Grünen-Chef Werner Kogler beim ORF Sommergespräch mit Julia Schmuck und Tobias Pötzelsberger am 15. August 2022
©APA/EVA MANHARTDer Grünen-Chef ist wegen seines Schwurbelsprech und als Gag-Zertrümmerer berüchtigt. Bei seinen jüngsten TV-Auftritten wirkt Werner Kogler entfesselt und klar - bisweilen bis an die Grenzen der Diplomatie. Weggefährten haben dafür eine sehr persönliche Erklärung.
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Die ersten August-Tage verbrachte Werner Kogler bei Verwandten und Freunden auf Almen in der heimatlichen Ost-Steiermark.
Bei den privaten Ausflügen des Grünen-Chefs und Vizekanzlers ins normale Alltagsleben hat sich ein Verdacht verfestigt: Die Regierung berühmt sich seit Wochen in diversen Pressekonferenzen, Medien-Aussendungen und Interviews, dass sie ein - mit einmaligen 28 Milliarden unterfüttertes - großes Entlastungspaket in die Welt gesetzt hat. Es war eines der ersten in Europa und hat in der Tat ein Volumen, das seinesgleichen sucht. Von den Mindestrentnern über die Studenten bis zu den Familien wird jede Zielgruppe mit speziellen Goodies bedacht.
Dazu kommt - abseits der bereits laufenden Steuerreform - mit nächstem Jahr eine zusätzliche Steuertarif-Senkung via das tatsächliche Aus für die vielgescholtene Kalte Progression.
Dicke Aktenmappen lösen Schwurbelsprech-Alarm aus
Zurück am Schreibtisch “im hässlichsten Bürogebäude des Landes” (Kogler über sein Ministeriumsgebäude in der Wiener Radetzkystraße) sorgte der grüne Parteichef und Vizekanzler in den grünen Ministerstäben so erstmals für schweißtreibende Fleißaufgaben.
Zur Vorbereitung auf sein ORF-Sommergespräch am Maria Himmelfahrtstag forderte er zu Dutzenden Sachfragen penibel detaillierte Unterlagen an. Ergebnis: Dicke Flügelmappen, die auf Koglers Schreibtisch von Tag für Tag bedrohlich anwuchsen.
In den grünen Kabinetten hatte so mitten im Hochsommer eine chronische Sorge wieder Hochkonjunktur: Werner K., der Schachtelsatz-König, kam, sprach und hinterließ rauchende Köpfe, aber wenige erhellte Gesichter. Von langjährigen Vertrauten etwas empathischer formuliert: “Der Werner wird vor lauter ihm wichtigen Halb- und Nebensätzen sehr viel sagen, aber wenig rüberbringen.”
Kogler grantelt sich zu klaren Botschaften durch
Einige Spitzengrüne fühlten sich zu ihrem Leidwesen in dieser Sorge kurz nach Start des ORF-Sommergesprächs am Feiertags-Montag bestätigt.
In der ersten Halbzeit des rund 50minütigen TV-Interviews (hier nachzusehen in der ORF tvthek) verhedderten sich Interviewer und Interviewter in Revierkämpfen. Die TV-Interviewer Julia Schmuck und Tobias Pötzelsberger drückten mit knappen und spitzen Fragen aufs Tempo. Der grüne Sommergesprächs-Gast grantelte um mehr Sprechzeit und Gesprächstiefe.
Kogler übernahm freilich, zunehmend unbeirrt, schlussendlich das Kommunikations-Kommando und hinterließ in der zweiten Interview-Hälfte überraschend klar ein paar zentrale Botschaften.
Mit der Ankündigung, demnächst eine Modell für eine Übergewinn-Steuer zur Abschöpfung der Windfall-Profits in der Energiewirtschaft vorzulegen, platzierte der Vizekanzler für das breite Publikum auch eine brisante Neuigkeit. (Politik Backstage-Leser wussten das schon.)
In Sachen Teuerung und Pensionen präsentierte er den konkreten Vorschlag, auf die jährlich fällige Inflationsanpassung heuer einen Bonus von 2,5 Prozent draufzuschlagen (und diesen als Vorgriff auf 2023 nächstes Jahr gegenzuverechnen).
Zur Entlastung von Mietern, die ihre Gasthermen nicht über Nacht ersetzen können, schlug Kogler im Doppelschlag einen 25prozentigen Miet-Nachlass und Förderungsanreize für Hauseigentümer vor, von Gas auf ökonomisch und ökologisch verträglichere Energieversorgung umzusteigen.
