Statt Prolongierung des unternehmerischen Stillstands brauchen wir ein positives, aufregendes, inspirierendes Zukunftsbild und einen großen Wurf, um unser Land zukunftsfit zu machen. Dafür stehen unsere Chancen gar nicht so schlecht.
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Unternehmertum hat unendlich viele Facetten, aber ein Erfolgsmerkmal hat sich bei mir eingeprägt: Disziplin. Disziplin, hart zu arbeiten, aber vor allem die Disziplin, das Positive, das Unwahrscheinliche, aber doch immer wieder Mögliche im Blickfeld zu behalten. Das Gegenteil von Disziplin ist Faulheit – man macht es sich leicht. Leicht ist Zynismus. Leicht ist es auch, über die österreichische Unkultur, über unsere Politiker und über den gefühlt ewigen Stillstand zu jammern.
Schwer ist es hingegen, ein positives Zukunftsbild zu entwickeln, das das Heute mit all seinen enormen Herausforderungen glaubwürdig mit einem Morgen verbindet, welches aufregend, anders, frisch und vielleicht sogar inspirierend ist.
Unternehmer:innen sind es gewohnt, Visionen zu zeichnen und mit positiver Energie aufzuladen, dass diese sowohl von Kund:innen, Mitarbeiter:innen und Investor:innen geglaubt werden und am Ende Realität werden. „Reality Distortion“ hat Steve Jobs dies genannt, und ich sehe die magische Wirkung, wenn Visionen wahr werden, immer wieder in meinem Brotberuf als Start-up-Investor.
Und nichts weniger als einen solchen großen Wurf werden wir benötigen, wenn wir unser schönes Land zukunftsfit machen wollen. Es geht daher nicht nur um das eine oder andere Start-up-Paket oder um kaum mehr wahrgenommene Stehsätze wie die Forderung nach Bürokratieabbau oder die Senkung der Abgabenquote.
Wir brauchen Politik, die in der Lage und willens ist, ein wirklich neues Bild einer positiven Zukunft unserer Gesellschaft zu zeichnen, das in uns allen Sehnsucht auslöst.
Denn natürlich kann man über die einzigartige Gemengelage an fundamentalen Durchbrüchen in künstlicher Intelligenz, Biotech oder Materialforschung diskutieren, über Gefahren, ethische Fragestellungen und die globalen Folgen für unsere Gesellschaft. Oder über die dramatischen Folgen der Erderwärmung sprechen und sich fragen, wie es unseren Kindeskindern in so einer Welt ergehen wird. All das macht Sinn, aber es trägt am Ende nur wenig zu einer gemeinsamen Lösung bei.
Im Gegenzug sollten wir mit Energie und Leidenschaft über die unglaublichen Chancen sprechen, die sich gerade für ein kleines, exportorientiertes Land durch diese Quantensprünge in der Technologie in vielen neuen Sektoren bieten. Jede Krise ist eine Chance, jede Disruption mischt die Karten neu und bietet vormaligen Nachzüglern die Chance, in die erste Reihe zu treten. Das gilt auch für Österreich.
Warum soll Österreich nicht zur Tech-Nation wie Israel, Estland oder neuerdings Frankreich werden? Was hält uns davon ab, unseren enormen Reichtum und unsere besten Köpfe in die Wende zu einer Innovations- und Klimaökonomie zu investieren? Wien hatte schon einmal, vor gerade einmal etwas mehr als 100 Jahren, die globale Führungsrolle im Bereich Innovation und Kreativität. Wo steht geschrieben, dass wir uns nicht wieder neu erfinden können? Nichts an so einem Zielbild würde der Kulturnation, unserem Naturparadies oder dem nationalen Stolz schaden, sondern im Gegenteil all dies und unseren Wohlstand langfristig absichern.
Was es braucht, ist klar: signifikant mehr heimisches und internationales Kapital, das in den Umbau unserer Wirtschaft fließt, sowie die besten Köpfe aus der ganzen Welt, die Lust und Anreize haben, ihre Visionen bei uns umzusetzen. Aber Achtung: Wir reden hier nicht von einer neuen Förderschiene oder nur über eine Verbesserung der Rot-Weiß-Rot-Karte. Es benötigt Milliarden an öffentlichen und privaten Mitteln, um hier vorne mitzuspielen, und es wird massive Anstrengungen benötigen, uns als Standort für globales Talent ins Spiel zu bringen. Das braucht Mut und politisches Kapital, aber letztlich geht es um sehr, sehr viel. Bleiben wir Teil des „Museums Europa“ oder schließen wir zu den dynamischen Innovationsökonomien auf? Diese Frage wird entscheiden, ob es unseren Kindern besser geht als uns oder eben nicht.
