Wie die ÖVP-Spitze mit allen Mitteln eine Schwarz-Blau-Debatte vor der Wahl im Keim zu ersticken sucht. Wer Magnus Brunner den Job des EU-Kommissars für Migration einbrockte. Warum dieses Himmelfahrtskommando politisch nicht letal enden muss.
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Diesen Mittwoch ist im Hohen Haus mehr Abschieds- denn Aufbruchsstimmung angesagt. Bis zu einem Viertel der Abgeordneten wird - je nach Wahlausgang - bei der ersten Sitzung nach der Wahl am 24. Oktober nicht mehr dabei sein.
Spitzenparlamentarier wie Karlheinz Kopf verabschieden sich nach dreißig Jahren freiwillig in die Pension. Oder wie der streitbare Neos-Mandatar Gerald Loacker nach gut einem Jahrzehnt in die Privatwirtschaft.
Das Gros gibt seinen Abgeordnetensitz aber nolens volens auf. Die beiden Regierungsparteien Schwarz-Türkis und Grün müssen mit dem Verlust bis zu einem Drittel ihrer Wähler rechnen.
Einer, der sicher nicht mehr dem kommenden Hohen Haus angehören wird, ist Martin Engelberg, ein nach wie vor bekennender Fan von Sebastian Kurz der ersten Stunde. Der Psychoanalytiker und Immobilien-Unternehmer war einer jener Quereinsteiger, mit denen der türkise Newcomer einst sein Image als Erneuerer von ÖVP und Republik zu begründen suchte.
Engelberg macht klubintern keinen Hehl daraus, dass dessen Nachfolger in Partei und Regierung diesem auch bald drei Jahre nach Kurz' Abgang nicht annähernd das Wasser reichen könnten. Und sparte intern auch nicht an Kritik an der Nehammer-Truppe.
Als sich im Gefolge der Teuerungswelle etwa ÖVP und Grüne nach schwerem Ringen im Herbst des Vorjahrs auf einen „Mietpreisdeckel” (jährlich maximal plus fünf Prozent für die kommenden drei Jahre) geeinigt hatten, opponierte Engelberg gemeinsam mit anderen in der ÖVP-Klubsitzung gegen „diesen Eingriff in den freien Markt”.
Kurz-Fan Engelberg zündelt
Engelberg warb zudem intern immer offener für ein baldiges Comeback des gefallenen türkisen Messias. Auch weil er längst wusste, dass er von dessen Nachfolgern nur noch an aussichtsloser Stelle auf der ÖVP-Liste gereiht werden wird.
In der letzten Sitzung des ÖVP-Parlamentsklubs vor der Wahl diesen Dienstag meldete sich Engelberg daher noch einmal zu Wort, um auch offiziell Abschied zu nehmen. Im Abgang löckte der türkise Mandatar noch einmal wider den schwarzen Stachel. Er würde gerne wissen, wie es die anderen Kollegen mit einem Aufruf halten, der dieser Tage an alle Wahl-Kandidaten aller politischen Lager gegangen ist.
Die Filmemacherin Gabriele Bacher, Tochter des legendären ORF-Generals, hatte - unterstützt von zahlreichen Prominenten, Künstlern und Intellektuellen - alle Politiker angeschrieben, die - an welcher Stelle auch immer - auf den Wahllisten für die kommende Nationalratswahl stehen. Und diese unter offensiver medialer Begleitung um ein „Versprechen für die Republik” (so der Name der Plattform) gebeten.
Nämlich um ihre demonstrative Unterschrift unter folgender Erklärung: „Ich versichere hiermit, dass ich im Fall meiner Wahl zur/zum Abgeordneten zum Österreichischen Nationalrat eine Bundesregierung mit FPÖ-Beteiligung nicht unterstützen und ihr nicht zu einer parlamentarischen Mehrheit verhelfen werde.“
ÖVP-Promis für Absage an Schwarz-Blau, ÖVP-Spitze dagegen
Die versammelte ÖVP-Führung ließ eine Debatte unter den Abgeordneten darüber erst gar nicht aufkommen. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker beschied Engelberg umgehend knapp und bestimmt: Karl Nehammer (der in der Sitzung fehlte) schließe seit Monaten mehr als deutlich eine Koalition mit Kickl aus. Stocker: „Wir raten daher allen nicht zu unterschreiben.”
