Klein & wertvoll. Aus diesen schwarzen Katalysatoren gewinnt Treibacher beim Recyceln wertvolle Rohstoffe.
©beigestelltGröße ist gut, aber nicht alles. In Kärnten zeigt eine Reihe von innovativen Firmen, wie man als Nischenplayer auf dem Weltmarkt mitspielt. Eines der Erfolgsrezepte ist die enge Vernetzung mit Hochschulen und Forschungseinrichtungen.
Jubelnd reißt Massimiliano Mattei die Arme hoch: Er hat gerade die Goldmedaille bei der Eurosurf Adaptive in Portugal gewonnen. Was daran so besonders ist: Mattei sitzt seit einem Motorradunfall im Rollstuhl, und der Wettbewerb an Portugals Küste wird speziell für Menschen mit Behinderung ausgetragen, eine Art Paraolympics der Wellenreiter. Der Italiener hat ein spezielles Surfbrett, auf dem er liegend mit den Wellen gleiten kann. Ebenfalls besonders: Zur Siegerehrung fährt Mattei mit seinem Rollstuhl und einem davor befestigten Gerät mit E-Motor, das den Rollstuhl zu einem Dreirad macht und mittels E-Motor zieht. Diese Erfindung, die nicht nur bei der Surfmeisterschaft für Furore sorgt, stammt von Klaxon Mobility aus Kärnten.
Jubelnd reißen die Fans im Wembley-Stadion die Arme hoch, als Sasa Kalajdzic in der 114. Minute des Achtelfinales der Fußball-Europameisterschaft für Österreich den Anschlusstreffer zum 1 : 2 gegen Italien erzielt und das Match noch einmal spannend macht. Auch in Österreich wird an den TV-Schirmen gejubelt, die Zuseher können das Spiel live und teilweise aus der Vogelperspektive miterleben. Möglich macht das die Kärntner Firma Spidercam mit ihren Spezialkameras. Was die Feistritzer Ingenieure trotz ausgereifter Technik leider nicht ändern können: Das Spiel geht 1 : 2 verloren.
Zwei Beispiele, die zeigen, welche Innovationskraft und welchen Erfolg über die Landesgrenzen hinweg Kärntner Unternehmen haben. Dabei ist Kärntens Wirtschaft eher klein strukturiert, von einigen Leitbetrieben wie Infineon abgesehen beherrschen kleine und mittelständische Unternehmen die Szene. Kein Nachteil, wie nicht nur Klaxon und Spidercam zeigen. Denn viele Unternehmen haben sich auf Nischen konzentriert, die sie mit guten Ideen und Innovationen erfolgreich besetzen.
Das Konzept dahinter lautet Smart Specialisation, also Erkennen und Besetzen interessanter Marktlücken mit Potenzial. Als mittelständisches Unternehmen lässt sich nicht mit Massengütern und Billigprodukten reüssieren, sondern nur mit Qualität und Innovationen.
Sprint oder Langstrecke.
„Weltklasse wird man nur, wenn man auf ein Geschäftsfeld fokussiert und seine ganze Kraft darauf konzentriert“, betont auch Thomas Haller, Österreich-Chef der Unternehmensberatung Simon Kucher, „es ist ähnlich wie im Sport. Weltmeister kann man nicht im Langstreckenlauf und zugleich im Hundert-Meter-Lauf werden. Man muss sich auf eine Disziplin konzentrieren.“
Auf Kärnten angewendet bedeutet das: Stärken stärken sowie Technologieintensität und Innovationsfähigkeit fördern. Doppeltes Plus der intelligenten Spezialisierung: Die Strategie harmoniert bestens mit dem EU-Konzept von Smart Specialisation. Das Konzept steht für das Herausstellen von Alleinstellungsmerkmalen und Wettbewerbsvorteilen der einzelnen Regionen sowie für die Stärkung der regionalen Innovationssysteme zusammen mit der Maximierung des Wissenschaftsaustauschs, verbunden mit speziellen Förderungen.
100 Millionen für Recycling.
In Kärnten liegen diese Stärken auf den Feldern Green Economy und intelligente Spezialisierung. Es gibt sehr viele Klein- und Mittelbetriebe, die äußerst innovativ sind und sich mit speziellen Produkten und Dienstleistungen auf den Weltmärkten Nischen erobert haben. Die smarte Spezialisierung beschränkt sich aber nicht nur auf die Kleinen. So errichtet die Treibacher AG gerade um rund 100 Millionen Euro am Standort Althofen eine neue Recyclinganlage für ein Nischenprodukt: umweltschonende Reinigung von Katalysatoren aus der Erdölindustrie. Diese kleinen Teilchen, gerade einmal drei bis sechs Millimeter lang, filtern Vanadium und Nickel aus dem Rohöl – wertvolle Rohstoffe, die beim Recyceln in Althofen wieder zurückgewonnen werden können, was den jährlichen Abbau von rund 500.000 Tonnen Erz erspart. In diesem Segment ist Treibacher europaweit Technologie- und Marktführer.
