Ein Bild sagt mehr als tausend Worte: Der neue ÖVP-Parteichef Christian Stocker betritt hinter dem möglichen neuen FPÖ-Kanzler Herbert Kickl die Bühne.
©Helmut Fohringer/APA/PICTUREDESK.COMWie es zur wohlinszenierten Ouvertüre des ersten Budget-Pakts kam. Wer hinter den Verhandlungskulissen nun die Fäden zieht. Warum das Misstrauen zwischen FPÖ und ÖVP aber massiver denn je ist. Und wie „Volkskanzler“ Kickl die Blauen jetzt als „neue Volkspartei“ positionieren will.
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Der Dreikönigstag 2025 war mehr als nur ein schwarzer Tag für die ÖVP. Der für Angehörige einer christlich-sozialen Partei hohe kirchliche Feiertag markiert in der Tat eine Zeitenwende. Es sind im Moment noch die kleinen Signale, die die für schwarze Ohren alles andere als frohe Botschaft künden sollen: In der Republik geben ab sofort die Blauen den Ton an.
Montagvormittag ist schon kurz nach halb zehn Uhr das „Auditorium“ in der Eingangshalle des Parlaments bis auf den letzten Platz gefüllt. Dort, wo sich gut 50 Kameraleute, Tontechniker und Journalisten drängen, ging zuletzt unter weitaus bescheidenerer Anteilnahme das „Pressefoyer“ des Kabinetts Nehammer-Kogler über die Bühne. Wann immer an einem Mittwoch zugleich eine Plenarsitzung und damit nolens volens Präsenzdienst auf der Regierungsbank anstand, kam die Minister:innenrunde von Türkis-Grün schon vor Sitzungsbeginn um acht Uhr früh im Hohen Haus statt im Kanzleramt zusammen. Danach versuchte im „Auditorium“ zumindest je ein türkises und ein grünes Mitglied für eines der oft mediokren Sitzungsergebnisse medial Gehör zu finden.
An diesem Montag Anfang Jänner ist nicht nur der Andrang unvergleichlich größer, der Regierungsanwärter in Blau hat es offenbar auch mit der Pünktlichkeit. Schlag zehn Uhr startet Herbert Kickl den Aufschlag zu Blau-Türkis, die Erste: Hoppla, jetzt komm ich, und das auf die Sekunde genau, zackig und ungewohnt verbindlich, ja für Kickl-Verhältnisse beinahe freundlich.
Wie meist, wenn er glaubt, dass es ums Eingemachte geht, liest Kickl sein Statement wörtlich vom Blatt. Der FPÖ-Mann gilt im Hohen Haus als herausragender Redner, dem auch politische Gegner schon aus handwerklichem Interesse in großer Zahl zuhören. Ohne einen Stapel mit Leuchtstift markierter Sprechkarten begibt er sich auch hier nicht ans Rednerpult, berauscht sich bisweilen aber derart an seinem vorbereiteten Skript, dass er gelegentlich auch über die Stränge schlägt. So kam und kommt es zu Sagern, die ihm dann lange nachhängen – wie etwa den „Fahndungslisten“ mit missliebigen Ministern und Politikern.
An diesem Montagmorgen spult Herbert Kickl das vorbereitete Skript für sein Rollendebüt auf Punkt und Beistrich exakt ab. Selbst zwei-, dreimal verhaltenes Lächeln sieht die blaue Regie für den Premierenauftritt offenbar vor. Schmeichelweich in der Form, ohne Wenn und Aber im Inhalt und nur mit einem einzigen Seitenhieb sucht Kickl seine Wunschrolle als erster blauer Kanzler anzulegen. „Wir glauben an dieses Land, wir glauben an unser Österreich, wir lieben es.“
Vier Mann hoch und ohne auch nur einen weiblichen „Aufputz“ im Mitarbeiter- und Medienteam präsentiert sich dann das Verhandlungsaufgebot für die erste blau-türkise Koalition. FPÖ-Chef Herbert Kickl, betont staatsmännisch und verbindlich. An Kickls Seite sein Chefökonom Arnold Schiefer, betont entspannt, aber zielsicher. ÖVP-Chef Christian Stocker, argumentativ unerschütterlicher Pflichtverteidiger seiner Partei, aber mehr denn je grimmig und stocksteif. An seiner Seite Klubobmann August Wöginger, noch nicht trittfest in der radikalen Rollenumkehr vom Kickl-Antipoden zum Kickl-Partner und sichtlich mitgenommen vom langen Verhandlungswochenende davor.
Insgesamt sechs Mann haben nach dem ersten erfolgreichen persönlichen Beschnuppern zwischen Christian Stocker und Herbert Kickl binnen rund drei Tagen ein Budgetsanierungspaket von 6,4 Milliarden sendefertig an die EU-Kommission in Brüssel gemacht.
