Der politische Hit von morgen? Andi Babler, Beate Meinl-Reisinger und Karl Nehammer sollen „Austria 3" werden.
©APA/TOBIAS STEINMAURERWarum Karl Nehammer just am Montag den offiziellen Start der Regierungsverhandlungen bekannt geben wollte. Wie Schwarz-Rot-Pink angesichts des dramatischen Budget-Lochs zu Leider-Nein-Zuckerlkoalitionären wurden. Wer bei den steirischen Landtagswahlen in zehn Tagen am meisten zu fürchten hat.
von
Karl Nehammer, Übergangs-Kanzler mit Verlängerungs-Option, ist seit dem amtlichen Go aus der Hofburg für eine Regierungsbildung besonders bemüht, Führungsstärke zu zeigen. Dieser Tage ließ er öffentlich besonders bestimmt wissen: „Ich habe einen klaren Plan, wie Österreich zu einer neuen Regierung kommt.”
Am Montag ging das Land in die achte Woche nach der Nationalratswahl am 29. September. Laut Regie aus dem Kanzleramt sollten die am Beginn von Woche 7 nach dem Wähler-Votum gestarteten Sondierungsgespräche zwischen ÖVP, SPÖ und Neos nach diesem Wochenende auch offiziell als Regierungsverhandlungen ausgeschildert werden.
Karl Nehammer hatte intern schon kurz nach dem offiziellen Regierungsbildungsauftrag durch den Bundespräsidenten Anfang der Woche 4 nach der Wahl ÖVP-intern die Order ausgegeben, das Kabinett Nehammer II müsse am 15. Jänner 2025 stehen.
Nehammers Anleihe beim Kurz-Timing
In den Wochen danach wurde vor allem noch darum gerungen, wann und wie sich alle drei möglichen Partner ausreichend sortiert haben, um ernsthaft miteinander verhandeln zu können. Dem ÖVP- und Übergangs-Regierungschef war dabei zuletzt eines besonders wichtig: Die Regierungsverhandlungen sollten nicht später als am 18. November starten.
Intern ließ er das bereits wiederholt fallen und wird sich diesen Hinweis bald auch öffentlich nicht verkneifen: Auch die vorangegangene Nationalratswahl 2019 war just am 29. September über die Bühne gegangen.
Auch die Regierungsverhandlungen zwischen den Koalitionspartnern Türkis und Grün waren just am 18. November gestartet - also auch erst in Woche 8 nach der Wahl.
Für das Sondieren von neuen Koalitionsgelüsten hatte der damalige ÖVP-Wahlsieger Sebastian Kurz bei seinem Ex-Regierungspartner FPÖ (damals noch unter Führung von Norbert Hofer) zwar nur eine Woche gebraucht. Nach der damaligen Absage an eine Reunion von Türkis und Blau, wurden - gleichfalls ergebnislos - mögliche Gemeinsamkeiten mit Rot ausgelotet. Länger hielt sich Türkis schließlich mit den Grünen und den Neos ob der Frage auf, welche Chancen ein Bündnis zu dritt hat.
Denn noch Wochen vor der Wahl 2019 hatten Umfragen nahegelegt, dass es - wegen der klaren türkisen Abneigung mit Blau oder Rot zu koalieren - mit Grün und Pink zwei kleinere Partner brauchen würde, um zu einer stabilen Regierungsmehrheit zu kommen.
Der vereitelte Dreier Türkis-Grün-Pink
Das Wahlergebnis gab mit gemeinsam 97 Mandaten allein für Türkis und Grün zwar eine halbwegs gesicherte Mehrheit (jenseits der notwendigen 92 Mandate) her. Kurz, der noch drei Jahre zuvor mit Ex-Neos-Chef Matthias Strolz über eine gemeinsame Liste verhandelt hatte, liebäugelte trotz des Scheiterns dieses Projekts mit dem Plan, mit den Pinken und den Grünen eine Dreier-Koalition einzugehen. Zum einen, weil er in den Neos einen Achsenpartner und Gegengewicht zu den Ökos sah. Zum anderen, weil fast alle 26 grünen Abgeordneten (bis auf Ex-Nationalrätin Sigi Maurer und die früheren Bundesrats-Mitglieder Nina Tomaselli und David Stögmüller) parlamentarische Newcomer und politisch unbeschriebene Blätter waren - und sich so deren Einschätzung dem ausgeprägten Kontrollbedürfnis der Türkisen prima vista entzog.
Die Grünen, die einzig möglichen Mehrheitsbeschaffer abseits von Rot und Blau, wehrten sich allerdings mit Händen und Füßen und am Ende auch erfolgreich dagegen, in einem Drei-Bund - noch dazu mit den wirtschaftsaffinen Neos – bei ihrer Regierungspremiere vom Start weg an Gewicht zu verlieren.
