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Zum Tango braucht es mehr als zwei

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KONZENTRATION. Die Themen haben sich verändert: Fachkräfteabkommen, Energie und Anti-China-Maßnahmen prägen die Südamerikareise von Wirtschaftsminister Martin Kocher.

©ENZO HOLEY, BERNHARD ECKER
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Martin Kocher forciert im Regierungsfinale Wirtschaftsmissionen, letztes Beispiel: Brasilien und Argentinien. Dabei stößt der Wirtschafts- und Arbeitsminister immer wieder an Grenzen – auch seine eigenen. Dass er sich nun für den Job des Nationalbank-Gouverneurs beworben hat, ist nur logisch.

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Gobernador Virasoro, fast 1.000 Kilometer nördlich von Buenos Aires, nur 50 Kilometer von der brasilianischen Grenze entfernt. Die Gegend ist für Matetee-Anbau bekannt, aber auch die Drogenhandelsrouten von und nach Paraguay führen durch die flache Landschaft voller Kiefernwälder. In diesem Umfeld gerät die Eröffnung eines Megasägewerks des österreichischen Holzindustriellen Gerald Schweighofer, einer zur Gänze aus Eigenkapital finanzierten 125-Millionen-Euro-Investition, zum Volksfest – insbesondere nachdem der Gouverneur der Region, Gustavo Adolfo Valdés, das Event spontan auf seinem Instagram-Kanal gepostet hat.

Valdés war vor zwei Tagen noch auf einer Stippvisite beim Papst, seinem Landsmann, nun steht er in der riesigen Halle von Schweighofers Unternehmen Acon Timber auf der Bühne, dreht sich halb nach links, halb nach rechts, spricht zwei Sätze und wartet genüsslich auf den Applaus des 700-köpfigen Publikums, bevor er fortsetzt. Der Politiker von der Radikalen Bürgerunion, ein Mann mit schmalen, blitzenden Augen, schlägt weichere Töne an, wenn er vom „lieben Gerald“ und dessen „sanftem Lächeln“ spricht. Wenn er die investorenfreundliche Politik der nordargentinischen Provinz Corrientes lobt, wird er hingegen lauter. Halb links, halb rechts, Pause, Applaus.

Gaucho-Politik hat der Gouverneur sichtlich im Blut. Im Wahlkampf hat er den umstrittenen neuen argentinischen Staatspräsidenten Javier Milei unterstützt, der mit einer Kettensäge im Wahlkampf weltberühmt wurde. Die Inflation ist mittlerweile rekordhoch, sie liegt fast bei 280 Prozent.

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Der argentinische Gouverneur Gustavo Valdés bei der Eröffnung des Acon Timber Sägewerks in Gobernador Virasoro

 © ENZO HOLEY / BERNHARD ECKER

Was für ein Kontrast zwischen dem argentinischen Lokalpolitiker und seinem Vorredner Martin Kocher. Der österreichische Wirtschafts- und Arbeitsminister ist mit einer Delegation aus Ministeriums- und Wirtschaftsleuten angereist, die den südamerikanischen Markt sondieren wollen.

So wie Valdés geht auch er zu den Textzeilen „I used to rule the world“ aus dem Coldplay-Song „Viva la Vida“ auf die Bühne – doch es liegt ihm sichtlich fern, dem Volk nach dem Mund zu reden oder gar zu herrschen. Stets freundlich, spricht Kocher von den Potenzialen der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen, macht Werbung für die österreichischen Firmen, überreicht Augarten-Porzellan und Stephansdom-Schneekugeln als Gastgeschenke. Er wird dabei weder laut noch leise. Er bringt die Leute zum Nicken, nicht zum Lachen.

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Österreichs Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher bei der Eröffnung des Acon Timber Sägewerks in Gobernador Virasoro. Er interessiert sich selbst bei brütender Hitze fürs Sachliche.