Aber es gibt noch eine andere Attraktion in Althofen: einen Leuchtturm. Keinen echten, aber dafür einen ausgezeichneten. Denn das World Economic Forum hat gemeinsam mit den Consultern von McKinsey das Werk der Firma Flex in Althofen als erste Fabrik Österreichs als „Lighthouse“ ausgezeichnet. Prämiert werden mit dem exklusiven Preis Produktionsanlagen, die beim Einsatz von Industrie-4.0-Technologien weltweit führend sind sowie intelligente und nachhaltige Lösungen umsetzen. Flex entwickelt, designt und produziert Produkte im Auftrag verschiedenster Kunden. Der Standort Althofen gilt innerhalb des börsennotierten Weltkonzerns als Vorreiter bei der Entwicklung neuer Technologien, speziell bei Automatisierung und Digitalisierung – was die Auszeichnung jetzt bestätigt.
Dieser Innovations-Booster kommt nicht von ungefähr. In Kärnten werden gezielt Kräfte in Netzwerken und Clustern gebündelt. Die enge Kooperation zwischen Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Bildungsinstitutionen ist einer der Erfolgsfaktoren für Kärntens Wirtschaft – vielleicht der entscheidende Erfolgsfaktor. Das schlägt sich auch in konkreten Zahlen nieder. Mit einer F&E-Quote von 3,2 Prozent führt Kärnten das Mittelfeld unter den österreichischen Bundesländern an. Keine Selbstverständlichkeit, konkurrierte das südliche Bundesland doch früher bei wirtschaftlichen Kennzahlen oft mit dem Burgenland um den letzten Platz. Besser als Kärnten schneiden nur die Hauptstadt Wien und die traditionellen Industriehochburgen Steiermark und Oberösterreich ab.
F&E-Quote 2019 nach Forschungsstandorten insgesamt in Prozent
Pluspunkt Vernetzung.
„Die Vernetzung von Forschung und Industrie ist sicher eine der Stärken Kärntens“, betont auch Christina Hirschl, Leiterin des Silicon Austria Labs (SAL) in Villach. Das Forschungszentrum, unter anderem auf Mikroelektronik und Sensortechnik spezialisiert, ist ein One-Stop-Shop für Unternehmen, die zu diesen Themen forschen. Der besondere Ansatz: Forschung praxisnah auf den Boden zu bringen. „Wir verbinden Grundlagenforschung und angewandte Forschung miteinander und haben so eine Drehscheibenfunktion für Innovationen“, so Hirschl, „und wir kombinieren den wissenschaftlichen Ansatz mit der wirtschaftlichen Perspektive.“ Auf einer Fläche von 1.000 Quadratmetern entsteht beim SAL gerade ein neuer Reinraum für Spitzentechnik.
Weitere Hotspots für die Kooperation sind der Lakeside Park Klagenfurt und der High Tech Campus Villach. Seit seiner Gründung vor 15 Jahren hat sich die Fläche des Lakeside Parks verdoppelt, aus den anfangs 15 Unternehmen sind mittlerweile 70 geworden, die rund 1.400 Mitarbeitende beschäftigen. Ähnlich ist die Entwicklung des High Tech Campus Villach, der international auf dem Gebiet der Electronic-based Ssytems einen hervorragenden Ruf hat.
Viele Ideen, ein Standort.
Die Idee, Unternehmen an einem Standort zu bündeln und mit Bildungs- und Forschungseinrichtungen zu vernetzen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Strategie des Wirtschaftsstandortes Kärnten. Wie diese aufgeht, zeigt das Beispiel Skidata als eines von vielen. Das Salzburger Unternehmen ist Spezialist für Zutrittssysteme vom Skipass auf der Key Card bis zu Parkhäusern und hat auch einen Forschungsstützpunkt im Lakeside Park. „In unseren Lakeside Labs in Klagenfurt entwickeln wir zentral gehostete, servicierbare und smarte Internetanwendungen zum Beispiel für zentralisierte Steuerung mehrerer Systeme, Ticketverkauf oder Parkplatzreservierung, webbasierte Analyse von Geschäftsvorgängen und Webinterfaces zu Services“, so Michael Gradnitzer, Vice President Operations bei Skidata. Ein gemeinsamen Forschungsprojekt gab es mit dem Institut für Vernetzte und Eingebettete Systeme der Universität Klagenfurt.
