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„Auch der Wachhund muss bewacht werden“

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Lesezeit
10 min

Wolfgang Brandstetter war von 2013 bis 2017 Justizminister, von 2018 bis 2021 Richter am VfGH und an der WU Professor für Wirtschaftsstrafrecht.

©LUKAS ILGNER
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Türkis-Grün will die Auswertung von Handys noch vor der Wahl strenger regeln. Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter fordert nun zudem, die Rechte von Beschuldigten durch „ein dichtes Netz an Rechtsschutzrichtern“ gegenüber Staatsanwälten und Medien besser zu sichern.

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Herr Brandstetter, die Regierung will noch im Herbst die Auswertung von Handydaten durch stärkere juristische Kontrolle einschränken. Von der ÖVP wird aber auch ein mediales Zitierverbot aus Strafakten gefordert und damit auch ein Zitierverbot von brisanten Chats. Zu Recht?

Wolfgang Brandstetter

Ein Zitierverbot wie in Deutschland wäre hilfreich, wenn es um die Wahrung der Unschuldsvermutung geht, es löst aber das tiefer liegende Problem nicht. Das liegt nämlich darin, dass Dinge in den Strafakt hineinkommen, die dort mangels strafrechtlicher Relevanz nichts verloren haben. Es darf nach der Strafprozessordnung und der höchstgerichtlichen Judikatur nur das in den Strafakt hineinkommen, was strafrechtlich relevant ist. Andernfalls sind der Verletzung von Persönlichkeitsrechten, die durch die Europäische Menschenrechtskonvention und die Europäische Grundrechtecharta auch verfassungsrechtlich geschützt sind, Tür und Tor geöffnet. Das ist natürlich auch bei Chats zu beachten.

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Die Medien sind durch das Medienrecht ja bereits klaren Regeln unterworfen.

Wolfgang Brandstetter

Offensichtlich reicht das nicht, was Ihnen Medienrechtsexperten bestätigen werden. Dazu gibt es bereits einschlägige Fachliteratur, der man entnehmen kann, dass die „vierte Gewalt“ im Staat dazu tendiert, die stärkste zu sein. Die Medien sind der demokratiepolitisch unverzichtbare „Wachhund“, keine Frage. Aber auch ein Wachhund muss bewacht werden, indem man ihn an die Kette des Rechts bindet, denn er kann auch die Tollwut kriegen, und dann braucht es einen Schutz davor, dass er zubeißen kann.

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An wen denken Sie da?

Wolfgang Brandstetter

Lassen wir es dabei.

Mich stört der auch im europäischen Vergleich absolut unzureichende Schutz der Persönlichkeitsrechte

Wolfgang BrandstetterJurist
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Derzeit entscheidet die Staatsanwaltschaft, was in den Akt kommt und damit potenziell öffentlich wird. Das ist Ihnen offenbar ein Dorn im Auge?

Wolfgang Brandstetter

Mich stört der auch im europäischen Vergleich absolut unzureichende Schutz der Persönlichkeitsrechte, dessen Hauptursache darin liegt, dass strafrechtlich irrelevante Dinge in den Strafakt und von dort – wie auch immer – in die Öffentlichkeit gelangen. Teilweise trägt dazu auch die Entscheidung des VfGH bei, der zufolge Akteninhalte auch bei bloß „abstrakter Eignung“ für den Untersuchungsgegenstand an parlamentarische Untersuchungsausschüsse zu liefern sind, was de facto ihrer Veröffentlichung gleichkommt, auch wenn dieses Material dann im Ausschuss gar nicht verwendet wurde. Man hat als Betroffener zwar das Recht, sich gegen die Aufnahme strafrechtlich irrelevanter Inhalte in den Akt mit einer Beschwerde an den Rechtsschutzrichter zu wehren. Aber da ist die Kuh in der Regel bereits aus dem Stall und die Inhalte, die man vielleicht im Nachhinein herausreklamieren konnte, sind oft bereits in den Medien gelandet, egal ob legal oder illegal, denn deren Quellen sind geschützt.

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Sehen Sie bei dieser Problematik einen Systemfehler?

Wolfgang Brandstetter

Ja. Das geht zurück auf die große Reform der Strafprozessordnung 2008. Damals haben die Staatsanwaltschaften mehr Rechte bekommen, um die Verfahren zu beschleunigen. Als Ausgleich dafür wurde die Möglichkeit geschaffen, sich gegen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft mit Einsprüchen beim unabhängigen Rechtsschutzrichter zu beschweren. Aus heutiger Sicht muss man leider sagen, dass weder eine Verfahrensbeschleunigung noch ein effektiver Rechtsschutz erreicht wurde. Viele Rechtsanwälte sprechen in diesem Zusammenhang von „Stampiglienjudikatur“, weil der Richter oft nur mehr das ohne nähere Prüfung absegnet, was der Staatsanwalt beantragt. Wie wir im Paradefall der folgenschweren Fehlleistungen der WKStA und des BMI unter Herbert Kickl bei der Hausdurchsuchung im BVT gesehen haben, werden schwerwiegende Maßnahmen oft auch aus Zeitnot zu rasch freigegeben. Das ist kein Vorwurf an die einzelnen Richter, das ist ein Systemfehler.

Alles, was die Staatsanwaltschaft tut, sollte schon frühzeitig auf unterer Ebene von unabhängigen Richtern genau kontrolliert werden.

