Fahrtendienste, Handwerksleistungen, Nachhilfeunterricht, Babysitting - fast alles wird über Online-Plattformen angeboten. Das Europäische Parlament will die Arbeitsbedingungen für Beschäftigte von Online-Plattformen wie Bolt, Uber, Gorillas und weiteren Lieferdiensten verbessern. Plattform-Beschäftigte könnten dem Vorschlag nach wie Angestellte eingestuft werden - und nicht wie bisher als Freiberufler. Damit hätten sie Anspruch auf grundlegende Arbeitnehmerrechte wie Pensions-, Kranken- und Arbeitslosenversicherung.
Rechtsanwältin Isabel Firneis von den Wolf Theiss Rechtsanwälten geht in der Folge der Frage nach, inwiefern Plattformanbieter nun ihre Geschäftsmodelle überdenken müssen.
Über digitale Plattformen organisierte Dienstleistungen sind zu einem integralen Bestandteil unseres Alltags geworden. Per Mausklick lassen sich überspitzt gesagt alle Aufgaben des täglichen Lebens organisieren. Längst geht es nicht mehr nur um digitale Plattformen, über die Essen bestellt wird, oder um online organisierte Fahrtendienste. Von Handwerksleistungen, online Nachhilfeunterricht, Babysitting bis hin zu Reinigungsdienstleistungen wird fast alles über digitale Plattformen angeboten.
Die Frage, welchen arbeits- und sozialversicherungsrechtlichen Status Plattformbeschäftigte haben, stellen sich Kunden dabei in der Regel nicht. Für sie sind neben dem Convenience-Faktor vor allem die (günstigen) Preise entscheidend. Diese können unter anderem dadurch erzielt werden, dass Plattformen nicht als Arbeitgeber, sondern als reiner Marktplatz für die Vermittlung von selbständigen Dienstleistern agieren. Das wirtschaftliche Risiko liegt daher oft bei den Plattformbeschäftigten. Ob die Qualifikation als selbständig Beschäftigte rechtlich korrekt ist, kommt allerdings auf die konkreten Rahmenbedingungen der Tätigkeitserbringung an.
Plattformarbeit stellt einen stetig wachsenden Teil des weltweiten Arbeitsmarkts dar. Laut Angaben der EU-Kommission gaben rund 11% der Arbeitskräfte in der EU an, dass sie in der Vergangenheit bereits Dienstleistungen über eine Plattform erbracht haben. Bis 2025 soll die Anzahl an Plattformbeschäftigten in der EU auf 43 Mio steigen.
EU will neue Regeln schaffen
Ein neues Maßnahmenpaket der EU-Kommission versetzt die rasant wachsende Plattformwirtschaft derzeit allerdings in Unruhe und könnte zum Bremsklotz für den Wachstumskurs werden. Während es bisher kaum plattformspezifische Regeln für die Erbringung von Dienstleistungen gab, soll im Zuge des neuen Maßnahmenpakets ein einheitlicher europäischer Rahmen für den Schutz von Plattformbeschäftigten geschaffen werden. Im Zentrum stehen die Zurückdrängung von Scheinselbständigkeit und der erleichterte Zugang zum Arbeits- und Sozialversicherungsrecht in den Mitgliedsstaaten. Herzstück des Maßnahmenpakets ist der Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit.
Der Entwurf sieht einen einheitlichen Kriterienkatalog für die Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und Selbständigen vor. Werden mindestens zwei von fünf Kriterien erfüllt, greift die gesetzliche Vermutung, dass ein Arbeitsverhältnis zur Plattform vorliegt. Davon kann sich die Plattform in einem Gerichts- oder Verwaltungsverfahren zwar freibeweisen, sie trägt aber die Beweislast. Das ist eine deutliche Hürde.
Aus österreichischer Sicht ist der Kriterienkatalog kritisch zu hinterfragen, da er in einigen Punkten den in der Rechtsprechung entwickelten Abgrenzungskriterien widerspricht. Insbesondere die rein fachliche Überwachung der Dienstleistung samt Qualitätsüberprüfung der Ergebnisse waren bisher für das Vorliegen von persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit und die damit einhergehende Differenzierung zwischen selbständig oder unselbständig Beschäftigten irrelevant: Jeder Kunde eines Dienstleisters muss die Qualität der Dienstleistungen überprüfen können. Es handelt sich daher nicht um ein geeignetes Abgrenzungskriterium.
Da aber bereits zwei Kriterien die Vermutung begründen, dass ein Arbeitsverhältnis vorliegt, könnte das Pendel in Zukunft öfter zu Gunsten echter Arbeitsverhältnisse ausschlagen. Das gilt vor allem für die arbeitsrechtliche Qualifikation, die stärker von einer Gesamtbetrachtung im Rahmen eines beweglichen Systems geprägt ist als das Sozialversicherungsrecht.
Was bedeutet das für freie Dienstnehmer?
Die potenzielle Erweiterung des Arbeitnehmerbegriffs ist vor allem im Hinblick auf freie Dienstnehmer spannend. Dabei handelt es sich um eine Hybridbeschäftigungsform in Österreich, die vielen EU Staaten fremd ist. Während freie Dienstnehmer der Pflichtversicherung nach dem ASVG unterliegen und somit insgesamt wie echte Dienstnehmer zu behandeln sind, sind die meisten arbeitsrechtlichen Bestimmungen nicht auf sie anwendbar. Insbesondere gibt es keinen Anspruch auf bezahlten Urlaub oder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Ebenso wenig greifen Arbeitnehmerschutzbestimmungen wie Höchstarbeitszeiten und es gilt in der Regel kein Kollektivvertrag und somit auch keine Mindestlöhne. Das macht die Beschäftigung deutlich günstiger, bedeutet für den Beschäftigten selbst aber auch eine größere rechtliche Freiheit, über seine Zeit zu bestimmen.
Es bleibt daher abzuwarten, ob die Umsetzung der Richtlinie ins nationale Recht zu einer weiteren Zurückdrängung des freien Dienstnehmers führt. Kommt es dazu, müssten viele Plattformen ihr Geschäftsmodell wohl grundlegend umgestalten.
Derzeit befindet sich die EU-Richtlinie allerdings noch im Entwurfsstadium. Bis die neuen Regeln gelten, werden daher noch Jahre vergehen. Dennoch sind Plattformanbieter schon jetzt gut beraten, die Entwicklungen auf EU-Ebene kritisch zu verfolgen und ihr Geschäftsmodell auf Anpassungsmöglichkeiten zu überprüfen.