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„Politik Backstage“: Wien-Wahl als Auftakt zur Kickl-Dämmerung?

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FPÖ-Chef Herbert Kickl mit Wiens Parteichef Dominik Nepp (links)

©picturedesk.com/photonews.at
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Am kommenden Sonntag werden die Blauen weit unter ihren letzten Spitzenwerten bleiben. Warum es der FPÖ nach dem Aus des Volkskanzler-Traums bisher nicht gelang, eine Jetzt-erst-recht-Stimmung zu erzeugen. Wie Kickl & Co. den schwarzen Peter fürs Platzen von Blau-Türkis wegspielen und wie der FPÖ-Chef bereits fürs Superwahljahr 2028 rüstet.

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„Es war eine der langweiligsten Vorwahlwochen, die ich je erlebt habe“, sagt ein langjähriger professioneller Beobachter und Meinungsforscher. „Von einem Wahlkampf kann ja beim besten Willen keine Rede sein.“

Dabei stand bei der Kür des Wahldatums für Wien das Gegenteil Pate. Michael Ludwig wollte mit der Vorverlegung der turnusmäßig erst im Herbst fälligen Wiener Landtagswahl auf den Sonntag nach Ostern ein mehrfach erfolgreich erprobtes Feindbild als Wahlturbo nutzen. Als Wiens SPÖ-Chef Mitte Jänner die Weichen dafür stellte, hatten Herbert Kickl und Christian Stocker die Verhandlungen über Blau-Türkis gerade erst eröffnet.

Ludwig war sich damals im kleinen Kreis sicher: Die ÖVP werde dem FPÖ-Chef den rot-weiß-roten Teppich ins Kanzleramt legen. Einen besseren Plot als „roter Rathausmann“ gegen „blauen Kanzler“ könne kein Wahlkampfdramaturg je wieder bieten.

Als drei Wochen nach dem Neuwahlbeschluss im Wiener Landtag Blau-Türkis platzte, gab es für Ludwig kein Zurück mehr.

Wahlkampf ohne Turbo

Der Politfuchs suchte, aus der Not eine Tugend zu machen. Der satisfaktionsfähige Gegenspieler war über Nacht abhandengekommen, ab sofort war jede Art von politischer Auseinandersetzung abgesagt. Das simple Kalkül: Meinungsforscher prognostizieren der Wiener SPÖ mit rund 40 Prozent bis auf einen Prozentpunkt das Halten des letzten Wahlergebnisses. Das ist in Zeiten von schmerzhaften Wählerwatschen für die Regierenden eine Ausnahme. Der lokale Herausforderer in Blau, Dominik Nepp, wird gerade einmal mit der Hälfte der SPÖ-Stimmen taxiert, alle anderen Parteien können sich bereits glücklich schätzen, wenn sie ein knapp zweistelliges Ergebnis einfahren. Jedes Politduell würde das Gegenüber nur ohne Not aufwerten, so das rote Kalkül. Statt Dauerfeuer auf Kickl war daher streichelweiche Sympathiepflege für Ludwig angesagt. 

Diesen Sonntag wird so auch die FPÖ nur halbherzig in rituelle Jubelrufe ausbrechen können. Nach dem Absturz im Gefolge des Ibiza-Videos auf sieben Prozent vor fünf Jahren messen Umfragen den Wiener Blauen diesmal um die 20 Prozent zu. Von ihren Traumwerten in der Ära Strache von 30 Prozent bleibt die Wiener FPÖ aber weiter meilenweit entfernt. „Wir hoffen, dass es 20 Prozent werden. Bei 19 Prozent werden wir aber auch niemanden hinrichten“, resümiert ein hochrangiges Mitglied der Bundesparteiführung flapsig.

FPÖ-Nachbeben

Dazu kommt: Der FPÖ ist es bisher nicht gelungen, ihren Anhängern eine eingängige Erklärung für den Verbleib Kickls auf der Oppositionsbank zu liefern. „Die FPÖ profitiert zwar in Umfragen weiterhin von der mangelnden Strahlkraft der Konkurrenz. Mit einer plausiblen Erzählung könnte sie bei einem Rachefeldzug aber ihr Potenzial voll ausschöpfen“, sagt ein Meinungsforscher. 

Rumoren in den Gremien oder gar öffentliche Debatten über das Platzenlassen der Option Blau-Türkis schließen Parteikenner zwar aus. Aus der Welt ist das FPÖ-interne Unverständnis über den „verspielten Ballhausplatz“ damit jedoch noch nicht. 

