zu zweit beschnuppern oder von Anfang an den möglichen Dritten im Regierungsbund dazunehmen. Unbestritten ist inzwischen zwar in beiden Lagern, dass die knappe Mehrheit von ÖVP und SPÖ mit einem Mandat Überhang nicht fürs gemeinsame Regieren reicht. Wie und wann ein dritter Partner mit an den Tisch kommt, war aber bis zuletzt offen.

Sozialpartner sollen Kompromisse vorbereiten

„Von Anfang an zu dritt zu verhandeln, macht es nicht leichter“, sagt ein Spitzen-Roter, „besser wäre es, die Sozialpartner würden ein grobes Skelett an gemeinsamen Kompromissen erarbeiten. Dann könnten wir Neos und Grüne einladen, um auszuloten, wer da wo wie mitkann.“ Bei dieser Strategie stehen zwei Kalküle Pate: Teile der SPÖ hätten nach wie vor lieber die Grünen mit im Boot. Da hält freilich die Wiener SPÖ – im Verhandlungsteam vertreten durch Doris Bures – nach wie vor massiv dagegen. Politisch unumstritten ist bei Rot und Schwarz aber, dass es für tiefer gehende Reformvorhaben eine Zwei-Drittel-Mehrheit und damit sowohl Pink als auch Grün mit an Bord braucht.

Beim Wunschkoalitionspartner der Schwarzen und der Mehrheit der SPÖ-Granden machte sich in den letzten Tagen trotz des Aufgebots für eine Ménage-à-trois zunehmend Unruhe bis Unmut breit.

Neos: Schwarz und Rot müssen Proporz abschwören

„Wenn man zu dritt regieren will, dann muss man auch zu dritt verhandeln“, so der breite Tenor im pinken Lager. Die Pinken wollen daher auch nicht einfach akzeptieren, dass für das am Allerheiligen-Wochenende verkündete akribische Budget-Röntgen nur Experten von Schwarz und Rot nominiert werden. „Schwarz und Rot müssen ihre Ansage, dass es kein ,Weiter wie bisher‘ gibt, nun auch leben und dem Proporz von Anfang an abschwören“, so die pinkinterne Parole.

Zumal die Neos ihr schon Wochen vor der Nationalratswahl öffentlich deponiertes Interesse an der Führung des Finanzressorts mehr denn je ernst meinen. „Eine Rechnung ohne die Wirtin zu machen wird nicht gehen“, formuliert ein Neos-Mann in Anspielung auf die mögliche Finanzminister-Kandidatin Beate Meinl-Reisinger. Finanz- und Bildungsministerium stehen auf der Ressort-Wunschliste der Pinken weiterhin ganz oben. Beim Misstrauen gegenüber der aktuellen Führung des Finanzministeriums treffen sich – selten, aber doch – pinke und rote Interessen.

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 © picturedesk.com/APA/Hans Klaus Techt

Misstrauen bei Kassasturz und Untergruppen-Kontrolle

„Einen Kassasturz allein durch das Finanzministerium können wir schon deshalb nicht akzeptieren, weil das Vertrauen gestört ist. Als Wirtschaftsforscher und Fiskalrat vor der Wahl darauf hingewiesen haben, dass das Budget aus dem Ruder läuft, wurde das von Minister Brunner noch heftig dementiert“, sagt ein SPÖ-Finanzmann. „Bevor wir die Verhandlungen über die offe­nen Sachfragen eröffnen, brauchen wir eine belastbare Analyse, wie groß der Spielraum bei den Finanzen überhaupt ist.“

Offen war zusätzlich zur begleitenden Kontrolle des Kassa­sturzes im Finanzministerium bis zuletzt auch, wie viele Verhandler die beteiligten Parteien insgesamt in die diversen Untergruppen schicken. „Wir sind als ÖVP gewohnt, weit über hundert Leute zu nominieren, damit möglichst alle Interessen in Bünden und Ländern abgedeckt sind und sich hinterher niemand beschweren kann, nicht am Verhandlungstisch vertreten gewesen zu sein“, sagt ein langgedienter ÖVP-Mann im Regierungsviertel. „Spannend wird sein, wie das Babler lösen wird, da der engste Kreis um ihn nicht groß genug ist, dieser aber die Kontrolle behalten will. Bei den Neos wiederum könnte das zahlenmäßig bald an personelle Grenzen stoßen.“

Showdown Karo gegen Karl

Im Lager der Kanzlerpartei schlug freilich just zum prokla­mierten Start der vertiefenden Gespräche zu einer Regierungsbildung eine Nachricht ein, deren Nachwehen die ÖVP noch länger beschäftigen könnten.

Dass Karoline Edtstadler dem Ballhausplatz den Rücken kehren will, kam nur für den aktuellen Hausherren gänzlich überraschend. In politischen Kreisen in Salzburg war es schon seit Mitte Oktober ein offenes Geheimnis, dass die nahe der Landeshauptstadt, in Elixhausen, aufgewachsene Politikerin nach 20 Jahren wieder in Salzburg sesshaft werden will. ­Edtstadler ließ bei diversen Gelegenheiten, so teilnehmende Beobachter, wissen, dass sie ihre Tage in der ersten Reihe der Politik gezählt sieht. 

