Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Juli 2021. Seine Aussagen von damals bringen ihn jetzt vor Gericht.
©IMAGO / SEPA.MediaAm 18. Oktober startet der Gerichtsprozess gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz wegen falscher Zeugenaussage. Was kann man von diesem Verfahren erwarten? Eine Analyse von Gerhard Jarosch.
Um Ihnen eine Enttäuschung zu ersparen: Nachdem Sie diesen Kommentar gelesen haben, werden Sie nicht wissen, ob Sebastian Kurz und seine beiden Mitangeklagten den Großen Schwurgerichtssaal des Landesgerichts für Strafsachen Wien mit hoher Wahrscheinlichkeit als Verurteilte oder als Freigesprochene verlassen werden. Sie müssen sich gedulden, die Verhandlung wird zumindest einige Wochen dauern und danach werden entweder die Verurteilten oder die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA eine Berufung erheben.
Bis dann das Oberlandesgericht Wien eine endgültige Entscheidung trifft, werden wieder ein paar Monate vergehen. Und das ist auch gut so, denn in einem Rechtsstaat sollten Entscheidungen mit der gebotenen Sorgfalt und der dafür notwendigen Zeit getroffen werden.
Dass die beiden Fraktionen "Sebastian-Kurz-ist-das-Böse!" beziehungsweise "Sebastian-Kurz-der-größte-Bundeskanzler-aller-Zeiten!" das nicht verstehen werden und zumindest eine der beiden nach Rechtskraft des Urteils bitterlich enttäuscht sein wird, bestätigt das nur.
Worum geht es in dem Verfahren?
Die WKStA wirft Kurz, seinem früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli und der ehemaligen Vizeparteichefin Bettina Glatz-Kremsner jeweils falsche Beweisaussagen vor: Alle drei sollen im Ibiza-Untersuchungsausschuss über vergangene Besetzungen hochdotierter Posten im staatsnahen Bereich gelogen haben. Vor allem über die Besetzung von Vorstand und Aufsichtsrat der ÖBAG, also der milliardenschweren Schatztruhe der Republik mit Beteiligungen an OMV, Post, Casinos und so weiter. Glatz-Kremsner soll auch noch vor der WKStA falsch über die Bestellung von Peter Sidlo zum Casinos-Austria-AG-Vorstand ausgesagt haben.
Das wäre an sich schon trocken genug, liest man aber den mehr als 100 Seiten langen Strafantrag in Ruhe durch, wird es auch nicht prickelnder: eine klassische Falschaussage wie: "Ich habe X mit der Waffe in der Hand neben der Leiche gesehen!", die durch ein Foto von Y mit der Waffe und dem lügenden Zeugen widerlegt wird, ist halt knackiger als die sich windenden Vorwürfe der WKStA. Deren undankbare Aufgabe war es, einzelne, in teils komplizierte Fragen der Abgeordneten eingebettete Antworten den komplexen Ermittlungsergebnissen gegenüberzustellen und dann auch noch zu beweisen, warum Kurz &Co. dabei jeweils gelogen haben sollen.
Die daraus entstandenen Schachtelsätze sind keine leichte Kost; die Verurteilungswahrscheinlichkeit wird durch sie nicht höher, zumal sie viel zu viel Interpretationsspielraum offen lassen. Die Verteidigung wird sich mit dem Skalpell darauf stürzen und alles Gesagte, Behauptete und Vermutete bis ins Kleinste zerlegen. Ob dann noch viel übrig bleibt?
21 Zeugen und des Pudels Kern im Verfahren
Das wäre alles schon mühsam genug für ein mit maximal drei Jahren Freiheitsstrafe vergleichsweise geringes Vergehen, wenn da jetzt nicht noch die vielen Zeugen hinzukommen würden: Alleine die WKStA hat 21 Zeugen beantragt, von den sich drei (etwa H.-C. Strache) als Beschuldigte in Parallelverfahren der Aussagen entschlagen dürfen. Bleiben noch achtzehn Personen, die auf die eine oder andere Weise in die Postenbesetzungen zentral oder auch nur am Rand involviert waren.
Wie viele die Verteidiger beantragen werden und ob darunter auch Mitglieder des U-Ausschusses als unmittelbare Zeugen der falschen Aussagen dabei sein werden, wissen wir bald. Fast allen aber ist jedenfalls gemeinsam, dass sie aufgrund ihrer Persönlichkeit eine ganz eigene Interpretation der Vorgänge in das Verfahren einbringen werden. Manche von ihnen hatten jedenfalls damals ganz klare Interessen, was den Ausgang der Postenbesetzungen betrifft.
Damit sind wir bei des Pudels Kern angelangt: Der strafrechtliche Vorwurf, dass etwa Kurz seine angeblich zentrale Rolle bei der Besetzung der ÖBAG im U-Ausschuss abstreitet, obwohl er laut WKStA selbst alle Fäden gezogen haben soll, ist das eine.
Strafrecht beiseite: Hätten Sie erwartet, dass der amtierende Bundeskanzler bei einer intensiven Befragung durch gewiefte Oppositionspolitiker wie Brandstätter, Krisper oder Krainer alles zu solchen Vorgängen offenlegt? Dass er jedes Detail der Verhandlungen hinter den Kulissen der Macht preisgibt, um sich vielleicht noch mehr abwatschen zu lassen?
Ist es nicht das wahre Problem – das, was uns wirklich aufregt –, dass Posten im staatsnahen Bereich nach Parteizugehörigkeit und nicht nach Eignung vergeben werden? Dass Verwalter unseres Staatsvermögens dazu nicht kraft eigenen fachlichen Vermögens, sondern quasi als Belohnung für Verdienste um die Partei erkoren werden? Und zwar für jede Partei, die in der Zweiten Republik an der Macht war? Und dann auch noch, um den weiteren Einfluss dieser beliebigen Partei in jenem Unternehmen für die weitere Zukunft zu sichern?
