
Der Staatssekretär für Deregulierung, Sepp Schellhorn, will entgegen seiner Natur nicht brachial hineinfahren, sich aber auch nicht hinhalten und bremsen lassen. Er skizziert, wie er Unternehmen, Bevölkerung und Behörden durch weniger Bürokratie entlasten möchte.
trend: Wäre die Kettensäge so wie in Argentinien und den USA auch in Österreich ein geeignetes Symbol für die Veränderungen, die notwendig sind?
Sepp Schellhorn: Na ja, der Niko Alm (ehem. Neos-Abgeordneter, Anm.) und ich hatten schon 2015 bei einer Lohnnebenkosten-Kampagne die Kettensäge in der Hand. Aber ich glaube, sie ist das falsche Symbol. Man kann nicht brachial hineinfahren, sondern muss auch Rücksicht auf über 60 Jahre gewachsene, sozialpartnerschaftlich geprägte Strukturen nehmen. Das Symbol für Österreich sind Laufschuhe. Entbürokratisierung ist ein Marathon. So wie ich mehr sporteln sollte, um abzunehmen, muss der Staat schlanker werden. Dazu braucht es einen langen Atem und gute Schuhe.
Wieso ist Ihr Staatssekretariat für Deregulierung eigentlich im Außenamt angesiedelt, wo es nicht wirklich hinpasst?
Erstens ist Beate Meinl-Reisinger nicht nur Außenministerin ist, sondern auch Parteichefin. Sie braucht jemanden, der sie vertritt und unterstützt. Zweitens ist sie für europäische Agenden zuständig. Und wir müssen uns auch auf Brüsseler Ebene für Deregulierung und Entbürokratisierung stark engagieren. Zum Dritten ist es völlig egal, ob diese neue Stelle im Wirtschafts-, im Finanzministerium oder sonst wo angesiedelt ist. Deregulierung und Entbürokratisierung strahlen in alle Ministerien hinein.
Es wird gemunkelt, dass der neue, von der WKO gekommene Wirtschaftsminister den Kammer-Kritiker Schellhorn nicht in seinem Haus haben wollte …
Ich habe ein Einvernehmen mit Wolfgang Hattmannsdorfer, dass wir beide diesen Job erledigen müssen, er im Wirtschaftsressort und ich als Staatssekretär. Die gesamte Regierung muss liefern – und zusammenhalten. Da ist es wurscht, wo wer sitzt. Mein Arbeitsplatz ist ganz Österreich, ist bei den Unternehmern. Ich werde in den ersten Monaten sehr viele Betriebe besuchen, weil ich ihren Schmerz wegen der Bürokratie fühle. Diese Bundesregierung kann in den ersten Jahren aufgrund der Budgetsituation steuerlich nicht entlasten, aber sie wird Entlastungen bei Berichtspflichten, Aufzeichnungen, Prüfungen usw. beschließen und für mehr Rechtssicherheit sorgen. Dass wir schon in der zweiten Woche ein Entbürokratisierungspaket zusammen mit dem Wirtschaftsminister vorgestellt haben, hat mich sehr gefreut.
Sie sollen jetzt Beiräte und Expertengruppen zur Evaluierung einrichten und dann die Materie zwischen den Beteiligten koordinieren. Klingt wieder eher bürokratisch und zahnlos, oder?
Bleiben wir objektiv. Die Dinge entwickeln sich Hand in Hand. Es werden sicher keine Sesselkreise geschaffen, dafür bin ich nicht der Typ. Aber ich bin jemand, der zuerst zuhören und reden möchte. Ich starte jetzt eine „Antibürokratietour“ durch ganz Österreich: zu allen Gebietskörperschaften, zu Unternehmungen von der Industrie über Klein- und Mittelbetriebe bis zum EPU. Mir geht es aber auch um die Bürgerinnen und Bürger, die ebenfalls nach Entbürokratisierung lechzen, und um die Beamtenschaft bzw. die Behörden, die mehr Rechtssicherheit haben möchten. Nach dem Sammeln brauchen wir dann die Daten der Experten, die vorhanden sind und nie veröffentlicht wurden. Als Ergebnis dieses Prozesses müssen die richtigen Schritte in den Ministerien gesetzt werden.