Ihren Traumjob als EU-Kommissarin hatte ihr der Kanzler verwehrt. In der kommenden Regierung wäre sie gerne in jenes Ressort als Chefin eingerückt, in dem sie ihre Karriere vor einem Jahrzehnt begonnen hatte: als Mitarbeiterin des Schatten-Justizministers und Doppelsektionschefs Christian Pilnacek und in der Folge Referentin im Kabinett von Wolfgang Brandstetter, dem bislang letzten überzeugt großkoalitionären Minister in diesem politisch besonders sensiblen Ressort.

Sobald die Reise nach der Wahl eindeutig Richtung Schwarz-Rot-Pink ging, war Edtstadler freilich klar: Nachdem nach wie vor viele Causae in Sachen ÖVP aus der Ära Kurz anhängig sind, tendieren die Chancen, dass in einer künftigen Dreierkoalition die Justizagenden an die ÖVP gehen, gegen null. Als ihr dann auch noch der Wunsch versagt blieb, von der ÖVP als Kandidatin für die zweite Nationalratspräsidentin nominiert zu werden, zog sie ihren Plan B durch: Das Experiment einer Dreierkoalition will Karoline Edtstadler nur noch von der Abgeordnetenbank aus mitmachen. „Nach reiflicher Überlegung habe ich die Entscheidung getroffen (…) mir ein zusätzliches berufliches Standbein als Rechtsanwältin aufzubauen“, ließ sie am Allerheiligen-Wochenende via Social Media wissen. 

Ihre Begründung ist ein Wink mit dem Zaunpfahl für die vielen Berufsfunktionäre und Jasager, vor allem rund um den ÖVP-Kanzler: „Nur wer wirtschaftlich unabhängig ist, kann politisch wirklich frei agieren.“

Karl Nehammer informierte sie erst wenige Stunden bevor sie damit einen entsprechenden Bericht des Chefs der Salzburger „Kronen Zeitung“, Claus Pándi, bestätigte. Der politische und mediale Paukenschlag der „Karo“ ist der vorläufige Schlusspunkt unter einer konfliktreichen Beziehung zwischen dem ÖVP-Kanzler und seiner Kanzleramtsministerin. Nehammer und seine Umgebung hatten im zurückliegenden Jahr zunehmend den Verdacht, die selbstbewusste Ministerin für Verfassung und Europa habe ein begehrliches Auge auf den Chefsessel im Kanzleramt geworfen.

Da half auch ein Vieraugengespräch in diesem Frühjahr nichts. Karl Nehammer und Karoline Edtstadler sprachen dabei sehr direkt, die seit Monaten im Regierungsviertel kursierenden Gerüchte an, seine Ministerin wolle den Kanzler mit allen Mitteln beerben. Jede kantige öffentliche Wortmeldung Edtstadlers und auch jede parteiintern gemachte Bemerkung, die ÖVP solle da oder dort gegenüber dem Koalitionspartner entschiedener auftreten, waren in den Monaten davor immer öfter von Nehammer & Co. so gedeutet worden: Die „Karo“ säge, wo immer sie kann, am Stuhl des Kanzlers. Zuletzt herrschte im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni im Kanzlerkabinett und in der ÖVP-Zentrale hochnervöse Bunkerstimmung. Die ­Nehammer-Truppe plagten Horrorvisionen wie diese: Sollte die Partei auf den dritten Platz fallen, werde aus mehreren Ecken der Partei zum Halali auf den Kurz-Nachfolger geblasen werden. 

Das Misstrauen gegenüber Edtstadler wurde dadurch befeuert, dass sich diese beharrlich geweigert hatte, einmal mehr die Spitzenkandidatur für die EU-Wahl zu übernehmen. Sie wolle und könne nicht – so wie 2019 – noch einmal die EU-Liste anführen und dann möglicherweise wieder so wie damals dem Ruf von Kurz folgen und statt des Mandats in Brüssel neuerlich einen Ministerposten in Wien übernehmen.

Nehammer & Co. versuchten bis zuletzt, Edtstadler umzustimmen. Der Parteichef glaubte mit ihrer Kür zur EU-Spitzenkandidatin mehrere Fliegen auf einen Schlag zu treffen: Mit Edtstadler in Brüssel wäre er zu Hause nicht nur eine Konkurrentin losgewesen. Aufgrund ihrer guten Persönlichkeitswerte sah er auch die Chance, Platz eins für die ÖVP bei der EU-Wahl zu verteidigen. Und damit Panikattacken auf den Parteichef vor der Nationalratswahl erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Karoline Edtstadler versicherte Karl Nehammer unter vier Augen, sie habe weder den Wunsch noch das Interesse, ihm seinen Job streitig zu machen. Sie nutzte im Gegenzug die Gelegenheit vielmehr auch, um ohne Umwege und Zwischenträger ihre Chancen auszuloten, nach Brüssel zu wechseln. Denn die Europa-Ministerin hatte schon seit Monaten auch öffentlich kein Hehl daraus gemacht, dass sie einem Wechsel auf die ­europäische Bühne als EU-Kommissarin nicht abgeneigt sei.