Unter den Promotoren der öffentlichen Absage von potentiellen Mandataren aller Lager finden sich nicht nur in ÖVP-Kreisen einstige politische Schwergewichte wie Ex-ÖVP-Generalsekretär Ferry Maier, Ex-EU-Kommissar Franz Fischler, Ex-Klubchef Heinrich Neisser, Ex-EU-Parlaments-Vizepräsident Othmar Karas, Ex-Justizsprecher Michael Ikrath oder der einst auch in der ÖVP hinter den Kulissen mächtige Ex-Raiffeisen-Chef Christian Konrad.
Noch vor wenigen Jahren hätte ein derartiger Frontverlauf im bürgerlichen Lager zu wochenlangen internen Auseinandersetzungen samt dissonanter medialer Begleitmusik geführt.
Eine Machttechnik aus der implodierten Kurz-Ära der Türkisen hat die Nehammer-Truppe aber bislang erfolgreich in die wieder weitaus weniger glanzvollen ÖVP-Zeiten hinübergerettet: Mit strikten Orders per Signal-Gruppen werden die Reihen noch weiter dicht gehalten.
Kein einziger Kandidat auf den ÖVP-Wahllisten mit einer auch nur halbwegs realistischen Mandatschance hat bisher dem Aufruf einer öffentlichen Absage an Schwarz-Blau Folge geleistet.
Ruppiges ÖVP-Match um Schwarz-Rot-Pink versus Neuauflage mit Blau
Die schwarz-türkise Stallorder zeigt Wirkung. Zumindest bis zum Wahltag soll jene Debatte öffentlich nicht aufkommen, die hinter den Kulissen längst immer kontroverser geführt wird: Soll die ÖVP - wie von Nehammer und Teilen der Partei propagiert - tatsächlich das Experiment einer Dreier-Koalition mit Rot und Pink starten - im Wissen, dass in der SPÖ nach der Wahl mehr und heftiger denn je um die Vormacht und den richtigen Kurs gerungen werden wird.
Oder soll die ÖVP nicht besser ein Bündnis mit den - zumindest inhaltlich - berechenbareren Blauen eingehen?
Vor allem in Kreisen der Industriellenvereinigung neigt sich das Pendel immer stärker Richtung zugunsten einer Neuauflage einer Regierung mit den Blauen.
Die ÖVP-interne Debatte darüber wird sich bestenfalls nur noch bis zum Wahltag derart unter der Decke halten lassen.
Von der Leyens faules Überraschungs-Ei
Strikte Message Control war im Kanzleramt fast zeitgleich auch in einer Causa angesagt, die ebenfalls das Potential hat, die ÖVP-Reihen breit sichtbar durcheinanderzuwirbeln.
Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer, so die im ÖVP-Regierungsviertel verbreitete Version, hatte diesen Montagnachmittag erstmals aus Brüssel vernommen, dass Noch-Finanzminister Magnus Brunner als künftiger EU-Kommissar künftig nicht mit Wirtschafts- oder Finanzagenden glänzen kann.
Ursula Von der Leyen betraut den 52-jährigen Vorarlberger vielmehr mit der Lösung der vielen offenen Asyl- und Migrationsfragen quer durch die EU.
Nicht nur in den Augen von Magnus Brunner auf den ersten Blick ein faules Überraschungs-Ei.
Dieser fiel so auch aus allen Wolken, als ihn Karl Nehammer diesen Dienstagvormittag über diese Entscheidung der EU-Kommissionschefin informierte. Brunner ereilte diese unliebsame Überraschung vollkommen unerwartet - und gänzlich unvorbereitet.
Nullmeldung: Brunner und Migration
Von Brunner ist weder medial noch ÖVP-intern eine einzige Positionierung im politischen Minenfeld Asyl- und Migrationspolitik überliefert. Der Finanzminister auf Abruf war zudem längst dabei, der Erwartung von Wirtschaftsagenden entsprechende Mitarbeiter für sein Kabinett zu sondieren.
Selbst wenn Brunner ernsthaft erwogen hätte, Brüssel angesichts dieser mission impossible bleiben zu lassen. Der Weg eigene oder gar von anderen in der ÖVP öffentlich kolportiere Zweifel am doppelbödigen Brüsseler Top-Job-Offert, war da längst abgeschnitten.
Das Kanzleramt hatte die Zeit zwischen endgültiger Info aus Brüssel und deren Weitergabe an Brunner dazu genutzt, eine mediale Offensive samt Jubel-Propaganda vorzubereiten.