Im Sinne der positiven Disziplin biete ich drei Gründe an, warum unsere Chancen gar nicht so schlecht stehen, einen solchen „Moonshot“ zu realisieren:
Wir sind reich. Unser BIP pro Kopf steht bei ca. 50.000 Euro, Estland, der viel gelobte Start-up- und Technologie-Musterschüler bei 30.000. Da lag Israel übrigens 2008, 2022 stand man bereits bei über 50.000 und zeigte der Welt, was möglich ist in einem kleinen Land mit großer Ambition. Und wir haben das Kapital – viel mehr als notwendig, um diese Transformation zu schaffen, wenn es richtig eingesetzt wird.
Innovation funktioniert am besten in Metropolen, und hier haben wir einen weiteren enormen Vorteil: Wien. Wenige Länder Europas verfügen über eine ähnliche Agglomeration von Wirtschaftskraft, Universitäten und kreativen Köpfen. Nach London, Paris, Berlin, Madrid und Rom kommt schon Wien mit all unseren materiellen und immateriellen Assets. Gemeinsam mit Bratislava spielen wir hier ganz vorne mit!
Österreich ist klein. Die Entscheidungsträger kennen sich bestens, Wirtschaft, Finanz, Wissenschaft und Politik sind gefährlich gut verzahnt. So negativ dies oft sein kann, so schnell und effektiv könnte ein echter Schulterschluss auch funktionieren – wenn man dies gemeinsam will.
Last, not least: Der Stillstand der letzten Jahre ist auch eine Form von Vorteil. Ein mutiges „Copy – Paste“ der evidenzbasiert sinnvollsten Maßnahmen rund um Talent und Kapital – in einer Dimension, die wirklich relevant ist, und nicht, wie bisher, oft nur in homöopathischen Dosen – würde reichen, um einen massiven Innovations- und Wachstumsschub in unserem Land auszulösen. Dazu muss man nicht nach Silicon Valley schauen, sondern eigentlich nur ums Eck. Einige Beispiele:
Lasst uns die Erfolgsgeschichte der Technischen Universität München kopieren. Ein Schulterschluss aus Industrie, Wissenschaft und Start-up-Ökosystem hat München zur internationalen Vorzeigeregion und zum wichtigen Technologie-und Finanzplatz werden lassen.
Estland oder Portugal haben vorgezeigt, wie man mit einfachen, aber effektiven Start-up-Visa-Programmen Toptalente und Investoren ins Land holt – immer gepaart mit einer echten Willkommenskultur, die den Menschen nicht vergisst. So etwas sollte das Gastgeberland Österreich mit links liefern können.
Der dänische Staat hat gemeinsam mit den nationalen Pensionskassen ein Investitionsvehikel gegründet, welches alleine mit der letzten Fonds-Generation mehr als 500 Millionen Euro in lokale und internationale Risikokapitalfonds investiert, die im Heimmarkt aktiv sind. Damit ist Dänemark in guter Gesellschaft, in krassem Gegensatz zu Österreich.
Die „New York Times“ hat kürzlich eine Lobeshymne auf Schweden veröffentlicht, als „Blueprint for Europe“. Einen wichtigen Erfolgsfaktor teilen wir uns mit Schweden: ein umfassendes Sozialsystem, welches es viel leichter macht, Risiko zu nehmen – kaum ein gescheiterter Unternehmer landet auf der Straße. In einem anderen Punkt hinken wir seit Jahren hinterher: massive Investitionen in den Zugang zu digitalen Technologien. Jahre später bedanken sich die jungen Nerds mit globalen Erfolgsgeschichten wie Skype oder Spotify.
Diese und viele andere „Start-up-Forderungen“ sind den Entscheidungsträgern bekannt und könnten morgen umgesetzt werden. Doch viel wichtiger ist es, dass wir uns über jenes positive Zielbild einig sind, das weit über Start-ups und auch über Technologie hinausgeht. Wir brauchen eine gemeinsame Vision für unser Land, und nur wenn ein solche auch der breiten Bevölkerung glaubwürdig erzählt werden kann, werden alle gemeinsam an einem Strang ziehen und sich diese und andere Punkte wie von selbst ergeben.
Wer unserer Politiker:innen hat das Talent und die Lust auf eine solche Geschichte? Sie oder er hat in jedem Fall meine Stimme.
Gastkommentar aus trend. PREMIUM vom 6.9.2024
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