Wolfgang BrandstetterJurist
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Aber das soll jetzt geändert werden. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits der Politik aufgetragen, dass Handys nur mit gerichtlicher Bewilligung beschlagnahmt werden dürfen.

Wolfgang Brandstetter

Ja, aufgrund dieser Entscheidung soll es künftig nicht mehr möglich sein, dass Handys nur aufgrund staatsanwaltschaftlicher Anordnung ohne richterliche Kontrolle sichergestellt und ausgewertet werden können. Das ist ein notwendiger, aber nicht ausreichender Schritt. Die aktuelle Stellungnahme der Rechtsanwälte (ÖRAK) weist da in die richtige Richtung. Für einen funktionierenden Grundrechtsschutz braucht es ein ausreichend dichtes Netz von Richtern, die dafür ausgebildet und zeitgerecht verfügbar sind. Alles, was die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft tut, sollte schon frühzeitig auf unterer Ebene von unabhängigen Richtern genau kontrolliert werden, damit möglichst keine irreversiblen Schäden an Grundrechten angerichtet werden. Wenn das gelingt, dann würde sich auch das politische Problem des Weisungsrechts stark relativieren.

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Sie meinen, wenn Rechtsschutzrichter mehr und effizientere Kontrollrechte über die Staatsanwaltschaften bekämen, bräuchte es kein Weisungsrecht mehr?

Wolfgang Brandstetter

Bei reinen Justizverwaltungsagenden ist ein Weisungsrecht natürlich notwendig und sinnvoll. Aber wenn ich die Wahl habe zwischen einer inhaltlichen Fachaufsicht durch eine Weisungsspitze, egal ob sie innerhalb oder außerhalb des Ministeriums angesiedelt ist, und einer sofort wirksamen effektiven Grundrechtskontrolle durch unabhängige Richter, dann lohnt es sich, über Letzteres nachzudenken und die Funktion der Generalprokuratur zu stärken, die ja im Einzelfall – auch auf Initiative des Ministeriums – höchstgerichtliche Entscheidungen herbeiführen kann. Das geht oft schneller als die Fachaufsicht im Ministerium und schafft politisch unangreifbare Klarheit und Rechtssicherheit.

Das wäre rechtsstaatlich nicht akzeptabel.

Wolfgang BrandstetterJurist
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Sie waren zwischen 2013 und 2017 Justizminister und hatten die Gelegenheit, hier etwas zu ändern. Was hat Sie daran gehindert?

Wolfgang Brandstetter

Das, was ich ohne Verfassungsmehrheit ändern konnte, habe ich geändert. Der Weisungsrat wurde von mir eingeführt, de facto ist dieser für einen Minister nicht zu knacken, ohne sofort ein Misstrauensvotum im Parlament zu riskieren. Und so war das auch gedacht und hat funktioniert. Auch die von mir initiierte Regelung, dass man ohne konkreten Anfangsverdacht nicht Beschuldigter sein kann, war als rechtsstaatliche Verbesserung gedacht und nicht als Möglichkeit für Staatsanwaltschaften, lange und weitläufige Ermittlungen zwecks Feststellung eines Anfangsverdachts zu führen, gegen die man sich als formell (noch) nicht Beschuldigter auch nicht wehren kann. Das wäre rechtsstaatlich nicht akzeptabel. Ich bin seinerzeit auf Vorschlag von Werner Faymann und Michael Spindelegger angetreten, die Justiz parteipolitisch unabhängig zu führen. Das war schon davor Tradition und hat auch nach mir weiter gut funktioniert, so weit ich das beurteilen kann, jedenfalls bis einschließlich Clemens Jabloner, der in der Expertenregierung unter Brigitte Bierlein ein guter Justizminister war.

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Haben Sie Brigitte Bierlein näher gekannt?

Wolfgang Brandstetter

Natürlich gab es mit Brigitte Bierlein jahrzehntelang vielfältige berufliche Kontakte. Ich habe sie fachlich und menschlich sehr geschätzt. Menschen ihres Kalibers gehen dem Land ab, gerade jetzt in Zeiten zugespitzter Polarisierung.

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Wer ist schuld an dieser Polarisierung?

Wolfgang Brandstetter

Von mir können Sie in meiner jetzigen Rolle nur juristische Argumente erwarten, mich interessieren die strukturellen Defizite, losgelöst von der täglichen Parteipolitik, und diese Defizite finden immer noch zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit.

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Sie waren ja selbst auch von Medien-Leaks nach Handysicherstellungen und medialer Kritik betroffen. Sie reden da auch in eigener Sache.

Wolfgang Brandstetter

Ich weiß als Betroffener genau, wovon ich spreche, aber ich rede nicht in eigener Sache. Was mein eigenes Verfahren betrifft, so ist mein Vertrauen in die unabhängige Justiz in Innsbruck ungebrochen. Dort wäre mein Verfahren auch schon längst erledigt, wenn nicht aufgrund der von der Kreutner-Kommission durchaus zu Recht kritisierten Rechtslage in „clamorosen Fällen“ das Ministerium aufgrund der Berichtspflichten mitreden muss. Und was diverse mediale Attacken aus bestimmter Richtung betrifft: Ich kenne die dahinterstehenden Netzwerke und werde mich dagegen auch – so wie bisher – zur Wehr setzen. Und wenn es sein muss, muss man halt auch als Pensionist einen Landeshauptmann klagen, um ihm seine rechtsstaatlichen Grenzen aufzuzeigen.

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