Wie Mahrer auf den Teufel kam
Für die FPÖ am Milliardenpokertisch saßen Kickl-Büroleiter und NÖ-Landtagsklubobmann Reinhard Teufel, FPÖ-Wirtschaftsguru und Ex-Spitzenmanager Arnold Schiefer sowie Ex-Finanzstaatssekretär und FPÖ-Steuerexperte Hubert Fuchs. Für die Türkisen vis-à-vis saßen Wirtschaftskammer- und ÖVP-Wirtschaftsbund-Chef Harald Mahrer, ÖVP-Klubobmann und ÖAAB-Chef August Wöginger sowie der Wirtschaftsberater von Ex-Kanzler Nehammer und Vizekabinettschef Michael Buchner. Der hat sich bereits bei den gescheiterten Verhandlungen zwischen Schwarz, Rot und Pink gemeinsam mit dem Klubdirektor der SPÖ-Parlamentsfraktion, Joachim Preiss, den Ruf des stabilen Achsenpartners in Sachen pragmatische politische Vernunft erworben.
Herbert Kickl und Christian Stocker starten nach Implosion der Dreierkoalition den Anlauf bewusst dort, wo Schwarz-Rot-Pink krachend gescheitert waren. Karl Nehammer hatte das politische Ringen um ein gemeinsames Budget für das Ende des Verhandlungsprozesses aufgeschoben – aus der taktischen Überlegung heraus, wenn vieles andere geschafft sei, dann sei diese absehbar größte Hürde leichter zu nehmen.
Rot und Pink ließen sich bis zuletzt auf die fadenscheinige Begründung ein, Brüssel würde erst Mitte Dezember verbindliche Zahlen für den notwendigen Sparkurs vorlegen. Nach 44 Tagen waren Anfang Jänner viele inhaltliche Projekte nicht nur bestenfalls halb fertig, sondern mangels Wissens um deren Finanzierbarkeit zudem unter Budgetvorbehalt gestellt.
Beim Staatshaushalt standen mangels klarer Führungsverhältnisse vor allem bei den Sozialdemokraten die Zeichen von Anfang an unumkehrbar auf Crash. Nicht nur Verhandlungsinsider im roten Lager hegen den begründeten Verdacht: Andreas Babler provozierte bewusst das Aus. Nach dem Verhandlungsende hoffe der mangels Erfolgsaussichten mehr denn je schwer angeschlagene rote Vormann, in der Rolle des Oppositionschefs besser zu überleben. In der Wahlnacht hatten ihm Gewerkschaft und SPÖ Wien noch erfolgreich den Weg Richtung Absprung in die Opposition abgeschnitten.
Kickls Chefökonom Schiefer: Schluss mit Befindlichkeiten
Der blaue Chefökonom Arnold Schiefer hatte schon am Tag nach der Beauftragung Kickls mit der Regierungsbildung durch Alexander Van der Bellen im kleinen Kreis wissen lassen: „Wir können bis Montag fertig sein, wenn wir auf beiden Seiten die Befindlichkeiten hintanstellen.“ Der FPÖ-Mann hat dies gegenüber engen Vertrauten aus dem ÖVP-Wirtschaftsbund schon länger kundgetan und damit recht behalten. Montagfrüh dieser Woche verkündeten die türkis-blauen Parteispitzen dann eine erste Einigung in Sachen Staatshaushalt: Die zur Vermeidung eines EU-Defizitverfahrens notwendigen 6,4 Milliarden Konsolidierungsbedarf sollen 2025 in der Hauptsache durch Ausgabenkürzungen aufgebracht werden.
Als Schiefer & Co. in den ersten Arbeitstagen nach den Weihnachtsferien ohne weitere notwendige Tarnung die Angelrute Richtung ÖVP-Wirtschaftskreise auswarfen, ging vor allem in Kreisen der ÖVP Niederösterreich aber mehr denn je die Angst um: Herbert Kickl gehe es nur darum, die ÖVP in Verhandlungen als Umfaller vorzuführen. Nachdem er die Schwarz-Türkisen ausreichend öffentlich gedemütigt habe, würde er die blau-schwarzen Verhandlungen platzen lassen und als letzten Ausweg aus dem Polit-Patt auf sofortige Neuwahlen drängen.
Auslöser dieser in NÖ-ÖAAB-Kreisen gängigen neuen schwarzen Paranoia war der halbstündige Medienauftritt von Herbert Kickl am Tag nach seiner Beauftragung mit Regierungsverhandlungen durch den Bundespräsidenten: Der FPÖ-Chef lud die ÖVP öffentlich zu Verhandlungen ein, rechnete aber gleichzeitig mit ihr wegen des Umgangs der Schwarz-Türkisen mit der FPÖ in den letzten Monaten massiv ab.