Haben Sie am Ende des Tages Durchsetzungsmöglichkeiten oder nur ein Vorschlagsrecht?
Es gibt mir gegenüber Berichtspflichten. Wenn die Durchsetzungsmöglichkeiten am Ministerratstisch nicht funktionieren, werde ich mich zur Wehr zu setzen wissen. Aber ich glaube nicht an die Perfidität, dass man dieses Staatssekretariat auflaufen lässt, sondern ich glaube an das, was die drei Parteien dieser Koalition zusammenschweißt, weil es Spitz auf Knopf steht. Wir sind aufeinander angewiesen. Zwei der Parteien sind Sozialpartner, Neos wird als Lotsenboot den schweren Tanker Sozialpartnerschaft ins 21. Jahrhundert geleiten. Ich bin kein zahnloser Papiertiger, ich gehe mit Verve, Einsatz und Energie an die Sache heran.
Zur Person
Sepp Schellhorn, geb. 1967 im Pongau, ist ein Salzburger Hotelier und Gastronom. 2013 wechselte er vom ÖVP-Wirtschaftsbund zu Neos. Er war jahrelang Parlamentsabgeordneter. Seit 3. März ist er Staatssekretär.
Bürokratie ist ein weites Feld. Haben Sie schon Vorstellungen, wo Sie beginnen wollen, weil der dringendste Handlungsbedarf besteht?
Die Bürokratiebremse, die im Detail gerade ausgearbeitet wird, steht schon im Mittelstandspaket. Eine Idee könnte „one in, one out“ sein: Für jede neue Regel fällt eine andere weg. Weiters müssen wir nächste Schritte zur Beschleunigung von Anlagengenehmigungen setzen. Der Punkt dabei ist vor allem, dass – so wie Föderalismus in Österreich gelebt wird – jeder für was zuständig, aber keiner für was verantwortlich ist. Gewisse Körperschaften haben sich verselbstständigt. Das erfordert breite Analyse. Mein politischer Erstbesuch führte mich zu Wilfried Haslauer, dem Präsidenten der Landeshauptleutekonferenz, um seine Sicht auszuloten zu unterschiedlichen Bauordnungen, all den Verordnungen und Gesetzen, die wir neunmal oder sogar zehnmal haben. Das müssen wir entflechten. Ich will mehr Freiheit für Bürger und Unternehmer – und weniger Filz.
Müsste angesichts des Wustes an sinnlosen Gesetzen nicht ein Drittel ersatzlos gestrichen werden?
Sie haben recht. Es gibt in diesem Dschungel so viel Undurchsichtiges, dass sich Behörden oft selber nicht mehr auskennen, welche Regelung sie anwenden sollen. Kein Mensch versteht, wieso oben am Grießenpass die Gasflaschen einen Meter weiter von der Hausmauer stehen müssen als unten in Hochfilzen – und dafür Fundamente geändert werden müssen. Es versteht auch niemand, dass in einem Lokal, das ich in Salzburg betrieben habe, bei jedem Waschbecken einen Papierhandtuchhalter sein muss, aber wenn ich mit dem Lift in die Altstadt runterfahre, gibt es dort Restaurants, die haben nicht einmal ein Waschbecken. Solchen Wahnsinn gibt es zuhauf.
Zum Beispiel Regeln, die sich direkt widersprechen: Die Arbeitsplatzverordnung schreibt Tageslicht in einem Raum vor, die Lebensmittelbehörde beanstandet das, weil Sonnenlicht schädlich für die Produkte ist …
Ganz genau. Du kriegst auch verordnet, dass du in ein Reinigungskammerl auf einmal eine Entlüftung einbauen musst, obwohl gleichzeitig vorgeschrieben ist, dass eh jedes Reinigungsmittel verschlossen sein muss, und das auch regelmäßig nachgeprüft wird. Da kennt sich niemand mehr aus. Ich will, dass prüfende Beamte von Unternehmen nicht mehr geschimpft werden, weil sie ihren Job machen. Eigentlich sollten wir uns im 21. Jahrhundert als Gemeinschaft sehen, die einander hilft und serviciert, in beratender Weise und nicht in strafender Weise.
