Die Altstadt von Prag ist längst zur Touristenhölle verkommen. Und doch gibt es gute Gründe, die "Goldene Stadt" wieder zu besuchen. Abseits des Zentrums hat sich ein vitales und kreatives Kultur- und Szeneleben entwickelt. trend-Traveller Gerald Sturz hat einige Tipps.
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Das andere, neue Prag
Über die Karlsbrücke ist der trend-Traveller Gerald Sturz auch diesmal nicht gegangen, auch nicht hinauf auf den Hradschin, die Prager Burg, und auch nicht entlang des Krönungswegs der böhmischen Könige. Das wollte er sich nicht antun. Er hat die Bilder in den Zeitungen und den sozialen Medien gesehen: das Gedränge, das Gewusel, der Gewimmel. Sie alle hatten eine Botschaft: Die Innenstadt von Prag mit ihren historischen Sehenswürdigkeiten ist wie kaum eine andere mitteleuropäische Stadt Opfer eines zerstörerischen Übertourismus.
Und dennoch. Man sollte sich nicht abhalten lassen, nach Prag zu reisen. Denn abseits dieser Touristenpfade ist Prag gerade eine der spannendsten Metropolen Europas. Neue Museen, unterhaltsame Szenetreffs, neues Leben in historischen Stadtvierteln. Es tut sich viel.
Prag-Tipp: Kunsthalle Praha
Endlich ein Haus für zeitgenössische Kunst: ganz neu ist die Kunsthalle Praha, ein Ausstellungshaus für zeitgenössische Kunst, das sich auf der Kleinseite am Fuß des Prager Burgbergs in einem denkmalgeschützten Bau aus den 1930er-Jahren befindet, der einst als Umspannwerk diente. Mit ihren ersten Ausstellungen hat sie gleich – auch international – für Aufsehen gesorgt. Zuerst mit der Schau "Kinetismus: 100 Years of Electricity in Art", die von Peter Weibel kuratiert wurde, aktuell und noch bis 16.10.2023 mit der sehr sehenswerten Ausstellung "Bohemia. History of an Idea, 1950-2000", die von der Boheme nach dem Zweiten Weltkrieg an Orten wie New York, London, San Francisco, Zagreb, Teheran, Prag und Beijing erzählt. Vom Leben am Rand der Gesellschaft. Hier hat der trend-Traveller dann auch die Antwort auf die Frage gefunden, warum diese Bewegung ausgerechnet nach der Region Böhmen benannt ist. Weil man, so erklärt der sehr lesenswerte Katalog, im Paris des 19. Jahrhunderts den Lebensstil der Bohemiens mit dem der Roma verglich und man diese damals eben in Böhmen verortete. Die Kunsthalle Praha bietet neben Ausstellungsflächen auf drei Ebenen auch ein Bistro, einen Designshop und ein Café mit einer schmalen Terrasse, von der man sehr schön auf die Prager Burg blicken kann.
Prag-Tipp: Stadtteil Holešovice
Vom Arbeiterbezirk zum Trend-Viertel. Einen ganzen langen Tag lang ist der trend-Traveller durch diesen zentrumsnahen Stadtteil gewandert, zwischen schönen Gründerzeithäusern, modernistischen Wohnblocks und Industriebauten. Zu sehen gab es mehr als genug. Holešovice war einst ein Industrieviertel mit Bierbrauereien, Schlachthof und Hafenanlagen. Das hat sich in jüngster Zeit radikal geändert. Heute ist Holešovice neben dem Stadtteil Karlín, der sich am anderen Seite der Moldau befindet, das Szeneviertel der Stadt. In die aufgelassenen Brauanlagen zogen die Büros und Studios der kreativen Klasse ein, aus dem einstigen Schlachthofgelände Pražskátržnice wurde ein Areal mit Viktualienmarkt, Restaurants, Cafés, Shops und Galerien.
Das Wahrzeichen des Bezirks ist ein riesiger Zeppelin namens Gulliver, der über dem DOX, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst, schwebt. Ein 42 Meter langes, begehbares hölzernes Luftschiff, in dem Lesungen, Diskussionen, Ausstellungen und Musikveranstaltungen stattfinden. Zur Zeit sind im DOX unter dem Titel "Infamous Beauty" Arbeiten des amerikanischen Künstlers und Fotografen Andres Serrano zu sehen.
