Trend Logo

Debatten für ein besseres Europa

IN KOOPERATION MIT EUROPEAN FORUM ALPBACH
Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
17 min

Die malerische Kulisse verleiht dem Forum seinen besonderen Charakter. Unkonventionelle Formate wie Wanderungen wirken inspirierend und lassen Ideen entstehen.

©EFA/Philipp Huber
  1. home
  2. Specials
  3. Special

Beim Europäische Forum Alpbach wurden die brisanten Fragen unserer Zeit diskutiert. Vier Thinktanks sorgen dafür, dass die besten Denkansätze auch künftig auf der Agenda bleiben.

Der Zustrom ist gewaltig: Bis zu 5.000 Menschen aus über 70 Staaten treffen sich mittlerweile jedes Jahr im August in der Tiroler Gemeinde Alpbach, um dort beim Europäischen Forum Alpbach (EFA) die brennenden Fragen der Zeit zu diskutieren. Heuer waren erstmals vier Reporting-Partner, Thinktanks aus Österreich und Brüssel, mit dabei. Mit dem Ziel, die wichtigsten Themen und Standpunkte der vier Themenblöcke Demokratie, Sicherheit, Klima und Wirtschaft zusammenzufassen und die spannendsten Erkenntnisse auch im nächsten Jahr weiter zu verfolgen.

Blurred image background

Lebhafte Diskussionen. Die wichtigsten Inhalte der Ver­anstaltungen werden von den Reporting-Partnern aufgezeichnet.

 © EFA/Philipp Huber

Der ThinkTank

Der ThinkTank Europe Jacques Delors hat sich dabei mit dem Thema Demokratie befasst. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Die zunehmende Polarisierung der Gesellschaft und das Erstarken rechtspopulistischer Kräfte wurden bei den Diskussionen als erhebliche Bedrohungen für die Demokratie identi­fiziert. Die Punzierung des Klimawandels als „Last für Bürger und Unternehmen“ durch diese Kräfte würde darüber hinaus auch die Umsetzung des Green Deals blockieren. Als Hauptfaktor für den demokratischen Rückschritt und den Aufstieg populistischer Bewegungen wird die Erosion des Vertrauens sowohl in Institutionen als auch zwischen den Bürgern selbst gesehen. Wie kann dieser Vertrauensschwund gestoppt werden? Laut den Diskutant:innen beim EFA liegt die Lösung in der Förderung von mehr Bürgerbeteiligung, Bildung und Dialogformaten. Der Hintergedanke dabei: Demokratie soll auf diese Weise nicht nur als ein formelles Regierungssystem, sondern als gelebte Praxis verstanden werden.

Ist Österreichs Neutralität mittlerweile eine veraltete Position? Mit Fragen wie dieser rund um das Thema Außen- und Sicherheitspolitik hat sich das Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES) befasst. Klar ist: Die Neutralität, die lange ein Eckpfeiler der österreichischen Identität war, steht zunehmend unter Druck, da sich die geopolitischen Realitäten in Europa ändern. Daten zeigen, dass zwar 70 Prozent der Österreicher im Falle eines Angriffs auf Österreich Unterstützung von anderen EU-Staaten erwarten, jedoch nur 14 Prozent bereit wären, im Gegenzug anderen EU-Ländern zu helfen. Dies widerspricht dem Prinzip der Solidarität und verstärkt den Eindruck, dass Österreichs Haltung eher auf Eigen­interesse basiert. Eine der größten Herausforderungen, die der AIES-Bericht identifiziert, ist das Auseinanderklaffen zwischen der öffentlichen Wahrnehmung der Neutralität und der realen Position Österreichs innerhalb der EU.

Ein Fazit lautet daher: Österreich muss klar definieren, welchen Beitrag es zur europäischen Sicherheit leisten will, und gleichzeitig seine Position innerhalb der EU stärken, um den wachsenden Herausforderungen gerecht zu werden.

Blurred image background

Lebenswerte Zukunft. Ideen für ein besseres Morgen stehen beim Forum Alpach im Zentrum.

 © EFA/Ioana Cirlig
Blurred image background

Juan Mejino Lopez ist wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Bruegel, einem europäischen Thinktank, der sich auf Wirtschaftspolitik spezialisiert hat. Er hat Wirtschaftswissenschaften in Salamanca und Warwick studiert. Vor seinem Eintritt bei Bruegel arbeitete Lopez als Wirtschaftsberater und führte Analysen für verschiedene Institutionen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO), die UN oder die Europäische Kommission durch.

 © Antoine Doetsch

„Europa kann der globale Leader beim grünen Wandel sein“

Juan Mejino Lopez, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Thinktank Bruegel, über die Finanzierung des Green Deals und die gerechte Verteilung von Wohlstand.

