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Rosenkrieg im Kanzleramt [Politik Backstage]

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Ein Team für die gemeinsame Sache? Kanzler Karl Nehammer vermutet in EU-Ministerin Karoline Edtstadler eine Königsmörderin.

©APA/FRANZ NEUMAYR
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Warum der Regierungschef seine EU-Ministerin schon länger in Verdacht hat, an seinem Stuhl zu sägen. Wie eine Aussprache zwischen Karl Nehammer und Karoline Edtstadler am Ballhausplatz eskalierte. Und diese ihr Traumziel, bald nach Brüssel zu wechseln, begraben musste.

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Das Vier-Augengespräch liegt schon ein paar Wochen zurück. Die Verbitterung über die knallharte Botschaft und den kalten Tonfall scheint aber nach wie vor nicht verdaut zu sein. Regierungs- und ÖVP-Chef Karl Nehammer und “seine” Kanzleramtsministerin Karoline Edtstadler trafen einander zu einer sehr persönlichen Aussprache.

Es ging zuerst um die seit Monaten im Regierungsviertel kursierenden Gerüchte, die gemeinsam mit dem Kanzler am Ballhausplatz stationierte Ministerin wolle Nehammer mit allen Mitteln beerben. Jede kantige öffentliche Wortmeldung Edtstadlers und auch jede parteiintern gemachte Bemerkung, die ÖVP solle da oder dort gegenüber dem Koalitionspartner entschiedener auftreten, war in den Monaten davor immer öfter von Nehammer & Co so gedeutet worden: Die "Karo" sägt, wo immer sie kann, am Stuhl des Kanzlers.

Edtstadler unter Königsmörderin-Verdacht

Zuletzt herrschte im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni in den Nehammers-Büros am Ballhausplatz aber auch in der Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse hochnervöse Bunkerstimmung. Die Nehammer-Truppe plagten permanent Panikattacken: Sollte die Partei auf den dritten Platz fallen, werde aus mehreren Ecken der Partei zum Halali auf den Kurz-Nachfolger geblasen werden.

Als eine dieser kritischen Ecken, die nur die Gunst der Stunde lauerten, glaubten sie auch die Ministerin im eigenen Hause ausgemacht zu haben.

Karoline Edtstadler versicherte Karl Nehammer unter vier Augen, sie habe weder den Wunsch noch das Interesse, ihm seinen Job streitig zu machen. Ob ihr Karl Nehammer diese wortreiche Versicherung abnahm, ist nicht belastbar verbürgt. Nehammer-Kenner gehen davon aus, dass er auch nach diesen Friedens-Schalmeien seiner Regierungskollegin weiterhin nicht traut.

Traumjob EU-Kommissarin

Gut verbürgt sind allerdings Inhalt und Ton zum zweiten zentralen Thema der persönlichen Aussprache. Edtstadler nutzte die Gelegenheit auch, um ohne Umwege und Zwischenträger ihre Chancen auszuloten, nach Brüssel zu wechseln.

Der Posten des österreichischen EU-Kommissars in der Neuauflage der von Ursula von der Leyen angeführten “EU-Regierung” ist einer ihrer Traumjobs. Karoline Edtstadler machte seit Monaten auch öffentlich kein Hehl daraus, dass sie einem Wechsel auf die internationale oder europäische Bühne nicht abgeneigt sei.

"Dich schick ich in diesem Leben sicher nicht nach Brüssel"

Karl Nehammer ist offenbar ob des internen Nervenkriegs mit der vermeintlichen Rivalin derart hoch emotionalisiert, dass er die Frage nicht nur klar, sondern auch sehr harsch beantwortete: “In diesem Leben geht es sich sicher nicht mehr aus, dass ich als Bundeskanzler dich als Österreichs EU-Kommissarin nach Brüssel schicke.”

Der 43jährigen Salzburgerin war bis dahin zwar bewusst, dass sie in Sachen Brüssel-Job nicht die Top-Favoritin des in der Parteisoldaten-Wolle gefärbten Niederösterreichers ist. Magnus Brunner hat hier die weitaus besseren Karten.

Auch der Finanzminister stand bei Nehammer lange unter Königsmörder-Verdacht. Die beiden türkisen Alphatiere hatten sich aber schon Wochen vor der geharnischten Kanzler-Absage an Edtstadlers EU-Ambitionen offenbar erfolgreich ausgesprochen.

Wiederannäherung Nehammer-Brunner

Nehammmer, sagen Kenner beider ÖVP-Spitzenmänner, habe Brunner inzwischen abgenommen, dass er nicht an seinem Sessel säge und kein Interesse habe, den weitaus komfortablen Sessel des Finanzministers mit dem des Kanzlers oder gar Parteiobmanns tauschen zu wollen.

Das nachhaltige Zerwürfnis am Ballhausplatz zwischen dem Hausherren und “seiner” Ministerin fußt, sagen Insider, zum einen darin dass Nehammer und der enge Kreis um ihn, sich von der ehrgeizigen Politikerin zunehmend bedroht fühlten.