Inszenierte Jubelchöre aus dem Kanzleramt
„Magnus Brunner ist der richtige Kandidat für die EU-Migrationspolitik", trommelte Karl Nehammer in einer kurzfristig einberufenen Medien-Info: „Magnus Brunner hat sich in besonders schwierigen Zeiten bewährt, sei es als Staatssekretär oder als Finanzminister. Er hat es geschafft, unterschiedliche Standpunkte zusammenzuführen und Beschlüsse herbeizuführen - etwa beim komplexen Thema Finanzausgleich.”
Nehammer sucht sich im Finale des Wahlkampfs auch auf dem glitschigen EU-Pflaster als der große Macher zu inszenieren. An der hinter den Kulissen kolportierten Version, Nehammer habe sich die Agenden für Österreich gar gewünscht, gibt es auf Brüsseler Boden freilich erhebliche Zweifel.
Macron forderte Brunner-Dossier an
„Hinter dem Migrations-Ressort für Magnus Brunner stecken die Franzosen, ein bisschen auch die Spanier und die Italiener”, sagt ein in Brüssel ansässiger langjähriger Kenner des EU-Innenlebens: „Paris und Rom hoffen, dass es Brunner am ehesten gelingen kann, den beim Asyl-Thema aus den Fugen geratenen CDU-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz einzufangen.”
Ein früherer französischer Botschafter sei deshalb auch beauftragt worden, im Auftrag des Elysee ein entsprechendes Dossier über Brunners Beziehungsgeflecht und Qualifikationen zu verfassen.
Persönlich sieht Brunner, sagen langjährige Kenner des designierten Migrations-Kommissars, das hoch sensible Thema weitaus weniger kantig als Kanzler Karl Nehammer und Innenminister Gerhard Karner. Diese versuchen im Wahlkampf bis zuletzt der FPÖ mit rechtspopulistischen Ansagen das längst tiefblau bestellte Feld streitig zu machen.
Als „Wirtschaftsliberaler” neigt Brunner auch hier zu einem pragmatischen Umgang. Ein Grund mehr, warum er sich öffentlich zum Thema Migration bislang total zurückhielt.
„Er wollte nicht in den Verdacht geraten, die ÖVP-Linie zu konterkarieren", so ein ÖVP-Mann.
Bewusst aufs Glatteis geführt?
In den aufgeregten Stunden rund um Brunners EU-Kür blühten daher ÖVP-intern bald Gerüchte, dass der auf Brunners Top-Imagewerte eifersüchtige Ballhausplatz mit Brüsseler Hilfe den Dauer-Konkurrenten bewusst aufs Glatteis schicken wolle.
„So tickt Brüssel nicht”, sagt ein EU-Kenner, „Von der Leyens Perfomance als EU-Kommissionschefin steht und fällt auch mit der Performance der von ihr mit heiklen Aufgaben betrauten EU-Kommissare.”
Brunners Startvorteil bei diesem unzweifelhaften prima vista Himmelfahrtskommando, so ein ÖVP-Mann: „Es gibt einen noch nie so breiten Konsens in der EU, dass es eine Art Zeitenwende in der Asylpolitik braucht.“
Dazu komme, dass Brunner mit heiklen Missionen - freilich in weitaus kleinerem Maßstab - durchaus Erfahrung habe. Der bis dahin politisch unauffällige Vorarlberger hatte bei der Übernahme des - damals im Dauerfeuer von U-Ausschüssen und Opposition stehenden - Finanzministeriums bald erfolgreich die Weichen in ein ruhigeres Fahrwasser gestellt. Ohne großes Nachtreten oder gar Triumph-Geheul schaffte er beispielsweise die durch Thomas Schmid total diskreditierte Funktion des Generalsekretärs als erster schwarz-türkiser Minister wieder ab und holte die Sektionschefs aus der von Kurz & Co politisch gewollten Versenkung.
Dadurch erwarb sich Brunner nicht nur ministeriumsintern eine gute Nachrede, er brachte das Finanzressorts auch zunehmend aus den Skandal-Schlagzeilen.
„Das Finanzministerium war nach Gernot Blümel alles andere als ein aufgelegter Winner-Job”, sagt ein ÖVP-Regierungsinsider, „Brunners größte Stärke ist sein ausgleichender Charakter. Er wird sich in Brüssel auch von einem Viktor Orban nicht reizen lassen.”