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Torschlusspanik am Ballhausplatz [Politik Backstage]

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Die fachliche Kompetenz des Ökonoms und parteifreien Wirtschafts- und Arbeitsministers Martin Kocher ist innerhalb und außerhalb des Regierungsviertels unumstritten. Seine Bewerbung zum Nationalbank-Gouverneur sorgt dennoch für Irritationen - auch in der ÖVP.

©APA/Roland Schlager
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Eine ÖVP-Ministerin ließ schon panisch wissen: "Wir werden bald alle einen Job brauchen." In den türkis-grünen Parlamentsklubs regiert die Parole "Rette sich, wer kann". Nun bringt sich ausgerechnet der einzige parteifreie Minister ohne Not ins Postenschacher-Gerede.

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Der allererste, von Skandal-Vorwürfen ausgelöste, Rücktritt in der türkis-grünen Regierung liegt bereits drei Jahre zurück. Intern macht dieser Tage eine peinliche Fortsetzung des Plots im Regierungsviertel einmal mehr die Runde.

Christine Aschbacher, gelernte Unternehmensberaterin und einstige Kabinetts-Mitarbeiterin im Finanzressort (unter Maria Fekter) und im Wirtschaftsministerium (unter Reinhold Mitterlehner), schaffte beim Start von Türkis-Grün auch zur eigenen Überraschung den Sprung auf einen Minister-Sessel. Auf der Suche nach Frauen im Regierungsteam erinnerten sich einige Kurz-Leute an gemeinsame Tage mit Christine Aschbacher in der ÖVP-nahen Schülerunion.

Arbeitsministerin Aschbachers Job-Trauma

Nach knapp einem Jahr war es mit dem Aufstieg der Steirerin zur Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend wieder vorbei.

Eine Nachschau in jenen Arbeiten, mit der Aschbacher erst den Magistertitel an einer Fachschule in Wiener Neustadt und dann auch den Doktortitel an einer Uni in Bratislava erworben hatte, brachte ihr nicht nur Spott und Hohn ein: "Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes, sie verlangsamen uns", hieß es etwa wörtlich darin. Der als “Plagiatsjäger” agierende Salzburger Stefan Weber hatte gegen die Ressortchefin auch einschlägige Vorwürfe erhoben und diese auch angezeigt.

Anfang vergangenen Jahres erhielt Aschbacher zwar die Nachricht, dass sie beide Titel behalten dürfe. Beruflich hatte sie offenbar aber noch lange nicht ausreichend Boden unter den Füßen.

Die Ex-Ministerin klopfte Ende des Vorjahres bei ÖVP-nahen Wirtschafts-Unternehmen wegen eines Management-Jobs an. Ein subjektiv eher demütigendes und wenig erfolgversprechendes Unterfangen, ließ sie Vertraute hinterher wissen.

Susanne Raabs Panik-Attacke

Eine dieser Gesprächspartnerinnen, eine Weggefährtin aus gemeinsamen Tagen in der ÖVP-Schülerunion, machte ihren Unmut darob auch unverhohlen Luft. Susanne Raab, Ministerin für Frauen, Familie, Integration und Medien, hat ihren Plagiatsvorwurf nicht nur ohne akademische Schrammen, sondern auch ohne Rücktritt überstanden.

Die weitgehend konturlos gebliebene Ressortchefin dürfte freilich Realistin genug sein, um abzusehen, dass ihre Tage in der Politik auf Sicht gezählt sein könnten.

“Auch wir werden vielleicht bald einen adäquaten Job brauchen”, ließ sie im Gefolge von Aschbachers erfolgloser Klinkenputz-Tour in ÖVP-nahen Managerkreisen vorwurfsvoll wissen.

Jeder zweite ÖVP-Abgeordnete muss um Wiederwahl zittern

Raabs Panikattacke war nur die Ouvertüre zu einer Stimmungslage, die sich in Ministerien, Parlament und nachgelagerten türkis-grünen Machtzentren breit macht: Im Regierungsviertel rund um den Ballhausplatz geht die Torschlusspanik um.

