Wenn sich Politik-Stillstand & Vorwahlkampf paaren, sprießen Neuwahl-Gerüchte fast von selber. Warum Nehammer & Kogler dennoch bis Herbst 2024 weitermachen wollen, in heiklen Fragen aber auf der Stelle treten. Zuletzt beim von Nehammer proklamierten "Versöhnungsprozess" in Sachen Corona.
von
Mittwoch Schlag 11 Uhr trifft sich die Regierung im Regelfall zur wöchentlichen Ministerrats-Sitzung. Es ist bereits 11:15, als diesen Mittwoch die grüne Regierungsriege in Begleitung einiger Mitarbeiter Richtung Sitzungssaal schlendert. Werner Kogler & Co hatten mit ihrer internen Vorbesprechung etwas länger gebraucht.
Nachdem der Vizekanzler seine Aufenthaltsräume im Kanzleramt wegen akuten Platzbedarfs des ÖVP-Hausherren aufgeben musste, treffen sich die grünen Regierungsmitglieder samt Gefolge entweder in einem Sitzungszimmer des nahegelegenen Grünen Klubs in der Löwelstraße oder wie zuletzt häufig in einem der Zimmer vis-à-vis des Kanzleramts, die als Refugium für den Vizekanzler in unmittelbarer Nähe der Regierungszentrale am Ballhausplatz frei gemacht wurden.
Die grüne Regierungsriege kommt dennoch nicht zu spät. Auch die schwarz-türkisen Minister, die sich direkt im Kanzleramt samt Klubspitze, Nationalratspräsident und ÖVP-Generalsekretär, zum wöchentlichen Jour Fixe einfinden, haben mit ihrem internen Meinungsaustausch diesmal länger gebraucht.
Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden erst innerfraktionell und dann im Vorfeld von formellen Sitzungen von den Koalitions-Koordinatoren im Kabinett von Finanzminister Markus Brunner für die ÖVP und von Infrastruktur- und Klimaministerin Lenore Gewessler für die Grünen getroffen.
Routine-Berichte & Ordensverleihungen
Die tatsächlich beschlussreife politische Ausbeute ist diesen Mittwoch besonders dürftig. Knapp vor halb zwölf verlassen der Kanzler und die Minister schon wieder den Ministerrats-Sitzungssaal. In der 15 Minuten währenden Zusammenkunft wurden im Blitztempo zehn Tagesordnungspunkte ohne Debatte abgenickt: Ein halbes Dutzend schriftlich vorliegender Routine-Berichte von EU-Räten sowie Berichte zur Arbeitsmarktlage im März 2023 und zur Lage des Zivildienstes von 2020 bis 2022.
Die Ministerrunde gab zudem grünes Licht für die Verleihung von Orden und Ehrenzeichen für ein knappes Dutzend Diplomaten und heimische Honoratioren - unter anderem an die seinerzeitigen Minister an der Seite von Brigitte Bierlein in der Experten-Regierung nach Ibiza, Brigitte Zarfl (Sozialressortchefin) und Wolfgang Peschorn (Innenminister).
Fünf Minister für zwei mickrige Botschaften
Für die Medienvertreter boten die Regierungskommunikatoren dennoch gleich fünf Minister auf, um Action zu simulieren. Das publizistische Echo blieb angesichts der präsentieren Botschaften mehr als überschaubar: Die Regierung werde bis Herbst eine Sicherheitsstrategie erarbeiten. Und: Eine Taskforce wird sich der Bekämpfung der Umweltkriminalität widmen.
Es mutet da etwas skurril an, wenn nach der Frühjahrs-Werbekampagne der Grünen für – das dank ihrer Regierungstätigkeit einsetzende – “Klimaglück“ nun auch die ÖVP auf Werbetour geht und auf Plakaten verkündet: “Der Kanzler arbeitet für Österreich. Die Opposition streitet.”
Vorzeitige Herbstwahl unmöglich, nächster Anlauf für Anfang 2024?
Wenn sich politischer Stillstand und parteipolitische Werbeoffensiven paaren, dann sprießen die Neuwahlgerüchte fast von selber. Dieser Tage machten diese so besonders lautstark die Runde: Die Zeichen würden sich mehren, dass die ÖVP so bald als möglich Neuwahlen ansteuert.
Ein Herbstwahl-Gang ginge sich zwar wegen des vorangehenden formellen Fristenlaufs nicht mehr aus. Nächster wahrscheinlicher Slot sei daher ein Wahlgang Anfang 2024.
Die ÖVP, so das jüngst kursierende Ondit, wollte damit nicht nur die total zerrütteten Roten am maroden Fuß erwischen, sondern auch noch mehr schlechte Stimmung nach der erwartbaren Niederlage bei den EU-Wahlen im Frühjahr 2024 meiden.
Hoffen auf steigende Stimmung bei sinkender Inflation
Die maßgeblichen Strategen in den Koalitionsparteien dementieren allerdings unisono. Sie führen dafür durchaus plausible Gründe an: Welchen Sinn würde es machen vorzeitig zu wählen, wenn alle Umfragen signalisieren, dass zuvorderst die ÖVP vom Wähler massiv abgestraft und auf den zweiten, wenn nicht dritten Platz abstürzt?
