Die lautstarken Plädoyers von ÖVP-Spitzenpolitikern für die „Normaldenkenden“ sind kein Zufall. Was für Sebastian Kurz die Balkan-Route war, soll für Karl Nehammer die Normalitäts-Route werden. Ein Feldzug für die „öffentlich unterdrückte schweigende Mehrheit“. In beiden Fällen führt „Mister Message-Control“ Gerald Fleischmann Regie.
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August “Gust” Wöginger nutzte noch einmal die Gelegenheit, um gute Stimmung in den nicht gerade erfolgsverwöhnten eigenen Reihen zu machen.
In der letzten Sitzung des ÖVP-Klubs vor der neunwöchigen Parlaments-Sommerpause zog der schwarz-türkise Fraktionschef Anfang Juli alle rhetorischen Register, zog stolz Bilanz über dutzendweise verabschiedete Gesetze und gab einen optimistischen Ausblick. „Das kann er der Gust. Wir sind alle mit dem Gefühl aus der Sitzung gegangen, dass sich die ÖVP wieder auf dem richtigen Weg befindet und die Welt auch für uns bald wieder in Ordnung ist“, zeigten sich ÖVP-Mandatare auch Tage danach noch beeindruckt.
Wöginger, der sich als volksnaher Stimmungsmacher bei ÖVP-Zusammenkünften großer Beliebtheit erfreut, malte ein Bild der Lage der ÖVP, das sie freilich erst einlösen muss: Die Partei, die seit den Enthüllungen über Aufstieg und Niedergang ihres Idols a. D. im freien Umfrage-Fall ist, beginne sich wieder zu erholen. Der Haupterbe der türkisen Hinterlassenschaft in Partei und Regierung, Karl Nehammer, fasse wieder Tritt. Nehammer und niemand anderer, proklamierte Wöginger in der ÖVP-Klubsitzung lautstark, wird daher auch nach der kommenden Wahl Hausherr im Kanzleramt bleiben.
Der Motivations-Auftritt des ÖVP-Klubchefs ist keine Einzelaktion eines übermotivierten Funktionärs. Die ÖVP agiert intern zunehmend nach einem Drehbuch, das aus der Feder ihres neuen Kommunikationschefs Gerald Fleischmann stammt. Der enge Vertraute von Sebastian Kurz und Medienbeauftragte im Kanzleramt war nach dessen Abgang aus der Politik für ein knapp ein Jahr im ÖVP-Klub als „Referent für besondere Verwendung“ geparkt.
Je miserabler die Umfragen und je schlechter die mediale Nachrede wurden, desto lauter machte sich in Kreisen der ÖVP der Ruf nach Fleischmann breit. Der gelernte Journalist und langjährige Kommunikator in ÖVP-Funktionärs- und Minister-Diensten hatte sich in den zehn Jahren an der Seite von Sebastian Kurz den Ruf erworben, mit Zuckerbrot und Peitsche für dessen breite mediale Performance gesorgt zu haben.
Kurz-Propaganda-Chef geht im Kanzleramt wieder ein und aus
Ende des Vorjahrs rückte Fleischmann offiziell als neuer ÖVP-Kommunikationschef an der Seite von Generalsekretär Christian Stocker in die Parteizentrale in der Wiener Lichtenfelsgasse ein. Eine Rückkehr auf den Ballhausplatz schied aus.
Fleischmann steht nicht nur als Symbol für Kurz’ Kanzlerzeit, sondern er wird auch von der Wirtschafts- und Korruptions-Staatsanwaltschaft (WKStA) nach wie vor als Beschuldigter in der Inseraten-Korruptions-Affäre (Stichwort: „Beinschab-Tool“) geführt.
Fleischmann geht freilich seit seinem Comeback wieder wie in alten Tagen im Kanzleramt aus und ein, legt aber großen Wert darauf sich nicht von anwesenden Journalisten blicken zu lassen. So führt er auch bei den „Kanzlergesprächen“ Regie, zu denen Nehammer nun regelmäßig Journalistenrunden an den Ministerrats-Tisch lädt. Er selbst taucht dort aber nie auf.
Fleischmanns Handschrift prägt „Kanzlerrede“ und „Kanzlergespräche“
Mit der „Kanzler-Rede“ Anfang März dieses Jahres setzte Fleischmann seine erste strategische Duftmarke. Er suchte den persönlich umgänglichen, aber auch nach mehr als einem Jahr Regierungschef konturlosen 50-jährigen Langzeit-Funktionär mit Ecken und Kanten auszustatten.
Nehammer inszenierte sich bei seiner „Kanzler-Rede“ zuvorderst als Parteichef im Vorwahlkampf-Modus. Als Sprecher „für die vielen“ und Advokaten einer aus Sicht der ÖVP „unterdrückten schweigenden Mehrheit“. Nehammer brach in seiner „Zukunftsrede“ eine Lanze für die Autofahrer und das „Autoland Österreich“. Er zog gegen das Gendern und die „political corectness“ generell vom Leder.