Noch einmal zurück zu den Landeshauptleuten. Orten Sie ein gewisses Verständnis, dass man Regelungen wirklich vereinheitlicht? Zum Beispiel beim Ausbau erneuerbarer Energie samt Stromleitungen. Oder ist dieses Brett zu dick zum Bohren?
Ich habe trotz meines noch zu hohen Gewichts Luftsprünge gemacht, als Wilfried Haslauer sagte: „Ja, wir brauchen weniger Bürokratie und müssen endlich was tun.“ Ich orte tatsächlich große Bereitschaft, weil den Landeshauptleuten auch bewusst ist: Wenn wir jetzt nicht gemeinsam liefern, dann haben wir bald einen Aufstand. Zum Stichwort erneuerbare Energien: Für die Bürger ist auch nicht verständlich, warum es dafür unterschiedliche Förderrichtlinien gibt. Deregulierung heißt, Dinge zu erleichtern, in diesem Fall, indem ich Förderklarheit schaffe. Würden wir übrigens unser Förderregime auf EU-Durchschnitt reduzieren, dann hätten wir vier Milliarden Euro Einsparungspotenzial. Dieses Geld würde allen Steuerzahlenden und allen Arbeitnehmenden zugutekommen. Das muss man halt einmal verständlich machen.
Könnte eine rote Karte Genehmigungen beschleunigen: Ein Projekt gilt automatisch als genehmigt, wenn die Behörde eine gewisse Frist nicht einhält?
Ja, das könnte man tun. Beim Breitbandausbau haben wir uns das im Regierungsprogramm bereits vorgenommen.
Sie sind bekannt als Kritiker der Kammern, in erster Linie der Wirtschaftskammern. Gehört es zur neuen Aufgabe, deren Macht bzw. den Einfluss ein bisschen zurückzustutzen?
Ich glaube, das Ergebnis bei den Wirtschaftskammerwahlen zeigt, dass es auch im Interesse der WKO sein müsste, vieles anders zu machen. Mit Minister Hattmannsdorfer und den Verantwortlichen von Wirtschaftsbund und Kammer sehe ich gute Chancen, dass sie das verstanden haben. Wir müssen die Gewerbeordnung endlich erneuern. Auch die Ladenöffnungszeiten waren immer ein Thema von Neos. Österreich muss sich in den nächsten fünf Jahren aus einem starr reglementierten System hin zu einem aktuellen Staat nach internationalen Standards entwickeln.
Deregulierung wird gefühlt ewig erfolglos diskutiert. Was macht Sie zuversichtlich, dass diesmal etwas weitergeht?
Wir Neos sind der Motor für Veränderung, weil uns weniger Zwänge durch Vorfeldorganisationen beengen. Ich betone: Die Sozialpartnerschaft hatte großen Anteil daran, dass diese Regierungsverhandlungen wieder aufgenommen wurden. Aber wir müssen sie wie gesagt jetzt ins 21. Jahrhundert transferieren.
Gibt es konkrete Maßnahmen, die vor allem KMU helfen?
Erste Maßnahmen liegen auf dem Tisch: Bürokratiebremse inklusive transparenter Darstellung der Bürokratiekosten, Lohnnebenkostensenkung ab 2027, Abschaffung der Belegpflicht bis 35 Euro. Wir beginnen mit kleinen Schritten, haben aber noch viel vor. Am meisten belastet KMU die Flut an Berichtspflichten und an nicht notwendigen Überprüfungen, die viel Arbeitszeit und Geld kosten. Wir werden in der Gewerbeordnung was tun und dem Personalmangel sowohl auf der Ausbildungsseite als auch durch Fachkräftezuzug mit einer modernen Rot-Weiß-RotKarte entgegentreten.
In Summe kostet die Bürokratie der österreichischen Wirtschaft laut Experten rund zehn Prozent ihrer Arbeitszeit und zwölf Prozent der Wertschöpfung. Welche Reduktion dieser Werte trauen Sie sich zu?
