Ex-Kanzler Sebastian Kurz spricht im großen trend. Exklusivinterview über Thomas Schmid, die neuen Justizvorwürfe, sein erstes Jahr als Unternehmer, den Krieg in der Ukraine, die Abhängigkeit Europas von Russland und China und ein mögliches politisches Comeback.
16 Monate nach dem erzwungenen Abgang von Sebastian Kurz aus der Politik trafen trend. Chefredakteur Andreas Weber und "Politik Backstage" Autor Josef Votzi den früheren Bundeskanzler und ÖVP-Chef Sebastian Kurz zum Interview in dessen neuen Wiener Büro.
Just zu dem Zeitpunkt war der Ex-Kanzler wieder in den Schlagzeilen. Der Anlass diesmal: eine Hausdurchsuchung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA bei Eva Dichand, Eigentümerin der Tageszeitung „Heute“ in Zusammenhang mit der Inseratenaffäre nach Aussagen des Kronzeugenaspiranten Thomas Schmid. Die Folge: Neue Chats und SMS, weitere Anschuldigungen gegen Sebastian Kurz und sein früheres türkises Team.
Im folgenden Interview nimmt der 36-jährige Ex-Politiker zu den Untersuchungen der WKStA Stellung und spricht außerdem über sein erstes Jahr als Jungunternehmer und sein neues Leben ohne Politik.
INTERVIEW
"Ich war immer korrekt"
trend. Chefredakteur Andreas Weber und "Politik Backstage" Autor Josef Votzi trafen Sebastian Kurz zum Interview im Wiener Büro seiner SK Management GmbH, mit der er Beratungsdienstleistungen anbietet, etwa die Einschätzung geopolitischer Entwicklungen, die für Investmententscheidungen wichtig sind.
trend: Herr Kurz, Sie sind jetzt 16 Monate weg aus der Innenpolitik. Erst dieser Tage machten Ermittlungen der WKStA gegen Sie neuerlich Schlagzeilen. Ex-Kanzler Christian Kern sagt, für ihn sei nun endgültig erwiesen: Ihr Wahlsieg 2017 war mit Inseraten für den Boulevard gekauft. Was entgegnen Sie?
Sebastian Kurz: Obwohl es schon über sechs Jahre her ist, scheint Christian Kern die Wahlniederlage von 2017 noch nicht allzu gut verkraftet zu haben. Ich blicke sehr gerne auf meine politische Zeit zurück: Zehn Jahre in der Bundesregierung und zwei erfolgreiche Wahlen 2017 und 2019, die sicherlich Höhepunkte für mein Team und mich waren. Was die WKStA betrifft, denke ich, dass die letzten Jahre bewiesen haben, dass hier stetig Vorwürfe erhoben werden, die sich im Endeffekt als falsch herausstellen. Diese enden im Regelfall mit Einstellungen oder Freisprüchen. Ich hoffe, dass dann darüber genauso intensiv berichtet wird wie über die Vorwürfe.
Bei der jüngsten Hausdurchsuchung in der Geschäftsführung der Tageszeitung "Heute" von Eva Dichand ging es um den sprunghaften Anstieg der Regierungsinserate 2016/2017. Sie sagen, Ihre Rolle dabei sei einfach erfunden. Die SMS des Kronzeugenanwärters Thomas Schmid zeigen aber, dass er Ihnen darüber laufend berichtet hat.
Das höchste Inseratenvolumen hat es in unserer Koalition ab 2020 mit den Grünen gegeben. Das wird interessanterweise nicht kritisiert. Die Staatsanwaltschaft wertet als Untreue, dass das Finanzministerium den unter Türkis-Blau beschlossenen Familienbonus bewirbt. Gleichzeitig ist es scheinbar legitim, dass das Klimaministerium den Raus-aus-dem-Öl-Bonus bewirbt oder die Stadt Wien den Schnitzel-Gutschein. Ich habe ohnehin gelernt, dass sich in diesem Land vieles an falschen Vorwürfen ausgeht, für die sich niemand rechtfertigen muss, selbst wenn am Ende des Tages alles mit einem Freispruch endet.
Sie wollen mit der These obsiegen, Inserate sind nur ein Verbrechen, wenn sie der ÖVP-Teil der Regierung von Sebastian Kurz schalten lässt?
