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Türkiser Turbo für die Fahrt ins Blaue [Politik Backstage]

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ARENA PARLAMENT. FPÖ-Chef Herbert Kickl im heftigen Infight mit ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer.

©MAX SLOVENCIK / EXPA / PICTUREDESK.COM
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Fünf Jahre nach Ibiza liefern sich Türkis und Blau dieser Tage einen ROSENKRIEG, als würde die politische Scheidung noch vor ihnen liegen. Auch in der ÖVP mehren sich die Zweifel ob der Erfolgsaussichten des türkisen Dauerfeuers auf die FPÖ.

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Die Szene spielte jüngst im Untersuchungsausschuss über den „rot-blauen Machtmissbrauch“, initiiert von der ÖVP. Die Kanzlerpartei nahm bei diesem Kontrollinstrument Zuflucht, das als Minderheitenrecht für die Opposition gedacht ist. Aus Sicht von Nehammer & Co. ist es ein reiner Akt der Notwehr: Die Schwarz-Türkisen wollten nach zwei einschlägigen Ausschüssen im parallel laufenden (und von Rot und Blau initiierten) Cofag-U-Ausschuss nicht ein drittes Mal „allein am Pranger stehen“ (so ein ÖVP-Stratege).

Je schlechter die Umfragen für die Schwarz-Türkisen und je nachhaltiger die Poleposition für die Blauen im Kanzler-Rennen 2024, desto verzweifelter stellt nun die ÖVP im U-Ausschuss über den „Machtmissbrauch von SPÖ und FPÖ“ allein auf Blau scharf. Von Karl Nehammer abwärts tun ÖVP-Politiker zudem seit Wochen auf allen Ebenen kund, warum mit der „Kickl-FPÖ“ kein Staat zu machen sei. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker und der ÖVP-Fraktionsführer in den U-Ausschüssen Andreas Hanger rückten in den Wochen nach Ostern bald täglich aus, um die Nähe der FPÖ zu Wladimir Putin und russischen Spionen, zu Machtmissbrauch und Korruption, zu Verschwörungstheoretikern und Impfgegnern anzuprangern.

Auf der Bühne des Parlaments entlädt sich der Infight zwischen ÖVP und FPÖ besonders hautnah und heftig. In der ersten Mai-Woche gingen Hanger & Co. in Erwartung eines besonders gelungenen Aufschlags gegen die Blauen in den U-Ausschuss-Tag. Die ÖVP hatte mit Alexis Pascuttini eine Schlüsselfigur rund um den Vorwurf der systematischen Korruption gegen Grazer- und steirische FPÖ-Spitzen geladen. Pascuttini, dessen Herz schon als Teenager für die Blauen schlug, mutierte zum politischen Kronzeugen der Anklage gegen die FPÖ-Nomenklatura in der grünen Mark.

Die Blauen unternehmen daher alles, um den ehemaligen Grazer FPÖ-Insider madig zu machen. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker nimmt, bevor dieser auch nur eine Silbe sagen kann, dessen Vertrauensperson, einen steirischen Anwalt, ins Visier. Mit Fragen wie „Stimmt es, dass sie gestern einen Beratungstag für den ÖVP-Seniorenbund hatten“, sucht Hafenecker den blauen Belastungszeugen samt dessen Vertrauensperson als ÖVP-Agenten zu framen.

Die durchaus erhellenden Einblicke, die der Ex-FPÖ-Jungstar Pascuttini über das Innenleben der Blauen gibt, werden immer wieder von trickreichen FPÖ-Bremsmanövern unterbrochen.

Blaues Trauma Vertreibung aus dem Regierungsparadies

Die FPÖ und allen voran Herbert Kickl trommeln tief gekränkt ob der Vertreibung aus dem Regierungsparadies schon seit dem Polit-Crash im Gefolge von Straches Skandal-Video im Mai 2019 gegen den Koalitionspartner von gestern. Fünf Jahre nach Ibiza liefern sich Blau und Türkis dieser Tage aber einen Rosenkrieg, als würde die politische Scheidung noch vor ihnen liegen.

Die Schwarz-Türkisen sind in Tonalität und Taktung von den Blauen kaum mehr zu unterscheiden. Auch im laufenden EU-Wahlkampf sieht die ÖVP nur einen Hauptwidersacher: „Eine Stimme für die FPÖ ist eine Stimme für den Öxit! Mit dem Öxit riskiert die FPÖ massive Wohlstandsverluste und spielt russisches Roulette mit unserer Zukunft!“, lässt EU-Spitzenkandidat Reinhold Lopatka landauf landab wissen.

Alle und alles ohne Wenn und Aber gegen Blau – diese schwarz-türkise Strategie stößt in der ÖVP nicht allerorten auf Gegenliebe. Auch, weil sie bisher in Umfragen wenig Erfolg zeitigt. „Es sind zwar bei uns jetzt auch die größten Fans von Schwarz-Blau der Meinung, dass eine gemeinsame Regierung keinen Sinn macht, solange Kickl in der FPÖ das Sagen hat“, berichtet ein bestens vernetzter ÖVP-Wirtschaftsbund-Spitzenfunktionär, „diese Totaloffensive auf die FPÖ wird aber nicht von allen mitgetragen. Denn wie man in den Wald hineinruft, kommt es auch wieder zurück. Weniger wäre auch hier oft mehr.“

Wie mit einer Partei wie der FPÖ umzugehen ist, die ohne Rücksicht auf Verluste auf Totalopposition macht, steht nicht nur im Regierungsviertel hinter den Kulissen wieder zentral auf der Agenda: Was ist wirklich erfolgversprechend in der Auseinandersetzung mit einer Partei, die dieser Tage in Sachen EU nur noch gegen den „EU-Wahnsinn“ und die „Kriegstreiber in Brüssel“ (in einem von Putin begonnenen Krieg) kampagnisiert? Und zugleich mit der Forderung nach einem „Roten Knopf “ unverhohlen um die Stimmen der EU-Austritts-Fans buhlt, das Spiel mit dem Öxit-Feuer aber empört in Abrede stellt?

