Die FPÖ unter Herbert Kickl hat die Wahlen zwar gewonnen, den Auftrag zur Regierungsbildung hat Bundespräsident Alexander van der Bellen aber dem ÖVP-Kanzler Karl Nehammer erteilt. Dieser soll nun mit SPÖ-Chef Andi Babler und einem möglichen dritten Partner eine regierungsfähige Koalition bilden.
©Georg Hochmuth/APA/picturedeskWer nach dem Regierungsbildungs-Auftrag an den amtierenden Kanzler bei Rot und Schwarz jetzt den Dreier flott machen soll und weshalb sich Pink ziert.
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Eine ÖVP, aber zwei sehr gegenteilige Welten. Karl Nehammer proklamiert kurz nach seinem ersten offiziellen Gespräch mit Herbert Kickl auf Wunsch des Bundespräsidenten vor einer eigens angefertigten Fotokulisse „Bundeskanzler Nehammer“ im Pressekonferenzraum der ÖVP-Zentrale: „Ich werde nicht den Steigbügelhalter für Herbert Kickl machen“. Die Anspielung auf Kickls Leidenschaft für Polizeipferde ist nicht die einzige Spitze gegen den blauen Ex-Innenminister-Kollegen. Wortreich sucht der ÖVP-Chef einmal mehr zu erklären, warum Blau-Schwarz für ihn ein No-Go sei, solange Kickl in der FPÖ das Sagen habe.
Nicht einmal vierundzwanzig Stunden danach kommt in einer hochkarätigen ÖVP-Wirtschaftsrunde das Thema Nummer eins in den heimischen politischen Zirkeln auf:
Wie kommt das Land nach dem erstmaligen Durchmarsch der FPÖ zur stärksten Partei zu einer trag- und handlungsfähigen Regierung? Es formiert sich in diesem Kreis von wirtschaftsnahen ÖVP-Funktionären und -Mandataren kein offener Widerstand gegen Nehammers striktes Nein zu einer Koalition mit Kickl. So gut wie jeder formuliert aber große Skepsis gegenüber der von Nehammer & Co. intern schon vor der Wahl propagierten Alternative: Schwarz-Rot-Pink.
„Wie soll das denn gehen? Da muss jeder gewaltig über seinen Schatten springen. Ich sehe nicht, wie das schon bei den großen offenen Fragen Steuer, Budget und Pensionen gehen soll“, so der Tenor in der Runde. Ein paar Dutzend Kilometer weiter in niederösterreichischen Landen machte schon Tage zuvor Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner in kleiner Runde einmal mehr aus ihrem Herzen keine Mördergrube. „Das, was wir politisch wollen und jetzt tun müssen, geht halt nur mit den Blauen.“
Offener Widerstand ist aber auch in der politischen Heimat von Karl Nehammer nicht angesagt. Mikl-Leitner ist mit ihrer Skepsis gegenüber Schwarz-Rot-Pink auch in noch halbwegs starken ÖVP-Ländern wie Oberösterreich nicht allein, wo ganze Landstriche blau statt schwarz eingefärbt wurden.
Kein Landesfürst im ÖVP-Verhandlungsteam
Die Haltung, die Mikl-Leitner & Co. innerhalb der ÖVP zu den Planspielen im Regierungsviertel einnehmen, lässt sich derzeit am besten so umschreiben: freundliche Miene zu einem Spiel, das nicht ihres ist. Und was die bisherige Mitwirkung am Koalitionspoker betrifft: passive Resistenz. Im Verhandlungsteam, das der ÖVP-Parteivorstand zwei Tage nach dem Wahlsonntag kürte, finden sich entgegen der langjährigen ÖVP-Tradition weder Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner noch andere der machtbewussten ÖVP-Landeshauptleute wie Thomas Stelzer.
Parteichef Karl Nehammer geht allein flankiert von seinen engsten Vertrauten Klubchef August Wöginger und Generalsekretär Christian Stocker sowie mit Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer, Verfassungsministerin Karoline Edtstadler und Jugend-Staatssekretärin Claudia Plakolm in die Regierungsverhandlungen.
„Die Skeptiker in den Ländern schauen sich erste Reihe fußfrei an, was der Karl mit Babler und Meinl-Reisinger zusammenbringt“, sagt ein ÖVP-Länder-Kenner. Mit Stocker ist freilich die ÖVP Niederösterreich, mit Wöginger und Plakolm sind die Oberösterreicher gleich doppelt im Koalitionsverhandler-Team vertreten. Der ÖVP-Wirtschaftsbund sitzt mit seinem Obmann und Kammerpräsidenten Harald Mahrer von Anfang mit am Tisch. „Wir werden den Verhandlungsprozess engmaschig begleiten“, lässt ein Spitzenmann im Wirtschaftsbund wissen.