“Stell Dir vor, es ist Frieden und einer macht alles hin”
Koglers ist intern dafür berüchtigt, selbst mundfertig aufbereitete Sager in einem Schwurbelschwall zu versenken. Diesmal bringt er einen besonders eingängigen vorbereiteten Sager seines PR-Teams schon im ersten Anlauf unfallfrei über die Rampe: “Stell Dir vor, es ist Frieden und einer macht alles hin.” Kogler eröffnet mit diesem Sager ein besonders emotionales Plädoyer gegen Wladimir Putin und für die Russland-Sanktionen.
Ob ein TV-Auftritt halbwegs gelungen ist oder nicht kann daran gemessen werden, ob ein paar der platzierten Botschaften im Nachgang weiter für Schlagzeilen sorgen.
Nicht nur die politisch besonders sensible Übergewinn-Steuer, sondern auch der Vorschlag bei Mietwohnungen mit Gasheizungen die Teuerung mit Miet-Abschlägen abzufedern, sorgten auch in den Tagen danach für medialen Gesprächsstoff.
Für Kogler gab es nicht nur auf Social Media überraschend viel Applaus. “Für Moderatoren ist ein ausladender ‘Erklärer’ wie Werner Kogler natürlich ein Albtraum: ich muss allerdings sagen, dass Kogler heute nicht ‘nur’ das Drumherum versucht hat, klar(er) zu machen, sondern durchaus erstaunlich klare Aussagen zu Pension, Besteuerung oder auch Energiefragen gefunden hat”, so eines der Postings.
Nach dem Kurz-Sturz “emotional freigespielt”
Selbst bei der Übergewinnsteuer, die als schädliches Standort-Signal missverstanden werden könnte, hielt sich auch Koalitionspartner ÖVP mit Kritik zurück. Nur der Chef der Wiener Industriellenvereinigung (IV), Christian Pochtler, ritt zu einer Attacke gegen Koglers "Sommernachtsträumereien" und "populistischem Aktionismus" aus.
Der glühende Fan von Sebastian Kurz hat mit Kogler nach wie vor eine politische Rechnung offen. Christian Pochtler war nicht nur gern gesehenes Delegationsmitglied bei Auslandsreisen des türkisen Ex-Kanzlers. Seine Frau und Ex-Boston-Consulting-Spitzenmanagerin Antonella Mei-Pochtler spielte als Türöffnerin und Beraterin in Sachen Wirtschaft in Kurz’ Küchenkabinett eine wichtige Rolle.
Kurz-Anhänger wie diese verzeihen dem Grünen-Chef nicht, dass er den entscheidenden Anstoß dafür gegeben hat, dass die ÖVP-Landeshauptleute den türkisen Stimmbringer – im Gefolge des Verdachts der Inseratenkorruption - in den Krampustagen 2021 endgültig fallen ließen.
Beim großen Rest der IV-Spitzen ist kein chronischer Phantomschmerz in Sachen Kurz mehr auszumachen, es hat längst der Pragmatismus obsiegt.
Kogler war erst im Frühjahr im Präsidium der Industriellenvereinigung zu Gast und pflegt als grüner "Wirtschaftsflüsterer" laufend Kontakt zu Managern und Industriespitzen. Zuletzt vor allem auch um den aufgestauten Unmut gegen die, zu Beginn der Energiekrise ungeschickt agierende, grüne Klimaministerin Leonore Gewessler zu besänftigen.
"Die sollen sich aus der Politik schleichen"
Werner Kogler hat das durch den Russland-Krieg zusätzlich befeuerte Kernthema der Grünen nun auch zu seiner zentralen politischen Agenda gemacht: Die ökologische Transformation der Wirtschaft und eine öko-soziale Steuerpolitik.
Auf diesem Themenfeld, das er seit seinen politischen Anfängen beackert, fühlt er sich nicht nur total trittsicher. Seit dem Sturz von Sebastian Kurz, sagen langjährige Weggefährten, wirkt der 59jährige Vizekanzler auch persönlich befreit. “Der Werner hat sich nach den Kanzlerwechseln mittlerweile auch emotional völlig freigespielt. Er ist jetzt auch nach außen hin jener 'grüne Werner', wie wir ihn intern schon lange erleben.”
Ein Intimus des Grünen-Chefs erklärt das in einer Diktion, in die auch Kogler gerne verfällt, wenn ihn ein Thema besonders emotionalisiert: “Ich glaube, er scheißt sich einfach nix mehr.”
Als Werner Kogler jüngst in einem Krone-TV auf die besonders martialische Kampagne der FPÖ gegen die Russland-Sanktionen angesprochen wird, kontert der Vizekanzler Republik undiplomatisch wie selten zuvor: „In der Ukraine gibt es Vergewaltigungen, Kinder, die getötet, und Gefangene, denen die Hoden abgeschnitten werden. Wenn das bei einem nichts mehr erzeugt, dann sollen sich diese Leute aus der Politik schleichen.“