fwp Partner Markus Fellner ist eine Koryphäe im Bereich Bankrecht, Insolvenzen und Restrukturierung von Unternehmen. Im Interview mit Andreas Lampl spricht er unter anderem über das geplante Gesetz für die Reorganisation angeschlagener Unternehmen.
trend: Restrukturierung von Unternehmen ist aktuell ein großes Thema unter Anwälten. Liegt das an der vielfach erwarteten Pleitewelle?
Markus Fellner: Nicht unbedingt. Die Insolvenzen sind bei Weitem nicht so explodiert wie befürchtet. Die gerichtlichen Insolvenzen sind aufgrund der ausgesetzten Antragspflicht sogar stark zurückgegangen. Die außergerichtlichen Sanierungen gibt es natürlich, vor allem bei Unternehmen, die durch Covid-19 verstärkten Restrukturierungsbedarf haben. Dabei ist erfreulicherweise eine verbesserte Stimmung in den Verfahren zu bemerken, eine viel kooperativere. Großgläubiger und Unternehmen versuchen meist eine gemeinsame Lösung; trotz unterschiedlicher Interessen. Das ist ein ganz angenehmes Arbeiten.
Und woran liegt diese plötzlich gestiegene Harmonie?
Wahrscheinlich reduziert das Aussetzen der Antragspflicht den großen Druck auf beiden Seiten. Die Banken haben in normalen Zeiten das Risiko der Anfechtung, wenn sie weiter finanzieren, die Unternehmen das Risiko der Geschäftsführerhaftung. Diese Druckpotenziale fallen momentan ein Stück weit weg. Das erzeugt mehr Konsens, ein konstruktiveres Ziehen an einem Strang. Die Banken wollen ja nicht unbedingt Wertberichtigungen im vollen Umfang vornehmen und die Chance wahren, an Upside-Potenzialen zu partizipieren.
Demnächst soll eine Gesetzesnovelle zur Firmenrestrukturierung kommen. Was wird die bringen, wenn es unter dem alten Regime ohnehin ganz gut läuft?
Die Novelle ist kein Austriacum, sondern von der EU vorgegeben. Wir haben wieder einmal später und weniger beherzt mit der Umsetzung begonnen. Die neue Restrukturierungsordnung soll im Juli in Kraft treten, aber es gibt zum derzeitigen Entwurf so viele Stellungnahmen von außen wie selten. Er scheint mir nicht optimal ins österreichische Insolvenzrecht eingebettet zu sein. Es handelt sich um eine Art präventive Reorganisation, die aber Vertragsverhältnisse und Arbeitnehmerrechte nicht angreift, sondern die im Wesentlichen nur ein Schuldenschnitt und Stundungsprogramm ist. Das erscheint mir kein Zukunftskonzept, wie man Sanierungen anpacken sollte. Denn die Themen liegen nicht nur in den Verbindlichkeiten der Unternehmen, sondern - wie jeder weiß - auch bei den Kosten und bei der Transformation. Der größte Kostenblock ist in Österreich bekanntlich das Sozialkapital, das darf aber nicht angetastet werden: weder bei Pensionen noch bei Mitarbeitern. Was auf der einen Seite gut ist, aber auf der anderen Seite zunehmend von der Realität überholt wird.
Weil sich die Rahmenbedingungen für die Betriebe ändern?
Eine der Motivationen für diese Restrukturierungsordnung war, den sogenannten Akkordstörer einzufangen. Das sind oft Kleinbanken oder kleine Gläubiger, die versuchen, ein Sanierungsverfahren zu kippen, um einen Sondervorteil zu lukrieren. Das wird künftig verhindert, aber ich habe den Akkordstörer seit Jahren nicht mehr erlebt. Selbst bei ausländischen Banken findet man mit rationalen Argumenten meistens einen guten Weg. Dieses Ziel ist nicht wirklich relevant.
Was wäre denn stattdessen relevant?
Österreich hätte die EU-Richtlinie mutiger umsetzen können. Aber leider haben Schritte wie Teilbetriebsschließungen, mit denen Vertragsauflösungen und Mitarbeiterabbau einhergehen, in Österreich überhaupt keinen Platz. Und mit Moratorien und Schuldenschnitten alleine sind langfristig Unternehmen nicht zu reorganisieren. Daher kann das vielleicht ein Vorverfahren zu einer Sanierung sein, aber nicht mehr. Der Gesetzgeber wäre gut beraten, auch Rahmenbedingungen für andere Maßnahmen zu schaffen, die mit Gewerkschaften meist schwierig zu verhandeln sind. Anders wird die Transformation der Old Economy nicht gelingen. Um Standorte und Jobs zu erhalten, könnte die öffentliche Hand ja zusätzlich die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern finanziell unterstützen. Diese Rechnung ginge auch für den Staat auf.
Ist die Novelle deswegen aus Ihrer Sicht zahnlos?
Einzelne Überlegungen, die wir kritiklos abgeschrieben haben, stammen aus der Zeit vor Covid. Seither ist eine gewaltige Transformation passiert. Was mir beispielsweise abgeht, ist das Modell des klassischen Debt-Equity-Swaps nach internationalem Vorbild, in dessen Rahmen Kredite in Eigenkapital gewandelt oder Schulden an Fonds bzw. andere Investoren verkauft werden. Es wurde zwar eine Zustimmungspflicht zur Reorganisation im Gesetz festgeschrieben, aber nichts, was die Struktur des Unternehmens verbessern würde. Was aus meiner Sicht dringend notwendig wäre.