Der Frust über die Corona-Politik wird die ÖVP viele Stimmen kosten. Eine offene Aufarbeitung hätte das verhindern können.

Neue Rezepte gegen blaue Diskurs-Zerstörung

Wie eine politische Auseinandersetzung mit hemmungsloser blauer Propaganda auch anders gehen könnte, war dieser Tage abseits des üblichen Polit-Betriebs zu beobachten. Das BürgerInnen Forum Europa hatte den FPÖ-Spitzkandidaten und EU-Delegationsleiter Harald Vilimsky gemeinsam mit dem Uniqa-Vorstandsvorsitzenden Andreas Brandstetter in den großen Saal des „Café Landtmann“ zu einer Diskussion im Vorfeld der EU-Wahl am 9. Juni geladen.

„Zwei völlig unterschiedliche Welten stießen aufeinander. Der eine, Harald Vilimsky, plädierte für eine Stärkung der Nationalstaaten und gegen den Green Deal, der andere, Andreas Brandstetter, für mehr europäische Integration und entschlossene Maßnahmen im Kampf gegen den Klimawandel“, resümierte Diskussions-Moderator und „Presse“ Außenpolitik-Chef Christian Ultsch: „Das Besondere an der Debatte war, dass sich beide, wirklich beide, um Sachlichkeit und einen wertschätzenden Ton bemühten. Ein interessantes Experiment: Argumente können wirken im Umgang mit Rechtspopulisten. Vielleicht sollten das auch andere versuchen.“

Die bewusst scharfen Gegensätze zwischen der FPÖ und dem großen Rest der Welt zivilisiert auszutragen, droht aber, die Ausnahme zu bleiben. Denn das setzt voraus, dass sich die FPÖ darauf dauerhaft einlässt. Wo immer Kickl, Vilimsky, Hafenecker & Co. die Arena betreten, setzen sie aber so gut wie immer auf Diskurszerstörung: Unterbrechen statt Zuhören, Gegenattacke statt Gegenargument, rhetorischer Infight statt Gedankenaustausch.

„Das Problem für uns alle ist, dass diese Propaganda im Moment auf einen sehr fruchtbaren Boden stößt“, sagt ein SPÖ-Wahlkampfstratege: „Die Menschen sind wegen der Folgen der Inflation, der Debatten um den Ukrainekrieg und der Migration derart angespeist, dass es generell schwer ist, mit positiven und sachlichen Themen zu punkten.“

Nehammers Kardinalfehler rächt sich

Meinungsforscher berichten, dass die FPÖ zudem – vor allem abseits der urbanen Zentren – weiterhin nachhaltig vom Frust der Corona-Jahre profitiert. Herbert Kickl wettert daher, wo immer er kann, auch zwei Jahre nach dem letzten Lockdown gegen „Verköstigung in Isolationshaft“, „Verbrechen an der Menschlichkeit, begangen von der eigenen Regierung“ und „45 Milliarden für Corona, die in den Ofen verschossen wurden“.

Nachdenkliche Stimmen in der ÖVP monieren: Karl Nehammer habe die Brisanz des Corona-Frusts am Land im ersten Wahlschock nach der Niederösterreich-Wahl vor einem Jahr zwar realisiert. Und mit der Ankündigung einer offenen Aufarbeitung der Pandemie-Politik auch überraschend schnell und entschlossen reagiert. Wegen des Drucks aus den Bundesländern, die vor einem Aufreißen der alten Verwundungen warnten, hat Nehammer aber wieder rasch die Courage verlassen. Statt einer breiten politischen Aufarbeitung wurde das sensible Thema an eine Gruppe von Wissenschaftlern delegiert, die im stillen Kämmerlein ans Werk gingen.

Nicht zufällig im ultimativen Punsch-Trubel wurde dann drei Tage vor Weihnachten pflichtgemäß, aber ohne jede politische Nacharbeit der Corona-Bericht der Akademie der Wissenschaften präsentiert. Garniert mit einer vorweihnachtlich versöhnlichen Botschaft durch Karl Nehammer.

Ein Schlüsselsatz im Resümee des Kanzlers über den Stimmungswechsel im Lande nach dem ersten kollektiven Corona-Schock schreit allerdings weiterhin geradezu danach, politisch aufgearbeitet zu werden: „Plötzlich ist es ein ,Wir gegen die und die gegen uns‘ geworden statt ‚,Wir alle gemeinsam gegen das Virus‘.“

Der ÖVP-Chef beschreibt darin die tief sitzende Wurzel des Wiederaufstiegs der FPÖ zur Nummer eins, maßgeblich befeuert von ihrer erfolgreichen Rolle als Anti-Corona-Partei. Ein ÖVP-Insider erinnerte dieser Tage im kleinen Kreis an diesen Befund: „Ich fürchte, am Abend des 9. Juni werden wir sehr schmerzlich an diesen folgenschweren politischen Fehler erinnert werden: Dass wir nicht versucht haben, Kickl dieses politische Kapital durch eine offene und breite Corona-Aufarbeitung aus der Hand zu schlagen.“

Der Frust über die Corona-Politik wird die ÖVP viele Stimmen kosten. Eine offene Aufarbeitung hätte das verhindern können.

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