Ein anderer Mieter im Lakeside Park ist das Unternehmen CISC Semiconductor. Die Hightech-Schmiede ist auf Innovationen im Bereich Kommunikationssysteme für Automotive, Industrial IoT und Wireless-Technologien (NFC, RFID) spezialisiert. Aktuell hat das Unternehmen ein Hochleistungs-Testgerät entwickelt, das mehr als 100.000 in Karten oder Aufkleber integrierte NFC-Chips pro Stunde auf ihre Funktionsfähigkeit testen kann – damit der Konsument sicher und zuverlässig kontaktlos im Supermarkt bezahlen kann. Was den Lakeside Park als Standort für CISC so interessant macht? „Die intensive Kooperation mit Forschungseinrichtungen und Unternehmen ermöglicht immer wieder Produktinnovationen“, sagt Markus Pistauer, Gründer und CEO, „und er sorgt für Sichtbarkeit bei internationalen Unternehmen.“
Diese Sichtbarkeit kann ziemlich entscheidend sein. Denn wer sich für smarte Spezialisierung als Strategie entscheidet, muss in der Regel auf internationale Märkte drängen. Nische, und dann nur Kärnten als Markt – das wird sich kaum ausgehen. Berater Thomas Haller: „Spezialisierung macht den Absatzmarkt klein. Deshalb braucht es eine zweite Säule: Und die heißt Globalisierung.“
Das sehen auch Enrico Boaretto und Andrea Stella so, die beiden Gründer von Klaxon Mobility. Obwohl beide Italiener sind, hat das Unternehmen seinen Sitz in Arnoldstein – und ist kürzlich eine Partnerschaft mit dem schwedischen Mobilitätsanbieter Voi Technology eingegangen, einem europaweit agierenden Anbieter von E-Scootern. „Diese Partnerschaft ist ein großer Schritt auf dem Weg zur Verwirklichung unseres Traums, Städte zugänglicher zu machen und jedem die Möglichkeit zu geben, sich autonom und komfortabel zu bewegen“, so Andrea Stella, „denn nur eine Welt ohne Barrieren ist eine lebenswerte Welt.“
Lisa macht’s möglich
Vernetzte Daten, jederzeit sichtbar: Bei Flex in Kärnten kann man schon heute die Fabrik von morgen besichtigen.
Der Fortschritt ist weiblich.
Auf jeden Fall bei Flex in Althofen. Denn „Lisa“ steht für „Line Stop Assistant“ und ist eine große Vernetzerin – und der Hauptgrund, dass das Flex-Werk in Kärnten vom World Economic Forum und der Unternehmensberatung McKinsey als „Lighthouse“ ausgezeichnet wurde. Weltweit tragen nur wenige Fabriken diese Titel. Um ihn zu bekommen, müssen die Abläufe intelligent und auf dem neuesten Stand von Industrie 4.0 sein, also digitalisiert und automatisiert. Und damit kommt Lisa ins Spiel. Sie vernetzt komplexe Daten der Produktionsmaschinen und macht Meldung, wenn es irgendwo einen Fehler oder eine Abweichung gibt. Ein weiteres Tool der hypermodernen Fabrik ist „Flex Pulse“. Dahinter verbirgt sich eine interaktive Darstellung, die den automatisierten Materialtransport vom Lager zu den Fertigungslinien abbildet. „Unser gesamter Maschinenpark ist digitalisiert“, erläutert Geschäftsführer Martin Rainer. Nachverfolgen lässt sich das an Dashboards im gesamten Produktionsbereich, an denen alle relevanten Daten – meist grafisch – in Echtzeit abgelesen werden können.
Die Kärntner sind Teil des börsennotierten Weltkonzerns Flex, der früher Flextronic hieß und weltweit mit 160.000 Beschäftigten mehr als 24 Milliarden US-Dollar umsetzt.
Die Althofener entwickeln, designen und produzieren Produkte im Auftrag von mehr als 30 Kunden, in Summe werden mehr als 500 verschiedene Produkte gefertigt. Schwerpunkt sind Teile und Anwendungen für die Automobilindustrie und die Medizintechnik. Dieser Zweig soll sukzessive ausgebaut werden. Neueste Entwicklungen sind ein Analysegerät, mit dem Antikörper- und Antigentest innerhalb von zwölf Minuten ausgewertet werden können, und elektromechanische Injektionsgeräte zur automatischen Verabreichung von Medikamenten. Besonders spektakulär: Die Kärntner Technologiespezialisten arbeiten an der Weiterentwicklung einer speziellen „Tumorhaube“ der israelischen Firma Novocure zu einem Serienprodukt. Hinter diesem Produkt steht das Konzept, mittels elektromagnetischer Wechselfelder die Zellteilung von Hirntumoren zu stören und so weiteres Wachstum zu verhindern.