 © ENZO HOLEY / BERNHARD ECKER

Alternativrouten

Der Ökonom ist auf der Zielgeraden der Legislaturperiode viel unterwegs. In einer geopolitisch veränderten Welt tut er das, was ein Wirtschaftsminister eines Landes mit einer Exportquote von 60 Prozent tun muss: neue Fäden in Weltregionen knüpfen, die für Exporteure und Investoren einen Ersatz für Russland, aber auch für China darstellen könnten. Nach Australien Neuseeland, Ostafrika und Indien ist nun Südamerika dran. 

Wirtschaftsmissionen sind heute anders als in den Jahrzehnten der Turboglobalisierung: Es geht nicht um Unterschriften unter fertig ausverhandelte Milliardendeals und viel folkloristisches Begleitprogramm. Die Prioritäten haben sich verändert.

Die berühmte Wendung, dass es zum Tangotanzen zwei braucht („It takes two to tango“), gilt auch für den Samba und lässt sich variieren: Ohne einen Dritten, den Staat, geht es nicht. In Zeiten, wo der Freihandel unter Druck ist, ist B2G, Business to Government, die Voraussetzung für B2B, den quasi natürlichen Austausch zwischen Unternehmen.

Beispiel China: Nicht nur, dass E-Autos der chinesischen Marke BYD bereits das Bild brasilianischer Städte prägen. Billige China-Importe betreffen auch alteingesessene österreichische Industrieunternehmen im Land. Deshalb versammeln sich Mitte April rund 60 Vertreter beider Staaten in der prächtigen Sala Rui Barbosa eines Regierungsgebäudes der Retortenhauptstadt Brasilia. Es geht um die Reaktivierung einer gemeinsamen Wirtschaftskommission, die es bis 1987 gab.

Dabei bleibt es nicht bei freundlichen Grußformeln. Einige der Firmen, unter ihnen der im Land besonders starke Feuerfestkonzern RHI Magnesita, überreichen dem mächtigen Vize des Präsidenten Lula da Silva, Geraldo Alckmin, ein Memorandum. Darin wird die Lula-Regierung aufgefordert, gegen die Dumpingpreise chinesischer Mitbewerber in ihren Branchen vorzugehen. „Wir kommen gegen die Konkurrenz aus China nicht an“, lautet der Hilferuf.

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Mit dem Lula-Vize Geraldo Alckmin (l.) wird vereinbart, eine gemeinsame Wirtschaftskommission zu reaktivieren.

 © ENZO HOLEY

Ein weiteres vordringliches Problem ist der Fachkräfteaustausch. Sogar die ÖBB suchen vor Ort brasilianische Mitarbeiter für den Verschub. Der Vorarlberger Kunststoffkonzern Alpla, der in Louveira nahe São Paulo eben ein neues Werk eröffnet hat, schickt seinerseits brasilianische Mitarbeiter nach Afrika, um dort Alpla-Werke aufzubauen. Mitgereist ist ein Unternehmer, der Pflegekräfte nach Österreich holen will. Kocher unterzeichnet mit dem Arbeitsminister der Lula-Regierung einen Letter of Intent, eine unverbindliche Absichtserklärung, um die Spielregeln für dieses sensible Thema zu klären. Mit seinem argentinischen Visavis ist Ähnliches in Vorbereitung.

In Summe geht es darum, Lateinamerika nicht aus den Augen – und vor allem nicht an China – zu verlieren. Denn die Delegationen aus der Volksrepublik, die sich lukrative Aufträge etwa im Bahnbau- und Bergbaubereich sichern wollen, werden größer und zahlreicher. Auch wenn Brasilien und Argentinien zusammen nur für 0,6 Prozent aller österreichischen Ausfuhren stehen, soll das bestehende Geschäft abgesichert und das brach liegende Potenzial nicht kampflos den anderen überlassen werden, so die Botschaft.

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Das Alpla-Werk in Louveira nahe São Paulo

 © BERNHARD ECKER

Hurra, Aber!