Die Truppe um Kickl tut freilich alles, um ein internes Nachbeben zu verhindern. Dazu lässt sie auch immer mehr Heldengeschichten über den blauen Verhandlungsführer wie diese kursieren: Als nach dem Platzen von Türkis-Rot-Pink am Dreikönigswochenende die ÖVP just den Einpeitscher des Anti-Kickl-Kurses Christian Stocker zum Parteichef und Vizekanzlerkandidaten für Blau-Türkis kürt, macht der FPÖ-Chef gleich beim Start der Gespräche ohne diplomatische Verbrämung das sehr direkt zum Thema. „Wir sollten als Erstes darüber reden, wie wir damit umgehen, was Sie uns im Wahlkampf alles vorgeworfen haben“, fährt Kickl dem um Jovialität bemühten ÖVP-Chef gleich im ersten Gespräch in die Parade. „Wie wollen Sie jetzt und künftig vertreten, dass wir zusammenarbeiten werden und können?“

Ob aus taktischem Kalkül, das Visavis gleich vom Start weg in die Defensive zu drängen, oder aus nachhaltiger Kränkung, bringt der FPÖ-Chef damit Stocker-Sager wie diese aufs Verhandler-Tapet: „Mit Ihnen will niemand, Herr Kickl. Und es braucht Sie auch niemand.“

Sukkus der Erwiderung von Christian Stocker, der sich – auch um das Verhandlungsklima nicht vom Start weg zu belasten – auf keines der heftigen Wortgefechte im Detail mehr einlassen will: „Ich bin Anwalt, ich kann alles vertreten.“

Kickl zu Stocker: „Ist das jetzt gut oder schlecht für eine Zusammenarbeit?“

Stocker zu Kickl: „In meinen Augen ist das gut.“

Kickl zu Stocker: „In meiner Welt ist das aber schlecht.“ 

Der FPÖ-Chef wird von den Seinen mehr denn je als unerschrockener „grader Michl“ inszeniert, der ohne Rücksicht auf Verluste jedem sagt, was er denkt.

FPÖ-Spitzenleute erzählen diese Episode dieser Tage auch als Beleg dafür, dass das am Ende ergebnislose jüngste türkis-blaue Techtelmechtel von Anfang an unter keinem guten Stern stand. 

Ganz so simpel, berichten Verhandlungsinsider beider Lager, kann der türkis-blaue Koalitionspoker-Krimi auch von hinten nicht gelesen werden. Natürlich spielte auch die persönliche Chemie eine Rolle: hie der Überzeugungstäter Herbert Kickl, der vor dem Ziel stand, endlich als Nummer eins dem Land seinen Stempel aufdrücken und Rache an der ÖVP nehmen zu können, dort der nüchterne Parteisoldat und wendige Anwalt, der die ÖVP mit möglichst wenigen Opfern und als starke Vizekanzlerpartei an der Macht zu halten suchte.

Zehn Wochen nachdem Herbert Kickl schlussendlich die offene Tür zum Einzug ins Kanzleramt höchstpersönlich mit einem lauten Knall zugeschlagen hatte, lichten sich endgültig die Nebel, wie es dazu gekommen ist.

Warum Blau-Türkis wirklich platzte

Auch in der FPÖ war schon Monate vor der Nationalratswahl Mainstreammeinung: Eine Renaissance der ehemals Großen Koalition ist ausgemacht, der Weg ins Kanzleramt bleibt der FPÖ auf Sicht weiter verschlossen. Dementsprechend überrascht und unvorbereitet
stolperte die blaue Truppe um Kickl auch in die Verhandlungen. Eine Devise stand aber von Anfang an fest: Die ÖVP werde einen besonders hohen Preis für eine gemeinsame Regierung bezahlen müssen.

Kickl selber machte sich am Verhandlungstisch zwar rar, gab aber rasch grünes Licht für das 6,3 Milliarden Euro umfassende erste Budgetkonsolidierungspaket. Ex-Finanzstaatssekretär und Steuerberater Hubert Fuchs, ein nach wie vor enger Kickl-Vertrauter aus türkis-blauen Kabinettszeiten, lieferte aber bald Hinweise, dass die vorliegenden horrenden Minuszahlen noch lange nicht die ganze Budgetwahrheit waren und weitere Milliardenlöcher drohten.

Kickl gab daher intern die Parole aus, die FPÖ müsse sowohl den Finanz- als auch den Innenminister stellen. Seine strategische Begründung: Auch wenn es nichts zu verteilen gäbe, sollte ein Blauer bei der Dosierung der Schmerzen die Hand drauf haben. Angesichts der bevorstehenden mageren Jahre müsse die FPÖ zugleich die Daumenschrauben in Sachen Asyl und Migration vom Innenressort aus anziehen können. Motto: Wenn schon kein Brot, dann wenigstens mehr denn je Ausländer -raus-Spiele für die blaue Klientel. 

In der ÖVP wurde schon zwei Wochen vor Abbruch der Gespräche registriert: In der prominent besetzten Konsens-Dissens-Gruppe, wo die großen Stolpersteine aus dem Weg geräumt wurden, hätten nüchterne Verhandler wie FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth „immer öfter auf ideologisch stur geschaltet“.

Blockaden in den Untergruppen in Sachen EU und internationale Beziehungen wurden in der finalen Verhandlergruppe nicht mehr gelockert und aufgelöst, sondern häuften sich unerledigt am Tisch.

