Die Fahrdienste Uber und Lyft gehören zu den bekanntesten Unternehmen der Plattformökonomie. Europaweit arbeiten über 40 Millionen Menschen in dem Sektor.
©iStockphotoDie digitale Plattformwirtschaft hat sich zu einem relevanten Wirtschaftszweig entwickelt. Rund 40 Millionen Menschen arbeiten europaweit in diesem Bereich. Die neue EU-Richtlinie zur Plattformökonomie zielt darauf ab, die Arbeitsbedingungen in dem Sektor zu verbessern. Florina Thenmayer und Julia Huber von der Rechtsanwaltskanzlei DORDA analysieren.
Plattformwirtschaft in der EU
Die digitale Plattformwirtschaft boomt nach wie vor: Egal, ob es sich um "vor Ort" Dienstleistungen, wie die Lieferung von Lebensmitteln, Fahrdienste, die Bereitstellung von Reinigungs-, Babysitting- oder Pflegedienste handelt, oder um online Dienste wie Datenkodierung, Übersetzungs- oder Designleistungen – Plattformarbeit ist aus unserem Alltag längst nicht mehr wegzudenken.
Dies spiegelt sich auch in den Zahlen der Europäischen Union wider: Nach deren Schätzungen werden im Jahr 2025 voraussichtlich mehr als 43 Millionen Menschen über digitale Plattformen arbeiten. Es überrascht nicht, dass sich die Europäische Kommission zum Ziel genommen hat, ein Regelwerk für Plattformanbieter zu erarbeiten.
Hintergrund der Plattformarbeit-RL
Bereits am 9.12.2021 hat die europäische Kommission einen ersten Vorschlag für eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit veröffentlicht. Knapp zweieinhalb Jahre und mehrere Anläufe später haben sich die EU-Minister am vergangenen Montag, den 11.3.2024 auf einen – im Vergleich zum Vorschlag der Kommission – doch angepassten Entwurf der Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit ("Plattformarbeit-RL") geeinigt.
Ziel der Richtlinie ist, jenen Beschäftigten, die in Wahrheit einem "echten Arbeitnehmer" entsprechen, die arbeitsrechtlichen Mindeststandards (zB Mindestgehalt, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub etc) zu gewähren, den Schutz von personenbezogenen Daten zu erhöhen und die Transparenz der Plattformarbeit zu verbessern.
Definition der Plattformarbeit laut RL
Gemäß Artikel 2 Abs 1 der Plattformarbeit-RL liegt Plattformarbeit ganz allgemein vor, wenn (i) eine natürliche oder juristische Person kommerzielle Dienstleistungen anbietet und (ii) folgende Kriterien erfüllt sind:
die Dienstleistung wird zumindest teilweise aus der Ferne auf elektronischem Wege angeboten, etwa über eine Website oder App;
die Dienstleistung wird auf Anforderung eines Leistungsempfängers erbracht;
als notwendiger und wesentlicher Bestandteil muss die Arbeit, die von Einzelpersonen geleistet wird, durch die Plattform organisiert werden, wobei dies unabhängig davon gilt, ob der Plattformbeschäftigte die Tätigkeit online oder an einem bestimmten Ort ausübt; und
die Dienstleistung geht mit dem Einsatz automatisierter Überwachungs- oder Entscheidungssysteme einher.
Der Begriff der Plattformarbeit ist weit gefasst und Plattformanbieter wie zB Wolt oder Alfies werden daher jedenfalls in den Anwendungsbereich der RL rücken. Von der Plattformarbeit-RL nicht umfasst sind hingegen Plattformen, die lediglich Angebot und Nachfrage nach Dienstleistungen auflisten oder verfügbare Dienstanbieter in einem bestimmten Bereich anzeigen.
Wesentliche Regelungen der Plattformarbeit-RL sind insbesondere (i) die widerlegliche Vermutung eines echten Arbeitsverhältnisses, (ii) Informationspflichten des Plattformanbieters gegenüber dem Beschäftigten über die Nutzung von Algorithmen sowie (iii) der Kündigungsschutz von Beschäftigten.
Widerlegliche Vermutung eines echten Arbeitsverhältnisses
Kernstück der Plattformarbeit-RL ist die gesetzliche Vermutung über das Vorliegen eines echten Arbeitsverhältnisses, wenn die Plattform "Kontrolle und Steuerung über die Arbeitsleistung einer Person" ausübt. Die Mitgliedstaaten sind nunmehr angehalten, Kriterien festzulegen, die diese gesetzliche Vermutung auslösen.