Meine zentrale Frage nach dem Aktenstudium der letzten Vorwürfe ist: Warum ist es illegal, den Familienbonus zu bewerben, und eine notwendige Information für die Bürger, den Schnitzel-Gutschein zu bewerben? Das werde ich mir so nicht gefallen lassen. Wir haben erst kürzlich wieder erlebt, dass es wie in all den Verfahren der letzten Jahre, die die WKStA gegen Politiker angestrebt hat, Einstellungen oder Freisprüche gegeben hat. Zuletzt im Fall einer Anklage gegen zwölf Vertreter der Immobilienwirtschaft. Es hat erst ein Verfahren gegen einen grünen Politiker gebraucht, dass eine Debatte darüber aufkommt, dass zu Unrecht Beschuldigte hohe Kosten und einen Reputationsschaden erleiden. Bei FPÖ- und bürgerlichen Politikern hat diese Debatte so noch nie stattgefunden.
Im Fall von Heinz-Christian Strache gab es diese Debatte sehr wohl.
Dafür, wie hoch seine Kosten waren und wie oft die Vorwürfe falsch waren, gab es, gelinde gesagt, keine besonders kritische Berichterstattung darüber.
Die juristische Bewertung der Vorwürfe von Thomas Schmid haben die Gerichte vorzunehmen. In den SMS und Chats von Thomas Schmid wird aber auch ein Sittenbild sichtbar.
In der Tat: Thomas Schmid versucht, durch Vorwürfe gegen andere den Kronzeugenstatus zu erlangen, um straffrei auszugehen. Und die WKStA greift diese Vorwürfe dankbar auf, da es seit Jahren der Ermittlungen noch immer keine Beweise gegen mein Team und mich gibt, weil wir uns schlicht und ergreifend nichts Strafrechtliches zuschulden kommen lassen haben.
In den SMS von Thomas Schmid ist nicht von der Bewerbung des Familienbonus die Rede, sondern von Wünschen nach Erhöhung von Inseratenvolumen. Und dem Gelingen, in allen Boulevardmedien eine einmalig positive Stimmung für einen ÖVP-Kandidaten, Sie, zu erzeugen. Juristisch gesprochen: Sie haben das billigend zur Kenntnis genommen.
Ich freue mich auf die Auseinandersetzung vor Gericht, wo nicht einzelne SMS herausgepickt werden können, mit dem Ziel, diese absichtlich falsch zu interpretieren – sondern wo es um die Bewertung eines Gesamtbildes geht. Und dieses ist ganz eindeutig: Es geht ständig um Handlungen, die in einem Ressort gesetzt wurden, in dem ich nicht Minister war. Zu weiten Teilen auch in einer Zeit, in der ich weder Bundesparteiobmann noch Bundeskanzler war. Ich habe keine einzige strafbare Handlung gesetzt, muss mich aber jetzt mit diesem Vorwurf auseinandersetzen. Nur weil es jemanden gibt, der sich etwas zuschulden hat kommen lassen und jetzt versucht, Kronzeuge zu werden, indem er sagt, er habe das für den Kurz gemacht.
Thomas Schmid war ja nicht irgendwer, sondern er hat bei Ihrem Aufstieg eine große Rolle gespielt.
Es ist spannend, zu beobachten, wie auch hier versucht wird, alternative Fakten zu schaffen. Es gibt ganze Bücher, die über mein Team geschrieben wurden. In diesen Büchern kommt Thomas Schmid nicht ein einziges Mal vor. Den Thomas Schmid hat es ja schon vor meiner Zeit in der Politik gegeben. Er war Pressesprecher mehrerer Minister, er war Kabinettschef mehrerer Minister und er war ein wichtiger Player im ÖVP-geführten Finanzministerium. Er war niemals Teil meiner Strategierunde, er hat niemals für mich gearbeitet. Nachdem es ja Zehntausende SMS von ihm gibt, freue ich mich auf die weiteren Veröffentlichungen. Wenn man die SMS in Summe betrachtet, nicht einige herausgreift und versucht, diese falsch zu interpretieren, dann wird völlig klar, wie er agiert hat: Sein Ziel war sein eigenes Fortkommen. Genauso wie er mir und anderen nette Nachrichten geschrieben hat, wenn es ihm gerade in den Kram gepasst hat, genauso hat er über mich oder andere negative Nachrichten geschrieben, wenn es ihm gerade in den Kram gepasst hat.
