Trotz Niederlagenserie ist KARL NEHAMMER in der ÖVP weitgehend unumstritten. Mit der scharfen Abgrenzung von den Grünen hat er sich Respekt verschafft. Aber jetzt müssen Taten folgen, so Parteiinsider – notfalls auch gegen die Grünen im koalitionsfreien Raum.
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Noch vor wenigen Wochen ging in der ÖVP vor allem in Wirtschaftskreisen der große Frust um. Ein Jahr nach der Kür von Karl Nehammer zum Regierungs- und Parteichef hätte allein der ÖVP-Arbeiternehmer-Flügel das Sagen. Alle Schlüsseljobs seien mit ÖAAB-Leuten besetzt, viele davon mit engen Vertrauten von Karl Nehammer aus gemeinsamen ÖAAB-Tagen. Der Wirtschaftsflügel habe nicht einmal mehr einen durchsetzungsfähigen Ansprechpartner am Ballhausplatz.
Der massive Unmut des mächtigen ÖVP-Wirtschaftsflügels hatte Anfang des Jahres noch alle Anlagen für eine Obmanndebatte für den drohenden Fall, dass die zwei Schlüssellandtagswahlen in Niederösterreich und Salzburg für die ÖVP mit schweren Verlusten enden.
Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit und Absturz auf unter 40 Prozent in Niederösterreich entlud sich ÖVP-intern auf vielen Ebenen diese Missstimmung. In der ersten Sitzung des ÖVP-Parlamentsklubs nach dem Wahldesaster kam es in Abwesenheit des verreisten Kanzlers zu einer besonders heftigen Debatte.
Die Wirtschaftsbündler im ÖVP-Klub machten in einer konzertierten Aktion gegen weitere milliardenschwere Antiteuerungsgeldspritzen mobil. Motto: Wir sind zu großzügig und keiner dankt es uns. Zudem setze die ÖVP ihre DNA und ihr letztes Alleinstellungsmerkmal so endgültig aufs Spiel. Denn: Wo sei das Prinzip Leistung und Eigenverantwortung für ÖVP-Wähler da noch wahrnehmbar?
Der ÖAAB-Truppe rund um den amtierenden Arbeiternehmer-Chef August Wöginger und Amtsvorgänger Wolfgang Sobotka blieb nur der etwas verzweifelt anmutende Konter: Ohne Finanzspritzen wäre die Wählerwatsche noch kräftiger ausgefallen, dann „sind wir politisch erst recht hin“.
Die Profilierungsoffensive
Wer dieser Tage in den ÖVP-Wirtschaftsbund hineinhört, vernimmt plötzlich ganz andere Töne. „Wie Nehammer in den letzten Wochen auftritt, das gefällt mir sehr“, sagt ein Spitzenmann im ÖVP-Wirtschaftsbund, der noch vor Wochen kaum ein gutes Haar am herrschenden ÖVP-Regime ließ: „Er hat stark an Profil gewonnen. Das kommt auch in der Partei sehr gut an.“
Für die neuerdings ungebrochen gute Nachrede sorgt ÖVP-intern weit über den Wirtschaftsbund hinaus der aktuelle Umgang Nehammers mit seinem Koalitionspartner. „Wir lassen uns nicht mehr am Nasenring von den Grünen durch die politische Arena ziehen“, formuliert ein ÖVP-Mann deftig. „Diese Besserwisserei und Überheblichkeit der Grünen war ja nicht mehr auszuhalten. Alles, was von uns kommt, wird immer als gestrig und rückwärtsgewandt abqualifiziert. Das geht schon bis ins Persönliche.“
An den desaströsen Wahlergebnissen für die Türkisen hat die Abgrenzungsoffensive des ÖVP-Chefs zu den Grünen freilich noch nichts geändert. Nach Johanna Mikl-Leitner wurde auch Wilfried Haslauer vom Wähler deutlich abgestraft. Mehr als sieben Prozentpunkte büßte die Kanzlerpartei nun auch in Salzburg ein. Das ÖVP-interne Wohlwollen für den Parteichef hat darunter aber nicht gelitten. Wohl auch weil die befürchtete Katastrophe ausblieb.
Meinungsforscher hatten bis zuletzt nicht ausgeschlossen, dass die – im Gegensatz zu FPÖ-Chef Herbert Kickl – bürgerlich und gewinnend auftretende Salzburger FPÖ-Frontfrau Marlene Svazek als neue Nummer-eins-Partei Wilfried Haslauer vom Landesfürstenthron stürzen könnte.
Vorgezogene Neuwahl obsolet
Österreichweit ist die FPÖ als Front-Runner-Partei in Umfragen bereits hartnäckig Realität. In der ÖVP ist mit der neuerlich kräftigen Wähler-Ohrfeige in Salzburg jedes Planspiel mit vorgezogenen Neuwahlen endgültig obsolet – so die Botschaft aus dem Küchenkabinett des Kanzlers.
