Was hinter der bislang schärfsten Schelte aus der Hofburg steckt. Warum Bundespräsident Alexander Van der Bellen nach Blau nun auch Türkis und Rot ins Visier nimmt. Und was das für Herbert Kickls Kanzler Ambitionen heißt.
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An dieser Rede wurde in der Hofburg bereits seit Wochen intensiv gefeilt. Alexander Van der Bellen diskutierte in kleinen Gesprächsrunden wiederholt die hauptsächliche Stoßrichtung, zentrale Argumente und mögliche Untiefen der gewünschten politischen und kommunikativen Wirkung.
Dieser Brainstorming-Zirkel besteht im Kern aus seiner Kabinettsdirektorin Eva Wildfellner, Bürochef Oliver Korschill, Pressesprecher Stephan Götz-Bruha und, last but not least, seinem Strategie- und Kommunikationsberater Martin Radjaby-Rasset, einmal mehr Mastermind seines Wahlkampf zur Wiederwahl im Herbst des Vorjahrs.
Ein Teil der Runde hatte sich bereits in den Urlaub verabschiedet als das Staatsoberhaupt diesen Dienstag am Weg in die Vorarlberger Landeshauptstadt noch einmal Hand an das Rede-Manuskript legte.
Wie normal war Mozart?
Aus einem alarmierenden Adjektiv "brandgefährlich" wurde ein etwas weniger dramatisches "gefährlich". Die rhetorische Frage “Wie normal war Mozart?” wurde um eine große heimische Malerin ergänzt: “Wie normal war Maria Lassnig?” Und, in Anspielung auf den Beinamen des österreichischen Nobelpreisträgers “Mister Beam”: “Wie normal ist Anton Zeilinger?”
Der Bundespräsident wählte bewusst Vergleiche aus der Welt der musikalischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Welt, um seine zentrale These an einem traditionellen Austragungsort eines Kunst-Festivals plastisch zu machen: “Es ist brandgefährlich, solche Begriffe so absolut zu verwenden, denn sie werden sehr schnell gedankenlos wiedergegeben und tragen so mehr und mehr zum Zerbrechen unserer Gemeinschaft bei.” Denn, so das Staatsoberhaupt:
“Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Sprache wieder zum Ausgrenzen verwendet wird. Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass wieder von einem „wir“ und „den anderen“ gesprochen wird. Wir, das sind die „normalen“, das sind „unsere Leute“, das ist „das Volk“. Wer oder was sind dann „die anderen“?
Das Volk, sind das alle Österreicherinnen und Österreicher? Die Einwohner anderer Herkunft, sind das „die anderen“? Wer sind „unsere Leut“? Sind uns „die anderen“ dann egal? Wer sagt, wer dazu gehört und wer nicht? Wer bestimmt, wer „normal“ ist und wer nicht?”
Blau, Türkis und Rot "nehmen Vorbild voneinander"
Wer damit gemeint war, ließ Alexander Van der Bellen zwar nur indirekt, aber dennoch unmissverständlich wissen: "Diese Zitate werden nicht nur von den üblichen Verdächtigen verwendet. Es scheint so, als würden sich verschiedene Parteien mittlerweile ein Vorbild aneinander nehmen.”
Sprich: Das besorgt wachsame Auge der Hofburg liegt längst nicht mehr nur auf der FPÖ und ihrem Parteichef Herbert Kickl, sondern auch auf dem Agieren der ÖVP unter Obmann Karl Nehammer und dem der SPÖ unter ihrem neuen Parteivorsitzenden Andreas Babler.
Gefährliche Lizitation beim Ausgrenzen und Spalten
Was hier Van der Bellen in einen Rest an diplomatischer Watte verpackt und breit begründet formuliert, ist aus dem Munde des Bundespräsidenten eine bislang einmalig harte Ansage: Blau, Türkis und Rot lizitieren sich in einer gefährlichen (im Rede-Manuskript stand wie gesagt ursprünglich: brandgefährlichen) Weise gegenseitig in Sachen spalterischer Sprache und ausgrenzendem Populismus gegenseitig hoch. Und das mehr als ein Jahr vor den regulären Wahlen.