Da halfen anfangs auch authentische Interpretationsangebote von FPÖ-Unterhändlern nichts: „Kickls Rede war an die eigenen Leute gerichtet, die sich fragen, warum wir nach der brüsken Abfuhr durch Nehammer, Stocker & Co. auch nach der Wahl es uns antun, mit dieser ÖVP über eine gemeinsame Regierung zu reden.“
Wer jetzt eine Demütigung durch Kickl beklage, so ein FPÖ-Mann Richtung ÖVP, sei gut beraten, sich vice versa in die Gefühlswelt von FPÖ-Funktionären und -Anhängern hineinzudenken: „Wir wurden jahrzehntelang gedemütigt und ausgegrenzt.“
Was freilich noch länger für Gemütsstörungen zwischen den Möchtegern-Koalitionären sorgen wird: „In der ÖVP beginnen auch Spitzenleute erst jetzt zu realisieren, dass sie in einer Koalition mit uns die zweite und nicht mehr die erste Geige spielen werden“, so ein FPÖ-Mann. Dieser Tage kam es zu einer dafür prototypischen Szene, bestätigt ein teilnehmender Beobachter diesen Eindruck unter Wahrung der Anonymität der Beteiligten. Als sich nach Eröffnung des Koalitionspokers bei einem der vielen Neujahrsempfänge zwei alte Bekannte aus gemeinsamen schwarz-blauen Koalitionstagen in den 2000er-Jahren wieder über den Weg laufen, feixt der FPÖ-Mann in Richtung des hochrangigen ÖVP-Funktionärs: „Servas, jetzt werden wir euch aus der Patsche helfen müssen.“ Sein schwarzes Gegenüber reagiert von null auf hundert empört: „So redest du nicht mit mir, so fangen wir nicht miteinander an. Nur damit das von Anfang klar ist.“ Da half auch ein Vermittlungsversuch durch Umstehende nichts, der ÖVP-Spitzenmann suchte wutentbrannt das Weite.
Massives Misstrauen bleibt größte Koalitionshürde
Auch wenn mit dem 6,4-Milliarden-Paket eine erste größere Hürde in Sachen Budget genommen zu sein scheint, das Misstrauen auf beiden Seiten ist damit noch lange nicht aus der blau-schwarzen Welt geschafft. „Entweder es kracht schon jetzt final oder erst in einem Jahr”, meint ein langgedienter ÖVP-Funktionär, der schon Schwarz-Blau im Regierungsviertel aus nächster Nähe miterlebt hat.
„Ich traue der ÖVP noch immer nicht ganz, dass sie ernsthaft in der Position des Juniorpartners mit uns regieren will“, sagt ein langjähriger FPÖ-Nationalratsabgeordneter, „und ich bin bei Weitem nicht der Einzige bei uns, der sich täglich fragt: Was hat sie noch für Tricks auf Lager?“
In den Entscheidungszirkeln von ÖVP und FPÖ haben indes die Machtpragmatiker das Steuer übernommen. Nach der ersten Budget-Einigung machen sie sich jetzt daran, nach diesem Muster den weiteren Verhandlungsprozess in kleinen Gruppen voranzutreiben. „In den nächsten Wochen werden ähnlich intensiv wie beim Budget alle inhaltlichen Fragen verhandelt. Das wird nicht binnen zwei Wochen gehen, wie manche glauben“, so ein ÖVP-Verhandlungsinsider: „Wir haben nicht umsonst 33 Gruppen in den Gesprächen mit Rot und Pink gehabt. So viele werden es diesmal nicht werden. Aber das alles endabzustimmen und damit in die Gremien zu gehen, wird seine Zeit brauchen.“
Wunschstarttermin 4. Februar, 25 Jahre nach Schüssel-Haider
Historisch besonders affine Blau-Schwarze spekulieren damit, dass der Koalitionspakt und die Regierung bereits Anfang Februar stehen und die Angelobung am 4. Februar über die Bühne gehen könnte. Das wäre nicht nur exakt vier Wochen nach dem offiziellen Go aus der Hofburg für blau-schwarze Verhandlungen. Das wäre exakt auch 25 Jahre nach Start der ersten schwarz-blauen Regierung unter Kanzler Wolfgang Schüssel, eingefädelt (und zweieinhalb Jahre danach wieder gesprengt) von Jörg Haider.