Es ist nach wie vor ein sehr enger Kreis, auf den Karl Nehammer hört. Dazu gehören neben seiner Frau Kathi, seinen alten ÖAAB-Kumpeln Wolfgang Sobotka und August Wöginger, seit seinem Aufstieg zum ÖVP-Generalsekretär auch Christian Stocker sowie der von Nehammer als ÖVP-Kommunikationschef reanimierte Kurz-Intimus Gerald Fleischmann und die Kabinettsspitzen Daniel Kosak und Daniela Hausberger. Das demoskopische Unterfutter für Entscheidungen wird weiter vom Meinungsforscher Franz Sommer geliefert.
Dessen Befunde sind Grundlage für eine Strategie, die nun in den kommenden Wochen noch pointierter durchgezogen werden soll: Die Marke ÖVP ist – nach den anhaltenden Enthüllungen rund um die Chats des Kronzeugen-Anwärters Thomas Schmid – derart beschädigt, dass es derzeit aussichtslos ist, selbst mit einer reuig runderneuerten ÖVP der FPÖ Platz eins auch nur annähernd streitig machen zu wollen.
Neue Strategie: „Wahl nur über Person Nehammer zu gewinnen“
„Wenn wir die Wahl gewinnen wollen, dann geht das nicht über die Partei ÖVP, sondern nur über die Person Karl Nehammer“, gibt ein Parteiinsider die von den Kanzler-Strategen ausgegebene Parole wieder. Vor diesem Hintergrund werden auch die Aktionen von Nehammer & Co. in den vergangenen Wochen plausibler. Erst das Veto gegen den Schengen-Beitritt von Rumänien und Bulgarien.
Dann die Kanzlerrede im März mit Ansagen gegen Klimakatastrophenängste und für das „Autoland Österreich“. Jetzt der Feldzug für das Verbrennerauto und das unausgesprochene Signal an die ländliche ÖVP-Klientel, die Sache mit den E-Autos werde nicht so heiß gegessen werden wie von den Grünen gekocht. Rund um die Ankündigung, bis Jahresende einen Plan „Österreich 2030“ vorzulegen, soll von Karl Nehammer da noch mehr an anti-grünen Signalen und schlagzeilenträchtigen türkisen Markierungen kommen.
Die neue Marschrichtung der ÖVP, die als Partei derzeit kein Leiberl beim Wähler hat, lautet: Aus einem bislang politisch blassen und weitgehend konturlosen Politiker soll in den kommenden Monaten ein Regierungschef mit Ecken und Kanten geschnitzt werden. Was unter Kurz das „Projekt Ballhausplatz“ war, soll unter neuer Flagge den in Umfragen längst verspielten Machterhalt doch noch sichern: „Karl Nehammer reloaded“.
Ein lang jähriger ÖVP-Stratege, der nicht zur Kanzler-Entourage gehört, betrachtet den Plan des ÖVP-Parteichefs, sich in der türkis-grünen Koalition mit einem eigenständigeren Profil freischwimmen zu wollen, durchaus mit Interesse und Wohlwollen: „Nachdem man lange in Geiselhaft der Grünen war, sucht man nun eigene ideologische Themen zu setzen. Das ist gut so.“
Gewichtiger Nachsatz: „Um Glaubwürdigkeit zu erlangen, muss man als Kanzler aber auch etwas Herzeigbares umsetzen. Zur richtigen Rhetorik gehört am Ende auch das richtige Handeln.“
Der ÖVP-Mann zieht einen Vergleich mit der Kanzlerschaft von Sebastian Kurz: „Ihm ist es zumindest eine Zeit lang gelungen, glaubwürdig zu machen, dass, wie von ihm angekündigt, die Balkanroute geschlossen ist. Wenn in seiner Zeit plötzlich mehr Flüchtlinge gekommen wären, dann wäre das sehr blöd für ihn gewesen.“
In der ÖVP gehen statt Neuwahl-Planspielen daher längst andere Szenarien um, so der ÖVP-Mann: „Nehammer wird möglicherweise den Einsatz erhöhen müssen, damit einige seiner Ankündigungen auch wahr werden. In Fragen von Migration und Asyl gibt es im Koalitionsabkommen ja ausdrücklich einen koalitionsfreien Raum. Nehammer und die ÖVP könnten sich daher im Parlament am Ende auch Mehrheiten für ihre Vorhaben suchen, ohne damit die Koalition aufzukündigen.“
Im Moment dominiert innerparteilich noch die Parole, die am Tag nach der Wahl auch in den Salzburger Parteigremien ausgegeben wurde. „Bei einer Wahl Erster zu bleiben, ist trotz schmerzlichen Stimmverlusten in Zeiten wie diesen durchaus respektabel“, so ein ÖVP-Spitzenmann. „Das stabilisiert in der ÖVP bis auf Weiteres auch die Stimmung für Karl Nehammer.“
Dieser Beitrag ist der trend. EDITION vom 28.4.2023 entnommen.