Aber Schmid hat die Nähe zu Ihnen in zumindest einem Fall auch nachweislich erfolgreich gepflegt: mit seinem Aufstieg in Ihrer Kanzlerzeit zum ÖBAG-Chef.
Auch dazu gäbe es noch viel zu sagen. Zum Beispiel, dass das ÖBAG-Gesetz auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie beschlossen wurde und seine Bestellung auch durch SPÖ-nahe Aufsichtsräte erfolgte. Jetzt kann man mir ja viel unterstellen, aber als der große Verbinder zur Sozialdemokratie war ich wohl nie bekannt. Es war schon Thomas Schmid selbst, der diese Position angestrebt und schlussendlich auch erreicht hat. Ich bitte um Verständnis, dass ich es vorerst dabei belasse.
Die Investmentwelt und die der Wirtschaft generell reagiert in der Regel allergisch auf dauernde negative Schlagzeilen. Wie stark schlagen diese Vorwürfe auf Ihre jetzige Tätigkeit als Investor und Berater durch?
Gott sei Dank gar nicht, weil ich das Glück habe, mit Menschen zusammenarbeiten zu dürfen, die selbst schon viel gesehen und erlebt haben. Und die die Fähigkeit haben, genau zu unterscheiden, ob sich jemand etwas zuschulden hat kommen lassen oder ob versucht wird, die Justiz für politische Zwecke zu missbrauchen. Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie bereichert. Ich war in den zehn Jahren meiner Regierungstätigkeit immer korrekt. Die Menschen, die mit mir arbeiten, wissen das und können die in den Medien erhobenen Vorwürfen gut einordnen.
Für Ihre Geschäftstätigkeit heißt das also "Business as usual"?
Mein Team und ich sind zeitlich sehr eingedeckt und ich bin sehr dankbar dafür, wie das erste Jahr angelaufen ist.
Eine Ihrer ersten Tätigkeiten nach dem Abgang aus der Politik war die als "Global Strategist" für den PayPal-und Palantir- Gründer, Start-up-Investor und US-Milliardär Peter Thiel. Was hat man sich darunter konkret vorzustellen?
Ich bin für Thiel Capital, den Investmentarm von Peter Thiel, tätig. Mein Team und ich unterstützen bei geopolitischen Fragen, die bei Investmententscheidungen relevant sind. Peter Thiel ist einer der besten Investoren, der Trends lange vor anderen vorhersieht. Das ist auch der Hauptgrund für seinen enormen Erfolg.
Wie oft sind Sie in den USA?
Ich bin alle zwei Monate in den USA. Den Großteil meiner Zeit verbringe ich aber im Nahen Osten: in Tel Aviv, Abu Dhabi, Dubai und anderen Golfstaaten. Das Abraham Accords Peace Institute von Jared Kushner, wo ich ehrenamtlich im Beirat bin, hat mit der Zusammenarbeit zwischen Israel und muslimischen Ländern in der Nachbarschaft einen Jahrhunderterfolg erzielt. Dieses zarte Pflänzchen gilt es jetzt zu pflegen.
In Israel haben Sie mit Shalev Hulio, dem Gründer der NSO Group und Erfinder der umstrittenen Spionagesoftware Pegasus, das Unternehmen Dream Security gegründet. Aus der NSO Group ist Hulio Mitte 2022 ausgeschieden.
Dream Security ist ein Start-up, das wir mit 20 Millionen Dollar an Investorengeldern vor einem halben Jahr gegründet haben. Es widmet sich dem Schutz kritischer Infrastruktur. Wir sind jetzt mit knapp 50 Mitarbeitern in einer ganz guten Wachstumsgeschwindigkeit unterwegs. Die meisten Unternehmen haben inzwischen ihre IT ganz gut geschützt. Wir erleben aber weltweit immer mehr Angriffe auf die OT, die Operational Technology. Unser Unternehmen ist fokussiert auf den Schutz von Unternehmen im Energie-, Öl- und Gasgeschäft, von Raffinerien bis hin zu Pipelines, im Gesundheitsbereich und vieles mehr.
Was ist das Know-how, das Sie als Ex-Politiker hier einbringen?
Einer unserer beiden Mitgründer ist für Produktentwicklungen zuständig. Mein anderer Gründerkollege und ich kümmern uns um das Business Development und den Aufbau der Unternehmensstruktur.