Woran liegt das? Sind das ideologische Hürden, die Politiker nicht überspringen wollen?
Wir sind eine Insel der Eigenbrötler, die nicht akzeptieren wollen, dass Fremdkapitalgeber auch irgendwann Eigenkapitalgeber werden können. Würden die Politiker den Sachverhalt verstehen, müssten sie erkennen, dass die Öffnung für solche Schritte die Verfahren dynamisieren würde. Österreich könnte auf diese Weise Venture Capital und Investoren ins Land holen - die natürlich mit Unternehmen anders umgehen als die traditionellen, früher teilweise im Staatsbesitz befindlichen heimischen Großbanken, die passive Kreditgeber waren, während große Risikofonds wie etwa BlackRock im Unternehmen natürlich mitreden und ins Management eingreifen wollen. Das ist schon ein Kulturthema, wobei ich glaube, dass eine Regierungspartei damit kein Problem hätte, die andere wahrscheinlich schon.
Wir verharren aus Ihrer Warte nach wie vor im alten Trott?
Es ist jedenfalls schade um die vertane Chance. Denn man hätte auch die Forderung der Regulatoren an die Banken, nämlich Non-Performing-Loans abzubauen, leichter erfüllen können, indem Fonds diese Schulden kaufen, in Eigenkapital drehen, ins Unternehmen reingehen - und es auch erhalten. Das eigentliche Ziel der Novelle, Bestandserhaltung statt Insolvenz, ist damit trefflich verfehlt worden. Debt-Equity-Modelle sind Österreich prinzipiell fremd. Deswegen wäre ein Signal des Gesetzgebers, dass solche Maßnahmen zulässig und gewünscht sind, so wichtig. Denn die Unternehmer wollen sie in der Regel nicht, und die Banken haben derzeit keine Handhabe, sie trotzdem durchzusetzen. Auf der anderen Seite bräuchte es dafür höhere Eintrittsschwellen als vorgesehen und bessere Vorbereitung für solche Verfahren.
Die Banken selbst sind aber auch nicht sehr aktiv, oder?
Sie wollen nicht ins Equity gehen, aber Kredite zu verkaufen und ein Upside-Potenzial mit Venture-Kapitalisten zu teilen, sähen sie schon als ein attraktives System. Es gibt genug Beispiele von großen Unternehmen auch in Europa, wo Fonds diese Positionen mit Erfolg übernommen haben.
Mit der Novelle werden außergerichtliche Verfahren also nicht viel anders aussehen als jetzt, oder?
Im Wesentlichen nicht, weil Österreich die politische Entscheidung getroffen hat, möglichst geringe Eintrittsschwellen festzulegen und dafür auf mögliche Eingriffe in Eigentumsrechte zu verzichten.
Werden Insolvenzen sprunghaft ansteigen, sobald Förderungen und die aktuellen Sonderregelungen auslaufen?
Die vielen staatlichen Hilfen haben gegriffen, sodass der Insolvenz-Tsunami wahrscheinlich ausbleiben wird. Vorausschauende Unternehmen haben sich mit Kapital eingedeckt und werden kaum beschädigt aus der Krise rausgehen. Und die sogenannten Zombieunternehmen werden auch danach keine Insolvenzanträge stellen, sondern zwischen Leben und Tod weiterwursteln. Außergerichtliche Sanierungen bleiben ein wichtiges Instrument.
Sie arbeiten viel für österreichische Banken. Wie stark wird sich die Krise auf deren Anteil fauler Kredite auswirken?
Da gar nicht so viele Unternehmen -außer im Tourismus und in der Gastronomie - vor größeren Problemen stehen, glaube ich, dass auch die Auswirkung auf die Banken überschaubar bleibt. Aber ein Punkt ist mir da noch im Zusammenhang mit der Reorganisationsordnung wichtig: Kredite von Banken, die in so einer Krisensituation vergeben, sind, wenn der Fall in einer Pleite endet, vom späteren Insolvenzverwalter anfechtbar. Es ist jedoch fast allen entgangen, dass der Gesetzgeber jüngst in der Bundesabgabenordnung eine Änderung gemacht hat: nämlich dass mit der Finanz vereinbarte Ratenzahlungen von Unternehmen niemals anfechtbar sind. Die Finanz hat sich das wasserdicht gemacht. Da greift wieder der klassische Reflex, das volle Risiko den Banken umzuhängen, während der Staat seine Schäfchen ins Trockene bringt. Das passt ins Bild, von dem ich gesprochen habe, denn ein Hedgefonds würde sich das niemals gefallen lassen.
Zur Person
Markus Fellner ist Partner der Rechtsanwaltskanzlei Fellner Wratzfeld & Partner in Wien. Der 53-jährige Jurist ist unter anderem auf Bankrecht, Insolvenzen und die Restrukturierung von Unternehmen spezialisiert. Fellner arbeitet für viele österreichische Kreditinstitute, aber zum Beispiel auch für die südafrikanische Steinhoff Gruppe, früher Eigentümer von kika/Leiner.
Das Interview ist der trend. EDITION vom 30. April 2021 entnommen.