Nach der Linkswende in der Babler-SPÖ könnte mehr Platz in der Mitte frei werden. Der ÖVP-Wirtschaftsbund wittert so die Chance, innerhalb der ÖVP "endlich mehr Gehör zu finden". Das sei, so Kritiker, bislang zuvorderst an ÖAAB-und Klubchef August Wöginger gescheitert: "Der Gust ist der Pudel der Grünen."
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Monatelang hagelte es eine negative Schlagzeile nach der anderen: Erst der rote Nervenkrieg um die Querschüsse zwischen Burgenland und Wien. Dann die chaotischen Taktik-Manöver um Mitgliederbefragung und Parteitag. Schließlich der Super-GAU bei der Stimmenauszählung.
Von Bad News von gestern will im Moment in der SPÖ aber niemand mehr etwas hören.
Anfang Juni hat sich der Wind für die Partei der peinlichen Pannen radikal gedreht. Die mediale Aufmerksamkeit und Neugierde ist fast zur Gänze auf den Neuen an der SPÖ-Spitze gelegt – auch wenn die Partei in ersten Umfragen bei rund 20 Prozent grundelt und eine Ampelregierung mit Grün und Pink mehr denn je als Fata Morgana erscheint. Wenn Andreas Babler über mögliche Koalitionen und Kanzlerpläne philosophiert, wird das nicht als derzeit utopisches Planspiel abgetan, sondern tagelang öffentlich diskutiert.
Die Regierungsparteien wirken angesichts der "roten Welle" in der medialen Aufmerksamkeit öffentlich abgemeldet. Der Kanzler agiere, lassen ÖVP-Strategen wissen, in den letzten Wochen bewusst weitgehend unter dem Radar. Lediglich die unteren Chargen wie ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker rückten wiederholt zu Attacken auf den neuen SPÖ-Parteichef aus. Die Grünen mieden selbst dieses mediale Fenster zur Profilierung, obwohl Demoskopen sagen, dass der kleinere Regierungspartner fürchten muss, relativ am meisten an den neuen Herausforderer zu verlieren. "Wir haben uns bewusst entschieden, vorerst einmal in Ruhe abzuwarten, wie sich Andreas Babler positioniert und auch wie die eigene Partei darauf reagiert", sagt ein grüner Spitzenmann.
Koalition setzt auf Arbeitstherapie Was bedeutet das neue Polit-Mikado zwischen den Regierungsparteien und der größten Oppositionspartei für das künftige Agieren der Koalition? Türkis und Grün setzen koalitionsintern offenbar auf Arbeitstherapie. Es war kein Zufall, dass just letzte Woche wie von Zauberhand interne Blockaden gelockert wurden. Gemeinsame Vorhaben, die seit Monaten unerledigt in der sogenannten "Koordinierung" zu vergammeln drohten, schafften es plötzlich im Dutzend auf die Tagesordnung des Ministerrats. Keine Megaprojekte, aber in Summe ein kräftiges Lebenszeichen.
Denn bevor ein Vorhaben eines türkisen oder grünen Regierungsmitglieds auf den Ministerratstisch kommt, muss es in jedem Fall die sogenannte "Koordinierung" durchlaufen. Die Kommandobrücke des Koalitionsalltags wird politisch von Magnus Brunner und Leonore Gewessler gesteuert, praktisch von Spitzenvertreten aus den Kabinetten des Finanz- und des Klimaministeriums. Was dort nicht einvernehmlich abgenickt wird, erblickt nicht das Licht der politischen Welt.
Vergangene Woche machte in den Couloirs des Hohen Hauses die Runde: ÖVP-Klubchef August Wöginger habe ob des jüngsten Signals des Überlebenswillens der Koalition "in der ÖVP-Klubsitzung eine regelrechte Laudatio auf die Regierung gesungen".
Der türkis-schwarze Fraktionschef hat auch durchaus persönliche Gründe, den Output der Regierung zu lobpreisen.
Wöginger ist mit zwanzig Parlamentsjahren einer der längstgedienten Mandatare. Der langjährige ÖVP-Sozialsprecher stieg erst unter dem türkisen Messias a. D., Sebastian Kurz, zum Fraktionschef auf. Seine politische Hausmacht hat er im "Österreichischen Arbeiter-und Angestellten- Bund" (ÖAAB), wo er 2016 nach der Kür von Johanna Mikl-Leitner zur Nachfolgerin von NÖ-Landeschef Erwin Pröll als deren Nachfolger zum ÖAAB-Chef aufstieg.
Wöginger hatte Mikl-Leitner davor bereits als ÖAAB-Generalsekretär gedient. Da mit ihm ein Oberösterreicher zum Bündechef aufstieg, übernahm mit dem langjährigen ÖAAB-Kumpel Karl Nehammer vice versa ein Niederösterreicher den Job des Generalsekretärs.
