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Politik Backstage: „Wir sind pleite"

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Kanzler Nehammer plant laut gut informierten Kreisen einige Überraschungen in seinem potentiellen Regierungsteam.

©picturedesk.com/SEPA.Media/Martin Juen
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Auch in Woche drei des Koalitionspokers will weiterhin niemand seine Karten auf den Tisch legen. Der Sanierungsbedarf ist jedenfalls gewaltig. Und: wer bei Türkis, Rot und Pink als ministrabel gilt. 

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Es war der letzte Freitag im November, als im SPÖ-Klub die obersten Gremien der Sozialdemokraten zusammenkamen. Nach mehr atmosphärischen denn substanziellen Berichten über die bereits seit zwei Wochen laufenden Regierungsverhandlungen wurde im SPÖ-Parteivorstand über eine Resolution abgestimmt, deren Succus umgehend auch öffentlich gemacht wurde. „In den letzten Wochen hat sich die dramatische Budgetlage zu trauriger Gewissheit verdichtet. Der Staat wurde in den letzten Jahren von einigen wenigen ausgenutzt, die von Steuergeschenken profitiert haben“, so die SPÖ-Analyse: „Das Ergebnis: Österreich ist hoch verschuldet und muss diese Schulden abbauen. Wir verlangen deshalb von jenen einen Beitrag, die in der Vergangenheit besonders profitiert haben. Das ist die Grundvoraussetzung für unsere Regierungsbeteiligung.“

Die Handschrift des gern klassenkämpferisch auftretenden Parteichefs Andreas Babler ist zwar weiter unverkennbar, die Reizworte Erbschafts- und Vermögenssteuern werden aber vorsorglich vermieden. Das deckt sich mit dem Bild, das in Verhandlerkreisen umgeht: Babler wurde in den ersten Spitzenverhandler-Runden als „überraschend pragmatisch“ und „bemüht verbindlich“ erlebt.

Teilnehmer des freitäglichen SPÖ-Granden-Treffens rieben sich daher verwundert die Augen, als am späteren Abend noch eine Push-Meldung auf ihren Handys aufpoppte. ÖVP- und Übergangs-Regierungschef Karl Nehammer ließ via X (vormals Twitter) wissen: „Es braucht eine Ausgabenbremse, keine neuen -Steuern (…) Sollte die SPÖ darauf bestehen, sind die Verhandlungen schnell zu Ende.“ Die ÖVP-Poster in den sozialen Medien verknüpften Nehammers unerwartete neuerliche Kampfansage („Es wird mit der Volkspartei keine Vermögens- oder Erbschaftssteuern geben“) mit einer einschlägigen Meldung des Gratis-Boulevardblatts „Heute“. Dessen Onlineportal hatte den weichgebürsteteten Resolutionstext der Roten so zugespitzt: „SPÖ macht Vermögenssteuer zu Koalitionsbedingung“. 

Der inszenierte Poker-Krach

Dank der harschen Reaktion des ÖVP-Chefs wurde darob auch in vielen anderen Medien der erste veritable Koalitionskrach noch Wochen deren möglichem Start ausgerufen. Der Auslöser: Nach der desaströsen Wahl in der Steiermark ist vor der Landtagswahl im Burgenland und den Gemeinderatswahlen in Niederösterreich. Karl Nehammer und Johanna Mikl-Leitner nutzen nun jede Gelegenheit, um vor allem in Richtung ihrer verunsicherten Funktionäre Flagge zu zeigen.

Verhandlungs-Insider kommentieren dies mit einer Mischung aus Zynismus und Ungeduld: Es wäre durchaus ein gutes Zeichen, wenn es schon Grund für einen Krach beim Thema Finanzen und Budget gäbe, so der Tenor aus allen drei Verhandler-Lagern. Stand erstes Advent-Wochenende gab es allerdings noch nicht einmal einen von allen drei Seiten abgenickten Zahlenbefund in Sachen Budgetloch. Bis Ende der ersten Dezemberwoche soll hier endgültig eine gemeinsame Sichtweise erarbeitet werden. Ausgangspunkt ist ein dramatischer Befund über den Staatshaushalt, den ein pinker Verhandler so in einem Satz zusammenfasst: „Wir sind pleite.“