Von der Kärntner Garage ins Wembley-Stadion
Wenn irgendwo eine Kamera an Seilen über ein Sportstadionoder eine Konzerthalle düst, kommt die meistens aus Feistritz.
Ein Tüftler und Sportfan,
der sich bei TV-Übertragungen von Fußballspielen über die langweiligen und statische Kamerabilder ärgert, und eine Garage mit einigen Werkzeugen und elektronischem Bastelmaterial: Das sind die Zutaten für eine Kärntner Erfolgsgeschichte nach dem Konzept einer smarten Spezialisierung. Denn entstanden ist aus der Idee die Firma Spidercam Robotics. Wenn bei den Spielen der Fußball-Europameisterschaften das Spielfeld aus der Vogelperspektive zu sehen ist, wenn bei der TV-Castingshow „Deutschland sucht den Superstar“ die Kamera knapp über die Köpfe des Publikums rast, wenn bei den Konzerten von Beyoncé oder Metallica Bilder aus der Konzerthalle auf die Videowall projiziert werden, wenn beim Tennisturnier Australian Open aufgeschlagen wird, im Estadio Azteca in Mexiko City der Ball rollt oder in Indien Cricket-Spiele übertragen werden – stets kommt die Kameratechnik dafür aus Feistritz im Rosental.
„Mein Vater war halt ein echter Tüftler“, beschreibt Georg Peters die Anfänge dieser Geschichte reichlich unaufgeregt. Und das war sie lange Zeit auch. Denn getestet wird die Peters’sche Entwicklung von Roboter-Kameras, die ferngesteuert an Seilen über Sportplätzen, Tennis-Courts, TV-Studios und Konzerthallen schweben, zunächst auf dem Sportplatz des SC Landskron – nicht nur räumlich ziemlich weit entfernt von EM-Spielen im Londoner Wembley-Stadion. Das System kann eine Fläche von 250 mal 250 Metern bedienen, die Kameras erreichen eine Geschwindigkeit von bis zu neun Metern pro Sekunde und sind in ihrer Flexibilität den bis dahin verwendeten Kamerakränen deutlich überlegen.
Der Durchbruch für die Kärntner Tüftler kam durch einen Hamburger Partner und Spezialisten für Kameratechnik bei Sport Events. Der war auf das junge Unternehmen aufmerksam geworden und setzte die neue Technologie durchaus mutig bei der Eröffnung der neuen Allianz-Arena ein, des Heimstadions des FC Bayern München. „Das war der internationale Durchbruch“, erinnert sich Georg Peters. Seitdem ist Spidercam in den obersten Fußball-Ligen in Italien und Frankreich vertreten genauso wie bei entscheidenden Rugby-Partien in England.
Zwar gibt es Vertriebs-und Service Niederlassungen in Hamburg, den USA und Australien, doch die Zentrale von Spidercam befindet sich nach wie vor in Feistritz. Dort arbeiten die 16 Mitarbeiter der Technikentwicklung an den nächsten Schritten. „Die Auflösung der Kameras muss ständig verbessert werden, Augmented Reality ist ein Thema, Industrieanwendungen ein neues Geschäftsfeld“, sagt Peters. Besonders spannend entwickelt sich eine Kooperation mit der renommierten Technischen Universität Zürich, ETH. Dabei geht es um die präzise Vermessung von Pflanzen auf Basis von Lasertechnologie und unbeeinflusst von äußeren Umständen. Relevant ist das etwa bei der Erprobung neuer Getreidesorten und der Bedingungen, unter denen sie sich am besten entwickeln können. Also Landwirtschaft 4.0 – und auch da ist Spidercam dabei.
Die Trends bei den Wirtschaftsstandorten
- Vernetzung. Immer komplexere Aufgaben erfordern immer mehr Wissensaustausch. Cluster haben sich dafür bewährt.
- Kooperationen. Wer Innovationen will, muss die Zusammenarbeit von Forschung und Unternehmen fördern. Praxisnah und ohne hohe Schwellen.
- Smarte Spezialisierung. Größe ist gut, aber nicht alles. Kleinere Unternehmen können in Nischen erfolgreich sein, brauchen dafür aber internationale Märkte.
- Smarte Bürokratie. Ein Ansprechpartner, kurze Wege, attraktive Förderungen, englischsprachige Beamte: So lassen sich Firmen leichter anlocken.
- Lebensqualität. Arbeit ist nicht alles. Wer Topleute holen will, braucht ein entsprechendes Angebot an Freizeitmöglichkeiten von Kultur bis Natur. Und eine offene Willkommenskultur.
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