In 16 Tagen wird gewählt: Warum sich trotz Intensiv-Wahlkampf in den Umfragen seit Wochen nichts mehr bewegt. Wie Karl Nehammer wider alle Prognosen Herbert Kickl doch noch die Nr. 1 streitig zu machen zu glaubt. Und sich der zunehmend abgeschlagene Andreas Babler gar zurück im Duell um den Kanzler sehen will.
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Es ist eine dieser “Hast schon gehört”-Geschichten, die in der polit-medialen Blase in Wahlkampfszeiten mit besonderer Inbrunst kursieren. Für sich betrachtet wäre sie nicht mehr als ein vergänglicher Beitrag zum politischen Smalltalk rund um das Wiener Regierungsviertel. In diesem Fall wird die Polit-Anekdote mit jedem Wahlkampftag aber mehr zum Fanal.
Es war kurz vor Start des Intensiv-Wahlkampf als ein heimischer TV-Sender einen namhaften Babler-Unterstützer für eine Diskussionsrunde suchte, der die Performance des SPÖ-Spitzenkandidaten aus SPÖ-Sicht bewerten sollte. Angefragt wurden alle Ex-Parteichefs der SPÖ, die roten Landeshauptleute und sämtliche Ex-SPÖ-Klubchefs. Keiner von den angefragten aktiven und ehemaligen Spitzengenossen war bereit, die Rolle des Ex-offo-Verteidigers von Andreas Babler zu übernehmen.
Die Redaktion musste schlussendlich bei einem zwar durchaus honorigen Mitglied aus dem von Babler gegründeten Experten-Pool fündig werden, der aber in der SPÖ-Nomenklatura nie eine große Nummer war und nur Insidern geläufig ist.
Andreas Babler mobilisiert bereits seit Wochen alles an Emotionen, Energie und Zeit, über die er verfügt, um vor dem 29.September noch möglichst viele Wähler persönlich anzusprechen.
Bablers verzweifeltes Match um die eigene Partei
In der SPÖ hat er das Match um den nötigen Rückhalt und das Zutrauen für einen Wahlsieg aber schon lange vor dem Wahltag verloren. Abgesehen von pflichtgemäßen Solidaritäts-Bekundungen und Wahl-Appellen, am Parteichef mit dem Loser-Image will offenbar weder das Gros der ehemaligen noch der aktiven Spitzenroten nicht mehr als rituell notwendig anstreifen.
Daran vermochte bislang auch die von Andreas Babler Anfang dieser Woche ausgerufene finale Aufholjagd nichts zu ändern.
Der SPÖ-Parteichef versucht sich last minute noch einmal in das Duell um Platz 1 mit Herbert Kickl hineinzureklamieren. Knapp drei Wochen vor der Nationalratswahl will die SPÖ im Finish dem gewünschten „Dreikampf“ um Platz 1 doch noch Leben einzuhauchen. Kurz vor dem Wahltag ist aber mehr denn je - auch aufgrund von übereinstimmenden Umfragen - nur noch von einem Duell zwischen ÖVP-Kanzler Karl Nehammer und FPÖ-Chef Herbert Kickl die Rede. Bei einer SPÖ-Kundgebung diesen Montag auf der Kaiserwiese im Wiener Prater proklamierte der SPÖ-Chef dennoch mit dem Mut der Verzweiflung: „Heute starten wir die Aufholjagd“. Denn: „Es ist alles offen. Wir können Erste werden“.
Babler stützt seinen kühne Ansage auf eine Umfrage des Meinungsforschungs-Instituts IFES. Diese sieht die SPÖ mit 23 Prozent vor der ÖVP auf Platz 2, die in dieser Umfrage mit 22 Prozent dahinter auf Platz 3 liegt. Aufgrund der Schwankungsbreite der Umfrage hält Babler gar noch den Spitzenplatz der FPÖ mit 27 Prozent für die Sozialdemokraten für einnehmbar.
Branchenkenner unterstellen nicht, dass hier ein Potemkinsches Dorf im Sinne des Bestellers geliefert wurde. Ein Meinungsforscher-Kollege, der die erhobenen Daten von IFES und auch deren Hochrechnungsmethode kennt, sagt: “IFES spielt im politischem Umfragegeschäft nicht mehr so eine große Rolle wie früher und kennt offenbar die neuen Tücken und Fallen beim Hochrechnen nicht. Nur wer beim Hochrechnen nicht mit dem reichen Erfahrungsschatz der vergangenen Jahre arbeitet kann zu solchen Ergebnissen kommen. Alle anderen Institute haben die SPÖ schon seit Wochen auf Platz 3, ohne irgendwelche Anzeichen, dass sich das noch ändern könnte.”