Katzian und Bures als Aufpasser für Babler
„Einhegen“, sprich engmaschig begleiten, ist auch die Parole, die in der SPÖ schon vor dem Wahltag ausgegeben wurde. Mit dem Halten des schlechtesten Wahlergebnisses aller Zeiten unter Pamela Rendi-Wagner sicherte sich Parteichef Babler zwar seine Position als Parteichef auf Sicht weiter ab. Der Plan einiger Bundesländer-Roten, ihn bei einem im Worst Case erwarteten Ergebnis unter 20 Prozent zugunsten von Christian Kern zu stürzen, war noch in der Wahlnacht abgeblasen worden. „Nachdem Babler akzeptiert hat, dass mit Doris Bures und Wolfgang Katzian jetzt zwei erfahrene Verhandler und Pragmatiker das Heft in die Hand genommen haben, gibt es auch keinen Anlass, ihn offensiv in Frage zu stellen“, resümiert ein roter Bundesländer-Spitzenmann.
Nicht nur in roten und schwarzen Parteikreisen setzt sich intern zunehmend die Haltung durch: Beide Lager müssten nach der erwartbar ergebnislosen Runde mit Kickl nun in den verbleibenden vier Wochen bis zur steirischen Landtagswahl Gas geben. Bis zum 24. November kann es freilich seriöserweise keinen fertigen Koalitionspakt geben. „Aber wir müssen bis dahin so weit die Pflöcke eingeschlagen haben, dass es noch vor dem steirischen Wahlsonntag keine Zweifel gibt, wohin politisch die Reise geht.“
Denn bei der steirischen Landtagswahl wird neuerlich ein Wählerbeben erwartet: In Umfragen ist weiterhin die FPÖ als Nummer eins gesetzt, die Mehrheit der schwarz-roten Landeskoalition am Implodieren. Das droht Nachbeben weit über Graz hinaus auszulösen. Wird nach dem Bund nun auch in einem großen Bundesland die ÖVP von der FPÖ um Platz eins gebracht, ist steigender Druck in der Gesamtpartei zu erwarten, die blauen Herausforderer à la Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg und neuerdings auch Vorarlberg in einer gemeinsamen Regierung um den Oppositionsbonus zu bringen und in die Mitverantwortung zu nehmen. Und in der SPÖ fürchtet man zudem neues Ungemach, sollten die steirischen Genossen den Schalmeientönen der Blauen erliegen und ihr Heil in Rot-Blau suchen.
Blau-roter Tabubruch
In der FPÖ ist es nämlich ausgemachte Sache, den Roten erst in der Steiermark und dann auch im Burgenland mit allen Mitteln den Tabubruch schmackhaft zu machen: Türen auf für Rot-Blau. Kickl & Co. haben vor allem deshalb Norbert Hofer zurück ins Burgenland abkommandiert, damit dieser am 19. Jänner der SPÖ die knappe absolute Mehrheit streitig macht und hinterher eilfertig die Hand für Rot-Blau reicht.
Die FPÖ-Spitze rechnet fix damit, dass Hans Peter Doskozil im Fall des Falles mit Hofer eine Koalition eingeht. Auch um damit seinen roten Intimfeinden in der Wiener SPÖ und an der Parteispitze nachhaltig eins auszuwischen. „Babler wird sich dann die Frage stellen lassen müssen, ob er nun Doskozil und die ganze burgenländische Landespartei aus der SPÖ ausschließen lassen will“, feixt ein Spitzen-Blauer.
Der blaue Plan: maximalen Gegenwind schon vom Start weg gegen das Kabinett Nehammer-Babler zu erzeugen. Denn bis zu diesem nächstmöglichen roten Super-GAU werden im Bund die Weichen in Sachen Regierung wohl bereits gestellt sein.
Strategen in beiden maßgeblichen Verhandlergruppen rechnen im Moment damit, dass am Ende die normative Kraft des Faktischen in der ÖVP die Oberhand behält. Sprich: dass Schwarz-Rot wahrscheinlicher ist als Blau-Schwarz.