Das Spannende an der Region ist für Sie offenbar: Das israelische Tech-Know-how matcht sich mit dem Geld im arabischen Raum?
Meiner Meinung nach wird eine der boomenden Regionen der nächsten Jahre der Nahe Osten sein. Nicht nur in Tel Aviv gibt es sehr viel Innovation, auch Abu Dhabi und Dubai haben in den letzten Jahren sehr viel Intelligenz, Know-how und Talente angezogen. Und darüber hinaus gibt es in den Golfstaaten wie in kaum einem anderen Teil der Welt Kapital, das investiert werden will. Wenn Israel und die Golfstaaten alte Gräben überwinden und zusammenarbeiten, wird das weiter beflügelt.
Europa und Österreich treiben mit dem Ukraine-Krieg gerade andere Sorgen um. War Österreichs Umgang mit Wladimir Putin in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten richtig?
Ich bin jemand, der ständig versucht, das eigene Tun und die eigene Meinung zu hinterfragen. Aber die Debatte, die gerade geführt wird, ist ein wenig verkürzt. Es gab und gibt im Energiebereich eine Abhängigkeit gegenüber Russland, aber man sollte auch erwähnen, dass die stabile Energieversorgung zu sehr akzeptablen Preisen in den letzten Jahrzehnten einen wesentlichen Beitrag zum enormen Erfolg unserer Wirtschaft in Deutschland und Österreich beigetragen hat. Darüber hinaus sollte man sich auch im Klaren sein, dass die Alternative zum russischen Gas nicht Energie aus der Schweiz oder anderen westeuropäischen, liberalen Demokratien ist, sondern dass Rohstoffe meist aus anderen Teilen der Welt mit meist anderen politischen Systemen importiert werden müssen. Ob die Alternativen so viel weniger Risiko bedeutet hätten, wage ich zu bezweifeln.
Was heißt das jetzt konkret über unseren Umgang mit Putin?
Es gibt immer zwei Thesen, die aufeinanderprallen. Die eine ist: Je härter man Staaten wie Russland begegnet, desto eher kann eine Auseinandersetzung verhindert werden. Die andere These ist: Je mehr man auf Dialog setzt und die Interessen großer Player wie Russland oder auch China berücksichtigt, ist ein friedliches Miteinander auch unterschiedlicher Systeme möglich.
Welcher These hängen Sie an? Unbestritten ist wohl, dass Putin die Ukraine angegriffen hat.
Ich war Regierungschef eines kleinen, neutralen Landes mit überschaubarer militärischer Stärke und kann gut nachvollziehen, dass Staaten wie die USA und Großbritannien der Meinung sind, dass der beste Weg militärische Stärke und eine ordentliche Drohkulisse ist. Für Österreich trifft das nicht zu. Daher bleibe ich ein Anhänger des Dialogs und des Versuchs eines Miteinanders. Was nicht heißt, dass ich das russische Vorgehen irgendwie rechtfertige, und was auch nicht heißt, dass ich glaube, dass man wegsehen sollte. Ganz im Gegenteil. Ich bin aber auch nicht im Chor all jener, die sagen, es war falsch in der Vergangenheit, mit Russland zu sprechen. Vielleicht hätten wir den Krieg mit Russland ohne Dialog schon Jahre früher erlebt. Hätte diese Invasion im Jahr 2014 stattgefunden, wäre Russland wesentlich leichter nach Kiew durchmarschiert – denn die militärische Handlungsfähigkeit der Ukraine war damals wesentlich eingeschränkter als heute.
Sollen die EU und die USA die Ukraine weiterhin bedingungslos unterstützen?
Es ist richtig, dass die Ukraine unterstützt wird, vor allem auch humanitär. Trotzdem wäre es wichtig, so schnell wie möglich zu Verhandlungen zu kommen und das Blutvergießen zu beenden.
Das Thema Dialog ist Ihrer Meinung nach auf europäischer Ebene also unterbelichtet?
Es gibt hier unterschiedliche Kräfte, die versuchen, die EU in unterschiedliche Richtungen zu treiben. Seit der Invasion ist wenig überraschend die Gruppe derer, die für ein hartes Vorgehen sind, stärker geworden.
Das ist Ihrer Meinung nach nicht gut?