Zeugenaussagen und strafrechtliche Regelungen
Dieser Filz ist jedoch strafrechtlich kaum in den Griff zu bekommen: Selbst wenn redliche Entscheidungsträger aus mehreren Personen die oder den Besten für einen Job auswählen und dazu eine scheinmathematische Methodik mit Punkten für dies und Abzügen für das vorschützen, am Ende ist (innerhalb eines vernünftigen Rahmens) jede/r begründbar! Jetzt kann man sich damit zufriedengeben, dass zumindest die falsche Aussage über die Besetzung bestraft werden kann, wenn unsere Politiker nicht schon für die allgemeine Verfilzung des Landes zur Rechenschaft gezogen werden. Der Verlauf des Verfahrens wird zeigen, ob das tatsächlich möglich ist, weil nicht nur die zugrunde liegende Ebene der Besetzungen, sondern auch die – quasi – Metaebene der Befragung im Untersuchungsausschuss eben nicht so leicht fassbar ist.
Ich stelle mir darüber hinaus eine ganz andere – vielleicht häretische – Frage: Warum ist die Zeugenaussage vor Gericht der Aussage einer Auskunftsperson vor dem U-Ausschuss überhaupt strafrechtlich gleichgestellt? Ja, beide dienen der Erforschung der Wahrheit über vergangene Ereignisse (soweit das für uns Sterbliche überhaupt möglich ist), für beide hat der Gesetzgeber brauchbare Verfahrensregeln aufgestellt und beide können zumindest theoretisch öffentlich kritisch beobachtet werden. Dass die allermeisten Straf- und Zivilverfahren so wie der 47. Tag eines U-Ausschusses nur für die unmittelbar Betroffenen von Relevanz sind, ändert daran nichts.
Aber es gibt auch gravierende Unterschiede: Richter tragen ihre Talare nicht umsonst: Sie sollen aufgrund des Gesetzes und der Sachlage zu einem (oft einschneidenden) Ergebnis kommen, und das selbstverständlich, ohne ihre (Vor-) Meinung einfließen zu lassen oder das Urteil durch eigene Interessen beeinflussen zu lassen. Haben Sie den Eindruck, dass das auch nur ansatzweise für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gilt? Ja, das Ergebnis, der Ausschussbericht, wird von unbefangenen Verfahrensrichtern verfasst. Aber das jedenfalls anfangs aufsehenerregende Spektakel der Abgeordneten, die vor den Fernsehkameras ihre eigenen Schlüsse aus den Aussagen des Tages ziehen, wäre vor einem Gerichtssaal nicht denkbar.
Politisches Fehlverhalten und schwierige Urteilsfindung
Dass ein Gerichtsurteil darüber hinaus nach klar festgelegten Regeln durch eine höhere Instanz überprüfbar ist, bestätigt den gravierenden Unterschied zwischen Gericht und Parlament: Das Gerichtsverfahren soll auf möglichst objektive Weise zu einem Urteil kommen und dadurch Rechtsfrieden schaffen, soweit das möglich ist. Der Untersuchungsausschuss soll politisches Fehlverhalten aufzeigen, er kann und darf auch als politische Spielwiese benutzt werden, um den demokratischen Diskurs zu stärken. Der unterliegt aber anderen Regeln.
Im Vorfeld wurde die Rolle der WKStA wieder hinterfragt: Das massive Bashing, das sie eine Zeit lang wohl zu Unrecht ertragen musste, ist vorbei. Es haben wohl auch die meisten verstanden, dass das eher der Politik als der WKStA geschadet hatte. Aber dieses dumpfe Draufhauen ist einer tiefer werdenden Skepsis gewichen: Warum dauern die Verfahren so lange und warum führen gefühlt neun von zehn zu einer stillen Einstellung oder einem spektakulären Freispruch?
Dafür gibt es oft gute und nachvollziehbare Gründe, aber die Häufung hinterlässt in der Bevölkerung dennoch einen schalen Nachgeschmack. Falls auch dieses Verfahren mit einem Freispruch enden sollte, wäre es die wichtigste Aufgabe aller Beteiligten von der Justizministerin abwärts, zu erklären, und zwar alles, ausführlich und bis es verstanden wird. Selbst wenn es so komplex ist wie der Spagat zwischen den Anforderungen des Gesetzes und den alltäglichen Nöten im Alltag.
Für Sebastian Kurz wird auch nach dem Ausgang dieses Verfahrens noch nicht Schluss sein. Der Vorwurf der falschen Aussage ist nur ein kleinerer Zwischenakt, dem der Hauptakt erst folgen wird: Er bleibt weiter Beschuldigter in Ermittlungsverfahren, etwa wegen der angeblichen "Hofberichterstattung" gegen teure Inserate. Und auch hier wird sich die Justiz, vor allem die WKStA, anstrengen müssen, ihr Handeln zu erklären – auch wenn das nicht immer einfach ist.
Der Kommentar von Gerhard Jarosch ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 13.10.2023 entnommen.
Über die Autoren
Gerhard Jarosch
Gerhard Jarosch ist Managing Partner bei Rosam.Grünberger.Jarosch & Partner und berät im Bereich der Legal Communications, Litigation- und Krisen-PR. Vor seiner Tätigkeit als Kommunikationsberater war der 1968 in Linz geborene Jurist mehr als 25 Jahre in der Österreichischen Justiz beschäftigt, zuletzt als Erster Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Wien und als Österreich-Vertreter in der EU-Rechtshilfeagentur EUROJUST.