ÖVP-Insider sagen: Karl Nehammer geht das Projekt mit dem alten machiavellistischen Rezept „divide et impera“ an. Jeder Akteur werde nur so weit eingeweiht, wie er es für die Umsetzung eines Auftrags aus dem Kanzleramt braucht. „Die Geheimhaltung funktioniert, selbst enge Nehammer-Vertraute wissen nicht alles“, resümiert der ÖVP-Kenner. Der eine oder andere Gesprächspartner außerhalb der ÖVP, der dieser Tage mit Nehammer & Co. Kontakt hat, interpretiert die sehr dosierte und auch hinter den Kulissen nur in Trippelschritten wahrnehmbare Vorgangsweise der Schwarzen beim Ausloten von Nehammers Wunschkoalition freilich ernüchtert so: „Die haben noch keinen wirklichen Plan.“
Vermisst wurde nicht nur ein klares Konzept, wie der erstmalige Verhandlungsprozess zwischen drei möglichen Partnern anzulegen sei. Genau das wird für einen halbwegs reibungslosen Regierungsalltag aber spielentscheidend sein: Wie finden eine rechtspopulistisch blinkende ÖVP, eine linkspopulistisch blinkende SPÖ und ein Regierungsneuling wie die Neos, der sich zur „treibenden Kraft“ ausgerufen hat, zueinander? Und wie legt man es an, dass drei Regierungspartner sich im „daily business“ nicht permanent durch wechselnde interne Bündnisse gegenseitig auszubremsen suchen?
Masterplan für Dreierkoalition gesucht
„Dafür braucht es von Anfang an inhaltlich und budgetär auf Punkt und Beistrich ausverhandelte Projekte, die vom Start weg vertrauensbildend wirken und jeden der drei Partner politisch leben lassen“, sagt ein erfahrener Politstratege. Ein ÖVP-Wirtschaftsmann sekundiert: „Der Karl hat einiges dazugelernt, aber er hat nach wie vor ein politisch und inhaltlich nicht sehr breit aufgestelltes Team. Es fehlt ihm vor allem ein Bernhard Bonelli.“ Der einst rechten Hand von Sebastian Kurz im Kanzleramt wird quer durch die beiden Regierungslager bis heute nur das Beste nachgesagt: Der im internationalen Beraterbusiness geschulte Kabinettschef im Kanzleramt habe im Interessenausgleich sowohl in den eigenen ÖVP-Reihen als auch mit dem grünen Visavis eine tragende Rolle gespielt. Zumal er meist erfolgreich höchst pragmatisch darauf bedacht war, auch nach markigen türkisen Ansagen alle Beteiligten bei Kompromissen politisch halbwegs leben zu lassen. Entscheidend wird sein, dass „jemand wie Bonelli mit voller Rückendeckung des Kanzlers den Freiraum hat, Entscheidungen vorzubereiten und die Dinge im Vorfeld zusammenzuführen“, so der ÖVP-Insider.
Nehammer sondiert bei Babler-Gegner Rudi Fußi
Inner- und außerhalb des Regierungsviertels wurde daher mit Kopfschütteln registriert, dass sich Karl Nehammer dieser Tage bisweilen mehr dem Mikromanagement widmet als dem großen Ganzen. Der Kanzler und ÖVP-Chef läutete Mitte Oktober mehrmals beim umtriebigen PR-Unternehmer Rudi Fußi an, um sich mit diesem ausgiebig über seine Vorstellungen über den künftigen SPÖ-Kurs zu unterhalten. Fußi nutzt bekanntlich die von Andreas Babler – auch zur eigenen Absicherung als „Basis-Tribun“ – durchgedrückten neuen SPÖ-Statuten als Startrampe in eigener Sache: Fußi will in den kommenden Wochen zehn Prozent der Parteimitglieder dazu bringen, eine Neuwahl des SPÖ-Chefs durch die Parteibasis zu fordern und in der Folge Bablers Job übernehmen. Ein Unterfangen, das auch Fußi-Fans in der SPÖ kritisch sehen.
Karl Nehammer freilich klopfte diesen umgehend und höchstpersönlich auf seine Koalitionstauglichkeit und mögliche gemeinsame Projekte ab. Der ÖVP-Chef, so das Ondit in SPÖ-Kreisen, sei davon durchaus angetan gewesen.
Unvermeidliche Terrain-Checks in sumpfigem Gelände wie diesem überlassen Führungspersonen in der Regel der zweiten und dritten Ebene oder diskreten Mittelsmännern. Wohlmeinende in der ÖVP suchen daher Nehammers Pfadfindermission im roten Intrigendschungel nachträglich als strategische Aktion zu framen: Karl Nehammer wollte aus erster Hand wissen, ob und wie die Chancen stünden, die in der ÖVP epidemische Aversion gegen einen Vizekanzler Babler mit Aussicht auf einen Wechsel an der SPÖ-Spitze zu dämpfen.