Ein Spitzenverhandler hat allerdings abseits solcher symbolischer Zeichen eine andere Agenda besonders scharf im Blick. Diese sollte zwischen Kickl und Stocker ähnlich zeitnah und klar ausgehandelt werden wie die Budgetgeschichte, meint dieser gewichtige ÖVP-Mann: „Um nicht auch hier hinterher das böse Erwachen zu haben, sollte schon am Beginn der weiteren Verhandlungen geklärt werden, wie die wichtigsten Ministerien politisch aufgeteilt werden.“
Erfahrene Verhandler hatten sich schon beim 44-tägigen Tauziehen um eine Dreierkoalition gewundert, dass diese Schlüsselfrage nicht zeitgerecht angesprochen wurde: „Die Ministerien müssen ja noch nicht final namentlich besetzt werden. Aber jeder, der damit bis zum Schluss warten will, ob das Finanzministerium und andere Schlüsselressorts nun von Blau oder Schwarz geführt werden, macht sich bis zum Schluss erpressbar: Entweder wir bekommen dieses Ministerium oder der ganze Koalitionspakt ist Makulatur.“
Blaue wollen als „neue Volkspartei“ alte ÖVP-Domänen besetzen
Mehr in die Karten schauen lassen wollen sich Stand Mitte dieser Woche beide Seiten noch nicht. Kenner des schwarz-blauen Innenlebens aus gemeinsamen Koalitionstagen in der kurzen Ära Kurz-Strache haben Indizien dafür, dass die FPÖ diesmal die Ressortverteilung unter einem neuen strategischen Ansatz angehen wolle. Die Wahl 2024 habe gezeigt, dass die Blauen nach den Arbeitern nun bei allen Arbeitnehmern die Nummer eins und damit „am Weg zur neuen Volkspartei“ sind.
Das werde sich auch im dringenden Wunsch nach klassischen ÖVP-Ressorts widerspiegeln, glaubt ein schwarzer FPÖ-Kenner: „Sie werden uns das Sozialressort anbieten, wo nicht viel zu gewinnen ist. Für sich selber aber den Anspruch auf Finanzen, Wirtschaft und Landwirtschaft erheben. Die Agraragenden kann und wird die ÖVP nicht aufgeben. Wenn die FPÖ Finanzen und Wirtschaft bekommt, hätte sie ihr Ziel erreicht, in klassische ÖVP-Reviere einzubrechen.“
Ein Knackpunkt vor allem aus Sicht der Hofburg werden die politische Aufteilung und die personelle Besetzung der Sicherheitsressorts Innen, Verteidigung und auch der Justiz sein. Van der Bellen ließ bereits wissen: Er lege großen Wert darauf, dass Heer und Polizei – auch wegen der damit verknüpften jeweiligen Nachrichtendienst-Agenden – nicht in gleicher parteipolitischer Hand sind.
Eine Frage sucht neuerdings im Regierungsviertel vom Wiener Rathaus aus neu befeuert zu werden: Was passiert eigentlich, wenn nach Schwarz-Rot-Pink und Schwarz-Rot auch Blau-Schwarz platzt? Sind Neuwahlen dann wirklich unausweichlich? Michael Ludwig hat dieser Tage öffentlich demonstrativ einen Köder ausgelegt, der alle Beteiligten im Koalitionspoker zurück auf Feld eins führen soll. Zehn Tage nach Platzen der Dreierkoalition proklamiert Wiens SPÖ-Chef und Bürgermeister, die SPÖ stünde jederzeit für neue Gespräche über eine Regierung der konstruktiven Kräfte weiter zur Verfügung.
Roter Sündenbock-Reigen neu eröffnet
Der reichlich späte Zuruf Ludwigs wird auch in der eigenen Partei als Versuch der Imagereparatur in eigener Sache qualifiziert: Der Chef der letzten roten Bastion im Lande suche sich damit gegen die von Rot, Schwarz und Pink hinter den Kulissen immer lautere Kritik abzufedern, er habe die Dinge in der SPÖ einmal mehr zu lange tatenlos laufen lassen und damit sehenden Auges den Crash der Dreierkoalition riskiert.
Eine Kritik, die im Rathaus zurückgewiesen wird: Die Wiener SPÖ habe alle wesentlichen Verhandlergruppen vorsorglich mit erfahrenen Verhandlern besetzt. Vom Verhandlungstisch aufgestanden sei nicht die SPÖ, sondern die ÖVP. Die Debatte, wer Kickl tatsächlich den roten Teppich ins Kanzleramt gelegt habe, ist in allen anderen Lagern freilich erst eröffnet.
Der rote Sündenbock-Reigen wird, wie immer die Landtagswahl diesen Sonntag im Burgenland ausgeht, schon am Montag danach neu Fahrt aufnehmen.