Bis zum regulären Nationalrats-Wahltermin im Herbst 2024 sind es noch rund 18 Monate. Mit jedem Prozentpunkt weniger in Sachen Teuerung steige aber die Chance auf eine bessere Stimmung. Je mehr sich die Inflationswelle abflache und die Steuersenkungsmaßnahmen auf die Lohnzettel durchschlage, desto eher bestehe die Chance, dass sich die Startchancen für das nächste Wählerurteil bessern könnten.
Türkis-grüner Versöhnungsabend nach antigrüner Kanzler-Brandrede
Auch Anekdoten werden herumgereicht, die belegen sollen, dass das Klima zwischen ÖVP und Grünen weitaus intakter sei als der politische Output indiziert.
In den Wochen vor Ostern luden Kanzler und Vizekanzler alle Regierungsmitglieder samt Kabinetten und Klubspitzen zu einem gemeinsamen Abend beim Mayer am Pfarrplatz in Wien-Grinzing ein. Weil die grüne Klubobfrau Sigi Maurer just Geburtstag hatte, stimmte ein schwarz-türkiser Chor angeführt von ÖVP-Klubchef August “Gust” Wöginger und den ÖVP-Ministerinnen Klaudia Tanner und Susanne Raab beherzt ein Happy Birthday für die grüne Fraktionschefin an.
Der Abend fand wenige Wochen nach der Brandrede von Karl Nehammer gegen grüne Untergangs-Apokalypsen in Sachen Klima und gegen ein Aus für den Verbrennungsmotor statt. “Das Klima zwischen allen Beteiligten war offen und entspannt”, berichtet ein Teilnehmer, “Es wurde auch hier sichtbar, dass nicht nur Maurer und Wöginger, sondern auch Nehammer und Kogler sehr gut miteinander können.”
Sozialpartner beklagen: "Es wird immer zäher"
Vor allem aus Sozialpartner-Kreisen sind freilich vermehrt Klagen zu hören. “Politische Vorhaben entwickeln sich immer zäher. Es dauert alles ewig lange.” Und: “Was bis zum Sommer nicht unter Dach und Fach ist, wird nichts mehr. Ab Herbst sind alle im Vorwahlkampf-Modus.”
Sobald Reizthemen ins Spiel kommen, tritt Türkis-Grün in der Tat bisweilen monatelang ergebnislos auf der Stelle. Mitte Februar etwa hatte Karl Nehammer – offenbar noch im Schock des ÖVP-Wahldesasters in Niederösterreich – angekündigt, dass er in Sachen Corona einen “Versöhnungs-Prozess” starten will.
Die von der Regierung initiierte, aber nie umgesetzte Impfpflicht und der tatsächlich exekutierte Lockdown für Ungeimpfte hatten in Niederösterreich scharenweise schwarze Wähler Richtung Blau in Marsch gesetzt.
Grüne zu Nehammers Corona-"Versöhnung": "Wir sind ja nicht in Ruanda"
Beim Koalitionspartner löste die unabgesprochene Ankündigung eines “Versöhnungsprozesses” Kopfschütteln und Widerstand aus. “Wir sind ja nicht in Ruanda, dass wir nach einem Bürgerkrieg eine Versöhnung einleiten müssen”, merkte ein Spitzengrüner gallig an.
Auf Nachfrage hatten Nehammer & Co anfangs zudem nicht mehr als Schlagworte zu bieten. “Es gab und gibt bei uns keine große Begeisterung für eine Versöhnungskommission, weil das auch sehr rückwärtsgewandt ist”, sagt ein grüner Corona-Experte: “Der Blick sollte nach vorne und in die Tiefe gehen. Nicht nur Corona hat das Vertrauen in die Demokratie gefährlich untergraben.”
Der “Versöhnungs-Prozess” soll nun zu einem “Dialog mit den Bürgern” umgetauft werden. In der praktischen Umsetzung des Projekts soll die Akademie der Wissenschaften, wo neuerdings Ex-Wissenschaftminister Heinz Fassmann als Chef fungiert, eine tragende Rolle spielen.
ÖVP will toxisches Thema Corona nun vor Salzburg-Wahl meiden
Statt wie angekündigt Nehammers neues Lieblingsprojekt “rund um Ostern” zu präsentieren, wurde der Start der “Corona-Aufarbeitung” nun auf Ende April verschoben. Das hat zwei Gründe: Zum einen sind Schwarz-Türkis und Grün über das inhaltliche Konzept und die tragenden Personen nach wie vor nicht einig. Zum anderen haben es die Schwarz-Türkisen plötzlich nicht mehr eilig, das toxische Thema Corona vor der Salzburger Landtagswahl am 23. April ohne Not neuerlich auf die Vorderbühne zu holen.
Denn eine öffentliche Debatte über das Krisenmanagement rund um die Pandemie würde vor allem im auch in Salzburg heißumkämpften schwarz-blauen Wählermilieu neuerlich Wunden aufreißen. “Niemand bei uns will aber dem Wilfried Haslauer die Wahl noch zusätzlich verderben”, resümiert ein ÖVP-Regierungsmann nüchtern.
Daher heißt es dieser Tage nicht nur in der SPÖ in Sachen Start der Mitglieder-Befragung, sondern auch in der ÖVP in Sachen Zankapfel Corona: Bitte warten bis zum nächsten politischen Kräftemessen mit den Blauen in Salzburg.