Alle Umfragen signalisieren, dass die ÖVP von zuletzt 37 Prozent Richtung 20 Prozent der Stimmen abstürzen könnte. Auch die Grünen müssen mit einem Einbruch von knapp 14 Prozent auf klar unter zehn Prozent rechnen. Ein Drittel bis zur Hälfte der türkis-grünen Mandatare sind so voraussichtlich Sitz und Stimme im Hohen Haus los.

Im Fall der Grünen sind ab dem kommenden Jahr zudem auch alle anderen politischen Ämter voraussichtlich komplett dahin.

Alle grüne Energie geht derzeit ins Guthaben fürs Basisvotum

“Im Parlamentsklub schaut jetzt jeder nur noch darauf, wie er sein Mandat retten kann”, berichtet ein ÖVP-Mandatar. Auch in der grünen Riege geht derzeit alle Energie, so ein Spitzengrüner, in das politische Guthaben für die jeweils nächste grüne Landesversammlung. Dort wird via “Basisvotum” über die Listenreihung und damit Sein oder Nicht-Sein im nächsten Nationalrat entschieden.

Einer, der auf keiner Liste stand und auch künftig nicht stehen wollte, ist der Nachfolger der Kurzzeit-Ministerin und danach beruflich offenbar unglücklich gelandeten Christine Aschbacher. Der gelernte Ökonom Martin Kocher ist nach Aschbacher ins Arbeitsministerium eingerückt. Nach dem Rücktritt von Margarethe Schramböck wurde das schmalbrüstige Ressort mit den freigewordenen Wirtschaftsagenden aufgewertet.

Der ehemalige IHS-Chef legte weiterhin Wert darauf, aufgrund seiner – weit über die ÖVP anerkannten – Expertise als Arbeits- und Wirtschaftsminister zu fungieren und ist daher auch nach wie vor nicht ÖVP-Parteimitglied.

Ausgerechnet der parteilose Vorzeige-Experte kommt nun im Regierungsfinale in den Geruch des parteipolitischen Postenschachers. Anfang der Woche ließ er in einem “Krone”-Interview wissen, dass er sich um den Job des Nationalbank-Gouverneurs beworben habe.

Diese Personalie ist doppelt pikant: Die Verträge des amtierenden Notenbank-Chefs Robert Holzmann und seines Stellvertreters Gottfried Haber laufen erst mit 31.8. 2025 aus. Eine Ausschreibung eineinhalb Jahre davor ist gegen alle Compliance-Empfehlungen und riecht daher nach Machtsicherung einer Regierung, die weit davor ihr Ablaufdatum hat.

Mehrfach-Präsident Harald Mahrer ob Kochers Outing not amused

Ausgeschrieben wurden die Jobs vom Präsidium des Generalrats, dem Nationalbank-Aufsichtsgremium, angeführt von Wirtschaftskammer-Boss Harald Mahrer.

Weil die Verträge der beiden Notenbank-Direktoren Thomas Steiner und Eduard Schock in der ersten Jahreshälfte 2025 – und damit noch vor denen der Nationalbank-Spitze – auslaufen, werden auch diese in einem Aufwaschen ausgeschrieben.

Formal läuft die Job-Rochade so ab:

Der Präsident der Nationalbank, Harald Mahrer, mit starker ÖVP-Verankerung als Wirtschaftsbund-Chef, und seine Vizepräsidentin Ingrid Reischl, mit festen Wurzeln in der SPÖ-Gewerkschaft, laden die Bewerber zu einem Hearing. Sie übermitteln danach gemeinsam mit dem gesamten Generalrat einen entsprechenden Vorschlag an die Regierung. Diese hat darüber einstimmig im Ministerrat zu entscheiden, ist aber rein rechtlich mit keiner Silbe an diesen gebunden gebunden. Unter Schwarz-Blau wurde etwa einem ehemaligen Grasser-Sekretär ohne Rücksicht auf den Notenbank-Wunsch der Vorzug für einen der lukrativen Nationalbank-Posten gegeben.

