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Es war ein Routinetermin, wie er regelmäßig im Terminkalender von Spitzenpolitikern steht. Eine oberösterreichische Stadtgemeinde hatte am dritten Juliwochenende ein besonderes Jubiläum zu begehen: 1222 war Eferding das Stadtrecht durch die Passauer Bischöfe verliehen worden. 800 Jahre danach wollte die Stadtpolitik dieses Jubiläum so prominent wie möglich feiern.
Zum Festakt machte nicht nur Oberösterreichs ÖVP-Landeshauptmann Thomas Stelzer der von einem roten Bürgermeister geführten Gemeinde seine Aufwartung. Auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen reiste nach Oberösterreich an.
Für das Staatsoberhaupt war es an sich ein Win-Win-Termin. Auftritte wie diese lassen sich ohne zusätzlichen Aufwand als Sympathiegewinn für den anlaufenden Präsidentschaftswahlkampf nützen. Statt reihum allein mit Applaus und freundlichem Lächeln wurden Van der Bellen und Stelzer in Eferding mit Buhrufen und einem Pfeifkonzert empfangen. Wie nachträgliche Recherchen in Telegram-Gruppen und im Internet ergaben, hatten Impfgegner und Corona- Leugner die Proteste organisiert. Auch die Eferdinger Stadtväter taten umgehend kund, die Buhrufe seien nicht von Ortsansässigen gekommen. Zwei Wochen zuvor gab es einen ähnlichen Zwischenfall bei Van der Bellens Visite beim Österreichischen Gemeindetag in Wels. Eine Handvoll Buhrufer wurde auch am Rande der Eröffnung der Bregenzer Festspiele ausgemacht. Die organisierten Proteste einer kleinen Gruppe sind nur ein Indiz dafür: Die Präsidentschaftswahl 2022 wird kein unspektakulärer Start-Ziel-Sieg für Alexander Van der Bellen.
Denn viele Anzeichen signalisieren: Beim Wahlgang am 9. Oktober wird es nicht allein um die Wiederwahl des Hausherrn in der Hofburg gehen. Nach bald drei Jahren Coronapandemie und einem halben Jahr Krieg in der Ukraine hat der Routinetermin alle Ingredienzen, zu einem politischen Stellvertreterkrieg zu werden. Nicht nur, aber vor allem die FPÖ wird alles tun, um den Urnengang zu einer Auseinandersetzung um die multiplen Dauerkrisen zu machen: Teuerung und Inflation, Krieg und Sanktionen, Corona und Impfung.
Dem Grünen-Ex-Chef und seinem Team ist die herausfordernd neue Gefechtslage nicht entgangen. Drei Monate vor dem Wahltag und Wochen vor Start des Wahlkampfs setzt sich das Staatsoberhaupt demonstrativ von den Akteuren im Regierungsviertel ab.
Denn würde dieser Tage gewählt, wäre Türkis-Grün schlagartig Geschichte. Das Kabinett Nehammer-Kogler hat in Umfragen gemeinsam nur noch knapp ein Drittel der Österreicher hinter sich. Nummer eins in allen Wahlumfragen ist SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Große Erwartungen setzen die Wähler aber auch in die derzeitigen Oppositionsparteien nicht.
Die politische Klasse ist in den Augen der Mehrheit der Wähler generell nicht krisentauglich. Das Vertrauen in Parteipolitiker aller Lager ist im Keller. Das Staatsoberhaupt hat in Umfragen auch schon weitaus bessere Zeiten gesehen, ist aber in Vertrauensrankings meist nach wie vor in der Poleposition. Er nutzt die Rolle des beliebtesten der Unbeliebten überraschend offensiv nun auch als Sprungbrett in den Vor-Wahlkampf.
In Interviews, aber auch in seinen Festspiel-Eröffnungsreden geht der erste Mann im Staat unerwartet deutlich auf Distanz zu allen anderen politischen Akteuren im Regierungsviertel. "Die Bundesregierung muss jetzt rasch die Herausforderungen angehen. Und es muss vor allem besser und schneller kommuniziert werden", platzierte Van der Bellen jüngst in der "Tiroler Tageszeitung" eine erste, bislang ungewohnte, geharnischte Schelte für das Gegenüber am Ballhausplatz. "Die Menschen werden nicht nur durch die Energiepreise beunruhigt, sondern auch dadurch, dass sie nicht klar erkennen, welche Gegenmaßnahmen die Regierung setzt und was sie plant."
Wenige Tage danach legte er in Bregenz in seiner Festspiel-Eröffnungsrede noch einmal nach: "Die Regierung soll und muss jetzt das tun, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: arbeiten, arbeiten, arbeiten." Van der Bellen startet seinen zweiten Hofburg-Wahlkampf nicht staatstragend präsidentiell, sondern mit einer Frontalattacke gegen "die da oben" und in einer Tonlage, die auch von einem Oppositionsführer stammen könnte. Auch wenn es dem gelernten Professor, dem Streit und Hader an sich zuwider sind, anders lieber wäre: Das Amt des Bundespräsidenten wird in den kommenden Wahlkampfwochen nur vordergründig eine Rolle spielen.