Den endgültigen Bruch besiegelte Edtstadler mit ihrem klaren Nein zum Wunsch Nehammers, sie solle die Spitzenkandidatur bei der EU-Wahl übernehmen. Die Nehammer-Partie wollte damit zwei Fliegen auf einen Schlag erledigen: Auf dem in der internen Einschätzung überschaubar wichtigen Posten der Leiterin des rund halben Dutzends türkiser Abgeordneter im EU-Parlament in Straßburg und Brüssel, wäre die potentielle Konkurrentin weit vom Schuss und auf Jahre neutralisiert. Zum anderen rechneten sich Nehammer & Co damals mit der Law-&-Order-Politikerin gute Chancen aus, die FPÖ besser in Schach und damit vielleicht sogar Platz 1 bei der EU-Wahl zu halten.

Edstadlers Großmutter-Karte sticht nicht

Edtstadler lehnte vor allem mit zwei Argumenten ab: Den Job der Spitzenkandidatin habe sie 2019 schon einmal aus Parteiräson übernommen. Nachdem sie wenige Wochen nach erfolgreich geschlagener EU-Wahl von Sebastian Kurz aber als Ministerin nach Wien zurückbeordert worden war, könnte ihr das nun in einem neuerlichen EU-Wahlkampf wie Blei nachhängen. Motto: „Wer soll dieser EU-Jobhopperin abnehmen, dass sie diesmal länger als ein paar Wochen in Brüssel bleibt?“

Edtstadlers zweites Argument für die Absage an den dringenden Spitzenkandidatur-Wunsch des Parteichefs war ein rein privates: Sie sei vor kurzem Großmutter geworden und wolle die erste Zeit mit einem Neugeborenen diesmal unbeschwerter genießen. Edtstadler hatte gerade maturiert und ihr Jusstudium in Salzburg begonnen, als ihr Sohn Leonhard auf die Welt kam. Edtstadlers einziges Kind lebt nun als Jungpolizist in Salzburg. Die jüngste Großmutter im türkis-grünen Kabinett wollte das regelmäßige Pendeln zwischen Wien und Salzburg nicht um Brüssel und Straßburg erweitern.

Nach Rangeleien Spitzenplatz in Salzburg

Für die bevorstehende Wahl hat es Edtstadler zwar nach internen Rangeleien sowohl auf Platz 1 der Salzburger Landesliste geschafft. Auch auf der Bundesliste ist sie politisch abgesichert. Mit einem Abgeordneten-Sessel Nationalrat wird sie sich aber nicht auf Sicht zufriedengeben, sagen Edtstadler-Kenner.

Als Ministerin ist sie, sollte Nehammer weiter das Sagen, freilich nicht gesetzt. In einer künftigen Regierung wird die ÖVP mehr Ressorts als einst an die Grünen an einen zweiten mutmaßlich etwa gleich größeren oder gar dritten kleineren Koalitionspartner abgeben müssen.

Wenngleich Edtstadler innerparteilich nicht leicht zu umgehen sein dürfte. Die karenzierte Oberstaatsanwältin ist in der Partei durchaus wohlgelitten. Ihre kantige Art Politik zu machen, kommt bei ÖVP-Funktionären überwiegend gut an.

Zug ins Blaue, aber Feindschaft mit Kickl

So wetterte just die Europaministerin, die von allen Regierungsmitgliedern am öftesten und am intensivsten Österreich bei der gemeinsamen Entscheidungsfindung in der EU-Zentrale vertritt, jüngst gegen “Diktate aus Brüssel”. Das irritierte EU-Kenner und Europafreunde in und außerhalb der Koalition.

Bei Funktionären der ÖVP macht Edtstadler damit aber so Punkte, die derart reichlich einst nur an blauen Biertischen zu holen waren.

Dabei verbindet die türkise Europaministerin mit dem FPÖ-Chef eine beidseitig tiefe Abneigung, die in der ÖVP ihresgleichen sucht. Als Edtstadler 2017 von Sebastian Kurz als Aufpasserin ins erstmals blaue geführte Innenministerium beordert wurde, will Herbert Kickl sie und ihr kleines Staatssekretärinnen-Kabinett in ein Büro weitab von den Schaltstellen des Ressorts verbannen. Edtstadler wehrt sich erfolgreich dagegen. Das ist nur der Anfang eines knapp zweijährigen politischen Katz- und Mausspiels.

Edtstadler nahm damals daher sehr gerne das Offert von Kurz an, die Spitzenkandidatin bei der EU-Wahl zu machen. Als zehn Tage vor dem Wahlgang das Ibiza-Video enthüllt wurde, wird bald offenbar, dass Edtstadler doch nicht für Jahre den Umweg über Brüssel nehmen muss, um Kickl loszuwerden.

Sie legt das Mandat nach wenigen Monaten zurück und erhält diesmal einen Platz als Ministerin am türkis-grünen Regierungstisch.

Eines steht aber seit damals sowohl für die türkise Ex-Staatssekretärin im Innenministerium als auch ihren Ex-Ressortchef und nunmehrigen FPÖ-Frontmann fest: Sollte sich nach der Wahl jene Gruppe in der ÖVP durchsetzen, die nach wie vor Türkis-Blau als der “harmonischsten Koalition, die wir je hatten” nachtrauert, dann werden zwei Spitzenpolitiker von heute nicht neuerlich gemeinsam am Ministerratstisch sitzen: Karoline Edtstadler und Herbert Kickl.

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