Genauso wie es verständlich und richtig ist, dass sich ein überfallener Staat militärisch verteidigt und die EU diesen unterstützt, genauso notwendig ist es, darüber nachzudenken, wie das Blutvergießen beendet werden kann und welche Auswege es gibt. Die einzige These, die ich nicht teile, ist, dass ein mögliches Szenario die Kapitulation der Atommacht Russland ist. Ich habe im Lauf der Jahre Putin und viele andere Vertreter Russlands kennengelernt und war oftmals mit ihnen im Austausch. Daher bin ich mir schlicht und ergreifend sicher, dass Niederlage und Kapitulation für Russland keine Option ist. Eine sinnvolle Lösung kann es daher nur am Verhandlungstisch geben. Gott sei Dank haben abseits von Europa andere Teile der Welt, wie die Türkei und einige Golfstaaten, noch eine intakte Gesprächsbasis zu Russland und nehmen Einfluss, den Krieg zu beenden. Was in unser aller Interesse wäre.
Wie sehen Sie eigentlich die Rolle der Supermacht China im Spannungsfeld mit den USA?
Dass in den USA sich Demokraten und Republikaner darin übertreffen, ein hartes Vorgehen gegen China einzufordern, und das "decoupling" (wechselseitige Abschottung von Wirtschaftsräumen, Anm.) vorantreiben, macht mir große Sorge. Wenn uns zusätzlich zur Auseinandersetzung mit Russland auch noch China als Handelspartner abhandenkommt, ist das für ein Exportland wie Österreich höchst problematisch. Und noch viel mehr: Wie soll denn eine Auseinandersetzung mit einer Supermacht wie China stattfinden? Im Bereich Rohstoffe, Medikamente, Lieferketten etc. gibt es etwa enorme Abhängigkeiten.
Peter Thiel hat im Interview mit dem "Handelsblatt" kürzlich die "naive" Haltung der Wirtschaft gegenüber China kritisiert. Er sagt: "Das chinesische Modell ist, den Westen zu kopieren und an geistigem Eigentum zu stehlen, was immer man in die Finger bekommt." In Sachen Abhängigkeit formuliert er: "Von Russland waren wir durch zwei Pipelines abhängig. Im Fall Chinas sind das aber 100 Pipelines."
Ja, er trifft damit einen wunden Punkt. Wir müssen in Europa doch einmal offen aussprechen: All das, was wir hier diskutieren – die Energiewende, den Wandel hin zu Elektromobilität –, findet mit Ressourcen und Rohstoffen statt, die zu 80 Prozent in chinesischer Hand sind und die alle außerhalb der EU gewonnen werden. Die Abhängigkeit ist in vielen Bereichen noch einmal wesentlich größer als die von russischer Energie. Das kommt in der Debatte zu kurz.
Sie helfen auch mit beim Aufbau einer großen europäischen Batteriefabrik, korrekt?
Das ist eines der Themen, mit denen wir uns beschäftigen, da begleiten wir einige große Unternehmen. Mehr kann ich dazu noch nicht sagen.
Wo verdient man eigentlich sein Geld schwerer: in der Politik oder in der Wirtschaft?
Ich durfte beruflich immer tun, was mir Freude bereitet hat. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich bin kein materialistischer Mensch, habe mich in meinen Ansprüchen nie groß verändert, habe keine unerfüllten Wünsche und schon gar keine teuren Hobbys. Daher war Geld nie ein Motiv. Als Politiker habe ich stets deutlich mehr verdient, als ich ausgegeben habe. Jetzt ist es nicht anders. Was mein Team und ich verdienen, investieren wir unmittelbar weiter in neue Projekte und Unternehmen. Das härtere Pflaster ist definitiv die Politik.
Die Kanzler, die vor der Zeit gegangen sind, haben sehr unterschiedliche Wege eingeschlagen: Viktor Klima wurde VW-Chef in Argentinien, Alfred Gusenbauer berät gegen sehr gutes Geld, Werner Faymann entwickelt Immobilien, Christian Kern ist im Lok-Business. Wo würden Sie sich da einordnen?
Geografisch weder in Österreich noch in Argentinien, da meine Tätigkeiten in anderen Teilen der Welt, vor allem in Middle East, stattfinden. Und inhaltlich sind es drei Standbeine, die wir im ersten Jahr aufgebaut haben: Beratung mit einem kleinen Team, eigene Investitionen gemeinsam mit Alexander Schütz und unser Cybersicherheits-Start-up in Tel Aviv.