Den stärksten Eindruck aber hat die Außenstelle der Prager Nationalgalerie im ehemaligen Messepalast, einem mächtigen und gleichzeitig eleganten funktionalistischen Gebäude, gemacht. Hier sind mehrere Ausstellungen zu sehen, darunter eine hervorragend bestückte Sammlung moderner und zeitgenössischer internationaler und tschechischer Kunst sowie ein sehenswerter Überblick über tschechische Architektur zwischen 1956 und 1989.
Prag-Tipp: Uferpromenade Nápalvka
Die neue Flaniermeile. Lange standen die Katakomben in den Kaimauern der Moldau, die einst als Eiskeller für die Schiffe, die leicht verderbliche Waren auf der Moldau transportierten, dienten, leer. Nach dem Hochwasser von 2002 beschloss die Stadt, das Flussufer neu zu gestalten. Das Konzept, das der Architekt Petr Janda vorlegte, war so überzeugend, dass es im vergangenen Jahr auf die Shortlist für den Ludwig Mies van der Rohe Award, den bedeutendsten europäischen Architekturpreis, kam. Janda verwandelte die Straße, die entlang der Moldau führte, in eine Promenade, und in die renovierten Katakomben zogen Bars, Restaurants, Bike-Shops, Galerien. Eindrucksvoll sind die riesigen, zweieinhalb Tonnen schweren, rotierenden Glasplatten, mit denen sich nun die Lokale öffnen und verschließen lassen. Vor allem an schönen Tagen und Abenden lässt sich hier ganz wunderbar flanieren, trinken, chillen. Über der Promenade thront Prags bekanntestes Beispiel moderner Architektur: das "Dancing House" des amerikanischen Architekten Frank Gehry.
Prag-Tipp: Manifesto Market Andėl
Streetfood und Swimmingpool in Smichov. Es ging alles sehr schnell. Innerhalb weniger Tage wurden auf einem tristen Parkplatz dutzende Schiffscontainer aneinandergereiht, in die dann Streetfood-Buden und hippe Bars einzogen, dazwischen wurden Tische und Stühle, kleine Bäume und Pflanzen und Sträucher aufgestellt, und sogar ein kleiner Swimmingpool wurde aufgebaut. Fertig war der Manifesto Market. "Wir haben", erklärt Marc Felton, der Manager des Markts, dem trend-Traveller, "ausschließlich mit bereits gebrauchten Materialien gearbeitet." Das war vor zwei Jahren. Heute ist der Manifesto Market der Hot Spot im eher langweiligen Stadtteil Smichov. Die Open-Air-Version einer Foodhalle. Eine tolle Kombination von Pop-up und Upcycling. Jetzt gibt es neben Streetfood aus aller Welt und einer Riesenauswahl an Drinks und Cocktails, Konzerte, Lesungen, Yogaklassen und andere Events. Und wenn es heiß wird, kann man im Swimmingpool vielleicht nicht schwimmen, aber zumindest seine Füße abkühlen. Weil das Konzept so gut funktioniert, hat gerade in Berlin am Alexanderplatz ein zweiter Manifesto Market eröffnet.
Prag-Hoteltipp: NH Collection Prague Carlo IV
In die ehemalige Zentrale einer Bank zog eines der besten Hotels der Stadt ein – das NH Collection Prague Carlo IV.
Ganz in der Nähe des Bahnhofs ist in den letzten Jahren ein Cluster von Hotels der Luxuskategorie entstanden. Julius Meinl hat dort sein The Julius eröffnet, Falkensteiner ein Hotel aus seiner Premium-Collection, und auch eines dieser hippen Andaz-Hotels ist dort zu finden. Der trend-Traveller hat bei seinem Prag-Aufenthalt im jüngsten dieser Hotels, dem NH Collection Prague Carlo IV, gewohnt. Das hat sich als ausgezeichnete Wahl erwiesen. Es befindet sich in dem neoklassizistischen Gebäude, das einst Sitz der ersten Spar- und Kreditbank Böhmens war, und ist nach Karl IV. benannt, dem römisch-deutschen Kaiser und König von Italien, der Prag zu seiner Residenzstadt machte und dem die Stadt den Veitsdom und die Karlsbrücke verdankt. Die Lobby befindet sich in der ehemaligen Schalterhalle, das Design im Inneren des Hotels kombiniert elegant historische und moderne Elemente, es gibt ein Restaurant, eine Bar, ein Tagungszentrum, ein Spa. Und es gibt einen 20-Meter-Pool, an dem man sich nach langen Stadtspaziergängen wunderbar entspannen kann.
Recherchereisen werden zum Teil von Veranstaltern oder Hotels unterstützt. Auf die redaktionelle Berichterstattung hat das keinen Einfluss.
Der Artikel ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 08.09.2023 erschienen.