Historisch und kulturell wäre es eine verschenkte Chance, die entgegengestreckten Hände nicht zu ergreifen. „Europa ist uns immer näher gewesen“, sagt der Unternehmer Arthur Porto, der im Süden von Brasilia den Firmeninkubator Sof.town betreibt und nun Kontakte nach Österreich sucht. In dem ehemaligen Lagerhaus, in dem selbst das Klo stylish neonrosa in Szene gesetzt ist, wimmelt es nur so von jungen Entrepreneuren, die Drohnen für die Agrarwirtschaft, Edutech-Lösungen oder Geräte zur Verbesserung der Klimaeffizienz entwickeln.

An den Technologien sind längst auch chinesische Besucher interessiert, die Europäer muss man manchmal daran erinnern. Porto verweist auf Maria Leopoldine, die Habsburgerin und erste brasilianische Kaiserin, die schon in den 1820ern wissenschaftliche Delegationen aus Europa ins Land holte.

Es ist aber kein Hurra ohne Wenn und Aber. Selbst Kocher hält fest, dass man nicht Scharen von KMU in volatile Weltregionen schicken kann: „Blauäugig darf man nicht in solche Märkte gehen. 

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Unverzichtbare Skills eines Regierungsmitglieds auf Reisen: das Durchschneiden von Bändern; hier am (oben: Stand von Invest in Austria/Work in Austria beim Web Summit in Rio), Unterzeichnen von Absichtserklärungen, Überreichen von Gastgeschenken, Small Talk.

Beobachtet man den Politik-Quereinsteiger, gewinnt man manchmal den Eindruck, er habe noch nie etwas anderes gemacht. Mit dem Vizegouverneur von São Paulo führt er Small Talk im prächtigen Palácio dos Bandeirantes, dem Regierungssitz der wirtschaftsstärksten Region Brasiliens. Wenn es – insbesondere gegenüber Politikern im rindfleischverrückten Argentinien – opportun scheint, lässt der gebürtige Pongauer beiläufig fallen, dass er selbst in einem Ort aufgewachsen ist, in dem es mehr Rinder als Menschen gegeben hat. Die nach Südamerika mitgereisten Vertreter von Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung, Wolfgang Hesoun und Peter Koren, zeigen sich zufrieden mit dem strategischen Ansatz, mit dem der frühere IHS-Chef seiner Türöffnerfunktion nachkommt. Bei der für Technologie und grüne Wirtschaft zuständigen Ministerin Leonore Gewessler vermissen sie einen solchen Einsatz.

Doch was soll ein Minister eines Neun-Millionen-Einwohner-Landes mit einer solchen Mission wirklich bewirken? Kocher wirkt oft allein auf weiter Flur, er stößt immer wieder an Grenzen. Das hat mit der EU zu tun, mit innenpolitischen Faktoren, aber auch mit seinem Naturell.

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Die Casa Rosada, Amtssitz des argentinischen Präsidenten Javier Milei

 © ENZO HOLEY / BERNHARD ECKER

In Südamerika wird klar, wie sehr eine außenwirtschaftliche Koordination durch die Union fehlt. Der Freihandelsvertrag zwischen der EU und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay liegt vorerst auf Eis, neben Frankreich opponiert beispielsweise auch Österreich. In der Zwischenzeit aber haben sich die EFTA-Staaten Schweiz, Liechtenstein, Norwegen und Island durch geschicktes Verhandeln in die Position gebracht, einen solchen Vertrag abzuschließen. Überholt die EFTA, der Österreich vor dem EU-Beitritt angehörte, die Union, wäre das eine Blamage.

Limitiert ist Kocher auch durch die Kompetenzverteilung in der Regierung. Im Windschatten seiner Delegation befindet sich eine Gruppe von Luftfahrt- und Rüstungsfirmen, die Kontakte anbahnen wollen. Es trifft sich, dass das österreichische Bundesheer vom brasilianischen Flugzeughersteller Embraer eben Transportflugzeuge des Typs C-390 beschaffen will. Verbindliche Folgegeschäfte – etwa für die Wartung – ansprechen darf Kocher aber nicht. Dafür ist seine Regierungskollegin Klaudia Tanner von der ÖVP zuständig.

