Die Streitereien in der Ärztekammer erschweren wichtige Reformen im Gesundheitssystem. Bei den meisten Ärzten fehlt dafür das Verständnis.
Man sollte meinen, dass es gar nicht so schwer sein kann, eine Liste mit impfbereiten Ärzten als Information für die Öffentlichkeit bereitzustellen. Nichtsdestotrotz gibt es eine solche – jedenfalls in den meisten Bundesländern – nicht. Seit letzter Woche ist der neue Corona-Impfstoff in Österreich erhältlich, die Impfzuständigkeit scheint mit den Hausärzten auch geklärt, einzig wer konkret den Patienten noch rechtzeitig vor der erwartbaren Infektionswelle im Herbst ihr „Jaukerl“ verpasst, bleibt ein Rätsel. Wir stehen also vor der eigenartigen Situation, dass genügend Impfstoff und genügend Impfwillige vorhanden sind, aber niemand da ist, der Bevölkerung die Auffrischungsimpfung zu verpassen. Das ist nicht nur bizarr, es kann für vulnerable Gruppen auch gefährlich werden.
Wir erinnern uns: Seit Ausbruch der Coronapandemie bot die Apothekerkammer immer wieder an, Impfungen durchzuführen. Ein Angebot, das von der Ärzteschaft mit dem Verweis auf die mögliche Gefährdung der Patientenschaft durch die Apotheker abgeschmettert wurde. Die Patienten gefährden dürfen offensichtlich nur Ärzte.
„Kammerspiel Standesvertretung”
Aber wieso soll sich die Ärzteschaft auch um so banale Themen wie Impfen kümmern, wo man doch mit Hickhack in den eigenen Reihen alle Hände voll zu tun hat? Seit Wochen liefert die Ärztekammer in der Öffentlichkeit ein mehr als erbärmliches Bild ab: Ermittlungen gegen Funktionäre, Hausdurchsuchungen, gegenseitige Anzeigen und zuletzt sogar Handgreiflichkeiten untereinander. Nahezu täglich werden Presseaussendungen lanciert, in denen es lediglich um den Machterhalt einzelner Splittergruppen in der Kammer geht. Inhaltliches scheint bei all dem keinen Platz zu haben.
Wir erleben aktuell die eigenartige Situation, dass ausgerechnet die Politik als konstruktive Kraft bei dringend notwendigen Reformen im Gesundheitswesen heraussticht, die Ärztekammer aber jeden Vorschlag abschmettert. Man muss nicht jede Idee des Gesundheitsministers Johannes Rauch oder des Wiener Gesundheitsstadtrats Peter Hacker mögen, aber die Politiker erwecken zumindest den Anschein, den Ernst der Lage erkannt zu haben und die großen Probleme im heimischen Gesundheitssystem wirklich angehen zu wollen. Die Blockierer in der Ärztekammer werden – zu Recht – dabei immer öfter -außen vor gelassen. So will Rauch eigenmächtig Impfstraßen organisieren, und Hacker wird angerufen, um in der Wiener Ärztekammer für Ruhe zu sorgen.
Aber wozu es die Standesvertretung dann eigentlich noch braucht, fragen sich immer mehr Ärzte, die diesem Schauspiel großteils fassungslos folgen. Viele der österreichweit knapp 48.000 Ärzte fühlen sich von der Kammer nicht beziehungsweise schlecht vertreten und lehnen die Zwangsmitgliedschaft ab. Und das nicht erst, seit in der Kammer die Fetzen fliegen und der einst international exzellente Ruf der österreichischen Ärzteschaft auf dem Altar der Machtgier geopfert wird. Manche meist hart arbeitenden Ärzte zahlen immerhin 14 Prozent ihres Bruttoeinkommens an die Kammer. Auch die Pflichtbeiträge an den Wohlfahrtsfonds, aus dem sich viele Ärzte für ihre Pension nur bescheidene Rückflüsse erwarten, stoßen manchem sauer auf. Die Kritik reicht von Misswirtschaft bis Intransparenz. Schließlich war es auch die Ärztekammer, die die längste Zeit vor einer Ärzteschwemme in Österreich warnte und damit den jetzigen Ärztemangel mitverursachte.
Krankes System
Die Coronapandemie hat die Mängel im heimischen Gesundheitssystem schonungslos offengelegt und die Personalsituation nicht unbedingt verbessert. Wir erleben aktuell Wartezeiten von etlichen Monaten bei lebenswichtigen Operationen und dringend benötigten Untersuchungen wie MRT. Wer sich keinen Wahlarzt leisten kann, muss geduldig sein. Wer keine Zusatzversicherung hat, muss damit rechnen, dass er im Spital am Gangbett zwischengeparkt wird. Auch die Suche nach Kassenärzten wird immer langwieriger. Kurz: Das System krankt an allen Ecken und Enden. Und die Zustände in der Kammer sind nicht unbedingt angetan, junge Leute dazu zu bewegen, den Arztberuf zu ergreifen.
Die in Verhandlung befindliche Gesundheitsreform bringt höchstens Linderung, aber bestimmt nicht auf lange Dauer. Um weitere sinnvolle Maßnahmen für Patienten, Ärzte und das Pflegepersonal auf den Weg zu bringen, ist es dringend geboten, dass die Ärzteschaft wieder mit einer Stimme spricht und als Verhandlungspartner ernst genommen werden kann. Und dass sie endlich von ihrer Blockadepolitik abgeht und nicht nur darauf bedacht ist, die Pfründe einiger weniger zu verteidigen. Die Welt soll endlich wieder sehen: So wie sich manche „Götter in Weiß“ in der Ärztekammer gerade gerieren, so ist das Gros unserer Ärzte nicht.
Der Kommentar ist als Leitartikel in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29. 9. 2023 erschienen.