Rote Spitzenfunktionäre konnten die Berichte über Nehammers persönliche Erkundungsmission bei Fußi erst nicht glauben. „Wir leben im Moment wirklich in einer Operettenrepublik“, resümiert ein SPÖ-Strippenzieher. „Inzwischen hat auch Nehammer eingesehen, dass Fußi mit seiner Kandidatur den denkbar schlechtesten Zeitpunkt für Babler-Gegner und Skeptiker erwischt hat.“
Pinke plagen Zweifel an Dreier
Tatsächlich offener als in den ersten Tagen nach der Wahl ist, ob und unter welchen Bedingungen die Neos in einem Kabinett Nehammer II mitmachen. In Neos-Kreisen verfestigt sich die Absicht, den Preis für einen Koalitionseintritt sehr hochzutreiben, um nicht als bloßer Mehrheitsbeschaffer dazustehen. Im Moment schätzt ein Neos-Spitzenmann daher die Chancen nur knapp über 50 Prozent ein, dass die Pinken in Ministerämter einrücken.
Wohl auch aus verhandlungstaktischen Gründen wird zunehmend die Idee ventiliert, gemeinsame Projekte allein parlamentarisch zu stützen, aber „nicht alle schwammigen Kompromisse beim Regieren mitmachen zu müssen“. Karl Nehammer, sagen ÖVP-Insider, sei ob des pinken Selbstbewusstseins schon derart genervt, dass er seinem Noch-Vizekanzler Werner Kogler signalisiert habe: Wenn Leonore Gewessler zeitgerecht ihre berufliche Zukunft außerhalb der Politik sieht, dann sehe er auch Chancen, gemeinsam weiterzuregieren. Sprich: Schwarz-Rot-Grün, aber ohne Gewessler.
Der ÖVP-Chef wurde vom Wähler zwar klar auf Platz zwei verwiesen. Die ÖVP hat aber nach wie vor als einzige Partei zwei Koalitionsoptionen und ist in jedem Fall weiter an der Regierungsmacht. Nehammer agiert freilich, sagen selbst ÖVP-nahe Strategen, als sitze er alleine im Fahrersitz: Ja zur FPÖ, aber nur ohne Kickl. Ja zur SPÖ, aber, wenn irgendwie geht, ohne Babler. Ja zu Neos, wenn sie es bei den Forderungen um ein paar Nummern kleiner geben. Ja zu den Grünen, wenn sie auf dem Weg zum Regierungscomeback Gewessler verlieren.
Im Regierungsviertel diagnostiziert einer bald vier Wochen nach der Nationalratswahl: „Wir sind auf vielen Ebenen noch immer im Vorspiel zum Vorspiel.“ Dieses Vorspiel hat auf offener Bühne in den ersten drei Wochen nach der Wahl zuvorderst Herbert Kickl geprägt. „Ihm ist es weitgehend gelungen, die voraussichtlich kommende Regierung als Koalition der Verlierer zu framen“, so ein dieser Tage umtriebiger Strippenzieher im Regierungsviertel. „Er hat auch als Erster im Koalitionspoker Inhalte auf dem Tisch gelegt, wenn auch klar als Köder für die Wirtschaft erkennbar.“
Herbert Kickl wäre aber mehr als überrascht, wenn der ÖVP-Wirtschaftsflügel doch noch das Ruder Richtung Blau-Schwarz herumreißt, sagt ein FPÖ-Insider. Die blauen Strategen rüsten sich daher nicht mehr für die Mühen der Ebenen im Regierungsviertel, sondern sind bereits auf der Suche nach den griffigsten Slogans für die kommenden Wahlen.
Nach den Landtagswahlen in der Steiermark (24. 11.) und im Burgenland (19. 1.), den Gemeinderatswahlen in Niederösterreich (26. 1.) steht im Herbst 2025 die Neuauflage der Politschlacht um Wien an. Von all diesen Wahlgängen, bei denen gut die Hälfte aller Wähler im Land einmal mehr ihre Stimme abgibt, erwarten sich die Blauen zusätzlichen Rückenwind für den nächsten Anlauf aufs Kanzleramt. Denn „die Dreierkoalition kann bei den vielen Gegensätzen nix zusammenbringen“, so ein FPÖ-Spitzenmann. „Dazu kommt neuer Gegenwind durch die einbrechenden Exporte und die vielen anderen Wirtschaftsprobleme. Was soll da die neue, frische Erzählung dieser Regierung sein?“