Das schlussendlich mit leeren Händen vom Pokertisch aufstehende Neos-Sondierungsteam führten schon damals wie heute Klubchefin Beate Meinl-Reisinger und ihr Vize Nikolaus Scherak an.
Diesmal sind die Neos bereits vom Start weg näher am Ziel, im Jahr 12 nach Gründung erstmals auch im Bund am Regierungstisch zu sitzen.
Damit hat es sich auch schon mit dem Parallellauf zwischen den Regierungsverhandlungen 2019 und 2024, auf den Nehammer besonderen Wert legt.
Was das mögliche Bündnis ÖVP-SPÖ-Neos vom türkis-grünen Experiment zuvorderst massiv unterscheidet: 2019 kamen schon monatelang vor dem 29. September auf informeller Ebene Vertrauensleute von Kurz und Kogler zusammen, um einander zu beschnuppern und mögliche Gemeinsamkeiten für ein Regierungsbündnis auszuloten.
Kalt-Start zwischen Rot und Schwarz nach sieben Jahren Eiszeit
Vor allem Schwarz und Rot, berichten teilnehmende Beobachter in allen drei Lagern, starten 2024 praktisch bei Null, so als ob sieben Jahre Eiszeit geherrscht hätte. Zwischen Gewerkschaftern und Wirtschaftsvertretern gab es auf Sozialpartnerebene zwar auch zwischen Rot und Schwarz-Türkis laufend verbindliche Kontakte und einen Interessenausgleich. Mit Andreas Babler als neuem SPÖ-Chef fremdeln freilich nicht nur viele Schwarz-Türkise nach wie vor.
Babler hatte nach dem einmal mehr schlechten Abschneiden der SPÖ noch in der Wahlnacht mit der Oppositionsrolle für die Roten geliebäugelt. Die Wiener SPÖ und die Gewerkschaften stellten den Kurs noch am Wahlabend Richtung Mitregieren.
Weit über diese klare Absichtserklärung sind beide Lager der einst großen Koalition nicht hinaus. Erst diesen Mittwoch ließ Babler die Weichenstellung Richtung Schwarz-Rot-Pink nun auch vom SPÖ-Präsidium absegnen.
Kassasturz: Sparpaket von 6 Mrd. allein im Budget 2025
Bevor es nun ans ernsthafte inhaltliche Verhandeln geht, ist ein für alle Beteiligten schmerzhafter Kassensturz angesagt. Erstes Ergebnis, was das für den kommenden Staatshaushalt bedeutet: Zwischen 4,4 und 6 Milliarden muss Schwarz-Rot-Pink allein im kommenden Jahr im Budget einsparen, um die Maastricht-Kriterien zu erfüllen. Rund 14 Milliarden, so der erste Gesamt-Befund in der Budget-Gruppe der Regierungsverhandler, müssen binnen vier Jahren eingespart werden.
Österreich wird sich dafür entscheiden, das Budget binnen vier Jahren zu sanieren. Das erst heuer beschlossene neue EU-Reglement bietet auch die Chance, die schmerzhafte Sanierung statt von vier auf sieben Jahre zu strecken: In diesem Fall sitzt die EU-Kommission aber quasi mit am Kabinettstisch, die Regierung muss ein entsprechendes Reform- und wachstumsförderndes Investitionspaket durch Brüssel genehmigen lassen. Eine derart breit sichtbare starke Rolle der Hüter der EU-Verträge in der Innenpolitik wollen - so wie zuletzt auch Frankreich - Nehammer & Babler partout nicht zulassen.
Damit hat es sich in Sachen Budget-Sanierung aber vorläufig mit Gemeinsamkeiten. Im SPÖ-Lager wird kopfschüttelnd registriert, dass von Nehammer & Co in Sachen Kassasturz bislang zuvorderst zu hören gewesen sei: Die Koalitionsverhandler sollten vom Start wegen „jeden Alarmismus vermeiden” und statt dessen vielmehr „für eine Aufbruchsstimmung sorgen”. Die „Verantwortung ohne Gegenfinanzierung viele Milliarden für Corona-Hilfen und für viele Beihilfen statt einer kostenlosen strukturellen Bekämpfung der Inflation ausgegeben zu haben, kann und wird jener Partei, die seit Jahrzehnten den Finanzminister stellt, niemand abnehmen”, proklamiert ein prominenter Roter spitz in Richtung ÖVP.
