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Wie Magnus wird Brunner? [Politik Backstage]

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Österreichs Finanzminister Magnus Brunner steht als EU-Kommissar in Brüssel vor seiner größten Herausforderung.

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Magnus Brunner war bereits kurz davor, aus Sorge, mit einem Orchideenressort abgespeist zu werden, für Brüssel abzusagen. Nun hofft er auf gewichtige Agenden. Den Finanzminister erwartet in Brüssel aber eine noch selbstbewusstere Ursula von der Leyen, die die Macht ihrer EU-Kommissare klein halten will.

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Zum innenpolitischen Ferienstart nach der letzten Parlamentswoche Anfang Juli dachte er im kleinen Kreis bereits darüber nach: Wann ist der beste Zeitpunkt, um in Sachen EU-Kommissar die Flucht nach vorne anzutreten? Vielleicht schon Ende Juli, aber spätestens Mitte August wolle er von sich aus verkünden, dass er für den Posten des EU-Kommissars nicht in Frage komme.

Magnus Brunner hatte im Gegensatz zu Verfassungs- und EU-Ministerin Karoline Edtstadler nie öffentlich kundgetan, dass er nach Brüssel wechseln wolle. Als sich kurz nach Ostern erstmals die Gerüchte verdichteten, der Finanzminister sei der Topkandidat des Kanzlers für die Nachfolge von Johannes Hahn, lächelte Brunner freundlich, aber unverbindlich alle einschlägigen Fragen mit der immer gleichen Formel weg: Die Nominierung des nächsten EU-Kommissars ist Sache der gesamten Bundesregierung und einer Mehrheit im Hauptausschuss des Nationalrats. Diese würden zeitgerecht eine Entscheidung treffen.

Als bald die Hälfte der EU-Staaten ihre Kandidaten nominiert hatte, die Grünen der ÖVP aber weiterhin nicht nur das Nominierungsrecht absprachen, sondern auch Widerstand gegen Brunner signalisierten, fürchtete er, am Ende als großer Loser dazustehen.

Denn sollte sich der Machtpoker noch länger ziehen, wären die attraktiven Kommissarsposten im Dunstkreis von Wirtschaft und Finanzen längst vergeben. Es stünden bald nur noch Orchideenagenden zur Disposition. Würde ihm am Ende auch noch jemand anderer vorgezogen, wäre die Niederlage doppelt komplett.

Politisches Tauschgeschäft ebnet den Weg nach Brüssel

Bevor er auf die eine oder andere Weise einen nachhaltigen Imageschaden einstecken musste, wollte Magnus Brunner daher rechtzeitig von sich aus für Brüssel absagen. „Auf unter 50 Prozent“ schätzte Brunner so zuletzt seine Chancen auf den Aufstieg zum Kommissar ein. Die Notbremse musste der Finanzminister dann aber doch nicht ziehen. Am letzten Tag im Juli ließ das Kanzleramt wissen: Magnus Brunner ist der Regierungskandidat für den Topjob in der EU-Zentrale.

Dem weißen Rauch für den Schwarz-Türkisen ging ein letztes Tauschgeschäft voraus. Die ÖVP verzichtet darauf, den zweiten FMA-Vorstand schon knapp ein Jahr vor Vertragsende zu besetzen. Die Grünen können die Aufgabe ihres proklamierten Neins zum einst vereinbarten ÖVP-Nominierungsrecht für den EU-Job mit Verweis auf ein paar inhaltliche Erfolge in Sachen Klima- und Energiepolitik behübschen.

Den taktischen Widerstand gegen die Person Brunner hatten sie schon davor aufgegeben. Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler versicherte schon zwei Wochen davor Eva Brunner, dass der Übersiedlung nach Brüssel und der Vorbereitung des Schulwechsels der Kinder bald nichts mehr im Wege stehen werde. Magnus Brunner hatte die nach Vorarlberg angereiste Politprominenz am Rande der Eröffnung der Bregenzer Festspiele zum Get-together in sein Haus in der Landeshauptstadt eingeladen.

Der 52-Jährige, der ein sonniges Gemüt vor sich herträgt, das nichts erschüttern kann, steht damit vor der größten Herausforderung in seiner beruflichen Karriere. In den kommenden Wochen wird es in einem Gefeilsche zwischen 26 Staatschefs und der EU-Kommissionspräsidentin darum gehen, wer welche Kompetenzen erhält.

