Marktmachtmissbrauch, Inflationsbekämpfung, Deglobalisierung: Das Kartellrecht wird immer vielseitiger eingesetzt, auch um gesellschaftliche Probleme zu lösen. Entsprechend werden sie weltweit mit immer mehr Befugnissen ausgestattet. Gastbeitrag der Freshfields-Anwälte Florian Reiter-Werzin und Thomas Lübbig.
Das Kartellrecht spielt eine immer größere Rolle. Weltweit halten neue Vorschriften und Rahmenbedingungen Einzug. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt die große Bedeutung, die Gesetzgeber und Regulierungsbehörden dem Kartellrecht bei der Lösung gesamtgesellschaftlicher Probleme übertragen – ein Trend, der anhalten und sich sogar verstärken dürfte, wenn man etwa die Diskussion um die Bedeutung des Kartellrechts beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz verfolgt (siehe Rana Foroohar, The great US-Europe antitrust divide, Financial Times vom 5.2.2024).
Für verschiedene wahrgenommene oder tatsächliche Missstände wurden vom Gesetzgeber Instrumente geschaffen und den Kartellbehörden in die Hand gegeben, um diese in Angriff zu nehmen: Die EU Foreign Subsidies Regulation und die in den vergangenen Jahren in vielen EU-Staaten verschärften außenwirtschaftsrechtlichen Bestimmungen versuchen dem Einfluss von Drittstaatsinvestoren (insbesondere aus China) in der EU Einhalt zu gebieten.
Der Digital Markets Act der EU soll die Marktposition der (vorwiegend amerikanischen) Technologiekonzerne beschränken.
Sektoruntersuchungen der Kartellbehörden
Darüber hinaus machen Kartellbehörden verstärkt von ihren bestehenden Kompetenzen Gebrauch, um im Rahmen der Kartellrechtsdurchsetzung gesamtgesellschaftliche Ziele zu erreichen: Als Maßnahmen der Inflationsbekämpfung wurden etwa in Österreich, aber auch einer Reihe anderer Länder Sektoruntersuchungen in Branchen durchgeführt, die öffentlich als besonders inflationstreibend wahrgenommen wurden (Treibstoffe, Energie, Lebensmittel).
Auch bei der Durchführung von Kartelldurchsuchungen fokussierten Kartellbehörden in den letzten Jahren erkennbar auf Märkte, die für Konsumenten von Bedeutung sind (die EU-Kommission führte seit 2022 zum Beispiel Hausdurchsuchungen bei Essenszustellern, Herstellern von Energy-Drinks, Unternehmen der Modebranche oder Autoreifenherstellern durch).
Bei alldem ist zu beobachten, dass Kartellbehörden verstärkt miteinander kooperieren, Ergebnisse ihrer Prüfungen besprechen und austauschen und es damit auch für Unternehmen immer wichtiger wird, ihre Verteidigungsrechte in verschiedenen Jurisdiktionen koordiniert wahrzunehmen. Als anschauliches Beispiel dienen etwa die Sektoruntersuchungen verschiedener Kartellbehörden in den Kraftstoffmarkt 2022-2023, in denen unter anderem die Kartellbehörden in Deutschland, Österreich und dem Vereinigten Königreich auf ihre Ermittlungsergebnisse wechselseitig Bezug nahmen.
Behörden werden zunehmend aktiv, um den Wettbewerb zu fördern
Neben dem Fokus auf für Konsumenten wichtige Märkte ist ein weiterer, in „10 Key Themes“ beschriebener Trend die verstärkte Ermittlungs- und Durchsetzungsaktivität von Kartellbehörden aufgrund eines vermeintlichen Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung.
Nicht nur die Federal Trade Commission in den USA verfolgt dabei eine Reihe an Fällen – insbesondere gegen Technologieunternehmen wie Amazon – sondern auch die britische Competition and Markets Authority geht im Technologie- und Pharmasektor gegen Unternehmen vor.
Die EU-Kommission hat in der Zwischenzeit die Mitteilung zu ihren Prioritäten der Rechtsdurchsetzung in diesem Bereich überarbeitet. Im Kern geht es der EU-Kommission darum, den ökonomischen Maßstab zum Nachweis einer missbräuchlichen Verhaltensweise für marktbeherrschende Unternehmen zu senken und damit mehr Fälle verfolgen zu können.
Auch in Österreich hat die Bundeswettbewerbsbehörde im Vorjahr ein Geldbußenverfahren wegen des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung gegen einen Automobilhersteller bzw. dessen österreichischen Generalimporteur eingeleitet. Die Generaldirektorin der Bundeswettbewerbsbehörde, Dr. Natalie Harsdorf-Borsch, hat erst kürzlich in einem Interview bekräftigt, verstärkt gegen Unternehmen vorgehen zu wollen, die ihre Marktmacht missbrauchen.
Der Artikel ist ein Gastbeitrag der Freshfields-Anwälte Florian Reiter-Werzin und Thomas Lübbig.
Über die Autoren
Thomas Lübbig
Thomas Lübbig ist Of Counsel im Berliner Büro in der Kartellrechtspraxis der Sozietät Freshfields. Er berät Mandanten zum Wettbewerbsrecht der Europäischen Union, insbesondere dem Kartell-, Fusionskontroll- und Beihilferecht.
Florian Reiter-Werzin
Florian Reiter-Werzin ist Principal Associate (Rechtsanwalt) und berät Mandanten in einem breiten Spektrum des europäischen und österreichischen Wettbewerbsrechts.