So kommt es zur absurden Situation, dass man von Embraer-CEO Francisco Gomes Neto, der sich im 30. Stock eines Büroturms in São Paulo ausführlich Zeit für ein Gespräch mit den Österreichern nimmt, mehr Details erfährt als von Kocher. Neto schwärmt vom Fly-by-Wire-Steuerungssystem des Wiener Softwarespezialisten TTTech in der C-390, lobt die Zulieferverbindungen nach Österreich und sagt Danke für den Kauf der Maschinen. Kocher darf nicht einmal „Gern geschehen!“ sagen.

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Atem holen, durchschnaufen vor der nächsten Unterschrift unter ein Memorandum of Understanding: 5.45 Uhr an der Copacabana – die ideale Zeit für Laufrunden in Rio.

 © BERNHARD ECKER

Eine Veränderung der Zuständigkeiten wäre für den parteilosen Minister, der auf einem ÖVP-Ticket sitzt, aber mit Zoff in den eigenen Reihen verbunden. Dazu ist er nicht der Typ: „Da will und kann ich mich nicht einmischen“, sagt er. So diszipliniert, wie er seine morgendlichen Laufrunden an der Copacabana oder im Park der Plaza de las Naciones Unidas in Buenos Aires abspult, so diszipliniert ist er seit jeher auch in der Regierungskommunikation. Dabei wünschen sich nicht wenige, dass er etwa ÖVP-Agrarminister Norbert Totschnig wegen der Mercosur-Ablehnung der Bauern einmal ordentlich auf die Zehen steigt. 

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Momentaufnahme: Zwischen den Terminen Vorbeifahrt am Zuckerhut in Rio de Janeiro

 © ENZO HOLEY / BERNHARD ECKER

Dass Kocher kein Parteipolitiker ist, ist evident. Ist er auch ein Politiker? Einen Verbleib in der Politik hält er offen. Eindeutig ist er nur in der Frage, was für ihn nicht in Frage kommt: eine Rolle in einer Regierung mit FPÖ-Beteiligung, egal, ob die Freiheitlichen nun von Herbert Kickl oder von Marlene Svazek oder von jemandem anderen geführt werden. 

Seine unbestrittene Sachkompetenz lässt den Namen des Verhaltensökonomen derzeit für eine zentrale Postenbesetzung zirkulieren, die in den nächsten Monaten ansteht: Er hat sich um die Nachfolge von Robert Holzmann an der Spitze der Nationalbank beworben. Vom trend darauf bei einem Interview am Flughafen Buenos Aires am 20. April angesprochen, lautete die Antwort noch ganz politikerhaft: „Ich habe mir dazu noch keine Gedanken gemacht.“ Zehn Tage später fällt die Antwort schon entschiedener aus. 

Die neue Jobperspektive ist im Lichte seines jüngsten Reiseziels fast ironisch: Der „Anarchokapitalist“ Milei will die argentinische Zentralbank abschaffen. Ein Treffen Kochers mit Milei, ebenfalls Ökonom, kommt trotz mehrmaliger Anläufe nicht zustande. In der Inflationsbekämpfung, Hauptaufgabe jedes Notenbankchefs, ließe sich aber vom argentinischen Staatschef ohnehin nicht viel abschauen, argwöhnt Kocher am Ende der Reise: „Als Ökonom kann man von ihm nicht viel lernen. Rosskuren, wie er sie kolportiert beabsichtigt, haben meist nicht Erfolg.“

Brasilien und Argentinien - Außenposten der Außenwirtschaft

Artikel aus trend. EDITION vom April 2024
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Die Reise erfolgte mit finanzieller Unterstützung des BMAW.

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