„Magnus wird sich auf die Füße stellen müssen“

Mit dem Abgang von Margrethe Vestager und Mairead McGuinness werden zwei gewichtige Portfolios frei, auf die freilich nicht nur Brunner sein begehrliches Auge richtet: Wettbewerbspolitik und Finanzstabilität. Durchaus prestigeträchtig wäre auch ein Aufgabenfeld, das Ursula von der Leyen zu einem Schwerpunkt ihrer zweiten und wohl letzten Periode als Chefin der Quasi-EU-Regierung erklären will: eine EU-Offensive zur Stärkung der KMU und zum Abbau von Bürokratiehürden.

Brüssel-Insider, die den Arbeitsstil der EU-Kommissionschefin aus nächster Nähe kennen, erwarten, dass diese in den kommenden Jahren noch mehr via direkte Einbindung der Kommissionsbeamten regieren will. Die Macht der Kommissare soll schon bei der Portfoliovergabe mit „möglichst schwammigen Dossiers“ (so ein Von-der-Leyen-Kenner) in Grenzen gehalten werden. „Eine große Teamplayerin war sie schon bisher nicht“, resümiert ein EU-Kenner, „da wird sich der Magnus ordentlich auf die Füße stellen müssen, wenn er nicht nur Staffage für eine noch selbstbewusstere Kommissionspräsidentin sein will.“ Besondere Konfliktfreudigkeit und ein Hang zum Heldenmut werden Magnus Brunner von Freund und Feind zwar nicht nachgesagt. Der Spross einer wohlhabenden Textilunternehmer-Familie, der erst nach Mitte 40 in die Spitzenpolitik einstieg, hatte sich bisher aber auch in widrigen Verhältnissen rasch erfolgreich zurechtgefunden.

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Bundeskanzler Karl Nehammer mit EU-Chefin Ursula von der Leyen

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Einstieg in die Spitzenpolitik

Als Regierungsmitglied wurde er 2019 mehr zufällig gecastet. Brunner hatte bis dahin nur von der dritten und zweiten Reihe aus Politik gemacht: erst als Büroleiter des Vorarlberger Landeshauptmanns Herbert Sausgruber und danach als politischer Direktor im Wirtschaftsbund in Wien an der Seite des damaligen Wirtschaftsbund-Generalsekretärs Karlheinz Kopf. Anschließend zog es ihn in die rationalere Welt der Wirtschaft:

Mehr als zehn Jahre fungierte er als Vorstand der OeMAG, eines Gemeinschaftsunternehmens von staatlichen Energieversorgern, Banken und Industrieunternehmen zur Steuerung der Ökostrom-Tarifförderung und des Ausbaus der erneuerbaren Energie.

Den unmittelbaren Kontakt zur Welt der Politik hielt Brunner über ein Jahrzehnt als Mitglied des Bundesrats, einer Tätigkeit mit überschaubarem Aufwand und Einfluss. Das Mandat bescherte ihm im Herbst 2019 nach der zweiten erfolgreich geschlagenen Wahl von Sebastian Kurz eine Einladung in die Ottakringer Brauerei. Der türkise Wahlsieger lud die vielen neuen und alten Abgeordneten von National- und Bundesrat zum Kennenlernabend.

In diesen Tagen stand die türkise Truppe zudem gerade im Finale der Koalitionsverhandlungen und der Regierungsbildung. Auch Brunner war damals wie viele in der ÖVP ein großer Kurz-Fan, hatte bis dahin aber keinen näheren Kontakt mit dem Jungstar. Zwischen dem verbindlich-freundlichen Vorarlberger und dem türkisen Oberguru passte offenbar auf Anhieb die Chemie. Auf der Suche nach einem Aufpasser im einflussreichsten grünen Infrastruktur-, Klima- und Energieministerium fiel an diesem Abend so spontan die Wahl auf Brunner. Schließlich hatte dieser beruflich seit Längerem „etwas mit Energie“ zu tun.

Die gemeinsamen zwei Jahre im gleichen Ministerium haben weder die grüne Ressortchefin Leonore Gewessler noch ihr türkiser Staatssekretär in freudiger Erinnerung. Brunner fühlte sich, karg abgespeist mit der alleinigen Zuständigkeit für die heimische Schiff- und Luftfahrt, von allen wesentlichen Entscheidungen abgeschnitten. Gewessler wiederum fühlte sich oft alles andere als unterstützt und bisweilen gar torpediert.