Karl Nehammer habe diese Frage nicht nur klar, sondern auch sehr harsch beantwortet, erzählte Edtstadler noch Wochen danach im kleinen Kreis von Vertrauten: „In diesem Leben geht es sich sicher nicht mehr aus, dass ich als Bundeskanzler dich als Österreichs EU-Kommissarin nach Brüssel schicke.“ 

Die Verbitterung über die knallharte Botschaft und den kalten Tonfall scheint auch Monate später nach wie vor nicht verdaut zu sein. Mit ihrem für Nehammer total überraschenden Abgang aus der ersten ÖVP-Reihe traf Edtstadler so den ÖVP-Chef mehrfach am falschen Fuß. Karl Nehammer brauchte mehr als 48 Stunden, um sich in einer heiklen offenen Frage für ein Ja zu entscheiden: Die Ministerin auf Abruf bleibt weiter im sechsköpfigen ÖVP-Verhandlungsteam für jene Dreierkoalition, der sie nicht mehr angehören will. Mit ihrer Abberufung hätte der ÖVP-Chef den Konflikt weiter eskaliert.

Nicht nur in der SPÖ sind viele überzeugt, dass Edtstadlers Wechsel auf die Position einer einfachen Abgeordneten kein Rückzug aus der ersten Reihe für immer und zugleich ein Absprung in die Salzburger Landespolitik ist. Der 68-jährige ­Salzburger ÖVP-Landeschef Wilfried Haslauer hat unmittelbar nach Edtstadlers Entscheidung bekräftigt, dass Kurz-Weggefährte Stefan Schnöll sein Wunschnachfolger in Partei und Landesregierung ist.

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 © picturedesk.com/SEPA.Media/Martin Juen

Blau-Schwarz-Fans setzen weiter auf Edtstadler

Für die nach wie vor auf ihre Chance lauernden Blau-Schwarz-Fans in der ÖVP ist Karoline Edtstadler weiterhin das ideale Pendant an der ÖVP-Spitze. Die Absage an eine gemeinsame Regierung unter einem Kanzler Kickl teilt Edtstadler freilich ohne Wenn und Aber mit Nehammer. Inhaltlich und in einer anderen personellen Konstellation wäre Edtstadler freilich auch aus Sicht der Blauen eine ideale Achsenpartnerin.

„Edtstadler ist eine Spur zu oft verarscht worden“, resümiert ein ÖVP-Regierungsinsider drastisch, „der Braindrain des ÖVP-Spitzenteams mit dem Ausscheiden von Martin Kocher, Magnus Brunner und Karo Edtstadler wird nicht leicht zu ersetzen sein.“ Im bisherigen schwarz-türkisen Regierungsteam erhält damit die Niederösterreicher-Partie rund um Karl Nehammer,  Gerhard Karner und Klaudia Tanner ein noch größeres Gewicht. Als breit anerkannter Topprofi steht nur noch Alexander Schallenberg zur Verfügung. Susanne Raab hat es trotz des vielfältigen Kompetenz-Bouquets „Frauen, Familie, Integration und Medien“ in fünf Jahren nicht geschafft, ein politisches ­Profil zu entwickeln, das auf das ÖVP-Konto einzahlt. Claudia ­Plakolm, die vom Kanzler zur Überraschung vieler in der Partei ins Verhandlungsteam gehievt wurde, muss erst beweisen, ob die Hoffnungen, die Nehammer in sie setzt, berechtigt sind.

Bescheiden, aber durchaus vorhanden sind nach wie vor die Hoffnungen des bisherigen türkisen Koalitionspartners, doch noch ins Regierungsspiel zu kommen. „Wenn die Neos in den ganzen Steuerfragen scharf bleiben, weil sie etwas nach Hause bringen müssen, dann könnte Nehammer wieder auf zukommen, uns kennt er ja schon. Die SPÖ hätte ohnehin uns lieber als die Neos als Regierungspartner“, räsoniert ein Spitzen-Grüner. Die Wahrscheinlichkeit dafür beziffert er aber nur mit zehn bis 15 Prozent. 

Im von 26 auf 16 Mandatare dezimierten grünen Klub würde freilich eine Beteiligung an einem noch gewagteren Experiment als Türkis-Grün auf heftigen Widerstand stoßen. Schon aus reinem Selbsterhalt. „Jetzt wieder zu regieren wäre ein Fehler, der uns noch mehr schaden würde“, sagt einer der verbliebenen Grün-Abgeordneten: „Minus fünf Prozent heißt Opposition, hart und offensiv. Wenn wir das konsequent ­machen, sind wir beim nächsten Mal wieder stärker.“

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