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Türkise Patriotismus-Offensive

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Bundeskanzler Karl Nehammer bei der Präsentation der neuen Plakat-und Onlinekampagne "Glaub an Österreich." Dauerkrisen sind dabei, ein Klima von lähmender Angst bis permanenter Gereiztheit sesshaft zu machen.

©PICTUREDESK.COM/APA/ROLAND SCHLAGER
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Eine Anleihe beim ÖVP-Nachkriegskanzler soll die am Boden liegende ÖVP reanimieren. Wer hinter der Kür des Slogans "Glaub an Österreich" steckt. Wie KARL NEHAMMER auf Leopold Figl kam und ob dieser der ÖVP posthum aus der Patsche helfen kann.

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In den ersten Wochen der Pandemie vor inzwischen dreieinhalb Jahren griff der erfahrene Krisenmanager Gerry Foitik zum Telefon, um einen Kommunikationsprofi anzurufen, den er bei einer ORF-Hochwasseraktion kennen und schätzen gelernt hatte: Martin Radjaby, Ex-Ö3-Marketingchef und nach einer Zwischenstation bei der Werbeagentur Jung von Matt nunmehr Head der strategischen Kommunikation der Erste Group. Zudem stand er bei gut einem Dutzend grünen Wahlkämpfen Pate.

Bundesrettungskommandant Foitik brachte dann den Werbeguru der Grünen mit dem türkisen "Mister Message Control", Gerald Fleischmann, an einen Tisch. Im Blitztempo stemmte das auf den ersten Blick ungleiche Trio gemeinsam ein Megaprojekt: eine breitenwirksame Kampagne, um die wichtigsten Corona-Schutzregeln geläufig zu machen. Allen voran den "Babyelefanten", mit dem zu Beginn der Coronazeit das Abstandhalten erfolgreich populär gemacht wurde.

Die Coronaepidemie hat drei Jahre danach nicht nur tiefe Furchen der Spaltung hinterlassen. Da und dort hat sie offenbar auch Menschen nachhaltig verbunden, die weiter in konträren Welten leben.

Martin Radjaby war das Mastermind hinter dem hürdenreichen ersten Anlauf, erstmals einen grünen Bundespräsidentschaftskandidaten in die Hofburg zu bringen. Auch die Wiederwahlkampagne von Alexander Van der Bellen trägt seine Handschrift. Mit türkiser und schwarzer Regierungspropaganda hatte und hat der in der Fachwelt hoch angesehene Kommunikationsfachmann nichts am Hut.

Gerald Fleischmann war beim Einstieg von Sebastian Kurz als Staatssekretär in die Spitzenpolitik dessen Medienmann der ersten Stunde, gehörte bald zu dessen engstem Prätorianerkreis und gab, wenn er es für notwendig hielt, hinter den Kulissen auch den Mann fürs Kommunikations-Grobe.

Ungleiches Duo stand bei Kampagnenslogan Pate

Im inneren Kreis der ÖVP ist es kein Geheimnis, dass sich die beiden politisch höchst unterschiedlich tickenden Corona- Kampagnen-Macher nach wie vor gelegentlich zum Gedankenaustausch treffen. Fleischmann ließ so in den vergangenen Wochen intern auch offensiv wissen, dass der "Claim" der für den Herbst geplanten ÖVP-Werbeoffensive das Wohlgefallen des anerkannten Werbeprofis Martin Radjaby gefunden habe. Im ORF-"Sommergespräch" ließ Karl Nehammer den Slogan erstmals als Testballon steigen: "Glaubt an dieses Österreich!"

Diese Woche präsentierte der ÖVP-Chef die von seinem neuen Kommunikationschef Gerald Fleischmann entwickelte Plakat-und Onlinekampagne: "Glaub an Österreich". Die grundsätzliche Idee hinter der – prima vista sehr hoch gegriffenen – Anleihe bei einem historischen Satz des Nachkriegskanzlers Leopold Figl: Dauerkrisen von Coronapandemie über Ukraine-Krieg bis zu Teuerungsexplosion sind dabei, ein Klima von lähmender Angst bis permanenter Gereiztheit sesshaft zu machen.

Van der Bellens "Aufruf zum begründeten Optimismus"

Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der weiter auf den Rat von Martin Radjaby hört, hat bereits im Juli in seiner heurigen Eröffnungsrede bei den Salzburger Festspielen den Versuch unternommen, einen "Aufruf zum begründeten Optimismus" zu platzieren: "Ich denke, das ist eine der wichtigsten Aufgaben der Politik in unseren Tagen: ein Bild von einer gemeinsamen Zukunft zu entwerfen, auf die man sich freuen kann." Die Rede wurde mit viel Applaus bedacht, nahm aber den Weg vieler Festspielreden und versickerte in den Archiven.

Der Bundespräsident wollte mit seinem "Aufruf zum begründeten Optimismus" dem – ob der vielen Krisen dominierenden – negativen Narrativ eine positive Erzählung von Politik entgegensetzen. Van der Bellen blieb gemäß seinem Rollenverständnis im Grundsätzlichen, schließlich muss und kann er nach zwei Amtsperioden auch nicht wiedergewählt werden. Kanzler Karl Nehammer und seine ÖVP hingegen kämpfen in den kommenden Monaten bis zum Wahltag, der spätestens in genau einem Jahr über die Bühne zu gehen hat, ums politische Überleben.