Budgetloch bis 2028: 38 Milliarden

Mit Datum 13. 11. kursiert in Verhandlerkreisen ein Analysepapier, das im ersten Anlauf von einer Türkis und Rot beschickten sechsköpfigen Expertengruppe erarbeitet wurde. Der Konsolidierungsbedarf wird darin für die kommenden vier Jahre mit 38 Milliarden Euro beziffert. Schon im kommenden Jahr müssten je nach Wachstumsszenario zwischen fünf und sechs Milliarden eingespart werden. Aufgrund der Notwendigkeit von nachhaltigen Eingriffen in die Ausgabenstruktur des Staatshaushalts kumuliert sich im Jahr 2028 der Einsparbedarf im Budget schlussendlich auf rund 14 Milliarden Euro. Wo Türkis-Rot-Pink etwa bei Förderungen oder Steuerprivilegien den Rotstift ansetzen und etwa bei Alkohol, Tabak und/oder Grund und Boden an bestehenden Steuerschrauben drehen will, war bei Redaktionsschluss am 3. 12. vollkommen offen. Konsens herrscht im Prinzip aber darüber, dass es in Rezessionszeiten wie diesen auch Anreize fürs Wachstum braucht. 

„Mit einem reinem Sparprogramm die schlimmste Rezession seit Langem auch noch anheizen will niemand“, so ein in allen Lagern gefragter Experte. Auch wie rasch Türkis-Rot-Pink die Budget-Mühlsteine loswerden können und wollen, ist noch offen. Eröffnet die EU-Kommission mangels belastbarer Fakten für einen nachhaltigen Budgetsanierungsplan in den ersten Wochen 2025 tatsächlich ein offizielles Defizitverfahren, dann würde das kurzfristig politisch gar eine leichte Atempause bringen. Denn dadurch würde gemäß den EU-Regeln die Sanierungsfrist automatisch um rund ein Jahr erstreckt. Zudem haben alle EU-Staaten aufgrund der im Gefolge von Corona seit Kurzem gelockerten Fiskalregeln die Wahl, ihre kaputten Budgets binnen vier oder sieben Jahren zu sanieren. 

Sanierungsplan auf sieben Jahre erstrecken?

In der längeren Frist lassen sich die Schmerzen nicht nur nieder dosiert verteilen. Da die Budgetsanierung in diesem Fall erst 2031 abgeschlossen sein müsste und die Legislaturperiode aber spätestens 2029 endet, ließe sie auch ein Teil der Bürger-Pein auf die kommende Regierung überwälzen. Im Gefolge von Teuerung und Corona stecken derzeit bald ein Dutzend EU-Länder in der Überschuldungsfalle. Mit Spanien, Frankreich, Finnland, Italien und Rumänien haben derzeit fünf Staaten eine siebenjährige Gnadenfrist zur endgültigen Budgetsanierung beantragt – auch um den innenpolitisch heiklen Preis, dass sich im Fall des auf sieben Jahre gestreckten Genesungsplans die jeweilige Regierung der begleitenden Kontrolle ihrer nationalen Finanzgebarung durch die EU-Kommission unterwerfen muss. 

Politisch besonders heikle Entscheidungen wie diese haben die Verhandler aber noch nicht einmal andiskutiert. Zunehmend Klarheit herrscht inzwischen darüber, warum das Budget 2024 zusätzlich aus dem Ruder gelaufen ist. Und vor allem, warum die Annahmen in Sachen Defizit zwischen Fiskalrat und Wirtschaftsforschern einerseits und dem Finanzministerium andererseits von Anfang an derart auseinanderklaffen. Während Christoph Badelt (Fiskalrat) und Gabriel Felbermayr (WIFO) schon Monate vor dem Wahltag am 29. September vor einem EU-Defizitverfahren warnten und ein Sparpaket nach der Wahl einmahnten, setzten Kanzler und Finanzminister weiter auf „Augen zu und durch“: Österreich würde unter den Drei-Prozent-Maastricht-Grenze bleiben und sich dank eines wachsenden Steuerkuchens Budgeteinschnitte ersparen.