TREND: Wohlstand ist sowohl innerhalb als auch zwischen den Ländern ­immer ungleicher verteilt. Welche ­politischen Maßnahmen empfehlen Sie europäischen Regierungen, um dieser Ungleichheit zu begegnen?

Juan Mejino Lopez: Wir haben ­positive Trends in der wirtschaftlichen Annäherung zwischen Entwicklungs- und Industrieländern gesehen. Das Aufholen ärmerer Länder ist jedoch durch aufkommende Konflikte und die Auswirkungen der unterschiedlichen Krisen gefährdet. Europäische Regierungen sollten die Rolle einer effektiven und effizienten Vermögensbesteuerung überdenken, da das Wachstum des Gesamtvermögens heutzutage hauptsächlich durch Kapitalerträge und nicht durch Arbeitseinkommen getrieben wird. Auch die neue demografische Zusammensetzung erhöht die Ungleichheit, da der Zugang zu Wohneigentum und Familienvermögen verzögert wird. Der erleichterte Zugang zu Wohnraum sowohl durch öffentliche als auch durch private Investitionen würde dazu beitragen, das Problem zu lindern. Und die Bedeutung von Fähigkeiten und Bildung wächst. Regierungen sollten weiterhin die notwendigen Investitionen in die Entwicklung von Fähigkeiten und Bildung tätigen, damit kein Arbeit­nehmer zurückgelassen wird.

Europas Green Deal ist schätzungsweise jährlich um 530 Milliarden Euro unterfinanziert. Wie kann diese Lücke überbrückt werden?

Die Finanzierung des grünen Wandels ist kein einseitiges ­Problem, der private Sektor muss eine Schlüsselrolle spielen. Die nationalen Märkte Europas sind zu klein für die Investitionen, die wir benötigen. Die EU sollte bei der Vollendung der Kapitalmarktunion vorankommen, um Inves­titionen zu erleichtern und attraktiver zu machen. Gleichzeitig müssen die ­Regierungen sicherstellen, dass sie verlässliche und nachhaltige Rahmenbedingungen für die Klimafinanzierung schaffen, die die mit Dekarbonisierungsprojekten verbundenen Risiken reduzieren und ein starkes Signal der Verpflichtung an private Investoren senden.

Aufgrund der alternden Bevölkerung Europas steigen die Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit der Pensionssysteme. Welche Reformen halten Sie hier für notwendig?

Die aktuellen Pensionssysteme müssen an die demografischen Trends angepasst werden. Mindest­pensionen sollten durch die öffentliche Hand garantiert werden, um eine faire Lebensqualität im Alter sicherzustellen. Diese Pensionen sollten durch Leistungen ergänzt werden, die an die Anzahl der geleisteten Arbeitsjahre und die gezahlten Sozialbeiträge gebunden sind. Darüber hinaus sollte es eine zweite obligatorische Komponente geben, bei der ein Teil des Lohns der Arbeitnehmer in langfristige Investitionen fließt und erst im Pensionsalter abgerufen werden kann. Eine dritte freiwillige Komponente, die auf persönlichen Ersparnissen basiert, wäre ebenfalls wünschenswert.

Wie kann Europa seine Zusammen­arbeit mit aufstrebenden Volkswirtschaften stärken, um einen gerechten und inklusiven globalen grünen Wandel zu gewährleisten?

Die EU kann der globale Leader beim grünen Wandel sein. Dafür muss sie ihre Zusammenarbeit und Unterstützung für den globalen ­Süden verstärken, der derzeit mehr als die Hälfte der weltweiten CO2-Emissionen verursacht. Die Dekarbonisierung ist ein kollektives Unterfangen, bei dem jedes Land zählt, und die EU sollte ­Entwicklungsländer in diesem Prozess unterstützen.

Technologische Fortschritte wie KI und Automatisierung verändern den Arbeitsmarkt. Wie kann Europa diese Technologien nutzen, um Ungleichheit zu verringern, statt sie zu verschärfen?

Die Beschäftigungszahlen bleiben in den Industrieländern auf Rekord­niveau, und die Vorhersagen, dass KI oder Automatisierung alle Arbeitsplätze ersetzen werden, haben sich bisher nicht bewahrheitet. Investitionen in Bildung und Anpassungsfähigkeiten sind der beste Weg, um Arbeitnehmer zu schützen. In jedem Fall müssen wir sicherstellen, dass ein Mindestmaß an Wohlstand garantiert ist und die durch technologische Veränderungen verursachten Störungen nicht zu sozialen Rückschlägen führen. Dafür ist ein ­soziales Sicherheitsnetz unerlässlich.