Werner Faymann hat sich nach seinem Rücktritt nie wieder öffentlich gezeigt. Sie sind öffentlich sehr präsent, was immer wieder Gerüchte über ein politisches Comeback schürt.
Die Frage nach einem Comeback stellt sich für mich auch weiterhin nicht. Ich kenne alle vier vorher Genannten ganz gut, niemand ist vergleichbar. Als ich zurückgetreten bin, habe ich nicht gewusst, wohin es mich verschlagen wird. In den ersten Tagen nach meinem Rücktritt bin ich davon ausgegangen, dass ich für ein großes deutsches oder amerikanisches Unternehmen im Management tätig werde. Das waren die ersten Angebote, die ich erhalten habe. Es war dann Peter Thiel, der den Anstoß gegeben hat, dass ich mich für die Selbstständigkeit und das Unternehmertum entschieden habe. Das hat einige Selbstüberwindung gekostet. Aber jetzt, ein Jahr später, bin ich sehr zufrieden mit diesem Schritt.
Der Unternehmer Sebastian Kurz
16 Monate nach dem Abgang hat der Ex-Kanzler eine Beratungs- und Start-up-BOUTIQUE aufgebaut, die auf drei Säulen beruht.
Das neue Büro des ehemals jüngsten Regierungschefs der Welt ist standesgemäß. In einem eleganten Gründerzeithaus am Wiener Ring residiert die SK Management GmbH im vierten Stock auf rund 300 Quadratmetern. Möbliert im schicken Italo-Style, dezente Braun-, Beige- und Purple-Töne, edle Hölzer, verglaste Räume, ein Nitsch an der Wand. Irgendwie Start-up-Coolness nach dem ersten verdienten Geld. Gegenüber von Sebastian Kurz' Büro – kein Computer, kein Schreibtisch, stattdessen runder Besprechungstisch, elegante Couch – residiert "mein Untermieter", wie Kurz scherzt. Gemeint ist Gernot Blümel, sein Best Buddy aus den wilden Politiktagen. Er hat Old-School-Schreibtisch und Computer.
Die Geschäfte von Sebastian Kurz beruhen auf drei Säulen. Mit der SK Management GmbH stellt er Beratungsdienstleistungen zur Verfügung, etwa die Einschätzung geopolitischer Entwicklungen, die für Investmententscheidungen seiner Kunden wichtig sind, wie er sagt. Mittlerweile arbeiten in diesem Bereich zehn Leute für ihn im Büro am Ring. Dieses Team beschäftigt sich auch mit Entwicklungen auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien.
Den ersten Job im Leben nach der Politik verschaffte ihm Peter Thiel. Der PayPal- und Palantir-Gründer engagierte Kurz für seinen Investmenthaus Thiel Capital als "Global Strategist". Der Milliardär ist einer der einflussreichsten Tech-Vordenker der Welt, aber wegen der Unterstützung für Donald Trump und extrem rechte Kreise in den USA auch umstritten (siehe Thiel-Interview in trend.EDITION vom 24.3.2023).
In Tel Aviv hat Kurz mit dem IT-Zampano Shalev Hulio, Gründer der NSO Group, die mit der Spionagesoftware Pegasus in die Schlagzeilen geriet, das Cybersecurity-Unternehmen Dream Security gegründet, das sich mit dem Schutz kritischer Infrastruktur beschäftigt. Im Abraham Accords Peace Institute von Trump-Schwiegersohn Jared Kushner wiederum sitzt Kurz ehrenamtlich im Beirat. Das Non-Profit-Institut widmet sich den Verbesserungen der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Staaten. Das wieder matcht sich mit den geschäftlichen Ambitionen von Kurz, der viel in Abu Dhabi, Dubai oder auch Bahrain unterwegs ist.
Die dritte Säule des Businessman Kurz schließlich umfasst Start-up-Investments mit Alexander Schütz, Gründer des Investmenthauses C-Quadrat und einer der ersten Politunterstützer von Kurz. Gemeinsam sind sie zum Beispiel an einem Pflege-Start-up in Wien beteiligt.
Das Interview mit Sebastian Kurz finden Sie auch in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 7. April 2023.
Über die Autoren
Andreas Weber
Andreas Weber, Chefredakteur trend
Josef Votzi
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des Kurier. Für den trend verfasst er jede Woche Politik Backstage.