Den 79jährigen treibt in der Tat, berichten Gesprächspartner in- und außerhalb der Hofburg, große Nachdenklichkeit und zunehmende Sorge über die politische Großwetterlage im Lande um.
VDB-Vertrauter: "Plötzlich werden wieder unsagbare Dinge sagbar"
"Er hat sich aber bewusst nicht am Beginn der Debatte darüber, wer und was normal sei, geäußert, um nicht Teil der tagespolitischen Auseinandersetzung zu werden”, so ein Vertrauter des Hausherren in der Hofburg: “Es werden plötzlich Dinge sagbar, die gerade angesichts unserer Geschichte unsagbar waren. Es macht sich eine Sprache breit, die das gegenseitige Heruntermachen befördert. Es entsteht nichts Neues nach vorne, es gibt keine Debatte, was und wie wir das Land besser in die Zukunft bringen.”
Wiederholungs-Täter Van der Bellen
Der Bundespräsident nutzte an diesem Mittwoch die Bregenzer-Festspiele nicht zum ersten Mal für einen Auftritt, der breit Schlagzeilen macht. Im Vorjahr nahm er die spürbar steigenden Sorgen und Ängste ob der Teuerungswelle und der Energiekrise im Gefolge des Feldzugs Putins gegen die Ukraine zum Anlass den schwarz-türkisen und grünen Ministern unverblümt die Leviten zu lesen: "Die Regierung soll und muss jetzt das tun, und zwar ohne Verzögerung, wofür sie gewählt wurde: arbeiten, arbeiten, arbeiten.
FPÖ-Chef Herbert Kickl schickte Last-Minute FPÖ-Volksanwalt Walter Rosenkranz mit dem Auftrag in die Arena, den 9. Oktober zu einer Generalabrechnung mit der türkis-grünen Regierung zu nutzen. Unter dem Schlachtruf "Holen wir uns unser Österreich wieder zurück" sollten alle manifesten Ängste und latenten Sorgen aktiviert werden.
Der blasse blaue Spitzenkandidat konnte freilich nur knapp 18 Prozent der Wähler überzeugen. Er musste sich die 44 Prozent Gegenstimmen zu VDB mit den Protestkandidaten Marco Pogo (Bierpartei), Tassilo Wallentin (Ex-Krone-Kolumnist) und Gerald Grosz (Ex-FPÖ-PR-Mann und Oe24-Krawall-Kolumnist) teilen.
Ein Jahr nach der ersten Regierungschelte in Bregenz sorgen nicht nur das Agieren der FPÖ, sondern auch der bereits eröffnete Vorwahlkampf für die im Herbst 2024 fälligen Nationalratswahlen zwischen den Mittelparteien Blau, Türkis und Rot für nachhaltige Irritationen.
Das verheißt vor allem für die Tage nach der Wahl 2024, in denen der Bundespräsident eine Schlüsselrolle spielt, Sorgenfalten in der Hofburg. Van der Bellen macht daher mit seiner jüngsten Rede auch deutlich, dass er nicht allein die FPÖ im Visier hat, wenn es gilt Verantwortung für die Republik einzufordern.
In Richtung Blaue war seine Ansage im Lichte des anhaltenden Umfrage-Höhenflugs bereits rund um seine Angelobung im Jänner sehr deutlich: Es sei nicht ausgemacht, dass der Erstplatzierte nach einer Wahl auch den Auftrag zur Regierungsbildung erhalte und damit automatisch den Kanzler stelle.
Andere Optionen zu Kickls Kanzler-Poker
Mit der Rede in Bregenz wollte der Bundespräsident, sagen VDB-Kenner, das Spielfeld für die nächste Regierungsbildung neu vermessen.