Vor allem wirtschaftsnahe türkise wie blaue Verhandlungsinsider resümieren heute unisono: Der passionierte Bergsteiger Kickl witterte massive politische Absturzgefahr. Er sei zum Schluss gekommen, für ihn sei als erster blauer Kanzler mehr zu verlieren als zu gewinnen. Der FPÖ-Chef habe daher die Notbremse gezogen und die Verhandlungen platzen lassen. Kickl-Kenner ergänzen: „Dem Herbert, der großen Wert auf seine Work-Life-Balance legt, ist das Ganze zu steil geworden.“ 

Vor allem in der dritten und vierten Reihe der FPÖ-Funktionärsriege tragen ihm das viele auch persönlich nach, so ein Parteikenner. „Viele haben sich halt im Windschatten des einmaligen Erfolgs des Parteiobmanns schon in neuen Ämtern und Funktionen gesehen“, sagt ein Kickl-Vertrauter. „Besserwisser in der Etappe, die mit dem Erfolg nach oben schwimmen wollten, gibt es überall. Damit muss man leben.“

Wetten auf wachsende Unzufriedenheit

Ein FPÖ-Stratege ergänzt: „Wir müssen jetzt nur Geduld haben und dem kommenden Wahnsinn Raum geben. Nächstes Jahr fallen endgültig alle Förderungen weg, dann wird nach der Ernüchterung eine große Unzufriedenheit mit der Regierung einsetzen. Mit dem Personal, das die haben, werden sie auch wenig dagegensetzen können.“

Die Zeit bis zu den nächsten Wahlgängen will die FPÖ mit Anti-Establishment-Aktionen wie dem FPÖ-U-Ausschuss über das Wirken des behaupteten „Deep State“ im Fall Pilnacek und im Innenministerium generell überbrücken.

Nach der Wien-Wahl am kommenden Sonntag finden weder 2025 noch 2026 für die Bundespolitik relevante Wahlgänge statt. 2027 steht in Oberösterreich die Landtagswahl an. Die FPÖ liegt dort seit Monaten in Umfragen auf Platz eins und hofft, dass nach der Steiermark in zwei Jahren mit Manfred Haimbuchner erstmals ein blauer Landeshauptmann auch ins Linzer Landhaus einzieht.
  2028 wird das nächste Superwahljahr: mit zwei Schlüssel Landtagswahlen in Niederösterreich und Kärnten und der Bundespräsidentenwahl.

In Wien gehen seit Wochen Gerüchte um, Kickl würde die reale Chance nutzen, den Sessel des Kärntner Landeschefs zurückzuerobern und à la Jörg Haider selber ins Rennen einsteigen. Der Umfrage-Niedergang der SPÖ im südlichsten Bundesland wird dadurch befeuert, dass Noch-Landeschef Peter Kaiser den Parteivorsitz diesen Herbst abgibt, in der Nachfolgefrage aber Führung vermissen lässt.

Verlorenes Momentum

Kickl-Kenner sagen, dass der Parteichef das Antreten in seinem Heimatbundesland zwar nicht ausschließt. Für viel wahrscheinlicher halten sie aber, dass Kickl den Hofburg-Wahlkampf nutzt, um sein durchaus ausbaubares Image als Staatsmann aufzupolieren. „Wenn die Partei schon mehrere Wahlkampfmillionen investiert, dann wird sie Geld in ihr bestes Pferd stecken und so die Startchancen Kickls für den nächsten Kanzlerwahlkampf weiter verbessern“, sagt ein Politikanalyst mit guten blauen Kontakten. 

„So ein Momentum kommt für die FPÖ die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre nicht mehr“, wendet freilich ein in der Partei sehr gut vernetzter blauer Spitzenmann ein. Der nächste realistische Anlauf ins Kanzleramt sei wohl kein Fall mehr für Herbert Kickl. „Der Herbert ist schon 56 und wird das sicher nicht noch ewig machen.“

Der blaue „Kronprinz“ arbeitet nicht einmal fünfzig Kilometer westlich von Wien bereits konsequent an der Verbreiterung seiner Popularität. Dem niederösterreichischen Landeshauptfrau-Stellvertreter und FPÖ-Landeschef Udo Landbauer wird in der Tat auch in der ÖVP geschicktes Agieren attestiert. „Er fährt als Verkehrslandesrat zur Eröffnung jedes noch so kleinen Straßenstücks und ist Dauergast in den Bauhöfen, wo die Bau- und Straßenarbeiter des Landes stationiert sind. Er schickt dort immer die Chefs weg, um den Leuten das Gefühl zu geben, dass sie wirklich frei agieren und reden können“, so ein NÖ-ÖVP-Insider.

Auch in der Bundes-ÖVP ist derweil Herbert Kickl, deklarierter Hauptgegner im letzten Wahlkampf, dabei, seinen Nimbus als politisch existenzgefährdende Feindfigur zu verlieren. „Der Kickl ist ab sofort nicht mehr der Hecht im politischen Karpfenteich“, sagt ein langjähriger ÖVP-Stratege. „Wenn er jetzt etwas fordert oder gegen die Regierung vom Leder zieht, dann stößt das nicht mehr auf das gleiche Interesse wie früher. Denn viele sagen sich: ‚Was willst du? Du hattest die Chance, es besser zu machen, und hast gekniffen.‘“ 

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