Abseits der formalen Spielregeln läuft die Vergabe der vier Notenbank-Leitungsjobs realpolitisch denn auch so ab: Am türkis-grünen Jobpoker-Tisch liegt ein potentes vierblättriges Blatt. Holzmann und Schock sitzen auf einem FPÖ-Ticket. Steiner und Haber auf einem der ÖVP. In der Ära Türkis-Grün werden die vier Jobs nach den bisherigen Spielregeln im Verhältnis von 3:1 vergeben.

Kochers Avancen auf die Holzmann-Nachfolge waren von Kanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer abwärts mit allen dabei gewichtigen ÖVP-Playern akkordiert. Was allerdings weder mit dem Kanzler, Finanzminister Magnus Brunner noch mit Nationalbank-Präsident Harald Mahrer abgestimmt war, ist der Zeitpunkt der Kocher-Annonce für den Notenbankchef.

Allen voran der leicht entflammbare Wirtschaftskammer-Chef war ob des Kocher-Vorstoßes in der "Krone" erzürnt. In der ÖVP ging im ersten Zorn gar der Verdacht um, hier wolle sich einer mit seinem Outing vorsorglich einzementieren.

Regierungs-Devise "Rette sich wer kann"?

ÖVP-Wahlkampfstrategen treiben breitflächigere Sorgen um. “Das alles droht zu signalisieren: Bei uns regiert nur noch die Devise, rette sich wer kann”, sagt ein höchst indignierter ÖVP-Regierungsmann.

An der Kompetenz Kochers für den Job gibt es allerdings auch jenseits des Regierungsviertels keinen Zweifel. “Sein Agieren zeigt nur einmal mehr, dass er in der Politik nie wirklich angekommen ist”, so der Tenor in den ÖVP-Kabinetten.

Kocher ließ die Katze aus dem Sack, bevor – nach dem dieswöchigen Ende der Bewerbungsfrist – ein Personalpaket für alle anderen drei der vier Nationalbank-Spitzenjobs auch nur ansatzweise innerhalb der Regierung in trockenen Tüchern war, sagt ein teilnehmender Beobachter.

Kenner des türkis-grünen Machtpokers glauben, dass die Grünen im Gegenzug den Preis hochtreiben könnten, weil mit Kocher bereits eine Karte am Spieltisch pickt.

Ein mögliches Powerplay, das die ÖVP-Dealmaker im Fall des Falles aber so parieren wollen: “Dann sagen wir den Grünen: Wenn wir vor dem Sommer zu keiner Einigung kommen, dann macht das eben die nächste Regierung. Dann sind die Grünen mit nichts und niemand dabei.”

Mikl-Leitners Häuslbauer-Rache

Einer, der nicht zu Unrecht davon ausging, FPÖ-Protegé Robert Holzmann zu beerben, hat seine Chancen in der nach wie vor tonangebenden niederösterreichischen ÖVP verspielt.

Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner hatte schon Monate vor der Niederösterreich-Wahl 2023 die sogenannte KIM-Verordnung zum Schrecken aller Häuslbauer erklärt. Diese sieht vor, dass Immo-Kredite nur noch bei einem Fünftel finanzieller Eigenleistung, einer Belastung unter 40% des Haushaltsbudgets und maximal 35 Jahren Laufzeit vergeben werden.

Formal ist die Notenbank dafür nicht zuständig. “In der internen Meinungsbildung spielt sie aber eine tragende Rolle”, so ein Notenbank-Mann.

Haber, so ein ÖVP-Insider, “hat zu dem heiklen Thema jedem erzählt, was er hören wollte”. Mikl-Leitner habe er Entgegenkommen für ihr Lockerungs-Begehren der Kreditregeln signalisiert. Innerhalb der Bankenwelt sei er aber aus dem Commitment für das strengere Kredit-Regime nie ausgeschert. Haber soll nun die weniger attraktive FMA übernehmen.

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