Nicht nur, aber vor allem die FPÖ wird den Hofburg-Wahlgang zu einem Probegalopp für die nächsten Nationalratswahlen machen. FPÖ-Chef Herbert Kickl schickt seinen Last-Minute-Kandidaten Walter Rosenkranz mit dem Auftrag in die Arena, den 9. Oktober zu einer Generalabrechnung mit der türkis-grünen Regierung zu nutzen.
Unter dem Schlachtruf "Holen wir uns unser Österreich wieder zurück" sollen alle manifesten Ängste und latenten Sorgen aktiviert werden: vom Frust nach bald drei Jahren Anti-Corona- Maßnahmen über die massiven Belastungen durch die Preisexplosion bis hin zu einer möglichen neuen Zuwanderungswelle.
"Der Slogan 'Holen wir uns unser Österreich zurück' hat ein hohes Potenzial. Damit könnte Rosenkranz auch bei Bürgerlichen und Sozialdemokraten punkten", sagt ein parteiunabhängiger Politikstratege, der auch Einblick in die jüngsten Meinungsforschungsergebnisse hat.
Vor allem die Angst vor einem Wirtschaftseinbruch, steigender Arbeitslosigkeit und einem kalten Winter, sollte Putin tatsächlich den Gashahn abdrehen, hat längst alle anderen Themen überlagert.
Die Sanktionen und damit auch jene Politiker, die für diese mobil machten und machen, sind dabei, zum Sündenbock für die herandräuende schwere Wirtschaftskrise zu werden.
Gab es in den ersten Monaten nach Start des Feldzugs von Russland gegen die Ukraine noch eine klare Mehrheit für wirtschaftliche Strafmaßnahmen gegen Putin &Co., schaut ein paar Monate danach die Welt ganz anders aus. "Die Stimmung gegenüber der Ukraine ist gekippt. Eine Mehrheit der Österreicher ist für 'weg mit den Sanktionen'", resümiert ein Kenner der neuesten Demoskopiedaten.
In Van der Bellens Wahlkampfteam weiß man um diese Herausforderung, glaubt aber, ein taugliches Rezept zu haben: "Der Präsident wird sich auf keine Konfrontation einlassen, sondern das große Bild zeichnen."
Sprich: den wahren Verantwortlichen, Wladimir Putin, als Provokateur der Krise benennen, sich aber nicht in Detaildebatten über Embargos und Sanktionen einlassen.
Der 78-Jährige hat generell vor, auch jeder persönlichen Konfrontation mit einem der Gegenkandidaten aus dem Weg zu gehen. Er steht, so die Devise in der Hofburg, auch für TV-Debatten oder Zweier-Duelle nicht zur Verfügung. Begründung: Sein Amtsverständnis sei nach fünfeinhalb Jahren Präsidentschaft wohl jedermann geläufig.
Zusätzliche TV-Debatten seien nicht nur "mit der Würde des Amtes unvereinbar. Auch die Mehrheit der Bevölkerung hat in Krisenzeiten keinen Bedarf an TV-Shows", so ein Präsidentenberater. Und last, but not least: Bei ihrer Wiederwahl hätten sich auch Heinz Fischer und Thomas Klestil auf keine TV-Konfrontationen eingelassen.
Dieses strikte Nein könnte Van der Bellen in den kommenden Wochen noch zu schaffen machen. Zum einen stellen auch Zeitungskommentatoren, die alles andere als im Verdacht der FPÖ-Nähe stehen, die Diskursverweigerung als undemokratisch in Frage. Der Präsident könnte sich zum anderen auf Dauer auch schwertun, seinem Herausforderer Walter Rosenkranz eine Debatte auf Augenhöhe zu verweigern: Van der Bellen hatte diesen selbst als Volksanwalt angelobt und dessen Job noch jüngst als "wichtigste Bürgervertretung des Landes" bezeichnet.
Der alte und wohl auch neue Bundespräsident hat so unerwartet viel Gegenwind zu erwarten. Vor allem Krieg und die Sanktionen sind dabei, den vermeintlichen Routinewahlgang kräftig durcheinanderzuwirbeln.
"Van der Bellen muss seine Komfortzone verlassen, wenn er verhindern will, dass Rosenkranz am Ende doch nicht mit 20, sondern mit 30 Prozent plus abschneidet", analysiert ein erfahrener Politikstratege. "Die ganze FPÖ, aber auch Rosenkranz' niederösterreichische Blaue, die im Frühjahr Wahlen zu schlagen hat, haben höchstes Interesse, Van der Bellen vor sich herzutreiben. Wenn die Stimmung noch weiter kippt, dann ist es auch nicht ausgeschlossen, dass die FPÖ Van der Bellen vor seiner endgültigen Wiederwahl in die Schmach eines zweiten Wahlgangs zwingt."
Der Autor
Josef Votzi ist einer der renommiertesten Politikjournalisten des Landes. Der Enthüller der Affäre Groër arbeitete für profil und News und war zuletzt Politik- und Sonntagschef des "Kurier". Für den trend verfasst Josef Votzi jede Woche "Politik Backstage".
Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 29. Juli 2022 entnommen.