Inzwischen ist es in Insiderkreisen ein offenes Geheimnis, wie es dazu kam, dass das ÖVP-Duo Karl Nehammer und Magnus Brunner dem Nationalrat im Oktober 2023 ein Budget vorlegen konnten, das zahlenmäßig auf den ersten Blick noch klar unter dem EU-Damoklesschwert eines Defizitverfahrens dahinsegelte.

Im Finanzministerium schrillten intern schon Wochen vor der endgültigen Budgeterstellung die Alarmglocken: Eine erste finale Einnahmen-und-Ausgaben-Rechnung für 2024 hatte ein sattes Milliarden-Minus mit der alarmierenden Defizitquote von rund 3,3 Prozent des BIP ergeben. Just vor Beginn des Superwahljahres 2024 hätte so wohl unvermeidlich ein EU-Defizitverfahren gedroht. 

Erst jahrelange Korruptionsvorwürfe, dann jede Menge Zores mit explodierenden Energiekosten und den Folgen der Teuerungswelle und jetzt auch noch schwarz auf weiß die Bestätigung, den Staatshaushalt nicht im Griff zu haben, also nicht ordentlich wirtschaften zu können? Das wollten die ÖVP-Verantwortlichen in Sachen Budget offenbar mit allen Mitteln verhindern. Zumal der Ruf der ÖVP als „Wirtschaftspartei“ ohnehin angeknackst ist. Bei einem Defizit von mehr als 3 Prozent würden sich viele Fragen stellen, die sich zwar zuerst an den Finanzminister richten, aber politisch schlussendlich am Kanzler hängen bleiben würden.

Plötzlich Milliarden-Vermehrung

An der Ausgabenseite war angesichts eines mit allen türkis-grünen Ressorts längst ausverhandelten Zahlenwerks nicht mehr spielentscheidend zu rütteln. Die türkisen Budgetarchitekten suchten daher, an der Einnahmenseite zu drehen. Statt eines bis dahin negativen Saldos bei Ländern und Gemeinden wurde nun plötzlich ein Einnahmenplus in dreistelliger Millionenhöhe statt eines Milliarden-Minus angenommen. Tatsächlich dürfte der Bund mit zusätzlich bis zu drei Milliarden auch heuer mehr Richtung Gemeinden und Länder schieben müssen, als er unterm Strich von dort an Steuereinnahmen lukrieren kann.

Alles in allem – je nach Betrachtungsweise – ein Budget-Trick oder, strenger beurteilt, eine Wählertäuschung: Die dem Parlament übermittelte Defizitannahme machte so plötzlich nicht mehr alarmierende 3,3 Prozent, sondern nur noch EU-konforme 2,7 Prozent aus. „Das erklärt auch, warum die Defizitprognosen von Finanzministerium, Fiskalrat und Wirtschaftsforschern schon 2023 jeweils 0,6 Prozent auseinanderliegen”, sagt ein Wirtschaftsexperte.

Budget 2025: kein Honigschlecken für „Zuckerlkoalition“

Für die Herkulesaufgabe, die Türkis-Rot-Pink im Fall des Koalitionsfalles nun umgehend zu lösen hat, würde freilich nicht einmal mehr als eine Handvoll solcher Budgettricks reichen. Ab Anfang kommenden Jahres gilt im Rahmen der sogenannten Zwölftelregelung jeweils auf ein Monat heruntergebrochen erst noch die Einnahmen-und-Ausgaben-Rechnung des Budgets 2024.

Mutmaßlich viele jener Verhandler, die jetzt über dem Finanz-und-Budget-Kapitel für ein Regierungsprogramm brüten, werden dann in Absprache mit dem neuen Finanzminister den Staatshaushalt 2025 zu schnüren haben: Eine Mixtur aus Blut, Schweiß und Tränen und zur Stimmungsaufhellung in Wirtschaft und Gesellschaft bestenfalls ein paar Zuckerln der vorgeblichen Zuckerl-Koalition.

Für den Job des Finanz-Ressortchefs haben zwar die Neos schon vor der Wahl nassforsch aufgezeigt. Im Regierungsviertel geht aber sehr prominent um, dass die ÖVP diese Schlüsselposition trotz oder gerade wegen der tristen Budgetlage nicht aufgeben will. „Das Wenige, das derzeit an Spielraum bleibt, sollte eine Kanzlerpartei nicht aus der Hand geben“, meint ein schwarz-türkiser Stratege.

