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Herbstlohnrunde: Tarifvergleich statt Rangeleien [Kommentar]

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Andreas Lampl, Chefredakteur trend

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©Ricardo Herrgott
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Die diesjährigen Lohnverhandlungen bieten hohes Potenzial, unser gesellschaftliches System zu gefährden. Das gilt für beide Seiten.

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Lohnverhandlungen sind immer eine Veranstaltung, die auch Emotionen freisetzt. Das gehört zur Inszenierung. Aber in diesem Jahr machen hohe Inflation und soziale Verwerfungen die Sache besonders explosiv. Die Wirtschaft bewegt sich auf sehr instabilem Fundament. Prognosen sind unsicher wie noch nie. Die Gefahr, durch Justamentstandpunkte Folgeschäden anzurichten, ist groß: auf Arbeitnehmer- und auf Arbeitgeberseite gleichermaßen.

Die ausufernde Teuerungswelle einerseits und die von vielen Unternehmen gemeldeten Rekordgewinne andererseits sprechen klar für eine kräftige Erhöhung der Löhne und Gehälter. Die wird auch kommen. Die von den Gewerkschaften apodiktisch formulierte Position "Wir werden sicher keinen Kaufkraftverlust akzeptieren" schießt jedoch übers Ziel hinaus. In der aktuellen Krise sind vorübergehende Kaufkraftverluste unausweichlich. Sie können nur für die untersten Einkommensschichten gänzlich kompensiert, ansonsten allenfalls in Grenzen gehalten werden. So gut wie alle Ökonomen in Österreich und Deutschland rechnen darum mit mehr oder weniger sinkenden Reallöhnen.

Die einhellige Ablehnung teilweiser Einmalzahlungen durch die Arbeitnehmervertreter ist ebenfalls problematisch. Es wäre sehr wohl sinnvoll, die Teuerung jetzt einmal abzufedern, ohne gleich im ersten Jahr einer kaum steuerbaren Krise irreversible Tatsachen zu schaffen. Denn noch ist schwer, vorherzusehen, wie sich Energiepreise und Konjunktur entwickeln - und wie sich die Lage darstellt, wenn die Kostensteigerungen auf die Wirtschaft erst mal voll durchschlagen.

Werden Arbeitnehmern Reallohnverluste zugemutet, während sich Unternehmer ein größeres Stück vom Kuchen abschneiden, ist der Nährboden für Konflikte aufbereitet.

Noch schwerer verständlich ist die Weigerung des ÖGB, staatliche Maßnahmen für den Teuerungsausgleich bei den anstehenden Tarifverhandlungen zu berücksichtigen. Die Abschaffung der kalten Progression ist eine zusätzliche Steuersenkung, die ebenso wie diverse Direktzahlungen dazu führt, dass die Menschen netto mehr Geld zur Verfügung haben. Was bei den Lohnabschlüssen Beachtung finden müsste.

Bemerkung am Rande: Dass sich die öffentliche Hand auch als zusätzlicher Inflationstreiber betätigt - zum Beispiel via Gebührenerhöhung fürs Parkpickerl in Wien -, ist da weniger hilfreich.

Der Ball liegt aber genauso bei den Unternehmen, die auf breiter Front exzellent verdienen und die unübersichtliche Konstellation oft für satte Preiserhöhungen genutzt haben. Werden Arbeitnehmern Reallohnverluste zugemutet, während sich Unternehmer ein größeres Stück vom Kuchen abschneiden und Investoren ungehemmt höhere Profite einsacken, ist der Nährboden für Konflikte aufbereitet.

Unternehmenslenker sollten sich bewusst machen, dass ihre Wunschrendite ebenso wenig ein Grundrecht ist wie die Erhöhung der Löhne.

Einen Ausweg könnten - wo immer möglich - großzügige Prämien für die Beschäftigten auf betrieblicher Ebene bieten. Idealerweise unterstützt vom Staat, der sie wie bei der Corona-Prämie bis zu einem bestimmten Betrag steuerfrei stellt. Seine Einnahmen steigen ohnehin exorbitant.

Die viel zitierte Lohn-Preis-Spirale wird, wie der Name schon sagt, von zwei Faktoren getrieben. Und derzeit handelt es sich eher um eine Preis-Lohn-Spirale. Unternehmenslenker sollten sich bewusst machen, dass ihre Wunschrendite ebenso wenig ein Grundrecht ist wie die Erhöhung der Löhne.

Nimmt diese Spirale weiter an Fahrt auf, ist sie nur schwer wieder zu stoppen. Die Notenbanken müssten dann durch drastische Zinserhöhungen die Wirtschaft in eine Rezession schicken - begleitet von massiven sozialen Brüchen.

2022 ist Besonnenheit auf allen Seiten nötiger denn je. Ideologische oder parteipolitische Rangeleien müssen einer Art "Tarifvergleich" Platz machen.

Der heftig debattierte Umgang mit "Übergewinnen" betrifft zwar vergleichsweise wenige (Energie-)Unternehmen. Aber in irgendeiner Form - ob Sondersteuer, Markteingriff oder Investitionsverpflichtung - muss geregelt werden, dass diese Gewinne nicht ausschließlich bei den Kapitaleigentümern landen. Auch Ausschüttungsquoten sind kein Naturgesetz, weder beim Verbund noch bei privaten Betrieben.

Wenn wir unser Gesellschaftssystem nicht gefährden wollen, ist 2022 volkswirtschaftliche Besonnenheit in Verteilungsfragen auf allen Seiten nötiger denn je. Ideologische oder gar parteipolitische Rangeleien müssen einer Art "Tarifvergleich" Platz machen.

Ganz besonders gilt das beim Thema Pensionen. Mindestrentnern unter die Arme zu greifen, ist eine Sache. Eine von Partei- und Wahltaktik geleitete exzessive Pensionsanhebung zu Lasten der jüngeren und mittleren Generationen eine ganz andere. Das hieße, Zukunft zu verspielen - und schon jetzt unrealistische Pensionsversprechen endgültig ad absurdum zu führen. Auch als größter Gewinner der hohen Inflation wird der Staat die Renten nicht auf ewig mit einem immer rasanter wachsenden Einsatz von Steuermitteln finanzieren können.

Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 26. August 2022 entnommen.

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