Stockerlplätze in Umfragen stabil fix
Die Datenlage nach den ersten zwei Intensiv-Wahlkampf-Wochen löst in der Demoskopen-Zunft generell Erstaunen über einen übereinstimmenden Befund aus: Bei den Werten für drei großen Parteien bewegt sich seit Wochen so gut wie nichts mehr. Auch die Plätze von 1 bis 3 sind stabil fix vergeben, so der Tenor der Meinungsforscher.
So meldete auch der Haus-Demoskop der ÖVP jüngst einmal mehr diesen Stand an die Zentrale der Kanzlerpartei:
FPÖ: 26 %
ÖVP: 25 %
SPÖ: 21 %
Nicht einmal mehr jeder zehnte Wähler noch zu haben
Der Stillstand in den Umfragen erklärt sich zum einen daraus, dass nicht einmal mehr jeder zehnte Wähler sich als “unentschlossen” deklariert und noch zu haben ist. In Österreich herrscht schon seit einem halben Jahr permanent Wahlkampf. Die Wähler waren zudem am 9. Juni bei der EU-Wahl bereits einmal gefordert, sich politisch zu deklarieren. Seit damals sind so auch die Karten für die Nationalratswahl am 29. September weitgehend verteilt.
Zweiter Grund für den aktuellen Umfrage-Stillstand: Die paar hunderttausend Wähler, die noch zu haben sind, entscheiden sich immer später. Mitunter erst wenige Tage vor der Wahl oder erst auch am Wahltag.
Die intensive Vorbereitungsarbeit und die nachträglichen Hurra-Rufe in den sozialen Medien rund um die TV-Auftritte der Spitzenkandidaten dienen so vor allem der Mobilisierung der eigenen Anhänger und locker gebundenen Sympathisanten.
ÖVP will Mobilisierungs-Rennen wie bei EU-Wahl neuerlich gewinnen
Politik-Analysten sind sich weitgehend einig: Dank einer außergewöhnlichen Mobilierungs-Offensive vor allem in den – für Nehammer & Co nach wie vor ertragreichsten - ländlichen Regionen ist es der ÖVP gelungen, nicht wie anfangs in Umfragen indiziert vom langjährigen Stammplatz als Nummer 1 bei EU-Wahlen auf Platz 3 abzustürzen.
Die ÖVP landete nicht einmal einen Prozentpunkt hinter dem Wahlsieger FPÖ auf Platz 2.
Diesen Parforce-Ritt sucht die Nehammer-Truppe nun von diesem unerwartet besseren Startplatz aus zu wiederholen.
Rund dreihunderttausend Euro, so ÖVP-Insider, wurden daher vergangenen Samstag in einen Wahlkampf-Auftakt investiert, der handwerklich alles andere, was bisher in diesem Wahlkampf geboten wurde, in den Schatten stellte. 3.500 Parteifunktionäre wurden aus den Bundesländern in Bussen in die Steffl-Arena (vormals Albert Schultz-Halle) unweit des Donauzentrums in Wien-Kagran chauffiert. Bis auf die Landeschefs aus Vorarlberg und der Steiermark machten alle ÖVP-Landesfürsten den Kotau vor dem aktuellen Parteiobmann - in einer Manier, die an die Inszenierungen für den türkisen Messias a.D. Sebastian Kurz gemahnte. Niederösterreichs Johann Mikl-Leitner intonierte als erste: “Das größte Bundesland steht geschlossen hinter Karl Nehammer”. Oberösterreichs Thomas Stelzer sekundierte: “Es kann nur einen geben, unseren Karl Nehammer”. Selbst Salzburgs unterkühlter Landesfürst Wilfried Haslauer suchte Enthusiasmus zu zeigen: “Es ist ganz einfach: Nehammer ist Kanzler, kann Kanzler und soll Kanzler bleiben.”
Es wäre nicht die ÖVP, wären auf den Gängen des zu einer hitzigen Wahlkampfarena umgebauten Eishockey-Stadions auch andere Töne zu vernehmen gewesen. “Das mit dem Personenkult ist schon einmal schief gegangen”, merkt ein ehemaliger ÖVP-Grande nachdenklich an. Nicht nur dieser glaubt zu wissen: Geht das von der ÖVP-Spitze, flankiert von Dutzenden prominenten schwarz-türkisen Sekundanten, ausgerufene Duell von Karl Nehammer mit Herbert Kickl fatal letal für die ÖVP aus, dann ist am 30. September nicht allein der brüchige Burgfriede - wie längst programmiert - in der SPÖ dahin.
Dann bricht über Nacht auch in der ÖVP eine Debatte aus: Wie und vor allem mit wem kann sich die ÖVP trotz allem wieder zurück an die Regierungsmacht retten? - sei es auch mithilfe der Partei des Gottseibeiuns von gestern, Herbert Kickl.