Blurred image background

Tina Deutsch studierte Volks- und Finanzwirtschaft sowie Internationale Betriebswirtschaft. Nach zehn Jahren im Change Management internationaler Konzernorganisationen im Energie-, Finanz- und Beratungssektor gründete sie eine Consulting-Plattform mit Fokus auf Transformations- und Nachhaltigkeits-Beratung. Anfang 2024 gründete sie gemeinsam mit Katharina Rogenhofer und Florian Maringer das KONTEXT-Institut für Klimafragen. Tina Deutsch agiert als Venture-Builderin und Stimme der Wirtschaft für und von KONTEXT.

 © Martina Draper

Tina Deutsch, Vorständin des Kontext-Instituts für Klimafragen, über positive Zukunftsbilder, die Macht des Framings und die Transformation der Wirtschaft.

TREND: In den Diskussionen beim Forum Alpbach wurde die Vorstellungskraft als entscheidende Ressource im Kampf gegen die Klimakrise hervor­gehoben. Warum?

Tina Deutsch: Die britische Wissenschaftlerin Phoebe Tickell hat es beim Forum Alpbach schön formuliert: Es gibt kein Problem mit mangelnden Ressourcen oder mit mangelnder Technologie, sondern wir haben ein Problem mit mangelnder Vorstellungskraft. Und ich finde, das bringt es auf den Punkt. Im Klimadiskurs wird sehr oft von Dingen gesprochen, auf die man verzichten muss. Oder von Szenarien, die schlimm werden, wenn wir nicht handeln. Aber es fehlt das positive Bild – wie zum Beispiel Städte, Länder oder Kontinente aussehen könnten, wenn wir das gut hinbekommen. Es gibt berechtigte Ängste, wenn ganze Industriezweige potenziell wegfallen oder sich völlig ­erneuern müssen. Doch da fehlt es manchmal an Vorstellungskraft für die Alternative. Einfach zu sagen, die ­Automobilindustrie muss sich um­stellen, ist zu wenig. Da braucht es ­konkrete Bildwelten, zum Beispiel von neuen Jobs, die entstehen.

Wer soll diese Bildwelten und neuen Narrative schaffen?

Unternehmens­lenker:innen, Politiker:innen und auch Expert:innen der unterschiedlichen Interessenvertretungen. Alle sind angehalten, diese positiven Geschichten zu erzählen, weil kein Weg daran vorbeiführt, dass sich vieles transformiert. Es stellt sich mehr die Frage, wie wir so darüber sprechen, dass uns der Weg dorthin leichter fällt. Auch die Kunst kann sehr gut dabei helfen, einen sachlichen Diskurs zu emotionalisieren und spür- und erlebbar zu machen. In Deutschland und in Österreich zum Beispiel emotionalisiert das Thema Verkehr sehr. Da wird immer, wenn wir über Narrative sprechen, das Auto als Freiheit dargestellt. Das heißt, man darf niemandem die Freiheit wegnehmen, sich individuell zu bewegen. Das ist ein willkürliches Framing. Ich kann genauso sagen, es sollten alle die Freiheit haben, nicht darauf angewiesen zu sein, sich ein Auto leisten zu müssen.

Viele Industriesektoren von Landwirtschaft über das Bauwesen bis hin zum Energiesektor müssen für eine nachhaltige Zukunft umgebaut werden. Welche Herausforderungen sehen Sie bei dieser Transformation?

Auch diese Frage nach den Herausforderungen ist ein negatives Framing. Wir in Europa haben enorme Chancen, weil unsere Wissensgesellschaft sehr ausgeprägt ist. Wir sind in der Lage, uns neu zu erfinden und in Forschung und Innovation zu investieren. Die eigentliche Frage ist: Wie können wir in den unterschiedlichen Industrien unsere Stärken nutzen, um noch mehr Vorteile zu generieren und uns einen echten USP zu erarbeiten? Wir haben in Europa inzwischen zum Beispiel einen sehr klar ausgeprägten Climate-Tech-Sektor, wo viele tolle Start-ups und Innovationen entstehen. Auch im Bereich erneuerbare Energien ist Europa sehr weit. Jetzt muss man die Rahmenbedingungen optimal ­aufstellen, damit das noch besser und vor allem schneller funktioniert.

Klimaschutz wird oft als großer Kostenfaktor gesehen.

Alle Studien und Daten zeigen: Rein ökonomisch betrachtet ist nichts zu tun viel teurer, als in den Klimaschutz zu investieren. Dabei geht es gar nicht um Moral. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch immer von Kosten, aber es geht eigentlich um Investitionen. Eine Investition in den Klimaschutz ist vergleichbar mit der Investition in die Bildung meiner Kinder. Das kommt später um ein Vielfaches zurück und wird sich dann als Erfolg unserer Volkswirtschaft und im Wohlbefinden unserer Gesellschaft äußern.

Logo
Jetzt trend. ab € 14,60 im Monat abonnieren!
Ähnliche Artikel