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Rotes Rüsten für den "Day After" [Politik Backstage]

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"Andi"alleine auf weiter Flur. Hinter seinem Rücken rotes Raunen: "Ich halt' den nimmer aus".

©APA/HELMUT FOHRINGER
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Nach fünfzehn Monaten Babler und vier Wochen vor der Wahl steht die SPÖ wieder auf Feld 1: Mehr denn je zerstritten und in unversöhnliche Lager gespalten. Für den Tag nach der befürchteten Wahlniederlage werden bereits alte, aber auch neue Namen als Babler-Nachfolger kolportiert.

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Szene 1: Eine sozialdemokratische Abendveranstaltung dieser Tage in Wien.

Nach dem offiziellen Programm gibt es bei Speis und Trank nur ein Thema: Die Performance des vor fünfzehn Monaten unter schweren Turbulenzen gekürten Parteichefs.

Hie das Lager der Bableristi, also jener meist links tief verwurzelten Genossen für die “der Andi” der lange herbeigesehnte Erlöser aus dem schleichenden Niedergang der einst stolzen Kanzlerpartei ist. Sie geben an diesem Abend zusätzlich die Parole aus: Bablers ORF-Sommergespräch sei der Gamechanger. Damit muss Babler auch die letzten Zweifler in den eigenen Reihen überzeugt haben.

Mehr als eine Handvoll Bableristi war unter den rund hundert Parteimitgliedern und Sympathisanten an diesem Abend nicht auszumachen, berichtet ein teilnehmender Beobachter und merkt zudem an: “Einige tun sich schon sichtlich schwer, ihre Begeisterung aufrecht zu erhalten."

Auf Wiener Boden finden sich auch nicht gerade Heerscharen von Anhängern des burgenländischen SPÖ-Landeschefs Hans Peter Doskozil. Aber selbst diese waren an diesem Abend in ihrem Urteil von Fans der ehemaligen Parteichefin Pamela Rendi-Wagner nicht zu unterscheiden. 

Rotes Raunen: "Ich halt' den nimmer aus"

Sie alle machten aus ihren Herzen keine Mördergrube. Die einen bekannten höchst emotionell “Ich halt' den nimmer aus. Ich kann nicht mehr zuschauen oder zuhören, wenn er im Fernsehen oder Radio auftritt”. Die anderen räsonierten nüchtern, es sei dringend an der Zeit sich Gedanken für den 30. September zu machen. Den Tag nach der Wahl, wenn es gilt die Weichen in der SPÖ für the day after zu stellen. In den Planspielen dieser Genossen kommt Andreas Babler nur noch als Bürgermeister von Traiskirchen vor. 

Eine Partei, mehr als zwei Lager

Szene 2: Zwischenbericht eines lokalen Kandidaten aus dem Wahlkampf in Kärnten:

Die Stimmung sei “erstaunlich gut”, berichtet der schon in vielen Wahlkämpfen gestählte rote Mandatar. Die roten Kabalen um Babler “sind so gut wie kein Thema”. Top-Themen seien vielmehr die Teuerung, die mehr denn je als sehr schmerzhaft erlebt wird. Und die Kriminalität, die als rasant steigend empfunden wird. Die Blauen seien gerade in der Frage eine massive politische Herausforderung. Aber, so der wahlkämpfende Genosse: “Ich habe zuletzt immer öfter die Meinung von Leuten gehört, dass es Kickl mit seinen radikalen Sprüchen zu arg treibt.” Die Chancen der SPÖ, besser als prognostiziert abzuschneiden, hält er nicht nur darob für intakt: “Noch ist nichts verloren”.

Wer sich dieser Tage aufmacht, die  Stimmung in der größten Oppositionspartei zu erkunden, kommt zum Befund: Die SPÖ ist eine Partei, die längst in mehr als zwei Welten zerfällt. Selbst ehemalige SPÖ-Regierungsmitglieder lassen im kleinen Kreis wissen, dass sie es diesmal nicht über Herz brächten, ihr Kreuz noch einmal bei der SPÖ zu machen. “Ihre” Partei sei ihnen fremd geworden. Eine kleine, sehr entschlossene Gruppe habe die anhaltende Verwirrung, der in viele Lager zerfallenen Sozialdemokratie, ausgenutzt und handstreichartig die Führung übernommen.

Lügen-Luger macht Bures zur Brief-Schreiberin

Jüngster Beweis dafür ist für viele Funktionäre die Art und Weise wie Babler & Co das SPÖ-Wahlprogramm intern durchgepeitscht hatten.

Die Erarbeitung hatte Babler an eine nach seinem Gutdünken formierte Expertengruppe ausgelagert. Den notwendigen Sanctus wollte er sich vor rund zehn Tagen in einer Sitzung des Parteipräsidiums holen, des obersten SPÖ-Gremiums mit knapp über einem Dutzend Mitgliedern.