Mehr Kandidaten als Ministerjobs

An Kandidatennamen für den Job mangelt es in maßgeblichen ÖVP-Kreisen nicht: Hoch gehandelt werden derzeit Niederösterreichs Finanzlandesrat Ludwig Schleritzko (Bauernbund) und der Unternehmer, Nationalratsabgeordnete und ÖVP-Bundesfinanzreferent Andreas Ottenschläger (Wirtschaftsbund). Außenseiterchancen werden dem oberösterreichischen Ex-Landesrat und designiertem Wirtschaftskammer-Generalsekretär Wolfgang Hattmannsdorfer eingeräumt.

Ein ÖVP-Insider will zudem von einem Signal an Wiens Bürgermeister Michael Ludwig von Karl Nehammer wissen, dass dieser im Fall von Wiens Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke auch mit einem Budgetressortchef aus den Reihen der SPÖ gut leben könne. Ganz oben auf der ÖVP-Liste für den Job des Wirtschaftsministers (die Arbeitsagenden sollen wieder in rote Hände gehen) steht der bei Schwarz und Rot sehr gut beleumundete ehemalige Standortanwalt der Stadt Wien, Wirtschaftskammer- und Sozialversicherungsfunktionär Alexander Biach (mit gelegentlichen Nennungen auch für den Job des Gesundheitsressortchef). 

Als Newcomer für das rote Regierungsteam immer höher im Kurs stehen GPA-Chefin und neuerdings auch Nationalratsabgeordnete Barbara Teiber (Arbeit oder Soziales) sowie Niederösterreichs Landeshauptfrau-Vize und SPÖ-Chef Sven Hergovich (Infrastruktur) – auch weil er einschlägige Kabinetts-Erfahrung und Backing aus der Ära von Doris Bures als Ressortchefin mitbringt.

Weiterhin als Topfavoriten gesetzt gelten der rote Jolly-Joker für Finanzen, Wirtschaft oder Infrastruktur Peter Hanke, der Fraktionschef der SP-Gewerkschafter Josef Muchitsch (Soziales oder Arbeit), SPÖ-Frauenchefin Eva Maria Holzleitner (Frauen) und Ex-ORF-Chef Alexander Wrabetz (Kunst, Kultur, Medien und Sport). Lediglich Außenseiterchancen, vornehmlich auf Staatssekretärsebene, hat der auch innerhalb der SPÖ noch weithin unbekannte Hotelier und Start-up-Investor Bernd Hinteregger (unter anderem in der „Puls 4“-Show „2 Minuten – 2 Millionen“). Kärntens SPÖ-Chef Peter Kaiser hält auf den Landsmann und raren roten Vorzeigeunternehmer große Stücke. 

Bei den Neos neu auf der Flüsterliste rund um das Palais Epstein, wo das Gros des Regierungspokers über die Bühne geht: der EU-Abgeordnete Helmut Brandstätter als Außen- oder EU-Minister für den Fall, dass sich Beate Meinl-Reisinger doch für das Bildungsministerium entscheidet und Co-Ministerkandidat Christoph Wiederkehr wegen der anstehenden Wien-Wahl doch auf seinem Stadtratsposten bleibt. Als Staatssekretärsanwärter für Tourismus hat Sepp Schellhorn schon seit Wochen einen Fixplatz in der Personalbörse. 

Eines ist aber schon Wochen, bevor die Ministerliste einer möglichen Dreierkoalition stehen könnte, fix: Es gibt mehr Anwärter als Topjobs, denn derzeit kursiert zwischen ÖVP, SPÖ und Neos als Aufteilungsschlüssel für die Ministerposten die Formel 7 : 5 : 2.

Ein erfahrener Spitzenverhandler sieht in Woche zehn nach der Wahl und Mitte der Woche drei nach Start der offiziellen Gespräche zwischen Türkis, Rot und Pink noch einen weiten und steinigen Weg vor allen Beteiligten: „Es sind zwar alle sehr freundlich miteinander, aber über die Finanzen und das Budget hinaus liegen wir auch bei vielen anderen Themen noch sehr weit auseinander. Dabei haben wir bisher nur über Ziele geredet und noch nicht über konkrete Maßnahmen.“

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