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Exklusiv: So heikel ist der Drahtseilakt für Wind und PV

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APG-Chef Gerhard Christiner: "Die Energiewende wurde leider nie zu Ende gedacht, die Erzeugung auszubauen reicht da als Narrativ nicht aus"

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54.000 Kilometer Leitungen, 59 Milliarden Euro: Das wirkliche Problem der Energiewende sind die Lücken im Stromnetz, zeigt eine neue Studie von Arthur D. Little.

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In einer brandneuen Studie hat der Berater Arthur D. Little (ADL) erstmals die konkreten Auswirkungen der Energiewende auf das Stromnetz und die aktuellen Investmentvorhaben der Netzbetreiber gegenübergestellt: Nicht einmal die Hälfte der notwendigen Ausbau- und Erhaltungskosten in der Höhe von 59 Milliarden Euro bis 2040 kommt in den Plänen der Strommanager vor, sagt ADL-Partner, Leader Strategy, Organisation & Innovation, Max Scherr bei einem Roundtable-Gespräch für den trend, gemeinsam mit Gerhard Christiner (APG) und Franz Ziegerhofer (Cisco): „Österreich sitzt derzeit wie das Kaninchen vor der Schlange Stromnetze, gerade weil die steigende Nachfrage durch Elektroautos, Wärmepumpen oder Datencenter auf die schwankende Erzeugung der erneuerbaren Kraftwerke trifft. Das sollten wir schleunigst ändern.“

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Berater Arthur D. Little (Maximilian Scherr, Engin Beken), APG-Boss Gerhard Christiner und Cisco-Manager Franz Ziegerhofer (v. l.) auf der Suche nach Lücken im Stromnetz.

Das Grunddilemma: Wenn die Versorgung bis 2040 ganz auf Ökostrom konzentriert werden soll, steigt nicht nur der Strombedarf mit 140 Terawattstunden (TWh) auf einen Wert, der dem Doppelten der bisherigen grünen Stromerzeugung entspricht. Die Studie zeigt auch, dass das Netz für Stromlasten neuer Größenordnung nicht gebaut ist.

Studienautor und ADL-Partner Engin Beken rechnet für 2040 etwa mit einer Kraftwerkskapazität von 46 GW für PV-Kraftwerke: "Das ist 29-mal soviel wie 2020". Dieser Maximalertrag wird zwar selten erreicht, dann aber wird es heftig: Österreichs gesamter Kraftwerkspark hat bisher eine Engpassleistung von „nur“ 31 GW und die Netze sind für einen Maximalverbrauch von nur 11 oder 12 GW ausgelegt. Windkraft verstärkt das Dilemma der zeitweiligen Spitzenproduktion zusätzlich. Es geht bis 2040 um weitere rund 22 GW Maximalleistung (aktuell sind sechs bis sieben GW installiert).

54.000 Kilometer fehlen im Strom-Verteilnetz

Laut ADL fehlen für die sichere Verteilung dieser Strommengen flexible Verbraucher, Speicher – und gewaltige 54.000 Kilometer an Leitungen (Systemlänge) in den lokalen Verteilnetzen und rund 2.000 Kilometer in den Hochspannungs-Übertragungsnetzen, etwa der zweite Teil der „Salzburgleitung“, ein Lückenschluss im zentralen Hochspannungsring, die „Deutschlandleitung“ in Oberösterreich, für eine bessere Anbindung an das Nachbarland, die „Donauschiene“ in Niederösterreich der „Netzraum Kärnten“ und die „Reschenpassleitung“ (Tirol). Ein Teil davon wird wohl über höhere Leitungskosten direkt von den Stromkunden finanziert werden müssen, weshalb Kritiker die Frage nach der richtigen Balance in den Ausbauplänen der Grünstromwende aufwerfen.

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Die Energiewende und ihre Effekte auf das österreichische Stromnetz. Dezember 2024

 © ADL

Die Reparatur dieser Schwachstellen wird umso aufwendiger, als auch die steigende Stromnachfrage, die Netze belastet. Für Elektroautos etwa braucht es Ladesäulen mit einer Gesamtkapazität von 24,6 GW, das 54fache aus 2020. Oder 12 GW aus Wärmepumpen (statt 0,6 GW 2022). Auch an unerwarteter Stelle steigt derzeit kaum zu befriedigende Nachfrage nach Strom, etwa bei Datencentern, berichtet Gerhard Christiner, Chef des Übertragungsnetzbetreibers APG: „Bei uns landen derzeit Anfragen von Rechenzentren für KI-Abwicklung, die einen Netzanschluss mit einer Stärke brauchen, die ganz Wien versorgen könnte. Die Energiewende wurde leider nie zu Ende gedacht, die Erzeugung auszubauen als Narrativ reicht da nicht aus“.

Just Datencenter und Digitalisierung wären freilich für das Netzmanagement wichtig, warnt wiederum ADL: Hier habe die E-Wirtschaft den höchsten Nachholbedarf von zehn ausgewählten Branchen in Österreich.

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