Plötzlich Finanzminister, bald Kanzlerreserve

Nach dem Abgang von Gernot Blümel als Finanzminister (synchron mit dem endgültigen Rückzug von Kurz aus Regierung und ÖVP) fiel die Wahl von Neo-Regierungschef Karl Nehammer auf den bis dahin öffentlich unauffälligen Staatssekretär. Brunner spielte seine Talente in Sachen Verbindlichkeit und offene Kommunikation derart erfolgreich aus, dass sich Nehammer und seine unmittelbare Umgebung angesichts schlechter Umfragen und miserabler Länderwahl-Ergebnisse bald bedroht fühlten. In einer Aussprache Anfang des Jahres versicherte Brunner Nehammer offenbar glaubwürdig, dass er nicht auf seinen Job aus sei. Kenner des Vorarlbergers wissen, dass Brunner vor allem mit der Übernahme des ÖVP-Chefsessels nichts am Hut hat.

Brunner setzte auch ganz persönliche Zeichen der Loyalität: Er ließ seinen Vizekabinettschef Michael Buchner als Wirtschaftsberater und seinen Pressemann Rupert Reif Richtung Kanzleramt ziehen. Buchner baute die fehlende Vertrauensachse der ÖAAB-dominierten Nehammer-Truppe Richtung Wirtschaftsbund aus. Reif ist gerade dabei, für eine Verbesserung der von Medien beklagten mangelnden Kommunikation des Kanzleramts zu sorgen.

Brunner schaffte es, auch beim Koalitionspartner sowie selbst bei Pink und Rot eine halbwegs gute Nachrede zu haben. Das rührt vor allem daher, dass der Nachfolger von Gernot Blümel seit Amtsantritt einen konzilianteren Stil pflegte als die machtbewusste Kurz-Partie. Der Vorarlberger war und ist penibel darauf bedacht, keine Angriffsflächen zu bieten. Bevor er etwa im Vorjahr seine Pläne für sein erstes Antiteuerungspaket öffentlich präsentierte, drehte er hinter den Kulissen mehrere Goodwill-Runden mit Sozialpartnern und Oppositionsparteien. ÖVP-intern ist, so ein Insider, „der Magnus auch sehr geschickt durch das Meer an unterschiedlichen Interessen durchgesurft“.

Brunner ging, ohne laut zu werden, doch deutlich sichtbar auch auf Distanz zur Ära Kurz. Der Finanzminister schaffte in seinem Ressort den (durch Thomas Schmid in Verruf gekommenen) Job des Generalsekretärs ab und ließ alle Inseratengeschäfte des Hauses durchleuchten. Der größten Nagelprobe als Finanzminister muss sich Brunner freilich nicht mehr stellen. Nach Jahren der Milliardenspritzen für Haushalte und Unternehmen nach dem Motto „Koste es, was es wolle“ ist ein – auch von der EU-Kommission urgierter – Budgetsparkurs angesagt.

Wahrer Traumjob Hofburg

Aufgeschoben, aber nicht aufgehoben, sagen Brunner-Kenner, ist in Sachen heimische Spitzenpolitik sein Plan B. Nämlich: B wie Bundespräsident – was prima vista überrascht. Aber Magnus Brunner schwärmt zu vorgerückter Stunde immer wieder von den Vorzügen des Jobs in der Hofburg. Die internationale Reisetätigkeit, auch im Dienste der Wirtschaft, aber auch die notwendige ausgleichende Pendeldiplomatie auf der innenpolitischen Bühne würden den Vorarlberger besonders reizen und diesem auch persönlich sehr liegen, sagen Brunner-Kenner. Gänzlich vom Tisch wird dieser Plan B auch nach dem Wechsel nach Brüssel nicht sein. Die nächste Bundespräsidenten-Wahl steht im Oktober 2028 an. Die Funktionsperiode der neuen EU-Kommission endet Mitte 2029.

Ein vorzeitiger Wechsel zurück auf die innenpolitische Bühne wäre in Brüssel alles andere als eine Premiere. Frans Timmermans war in der jetzt auslaufenden EU-Kommission der wichtigste sozialdemokratische Achsenpartner der Christdemokratin Ursula von der Leyen und gewichtigste Promotor des Green Deal. Timmermans wechselte ein Jahr vor der jüngsten EU-Wahl aus der Spitzenposition des Vizepräsidenten der EU-Kommission als Spitzenkandidat seiner Partei zurück in die niederländische Politikarena.

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