“Der Präsident wird im Rahmen der Verfassung agieren”, so ein Hofburg-Insider. Sprich: Ein Nein zu Kickl als Kanzler ist und kann nicht in Stein gemeißelt sein - zumal, wenn alle anderen Regierungsoptionen keine Mehrheit haben oder finden. Umso wichtiger ist es Van der Bellen aber, dass sich diese Frage erst gar nicht so alternativlos stellt.
Die ersten Reaktionen der angesprochenen Parteien macht auf den ersten Blick wenig Hoffnung. ÖVP-Chef Karl Nehammer griff in Gerald Fleischmanns Wording-Vorratskiste und warf einmal mehr das Schnitzel in die Debattenschlacht. “Es ist wichtig, dass wir Politik für die Vielen machen und dabei die Wenigen nicht vergessen. Es ist okay, wenn jemand sich dazu entschließt, vegan zu leben. Aber es muss auch okay sein, wenn andere gerne Schnitzel essen.“
Andreas Babler ließ gleich zehn Tweets vom Stapel, die proklamierten: “Die Spaltung der Gesellschaft passiert nicht in der Sprache. Sie ist da. Wir müssen sie benennen und die Dinge wieder gerade richten.”
In der FPÖ rückte Generalsekretär Christian Hafenecker aus, um einmal mehr die Corona-Politik von “Van der Bellens Grünen” und der gesamten Regierung als spalterisch zu geißeln.
Persönliche Gesprächs-Basis von VDB zu Parteispitzen besser als Polit-Hick-Hack
Die persönliche Gesprächsbasis ist in der Mehrzahl der Fälle aber besser als das provokant ignorante Niveau der Reaktionen und die inhaltliche Debatten-Verweigerung vermuten lässt.
Nehammer hat als Kanzler in Sachen EU- und Außenpolitik schon amtshalber regelmäßig Kontakt mit der Van der Bellen. Das Verhältnis wird von beiden Seiten als “gut” beschrieben.
SPÖ-Chef Andreas Babler hat seinen ersten Vier-Augen-Termin gerade erst hinter sich. Eine persönliche Arbeitsbeziehung zwischen dem neuen Spitzenroten und dem Ex-Grünen-Chef ist erst im Aufbau.
Auf Froststufe bleibt die Betriebstemperatur zwischen Alexander Van der Bellen und Herbert Kickl. Der letzte Vier-Augen-Termin liegt mit November bereits mehr als ein halbes Jahr zurück. Es fand im Rahmen des Routine-Austauschs statt, den die Hofburg alle sechs bis neun Monate mit allen Parteichefs hat. Thema war einmal mehr das Nicht-Verhältnis der beiden. Der FPÖ-Chef berichtete danach im kleinen Kreis: Van der Bellen hätte ihm nach wie vor nicht erklären können, warum er ihn 2019 auf Wunsch von Sebastian Kurz als Innenminister entlassen habe. “Das war wie beim Versuch, einen Pudding, an die Wand zu nageln“, resümiert ein Kickl-Vertrauter.
Nächster Anlauf für besseres Polit-Klima in Salzburg
Beim FPÖ-Chef dürfte so der Bundespräsident auch mit seinem nächsten öffentlichen Auftritt auf keinen grünen Zweig kommen. Wenn alles nach derzeitigem Hofburg-Plan läuft, wird Van der Bellen seine zweite große Festspiel-Eröffnungsrede dieses Sommers, aber neuerlich nutzen.
Kommenden Donnerstag in Salzburg will er jenen Appell im zweiten Teil seiner Bregenz-Rede an Regierung und Opposition vertiefen, der im Schlagzeilen-Gewitter zwischen Parteien-Schelte und Schnitzel-Ehrenrettung unterging:
“Hören Sie auf mit dem Ablenkungskampf um Begrifflichkeiten und Deutungshoheiten. Kämpfen Sie lieber um die besten Lösungen (...) Lassen Sie uns über die Herausforderungen reden. Lassen Sie uns das lösungsorientiert tun. Lassen Sie uns ruhig streiten. Konstruktiv streiten. Bringen wir das Beste in uns und an Österreich zum Vorschein und nicht das Niedrigste.”