Als das Schicksal im Dezember 2021 den ewigen Flügeladjutanten über Nacht an die Regierungsspitze verschlug, dämmerte dem schwarzen Wirtschaftsflügel zunehmend, dass sich damit auch in der ÖVP die Gewichte total zugunsten des Arbeitnehmer-Flügels verschoben hatten. Nicht nur die Regierungs- und die Klubspitze sind seit damals fest in ÖAAB-Hand. Auch einer der wichtigsten Einflüsterer Nehammers, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka, pflegt nach wie vor seine Wurzeln im ÖAAB.
Solange die Pandemie alles in den Bann zog, war das massive innerparteiliche Ungleichgewicht kein großes Thema. Die Wirtschaftsvertreter wussten sich zudem in Sachen Fördertöpfe und Corona-Hilfen im Finanzministerium und im Kanzleramt unter Kurz und Blümel, danach aber auch unter Magnus Brunner in guten Händen.
Erstes Murren kam auf, als vergangenen Herbst mit Markus Gstöttner der Ansprechpartner der Wirtschaft und letzte Kurz-Vertraute das Kanzleramt verließ. Der Job blieb länger unbesetzt. Das Gefühl, ins Leere zu laufen, brachte den Unmut dann aber bald zum Kochen.
Rund um die jüngste Regierungsklausur zu Jahresbeginn entlud sich dieser intern erstmals sehr heftig. Auf der Wunschliste der Wirtschaftsvertreter standen wegen des chronischen Arbeitskräftemangels ganz oben steuerliche und finanzielle Anreize, um allen Arbeitnehmern mehr Überstunden schmackhaft zu machen und ältere Arbeitnehmer oder Pensionsberechtigte für längeres Arbeiten zu motivieren. Diese Vorhaben liegen auch Monate danach weiter auf Eis. Standardantwort von Wöginger & Co. in ÖVP-internen Debatten: "Das ist bei den Grünen nicht durchzubringen."
Ein Konter, den dem ÖVP-Klubchef viele im Wirtschaftsbund immer weniger abnehmen. "Der Gust tanzt nach der Pfeife der Sigi Maurer, weil er fürchtet, dass sie ihn sonst in seiner eigenen Justiz-Causa fallen lässt." Gegen Wöginger wird bekanntlich von der WKStA wegen des Verdachts der Anstiftung zum Amtsmissbrauch bei der Besetzung eines Finanzamtsleitungsjobs in seinem Wahlkreis ermittelt. Der ÖAAB-Mandatar fürchte, monieren Parteifreunde im Wirtschaftsbund , dass ihm die Grünen im Falle einer Anklage die Bereitschaft zur weiteren Zusammenarbeit aufkündigen und er nicht nur als Fraktionschef wackelt. "Das macht ihn zum Pudel der Grünen", ätzt ein schwarzer Wirtschaftsbündler.
In deren Reihen werden auch schon mögliche Kandidaten für die Wöginger-Nachfolge an der Klubspitze gewälzt - von Wirtschaftsbund-Generalsekretär Kurt Egger bis zu ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker. In der ÖVP versuchen hier offenbar einige Parteifreunde Wögingers aber, die Rechnung ohne den Wirt zu machen. Im Lager der Grünen wurde längst die Parole ausgegeben: Sollte es im Justizfall Wöginger – was auch aus Sicht des ÖVP-Fraktionschefs nicht unwahrscheinlich sei – zu einer Anklage kommen, "dann ist der Umgang damit ausschließlich Sache Wögingers und der ÖVP".
Dieser Tage nehmen prominente Wirtschaftsbündler nicht nur das empfundene innerkoalitionäre Ungleichgewicht, sondern die ÖVP-Politik generell neu in den Fokus. "Die Grünen hatten am gleichen Abend, als Doskozil am SPÖ-Parteitag zum SPÖ-Chef ausgerufen wurde, schon die erhoffte Aussicht einer Ampelkoaliton gefeiert. Mit Andreas Babler müssen sie sich jetzt warm anziehen", sagt ein gewichtiger ÖVP-Wirtschaftsbündler.
"Mit dem Linksdrall in der SPÖ wird der freie Platz in der Mitte nun noch größer. Das wäre die Chance für die ÖVP, sich mit einem starken wirtschaftlichen Fokus neu zu positonieren. Es ist eine Frage der strategischen Klugheit, den vor uns stehenden Sommer dafür zu nutzen. Der Kanzler muss bei uns nur anklopfen, wir haben die Konzepte dafür griffbereit in der Schublade."
DER AUTOR
Josef Votzi
© trend Wolfgang WolakJosef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes und Kommunikationsberater (siehe: www.linkedin.com/in/josef-votzi). Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst er jede Woche "Politik Backstage".
Die weiteren Beiträge von Josef Votzi finden Sie im Thema "Politik Backstage von Josef Votzi"
Den Artikel finden Sie auch in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 23.6.2023