Nehammer, der vor bald zwei Jahren den Job des Kanzlers und ÖVP-Chefs übernahm, wurde anfangs vor allem, was seinen persönlichen Stil betrifft, als wohltuender Kontrast zu Sebastian Kurz empfunden. Putins Ukraine-Krieg, die Teuerungslawine und der Konjunktureinbruch haben die erwartungsvoll freundliche Anfangsstimmung aber inzwischen ins Gegenteil gekippt. Das Krisenmanagement von Türkis-Grün und die Führungsqualitäten des Regierungschefs stehen unter Dauerfeuer. Die ÖVP ist in Umfragen wieder auf das Niveau der Ära vor Kurz abgestürzt, auch die persönlichen Werte des Kanzlers und ÖVP-Chefs sind im Keller.

Wie Karl Nehammer auf Leopold Figl kam

Ein Jahr hat Karl Nehammer maximal noch Zeit, um die ins Bodenlose gefallenen ÖVP-Zahlen wieder ins Positive zu drehen. Einen Schlussstrich zu ziehen samt klarer Abgrenzung zu Kurz und einen Neustart der ÖVP wagte Nehammer – auch aus Angst vor dessen nach wie vor vielen Gefolgsleuten im ÖVP-Apparat – nicht. Der gelernte Offizier versuchte, sich eher persönlich als Staatsmann zu inszenieren. Bislang auf halbem Weg mit halben Mitteln. Denn Karl Nehammer neigt zwar gelegentlich zu Schnellschüssen, in strategischen Fragen ist er kein schneller Brüter.

Mit dem Gedanken, in Krisenzeiten wie diesen eine historisch breit anerkannte Figur wie den ersten Nachkriegskanzler Leopold Figl als sein Role Model in die Auslage zu stellen, spielte Nehammer schon länger. Nur langjährige Kenner des Niederösterreichers wissen, dass sich hinter seinem mal martialischen, mal schulterklopfenden Auftreten ein durchaus nachdenklicher und geschichtsbewusster Politiker verbirgt.

Als vor einem Jahr der 120. Geburtstag von Leopold Figl – an sich kein zwingender runder Feiertermin – anstand, lud Nehammer zu einem Staatsakt ins Kanzleramt ein. Der ORF übertrug die von einem Philharmoniker-Orchester umrahmte Feierstunde an einem Sonntagmittag live. Der Hausherr im Kanzleramt versuchte in seiner Festrede, einen Bogen von der Nachkriegszeit bis zu Putins Ukraine-Krieg zu spannen. Das Bild, das er zeichnete, war etwas holzschnittartig: Leopold Figl hatte als Nachkriegskanzler mit den Folgen von Hitlers Krieg zu kämpfen. Karl Nehammer tritt Jahrzehnte danach nun in die Fußstapfen des schwarzen Heros und hat sich mit den Folgen von Putins Waffengang herumzuschlagen.

Kampf um die vielen Wähler im Wartesaal

Ein Jahr danach wollen der neue ÖVP-Wahlkampfmanager Bernhard Ebner – ein Niederösterreicher, what else? – und der nunmehrige ÖVP-Kommunikationschef Gerald Fleischmann den Wahlkampfturbo mit einer Kampagne anwerfen, die einmal mehr bei Leopold Figl Anleihe nimmt. "Glaub an Österreich" soll verunsicherte Wähler aus dem Wartesaal der Unentschiedenen Richtung ÖVP mobilisieren.

"Diejenigen, die sich nachhaltig von der Politik im Stich gelassen fühlen und ihr Heil in einer Proteststimme bei der FPÖ suchen, sind derzeit mit nichts zurückzugewinnen", sagt ein ÖVP-Stratege. "Diejenigen, die stolz auf Österreich und das, was sie mit aufgebaut haben, sind, repräsentieren die Mehrheit und Mitte der Gesellschaft und sind für uns ein noch nicht voll ausgeschöpftes Potenzial."

Als sich Martin Radjaby und Gerald Fleischmann diesen Sommer einmal mehr zum Gedankenaustausch trafen, kam rasch die anhaltend schlechte Stimmung im Lande aufs Tapet. Vor allem ein Paradoxon beschäftigte die beiden Kampagnenprofis, ließ Fleischmann danach intern wissen: Türkis-Grün habe mit bis 40 Milliarden Euro noch nie so viel Geld für Steuersenkungen und "helicopter money" zur Abfederung der galoppierenden Inflation ausgegeben, gleichzeitig sei die Regierung bei den Wählern unten durch wie nie und von einer gemeinsamen Mehrheit in Umfragen meilenweit entfernt.

"Es ist richtig, als Regierungspartei offensiv auch zu sagen, was gut ist und was trotz aller Krisen weiterhin funktioniert", resümiert ein erfahrener, regierungsferner Politstratege, "im Moment wirkt die Regierung nur getrieben und überlässt das strategische Spielfeld der FPÖ. Die Message des Figl-Satzes ist relevant: Österreich ist ja in der Tat nach wie vor ein tolles Land. Es ist aber offen, ob die ÖVP noch in der Lage ist, Kampagnenkraft zu entfalten. Denn dazu gehören Beständigkeit und gelebte Übereinstimmung mit der Botschaft. Nur so kann es auch tatsächlich gelingen, verlorenes Vertrauen zurückzuholen."

Artikel aus trend. PREMIUM vom 29.09.2023

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