Unbehagen mit Kunstwort „Zuckerl-Koalition”
Das von der „Krone” noch am Wahlabend in die Welt gesetzte Wort von der Zuckerl-Koalition kommt aber keinem der frisch verlobten Koalitionsanwärter zupass. Zum einen drängt sich angesichts der Farbenkombination Schwarz-Türkis-Rot-Pink landläufig nicht die Assoziation mit Bonbons und Süßigkeiten auf. Zum anderen sind beim gemeinsamen Regieren vom Start weg mehr saure Drops als Wähler-Zuckerln angesagt. Die Kommunikatoren des Aufgebots für einen Dreibund brüten daher bereits über einer eingängigen und boulevardtauglichen Alternative zum picksüßen und schwer verdaulichen Kunstwort Zuckerlkoalition. Nach den ersten Brainstormings liegt derzeit “Austria 3” als Favorit eines künftigen Eigenmarketings auf dem Tisch. Mit Austria 3 verbinden ältere Semester eine beliebte filterlose heimische Zigarettensorte, die bis in die 1980er Jahre produziert wurde. Generationenübergreifend ist bei Austria 3 die Assoziation mit der österreichischen Pop-Formation der Solokünstler Reinhard Fendrich, Wolfgang Ambros und Georg Danzer, die sich bis kurz vor dem Tod von Danzer 2007 einer großen Publikumsgunst erfreute.
Dieser Tage starren freilich die Leider-Nein-Zuckerl-Koalitiionäre nicht nur gemeinsam gebannt, wenn auch noch weitgehend ratlos auf das Milliardenloch im Staatshaushalt.
Schreckstarre vor „nächstem blauen Durchmarsch”
Mit jedem Tag mehr nimmt sie der Blick auf das in zehn Tagen anstehende nächste Wähler-Votum gefangen. „In der Steiermark steht der nächste blaue Durchmarsch an”, sagt ein ÖVP-naher Politik-Stratege. ÖVP-Landeshauptmann Christopher Drexler gibt zwar noch immer unermüdlich die Parole an potentielle Wechselwähler aus, diesmal ihn mit einer „Leihstimme” weiterhin zur Nummer eins zu machen und damit den „steirischen Weg” der schwarz-roten Zusammenarbeit zu sichern. Alle Umfragen signalisieren freilich: Die FPÖ ist als Nummer eins auch in der Steiermark gesetzt. Mit einem Ergebnis von mehr als 30 Prozent könnte die Blauen einen neuen Rekord markieren.
Christopher Drexler wird in Umfragen ein ÖVP-Absturz von zuletzt 36 auf 26 Prozent prophezeit. Die SPÖ droht im Worst Case bei knapp über zwanzig Prozent zu landen. Die Persönlichkeitswerte des unauffälligen, aber nicht unpopulären SPÖ-Spitzenkandidaten Anton Lang könnten, sagt ein Umfragekenner, aber für ein besseres Abschneiden als bei der SPÖ derzeit üblich sorgen. Als sicherer Wahlverlierer gilt die bisherige Landeshauptmann-Partei ÖVP.
Für den Fall, dass sich trotz dramatischer Verluste eine Mehrheit zwischen ÖVP und SPÖ rechnerisch noch ausgeht, ist eine Fortsetzung der Zusammenarbeit zwischen Christopher Drexler und Anton Lang wechselseitig paktiert.
Blau-Rot in der grünen Mark?
Andernfalls gilt das Lotto-Prinzip: Alles ist möglich. Schaffen die Neos neuerlich den Sprung in den Landtag, könnte sich auch in der Steiermark die Frage nach Stützung einer Dreierkoalition stellen. Als zumindest gleichwertig wahrscheinlich halten Kenner der steirischen Landespolitik, dass der Druck in der SPÖ auf Anton Lang steigt, mangels Mehrheit mit der ÖVP den FPÖ-Chef Mario Kunasek zum Landeshauptmann zu machen. Der steirische SPÖ-Chef hat eine solche Variante bis zuletzt nie ausgeschlossen.
In einem stimmen schwarze wie rote Parteistrategen überein: „Dass Kickl nicht die Chance gegeben wurde, eine Regierung zu bilden, hat uns im Wahlkampf massiv geschadet”. Auch wenn dieser - bei Halten der schwarz-türkisen Dämme – voraussichtlich daran gescheitert wäre, „die Menschen sagen uns im Wahlkampf immer wieder, sie empfinden es dennoch als höchst unfair, dass der Bundespräsident dem Wahlsieger keinen Regierungsauftrag gegeben hat”, so ein steirischer ÖVP-Spitzenfunktionär.
Ein steirischer SPÖ-Mann geht sogar soweit zu räsonieren: „Der direkte Regierungsauftrag an Nehammer unter Umgehung von Kickl ist die Rache des Bundespräsidenten an der ÖVP, weil diese mit den Grünen gebrochen hat.”
Was auch immer die Motive von Alexander Van der Bellen gewesen sind, in einem sind sich Parteistrategen nah und fern der Steiermark einig: Der Ausgang der steirischen Landtagswahlen am 24. November wird auch auf das Klima und den Verlauf der gerade anlaufenden Regierungsverhandlungen in Wien durchschlagen.