Ein von den “Oberösterreichischen Nachrichten” aufgedeckter einmalig unverfrorener Postenschacher des langjährigen Linzer SPÖ-Bürgermeisters Klaus Luger warf die Regie über den Haufen. Statt über sozialdemokratische Wahlkampfversprechen hatten die roten Granden über die aufgeflogene besonders dreiste Lügen-Geschichte zu reden. Luger hatte nicht nur – wie auch in anderen Parteien handelsüblich – ein Hearing für eine Spitzenjob-Vergabe durch geheime Vorabsprachen zur Farce gemacht. Er ergriff auch noch frech die Flucht nach vorn und ließ – obwohl selber der Täter – nach jenem Übeltäter suchen, der die Hearingfragen an den erfolgreichen Kandidaten durchgestochen hatte.

Die Debatte über das von Bablers Experten-Partie erarbeitete Wahlprogramm sollte daher schriftlich nachgeholt werden. Binnen 48 Stunden sollten die Spitzengenossen ihre Einwände und/oder Ergänzungswünsche schriftlich deponieren. Auch Doris Bures, die engste Vertraute der SPÖ-Chefs Alfred Gusenbauer, Werner Faymann und Pamela Rendi-Wagner, wurde vom neuen Parteichef auf den Postweg verwiesen.

"Seidene Schnur" der Wiener SPÖ für Babler

Das binnen weniger Stunden nach Einlagen in der Löwelstraße an die “Kronen-Zeitung” geleakte E-Mail wird in weiten Parteikreisen denn auch als “die seidene Schnur der Wiener SPÖ für Andreas Babler” gesehen. Bures zeiht sein Wahlprogramm der "Unernsthaftigkeit" und ähnlich Vernichtendes mehr.

“Die Doris macht so etwas weder allein noch ohne die Rückendeckung von Michael Ludwig”, sagt ein SPÖ-Insider.

Diese Einschätzung teilen in der SPÖ immer mehr: Ein Monat vor der Wahl und fünfzehn Monate nach Übernahme des Parteivorsitzes durch Andreas Babler ist die SPÖ wieder auf Feld 1 angekommen. Babler ist es nicht gelungen, wie angekündigt, die Partei zu einen. Im Gegenteil: Die Partei ist mehr denn je in unversöhnliche Lager zerfallen.

Bures-Wunschkandidaten statt Babler: SPÖ-Frauenchefin Evi Holzleitner

Ähnlich wie im Fall Rendi-Wagner gibt es intern massive Kritik an der Parteiführung, aber noch keinen Babler-Ersatz, auf den sich alle einigen könnten. Von einigen Bundesländer-Funktionären wird neuerlich Christian Kern als Parteichef und Vizekanzler in einer Neuauflage einer Regierung mit der ÖVP (wenn notwendig plus Neos) in Stellung gebracht.

In einigen Wiener SPÖ-Zirkeln wird Doris Bures zumindest als Übergangs-Parteichefin favorisiert. In den letzten Wochen taucht zunehmend der Name von SPÖ-Frauenchefin Evi Holzleitner als neue rote Frontfrau auf.

Holzleitner wird vor allem von Doris Bures massiv ins Babler-Nachfolge-Spiel gebracht, um selber nicht in die Ziehung zu kommen. Denn Wiens Bürgermeister Ludwig, sagen SPÖ-Insider, würde Bures am liebsten als Babler-Nachfolgerin sein. Diese hat bisher konsequent Nein gesagt, weil sie mehr denn je die Van-der-Bellen-Nachfolge als erste Frau in der Hofburg anstrebt.

Babler & Co mischen die alten Lager nicht nur neu auf. Sie befeuern auch neue kurzfristige taktische Allianzen. In der burgenländischen SPÖ empören sich Spitzenleute darüber, dass Babler in seinem Rundumschlag gegen “Bremser” in der SPÖ “mit Doris Bures ein Feindbild für die erwartbare Wahlniederlage zu kreieren versucht”.

Doskozil-Anhänger warnen: "Neustart ohne Babler & Bures oder es zerreißt die Partei"

In Eisenstadt und Umgebung will sich aber derzeit niemand auf das neue rote Nachfolge-Namensspiel einlassen. “Viele haben nicht begriffen, es steht für die Sozialdemokratie Spitz auf Knopf. Es geht nicht darum, wie wir uns mit vielleicht 18 Prozent der Stimmen in eine Regierung hineinzittern. Zuerst müssen wir ab 30. September darüber reden, wie stellen wir uns neu auf und erst dann, wer macht das. Entweder es gelingt ein Neustart oder es zerreißt die Partei.”

Bis zum 29. September wurde nicht nur im Burgenland ein öffentliches Schweigegebot in Sachen SPÖ-Parteichef ausgegeben. Auch die vielen anderen Babler-Kritiker wollen sich nicht eine Dolchstoß-Legende umhängen lassen. 

Der offizielle Wahlkampf-Auftakt ging daher diesen Donnerstag in Linz mit demonstrativer Geschlossenheit über die rote Vorder-Bühne. Das tatsächlichen Geschehen hinter den roten Kulissen beschreibt ein burgenländischer SPÖ-Insider freilich so: “Es beginnt sich in der SPÖ eine breite Allianz der Vernünftigen für den Tag nach der Wahl zu formen, in der weder Andreas Babler noch Doris Bures eine Rolle spielen.”

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