In der medialen Öffentlichkeit erzeugte der groß inszenierte Auftritt ein sehr gemischtes Echo. Tenor: Ein innenpolitischer Rundumschlag, der mehr gegen den eigenen kleinen Koalitionspartner denn visionär in die Zukunft Österreichs gerichtet war. In der Partei kam das Lebenszeichen aus der ÖVP-Zentrale aber durchwegs gut an. Für Generalsekretär Christian Stocker und die Kommunikationstruppe in der Lichtenfelsgasse rund um Gerald Fleischmann offenbar ein Ansporn, den nach wie vor blässlichen ÖVP-Chef und Kanzler mit noch grelleren Farben zu versehen.
Das Drehbuch der „Normalitäts“-Kampagne
In der Parteizentrale wurde ein politisches Lagebild entwickelt, das seither zunehmend in Auftritten von ÖVP-Spitzenpolitikern artikuliert wird, und das sich unplugged - wenn Fleischmann & Co unter sich sind - so liest: Eine kleine Minderheit gebe zunehmend den Ton vor. Klimakleber würden auch von Wissenschaftlern als Helden in Hauptnachrichten bejubelt. Die ÖVP solle sich deshalb der Politik „für die normalen Menschen“ verschreiben. Politik „für die vielen, die nicht gendern“, die „ihre Kinder nicht in Lesungen von Drag-Queens schicken“.
Denn, so der ÖVP-interne Befund, das medial erzeugte Lagebild mache immer mehr Menschen zu „Staatsverweigerern“ und treibe sie politisch in Richtung FPÖ. Die ÖVP habe sich, so die derzeit herrschende Lehre in der Parteizentrale, „von den Grünen monatelang zu sehr am Nasenring durch die Arena ziehen lassen“.
„Der echten realen Mitte eine Stimme geben“
In der Öffentlichkeit würden generell die politischen Ränder von links und rechts den Ton angeben; die Mitte, repräsentiert von der ÖVP, zunehmend an den Rand gedrängt. Die von Fleischmann & Co ÖVP-intern ausgegebene politische Nahkampf-Parole: „Wir müssen der echten realen Mitte wieder eine Stimme geben“ - repräsentiert durch den stinknormalen ÖVP-Spitzenmann Karl Nehammer.
Das Fleischmann-Skript des neuen ÖVP-Kurses für Otto Normalverbraucher floss auch bereits mehrmals in Texte und Auftritte von Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Die glücklose Pröll-Nachfolgerin, die nun mit dem ehemaligen blauen Gottseibeiuns der Schwarzen Udo Landbauer regiert, hielt wiederholt ein Pladoyer für die „Normaldenkenden“.
Mit der Proklamation von Herbert Kickl zum „Sicherheitsrisiko“ jüngst durch Karl Nehammer himself, will die ÖVP signalisieren, dass sie sich auch zum rechten Rand hin abgrenzen will.
Nehammer-Offensive: „Stinknormal“ muss wieder in werden
In seinem jüngsten Zib2-Interview mit Armin Wolf Mittwoch dieser Woche machte Karl Nehammer einmal mehr für das neue Lieblings-Wort der Türkisen mobil und suchte populäre Beispiele wie dieses zu platzieren. „Es ist ok, wenn Menschen sich entscheiden, vegan zu leben. Deswegen braucht kein Mensch ein schlechtes Gewissen zu haben, wenn er ein Schnitzel isst.“
Nach dem proklamierten Schließen der Balkan-Route soll offenbar ein Propaganda-Feldzug für die Wiedereröffnung der Normalitäts-Route die ÖVP zum Erfolg führen. Ob das neue Fleischmann-Rezept aufgeht, ist noch offen.
Vergangene Woche lieferte der hauseigene Meinungsforscher der ÖVP, Franz Sommer, folgende Zahlen der aktuellen Wähler-Stimmung ab. In der Sonntagsfrage („Wen würden Sie wählen, wenn am kommenden Sonntag Wahlen wären?“) liegt die FPÖ mit 26 Prozent weiter voran, dahinter folgen mit je zwei Prozent Abstand ÖVP (24%) und SPÖ (22%).
Aus ÖVP-Sicht erfreuliches Kleingedrucktes im jüngsten demoskopischen Befund: Die Blauen haben gegenüber den letzten Umfragen ein bis zwei Prozent eingebüßt, davon haben vornehmlich schwarz und rot profitiert. Es ist allerdings noch lange nicht normal, dass eine Mehrheit der Wähler nach einem Verbleib von Karl Nehammer als Chef im Kanzleramt ruft.