Ich kann mich beim besten Willen jetzt nicht auf Prozente festnageln lassen. Aber es ist ein unbedingtes Ziel, besser zu werden. Daran werden wir nach fünf Jahren gemessen – und kriegen dann ein Sehr gut oder nur ein Genügend.
Österreich liegt im Bürokratiekostenindex auf Platz 44, China zum Beispiel auf Platz vier. Wohin wollen Sie?
Weiter nach vorne. Wir werden viel aufholen. Mein Team heißt jetzt Rich Strike Kentucky Derby, weil ich kürzlich ein Video gesehen habe, in dem das Pferd Rich Strike als krasser Außenseiter bis zur letzten Viertelmeile hoffnungslos zurücklag und dann alle niederrannte; die größte Sensation in der US-Pferdesportgeschichte. Das ist jetzt mein Motivationsvideo. Wir werden alle richtig galoppieren. Mein Team kann bestätigen, dass ich praktisch nicht zu halten bin.
Neben dem Föderalismus stellt auch der Mangel an Koordination im Rechtssystem ein Problem dar. Kompetenzen sind auf mehre Ministerien und verschiedene Behörden aufgeteilt. Wie ließe sich das unter den bestehenden Rahmenbedingungen vereinfachen?
Sie sprechen ein großes Thema an, das auch das Dilemma der Behörden und ihrer Beamten widerspiegelt, die häufig entweder overruled oder beiseitegestellt werden. Ich glaube, sie würden sich auch wünschen, selbstständiger agieren und es Unternehmen ein bisschen leichter machen zu können. Aber meine Kompetenzen sind eben nicht jene der Kettensäge. Ich muss von Ministerium zu Ministerium pilgern und berichten, was ich draußen im Land höre und erlebe. Es werden laufende Prozesse stattfinden und auch veröffentlicht. Mit „schauen wir einmal“, „das wird aber schon schwierig“ und Blablabla lasse ich mich nicht abspeisen. Ich will umsetzen. Verlassen Sie sich darauf, dass ich lästig sein werde. Wenn einer über Jahre den Mund so weit aufgerissen hat wie ich, dann muss er jetzt Rückgrat haben und liefern. Wir werden auch gegenüber der EU klarer auftreten. Wenn schon Landwirte, die in Brüssel die beste Lobby haben, mit der Bitte „Mach was, wir halten das nimmer aus!“ auf mich zukommen, dann braucht es einen anderen Zugang. Und ich glaube, ich bin der andere Zugang.
Die Frage ist, was Österreich nationalstaatlich ausrichten kann?
Wir sollten lieber fragen, warum wir nie energisch vorgearbeitet haben, sondern immer energisch nacharbeiten. Und zudem noch glauben, wir sind die Besseren, wenn wir Regeln noch ein bisschen strenger machen – Stichwort Gold Plating. Das Ärzte-Dienstzeitgesetz ist ein klassisches Beispiel. Während andere Staaten Lösungen gesucht haben, haben wir bis ganz zum Schluss gewartet, und dann ist die größte Katastrophe herausgekommen. Genauso ist es bei vielen anderen Themen wie etwa den Allergenverordnungen. Wir sind immer zu spät und zu streng.
Elon Musk ist ein Verhaltensauffälliger. Aber auch bei uns ist öfter zu hören, dass es eine gewisse Radikalität braucht, um Strukturen aufzubrechen. Stimmen Sie dem zu oder widersprechen Sie?
Was Donald Trump und Musk machen, ist nicht radikal, sondern schwerst problematisch und undemokratisch. Das sind für mich keine Vorbilder. Ich bin überzeugt, wenn du was im Großen verändern willst, dann brauchst du die Gebietskörperschaften und Institutionen als Partner. Du darfst den Boden der Demokratie nicht verlassen. Abgesehen davon sind Trumps Absurditäten unüberbietbar. Er will 200 Prozent Zoll auf Alkoholika einführen, gleichzeitig bittet er uns jetzt um Eier.
Das Interview ist in der trend.EDITION vom 21. März 2025 erschienen.