Wird ein echtes Arbeitsverhältnis vermutet, kann sich der Plattformanbieter frei beweisen; das bedeutet, dass der Plattformanbieter in einem allfälligen Gerichtsverfahren darlegen muss, warum im konkreten Fall gerade kein echtes Arbeitsverhältnis, sondern ein freies Dienstverhältnis oder ein Werkvertrag vorliegt.
Bemerkenswert ist, dass die gesetzliche Vermutung in allen einschlägigen Verwaltungs- und zivilgerichtlichen Verfahren gilt, nicht aber in Steuer- oder Sozialversicherungsfragen. Es ist jedoch zweifelhaft, ob die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Ausnahme aus Sicht des österreichischen Rechts eine maßgebliche praktische Bedeutung haben wird, erscheint es doch nahezu undenkbar, dass ein echter Dienstnehmer gleichzeitig in steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht als selbstständig gilt.
Informationspflicht über die Nutzung von Algorithmen am Arbeitsplatz
Die Plattformarbeit-RL enthält weiters ein umfassendes Regelwerk über den Einsatz von Algorithmen am Arbeitsplatz. Plattformanbieter müssen Beschäftigte über die Nutzung automatisierter Überwachungs- und Entscheidungssysteme informieren. Die Information muss – ganz im Sinne der Art 13 und 14 DSGVO – schriftlich und in klarer, leicht verständlicher Sprache erfolgen.
Außerdem dürfen Plattformanbieter nunmehr bestimmte Arten von personenbezogenen Daten nicht mehr verarbeiten (sofern dies bisher überhaupt erfolgt ist), wie etwa:
personenbezogene Daten über den emotionalen oder psychologischen Zustand von Plattformbeschäftigten;
Daten über private Gespräche;
Daten zur Vorhersage tatsächlicher oder potenzieller gewerkschaftlicher Aktivitäten;
Daten zur Ableitung der Rasse oder der ethnischen Herkunft, des Migrationsstatus, der politischen Meinung, der religiösen Überzeugungen oder des Gesundheitsstatus eines Arbeitnehmers oder einer Arbeitnehmerin; sowie
biometrische Daten, mit Ausnahme der Daten für die Authentifizierung.
Die Plattformarbeit-RL soll weiters sicherstellen, dass automatisierte Entscheidungen unter menschlicher Aufsicht und Bewertung getroffen werden, wobei das Recht auf eine Erklärung und Überprüfung der Entscheidung gewährleistet sein muss. Zu hoffen bleibt, dass bei Umsetzung der RL in nationales Recht keine Widersprüche oder Lücken zum Anwendungsbereich des Art 22 DSGVO entstehen. Dies würde die derzeit bestehende Rechtsunsicherheit durch vielfach divergierende Rechtsprechung der Datenschutzbehörden der Mitgliedstaaten nur noch weiter vergrößern.
Kündigungsschutz
Die Plattformarbeit-RL enthält abschließend einen Schutz für Beschäftigte vor Kündigungen aufgrund der Inanspruchnahme von Rechten in der Richtlinie. Plattformanbieter müssen nunmehr auf Aufforderung der Beschäftigten hinreichende Gründe für die Kündigung vorlegen können.
Ausblick
Die Plattformarbeit-RL stellt bereits jetzt schon einen Paukenschlag gegen Plattformanbieter dar und es ist absehbar, dass die neuen Regelungen – auch in Österreich – bedeutende Veränderungen für Plattformanbieter mit sich bringen werden. Die genaue Tragweite wird aber von der konkreten Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht abhängen.
Aktuell wird der Text der am 12.3.2024 beschlossenen Einigung vom Rat der Europäischen Union in alle Amtssprachen übersetzt. Nach der formellen Verabschiedung haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Bestimmungen der Plattformarbeit-RL in nationales Recht umzusetzen.
Über die Autoren
Florina Thenmayer
Florina Thenmayer ist Rechtsanwältin und seit 2015 bei DORDA. Sie wurde 2019 als Rechtsanwältin in Österreich und 2021 als Solicitor in England & Wales zugelassen. Dank ihrer internationalen Erfahrung ist sie versiert in der Beratung von Mandanten aus unterschiedlichen Rechtsordnungen und Kulturkreisen. Der Fokus ihrer Arbeit liegt in den Bereichen Arbeitsrecht und Digital Industries.
Julia Huber
Julia Huber ist Rechtsanwaltsanwärterin und seit 2022 bei DORDA.